Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

auch wird deine Schönheit vom Strahl der Begeisterung
allein beleuchtet, tausendfach bereichert.

Nur erst, wenn alles begriffen ist, kann das Etwas
seinen vollen Werth erweisen, und somit begreifst Du
mich, wenn ich Dir erzähle, daß das Wochenbett deiner
Mutter, worin sie Dich zur Welt brachte, blaugewür-
felte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahr
alt und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte sie, Du
würdest wohl ewig jung bleiben, und dein Herz würde
nie veralten, da Du die Jugend der Mutter mit in den
Kauf habest. Drei Tage bedachtest Du Dich eh Du
an's Weltlicht kamst und machtest der Mutter schwere
Stunden. Aus Zorn, daß Dich die Noth aus dem ein-
gebornen Wohnort trieb, und durch die Mißhandlung
der Amme kamst Du ganz schwarz und ohne Lebens-
zeichen. Sie legten Dich in einen sogenannten Fleisch-
arden und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz
an deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter stand
hinter dem Bett, als Du zuerst die Augen aufschlugst,
rief sie hervor: Räthin, er lebt! "da erwachte mein
mütterliches Herz und lebte seitdem in fortwährender
Begeisterung bis zu dieser Stunde!" sagte sie mir in
ihrem fünfundsiebzigsten Jahr. Dein Großvater, der der
Stadt ein herrlicher Bürger und damals Syndikus war,

II. 11

auch wird deine Schönheit vom Strahl der Begeiſterung
allein beleuchtet, tauſendfach bereichert.

Nur erſt, wenn alles begriffen iſt, kann das Etwas
ſeinen vollen Werth erweiſen, und ſomit begreifſt Du
mich, wenn ich Dir erzähle, daß das Wochenbett deiner
Mutter, worin ſie Dich zur Welt brachte, blaugewür-
felte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahr
alt und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte ſie, Du
würdeſt wohl ewig jung bleiben, und dein Herz würde
nie veralten, da Du die Jugend der Mutter mit in den
Kauf habeſt. Drei Tage bedachteſt Du Dich eh Du
an's Weltlicht kamſt und machteſt der Mutter ſchwere
Stunden. Aus Zorn, daß Dich die Noth aus dem ein-
gebornen Wohnort trieb, und durch die Mißhandlung
der Amme kamſt Du ganz ſchwarz und ohne Lebens-
zeichen. Sie legten Dich in einen ſogenannten Fleiſch-
arden und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz
an deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter ſtand
hinter dem Bett, als Du zuerſt die Augen aufſchlugſt,
rief ſie hervor: Räthin, er lebt! „da erwachte mein
mütterliches Herz und lebte ſeitdem in fortwährender
Begeiſterung bis zu dieſer Stunde!“ ſagte ſie mir in
ihrem fünfundſiebzigſten Jahr. Dein Großvater, der der
Stadt ein herrlicher Bürger und damals Syndikus war,

II. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0251" n="241"/>
auch wird deine Schönheit vom Strahl der Begei&#x017F;terung<lb/>
allein beleuchtet, tau&#x017F;endfach bereichert.</p><lb/>
          <p>Nur er&#x017F;t, wenn alles begriffen i&#x017F;t, kann das Etwas<lb/>
&#x017F;einen vollen Werth erwei&#x017F;en, und &#x017F;omit begreif&#x017F;t Du<lb/>
mich, wenn ich Dir erzähle, daß das Wochenbett deiner<lb/>
Mutter, worin &#x017F;ie Dich zur Welt brachte, blaugewür-<lb/>
felte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahr<lb/>
alt und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte &#x017F;ie, Du<lb/>
würde&#x017F;t wohl ewig jung bleiben, und dein Herz würde<lb/>
nie veralten, da Du die Jugend der Mutter mit in den<lb/>
Kauf habe&#x017F;t. Drei Tage bedachte&#x017F;t Du Dich eh Du<lb/>
an's Weltlicht kam&#x017F;t und machte&#x017F;t der Mutter &#x017F;chwere<lb/>
Stunden. Aus Zorn, daß Dich die Noth aus dem ein-<lb/>
gebornen Wohnort trieb, und durch die Mißhandlung<lb/>
der Amme kam&#x017F;t Du ganz &#x017F;chwarz und ohne Lebens-<lb/>
zeichen. Sie legten Dich in einen &#x017F;ogenannten Flei&#x017F;ch-<lb/>
arden und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz<lb/>
an deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter &#x017F;tand<lb/>
hinter dem Bett, als Du zuer&#x017F;t die Augen auf&#x017F;chlug&#x017F;t,<lb/>
rief &#x017F;ie hervor: <hi rendition="#g">Räthin, er lebt</hi>! &#x201E;da erwachte mein<lb/>
mütterliches Herz und lebte &#x017F;eitdem in fortwährender<lb/>
Begei&#x017F;terung bis zu die&#x017F;er Stunde!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie mir in<lb/>
ihrem fünfund&#x017F;iebzig&#x017F;ten Jahr. Dein Großvater, der der<lb/>
Stadt ein herrlicher Bürger und damals Syndikus war,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 11</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0251] auch wird deine Schönheit vom Strahl der Begeiſterung allein beleuchtet, tauſendfach bereichert. Nur erſt, wenn alles begriffen iſt, kann das Etwas ſeinen vollen Werth erweiſen, und ſomit begreifſt Du mich, wenn ich Dir erzähle, daß das Wochenbett deiner Mutter, worin ſie Dich zur Welt brachte, blaugewür- felte Vorhänge hatte. Sie war damals achtzehn Jahr alt und ein Jahr verheirathet, hier bemerkte ſie, Du würdeſt wohl ewig jung bleiben, und dein Herz würde nie veralten, da Du die Jugend der Mutter mit in den Kauf habeſt. Drei Tage bedachteſt Du Dich eh Du an's Weltlicht kamſt und machteſt der Mutter ſchwere Stunden. Aus Zorn, daß Dich die Noth aus dem ein- gebornen Wohnort trieb, und durch die Mißhandlung der Amme kamſt Du ganz ſchwarz und ohne Lebens- zeichen. Sie legten Dich in einen ſogenannten Fleiſch- arden und bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz an deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter ſtand hinter dem Bett, als Du zuerſt die Augen aufſchlugſt, rief ſie hervor: Räthin, er lebt! „da erwachte mein mütterliches Herz und lebte ſeitdem in fortwährender Begeiſterung bis zu dieſer Stunde!“ ſagte ſie mir in ihrem fünfundſiebzigſten Jahr. Dein Großvater, der der Stadt ein herrlicher Bürger und damals Syndikus war, II. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/251
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/251>, abgerufen am 24.11.2024.