wendete stets Zufall und Unfall zum Wohl der Stadt an, und so wurde auch deine schwere Geburt die Ver- anlassung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen einsetzte. "Schon in der Wiege war er den Menschen eine Wohlthat," sagte die Mutter, sie legte Dich an ihre Brust, allein Du warst nicht zum Saugen zu brin- gen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An dieser hat er mit rechtem Appetit und Behagen getrunken, da es sich nun fand, sagte sie, daß ich keine Milch hatte, so merkten wir bald, daß er gescheuter gewesen war wie wir alle, da er nicht an mir trinken wollte.
Siehst Du, nun bist Du einmal geboren, nun kann ich schon immer ein wenig pausiren, nun bist Du ein- mal da, ein jeder Augenblick ist mir lieb genug um da- bei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht herbeiru- fen, daß er mich vom ersten verdränge. -- Wo Du bist ist Lieb und Güte, wo Du bist Natur! -- jetzt wart ich's erst ab daß Du mir wieder schreibest: "Nun erzähl weiter." Dann werd ich erst fragen: Nun, wo sind wir denn geblieben? -- und dann werd ich Dir erzählen von deinen Großeltern, von deinen Träumen, Schönheit, Stolz, Liebe etc. Amen.
Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer
wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl der Stadt an, und ſo wurde auch deine ſchwere Geburt die Ver- anlaſſung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen einſetzte. „Schon in der Wiege war er den Menſchen eine Wohlthat,“ ſagte die Mutter, ſie legte Dich an ihre Bruſt, allein Du warſt nicht zum Saugen zu brin- gen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An dieſer hat er mit rechtem Appetit und Behagen getrunken, da es ſich nun fand, ſagte ſie, daß ich keine Milch hatte, ſo merkten wir bald, daß er geſcheuter geweſen war wie wir alle, da er nicht an mir trinken wollte.
Siehſt Du, nun biſt Du einmal geboren, nun kann ich ſchon immer ein wenig pauſiren, nun biſt Du ein- mal da, ein jeder Augenblick iſt mir lieb genug um da- bei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht herbeiru- fen, daß er mich vom erſten verdränge. — Wo Du biſt iſt Lieb und Güte, wo Du biſt Natur! — jetzt wart ich's erſt ab daß Du mir wieder ſchreibeſt: „Nun erzähl weiter.“ Dann werd ich erſt fragen: Nun, wo ſind wir denn geblieben? — und dann werd ich Dir erzählen von deinen Großeltern, von deinen Träumen, Schönheit, Stolz, Liebe ꝛc. Amen.
Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0252"n="242"/>
wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl der Stadt<lb/>
an, und ſo wurde auch deine ſchwere Geburt die Ver-<lb/>
anlaſſung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen<lb/>
einſetzte. „Schon in der Wiege war er den Menſchen<lb/>
eine Wohlthat,“ſagte die Mutter, ſie legte Dich an<lb/>
ihre Bruſt, allein Du warſt nicht zum Saugen zu brin-<lb/>
gen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An dieſer hat<lb/>
er mit rechtem Appetit und Behagen getrunken, da es<lb/>ſich nun fand, ſagte ſie, daß ich keine Milch hatte, ſo<lb/>
merkten wir bald, daß er geſcheuter geweſen war wie<lb/>
wir alle, da er nicht an mir trinken wollte.</p><lb/><p>Siehſt Du, nun biſt Du einmal geboren, nun kann<lb/>
ich ſchon immer ein wenig pauſiren, nun biſt Du ein-<lb/>
mal da, ein jeder Augenblick iſt mir lieb genug um da-<lb/>
bei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht herbeiru-<lb/>
fen, daß er mich vom erſten verdränge. —<hirendition="#g">Wo Du<lb/>
biſt iſt Lieb und Güte, wo Du biſt Natur</hi>! —<lb/>
jetzt wart ich's erſt ab daß Du mir wieder ſchreibeſt:<lb/>„Nun erzähl weiter.“ Dann werd ich erſt fragen:<lb/>
Nun, wo ſind wir denn geblieben? — und dann werd<lb/>
ich Dir erzählen von deinen Großeltern, von deinen<lb/>
Träumen, Schönheit, Stolz, Liebe ꝛc. Amen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Räthin, er lebt</hi>! das Wort ging mir immer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[242/0252]
wendete ſtets Zufall und Unfall zum Wohl der Stadt
an, und ſo wurde auch deine ſchwere Geburt die Ver-
anlaſſung, daß man einen Geburtshelfer für die Armen
einſetzte. „Schon in der Wiege war er den Menſchen
eine Wohlthat,“ ſagte die Mutter, ſie legte Dich an
ihre Bruſt, allein Du warſt nicht zum Saugen zu brin-
gen, da wurde Dir eine Amme gegeben. An dieſer hat
er mit rechtem Appetit und Behagen getrunken, da es
ſich nun fand, ſagte ſie, daß ich keine Milch hatte, ſo
merkten wir bald, daß er geſcheuter geweſen war wie
wir alle, da er nicht an mir trinken wollte.
Siehſt Du, nun biſt Du einmal geboren, nun kann
ich ſchon immer ein wenig pauſiren, nun biſt Du ein-
mal da, ein jeder Augenblick iſt mir lieb genug um da-
bei zu verweilen, ich mag den zweiten nicht herbeiru-
fen, daß er mich vom erſten verdränge. — Wo Du
biſt iſt Lieb und Güte, wo Du biſt Natur! —
jetzt wart ich's erſt ab daß Du mir wieder ſchreibeſt:
„Nun erzähl weiter.“ Dann werd ich erſt fragen:
Nun, wo ſind wir denn geblieben? — und dann werd
ich Dir erzählen von deinen Großeltern, von deinen
Träumen, Schönheit, Stolz, Liebe ꝛc. Amen.
Räthin, er lebt! das Wort ging mir immer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/252>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.