nem Gespräch das ewige Zirpen jener Grille vergessen möchte, die nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts außer ihrem Ton die Einsamkeit unterbricht. -- Heute habe ich mich eine ganze Stunde exerciert einen Kranz von Rosen mit dem Stock auf ein hohes steinernes Kreuz zu schwingen das am Fahrweg steht, es war ver- gebens der Kranz entblätterte, ich setzte mich ermüdet auf die Bank drunter, bis der Abend kam, und dann ging ich nach Hause. Kannst Du glauben daß es mich sehr traurig machte so einsam nach Hause zu gehen, und daß es mir war als hänge ich mit nichts zusam- men in der Welt, und daß ich unterwegs an deine Mut- ter dachte, wenn ich im Sommer zum Eschenheimer Thor hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu ihr hinauf, ich warf Blumen und Kräuter alles was ich ge- sammelt hatte mitten in die Stube, und setzte mich dicht an sie heran und legte den Kopf ermüdet auf ihren Schoos; sie sagte: hast Du die Blumen so weit herge- bracht, und jetzt wirfst Du sie alle weg, da mußte ihr die Lieschen ein Gefäß bringen und sie ordnete den Strauß selbst, über jede einzelne Blume hielt sie ihre Betrachtung, und sagte vieles was mir so wohlthätig war, als schmeichle mir eine liebe Hand; sie freute sich daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grassaamen
nem Geſpräch das ewige Zirpen jener Grille vergeſſen möchte, die nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts außer ihrem Ton die Einſamkeit unterbricht. — Heute habe ich mich eine ganze Stunde exerciert einen Kranz von Roſen mit dem Stock auf ein hohes ſteinernes Kreuz zu ſchwingen das am Fahrweg ſteht, es war ver- gebens der Kranz entblätterte, ich ſetzte mich ermüdet auf die Bank drunter, bis der Abend kam, und dann ging ich nach Hauſe. Kannſt Du glauben daß es mich ſehr traurig machte ſo einſam nach Hauſe zu gehen, und daß es mir war als hänge ich mit nichts zuſam- men in der Welt, und daß ich unterwegs an deine Mut- ter dachte, wenn ich im Sommer zum Eſchenheimer Thor hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu ihr hinauf, ich warf Blumen und Kräuter alles was ich ge- ſammelt hatte mitten in die Stube, und ſetzte mich dicht an ſie heran und legte den Kopf ermüdet auf ihren Schoos; ſie ſagte: haſt Du die Blumen ſo weit herge- bracht, und jetzt wirfſt Du ſie alle weg, da mußte ihr die Lieschen ein Gefäß bringen und ſie ordnete den Strauß ſelbſt, über jede einzelne Blume hielt ſie ihre Betrachtung, und ſagte vieles was mir ſo wohlthätig war, als ſchmeichle mir eine liebe Hand; ſie freute ſich daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grasſaamen
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nem Geſpräch das ewige Zirpen jener Grille vergeſſen
möchte, die nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts
außer ihrem Ton die Einſamkeit unterbricht. — Heute
habe ich mich eine ganze Stunde exerciert einen Kranz
von Roſen mit dem Stock auf ein hohes ſteinernes
Kreuz zu ſchwingen das am Fahrweg ſteht, es war ver-
gebens der Kranz entblätterte, ich ſetzte mich ermüdet
auf die Bank drunter, bis der Abend kam, und dann
ging ich nach Hauſe. Kannſt Du glauben daß es mich
ſehr traurig machte ſo einſam nach Hauſe zu gehen,
und daß es mir war als hänge ich mit nichts zuſam-
men in der Welt, und daß ich unterwegs an deine Mut-
ter dachte, wenn ich im Sommer zum Eſchenheimer Thor
hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu ihr
hinauf, ich warf Blumen und Kräuter alles was ich ge-
ſammelt hatte mitten in die Stube, und ſetzte mich dicht
an ſie heran und legte den Kopf ermüdet auf ihren
Schoos; ſie ſagte: haſt Du die Blumen ſo weit herge-
bracht, und jetzt wirfſt Du ſie alle weg, da mußte ihr
die Lieschen ein Gefäß bringen und ſie ordnete den
Strauß ſelbſt, über jede einzelne Blume hielt ſie ihre
Betrachtung, und ſagte vieles was mir ſo wohlthätig
war, als ſchmeichle mir eine liebe Hand; ſie freute ſich
daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grasſaamen
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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