unrecht zu glauben, dazu müsse der Leib abgelegt wer- den, um in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie die ganze Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit sich vorbe- reitet, eben so bereitet sich der Himmel vor, in sich selb- sten, in der Erkenntniß eines keimenden geistigen Lebens, dem man alle seine Kräfte widmet bis es sich von selbst in die Freiheit gebäre, dies ist unsere Aufgabe unsre geistige Organisation, es kommt drauf an daß sie sich belebe, daß der Geist Natur werde, damit dann wieder ein Geist ein weissagender sich aus dieser entfalte. Der Dichter (Du Goethe) muß zuerst dies neue Leben ent- falten, er hebt die Schwingen und schwebt über den sehnenden, und lockt sie und zeigt ihnen wie man über dem Boden der Vorurtheile sich erhalten könne; aber ach! deine Muse ist eine Sapho statt dem Genius zu folgen hat sie sich hinabgestürzt.
Am 29. November.
Gestern hab ich so weit geschrieben, da hab ich mich in's Bett gelegt aus lauter Furcht, und wie ich alle Abend thue, daß ich im Denken an Dich zu deinen Füßen einschlafe so wollte es mir gestern nicht gelingen, ich mußte mich schämen daß ich so hoffärtig geschwätzt
II. 7
unrecht zu glauben, dazu müſſe der Leib abgelegt wer- den, um in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie die ganze Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit ſich vorbe- reitet, eben ſo bereitet ſich der Himmel vor, in ſich ſelb- ſten, in der Erkenntniß eines keimenden geiſtigen Lebens, dem man alle ſeine Kräfte widmet bis es ſich von ſelbſt in die Freiheit gebäre, dies iſt unſere Aufgabe unſre geiſtige Organiſation, es kommt drauf an daß ſie ſich belebe, daß der Geiſt Natur werde, damit dann wieder ein Geiſt ein weiſſagender ſich aus dieſer entfalte. Der Dichter (Du Goethe) muß zuerſt dies neue Leben ent- falten, er hebt die Schwingen und ſchwebt über den ſehnenden, und lockt ſie und zeigt ihnen wie man über dem Boden der Vorurtheile ſich erhalten könne; aber ach! deine Muſe iſt eine Sapho ſtatt dem Genius zu folgen hat ſie ſich hinabgeſtürzt.
Am 29. November.
Geſtern hab ich ſo weit geſchrieben, da hab ich mich in's Bett gelegt aus lauter Furcht, und wie ich alle Abend thue, daß ich im Denken an Dich zu deinen Füßen einſchlafe ſo wollte es mir geſtern nicht gelingen, ich mußte mich ſchämen daß ich ſo hoffärtig geſchwätzt
II. 7
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unrecht zu glauben, dazu müſſe der Leib abgelegt wer-
den, um in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! wie
die ganze Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit ſich vorbe-
reitet, eben ſo bereitet ſich der Himmel vor, in ſich ſelb-
ſten, in der Erkenntniß eines keimenden geiſtigen Lebens,
dem man alle ſeine Kräfte widmet bis es ſich von ſelbſt
in die Freiheit gebäre, dies iſt unſere Aufgabe unſre
geiſtige Organiſation, es kommt drauf an daß ſie ſich
belebe, daß der Geiſt Natur werde, damit dann wieder
ein Geiſt ein weiſſagender ſich aus dieſer entfalte. Der
Dichter (Du Goethe) muß zuerſt dies neue Leben ent-
falten, er hebt die Schwingen und ſchwebt über den
ſehnenden, und lockt ſie und zeigt ihnen wie man über
dem Boden der Vorurtheile ſich erhalten könne; aber
ach! deine Muſe iſt eine Sapho ſtatt dem Genius zu
folgen hat ſie ſich hinabgeſtürzt.
Am 29. November.
Geſtern hab ich ſo weit geſchrieben, da hab ich
mich in's Bett gelegt aus lauter Furcht, und wie ich
alle Abend thue, daß ich im Denken an Dich zu deinen
Füßen einſchlafe ſo wollte es mir geſtern nicht gelingen,
ich mußte mich ſchämen daß ich ſo hoffärtig geſchwätzt
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/155>, abgerufen am 21.11.2024.
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