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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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dieses war zwar nicht beachtet worden, doch hatte es
sich in der Stadt verbreitet und erregte allgemeines
Staunen da es eintraf. Heimlich vertraute er seiner
Frau ihm habe geträumt, daß einer der Schöffen ihm
sehr verbindlicher Weise seinen Platz angeboten habe,
nicht lange darauf starb dieser am Schlag, seine Stelle
wurde durch die goldne Kugel deinem Großvater zu
Theil. Als der Schultheiß gestorben war wurde noch
in später Nacht durch den Rathsdiener auf den andern
Morgen eine außerordentliche Rathsversammlung an-
gezeigt, das Licht in seiner Laterne war abgebrannt, da
rief der Großvater aus seinem Bette: gebt ihm ein neues
Licht, denn der Mann hat ja doch die Mühe blos für
mich. Kein Mensch hatte diese Worte beachtet, er selbst
äußerte am andern Morgen nichts und schien es ver-
gessen zu haben, seine älteste Tochter (deine Mutter)
hatte sich's gemerkt und hatte einen festen Glauben
dran, wie nun der Vater in's Rathhaus gegangen war,
steckte sie sich nach ihrer eignen Aussage in einen un-
menschlichen Staat, und frisirte sich bis an den Him-
mel. In dieser Pracht setzte sie sich mit einem Buch in
der Hand im Lehnsessel an's Fenster. Mutter und Schwe-
stern glaubten, die Schwester Prinzeß (so wurde sie we-
gen ihrem Abscheu vor häuslicher Arbeit, und Liebe zur

II. 12

dieſes war zwar nicht beachtet worden, doch hatte es
ſich in der Stadt verbreitet und erregte allgemeines
Staunen da es eintraf. Heimlich vertraute er ſeiner
Frau ihm habe geträumt, daß einer der Schöffen ihm
ſehr verbindlicher Weiſe ſeinen Platz angeboten habe,
nicht lange darauf ſtarb dieſer am Schlag, ſeine Stelle
wurde durch die goldne Kugel deinem Großvater zu
Theil. Als der Schultheiß geſtorben war wurde noch
in ſpäter Nacht durch den Rathsdiener auf den andern
Morgen eine außerordentliche Rathsverſammlung an-
gezeigt, das Licht in ſeiner Laterne war abgebrannt, da
rief der Großvater aus ſeinem Bette: gebt ihm ein neues
Licht, denn der Mann hat ja doch die Mühe blos für
mich. Kein Menſch hatte dieſe Worte beachtet, er ſelbſt
äußerte am andern Morgen nichts und ſchien es ver-
geſſen zu haben, ſeine älteſte Tochter (deine Mutter)
hatte ſich's gemerkt und hatte einen feſten Glauben
dran, wie nun der Vater in's Rathhaus gegangen war,
ſteckte ſie ſich nach ihrer eignen Ausſage in einen un-
menſchlichen Staat, und friſirte ſich bis an den Him-
mel. In dieſer Pracht ſetzte ſie ſich mit einem Buch in
der Hand im Lehnſeſſel an's Fenſter. Mutter und Schwe-
ſtern glaubten, die Schweſter Prinzeß (ſo wurde ſie we-
gen ihrem Abſcheu vor häuslicher Arbeit, und Liebe zur

II. 12
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[265/0275] dieſes war zwar nicht beachtet worden, doch hatte es ſich in der Stadt verbreitet und erregte allgemeines Staunen da es eintraf. Heimlich vertraute er ſeiner Frau ihm habe geträumt, daß einer der Schöffen ihm ſehr verbindlicher Weiſe ſeinen Platz angeboten habe, nicht lange darauf ſtarb dieſer am Schlag, ſeine Stelle wurde durch die goldne Kugel deinem Großvater zu Theil. Als der Schultheiß geſtorben war wurde noch in ſpäter Nacht durch den Rathsdiener auf den andern Morgen eine außerordentliche Rathsverſammlung an- gezeigt, das Licht in ſeiner Laterne war abgebrannt, da rief der Großvater aus ſeinem Bette: gebt ihm ein neues Licht, denn der Mann hat ja doch die Mühe blos für mich. Kein Menſch hatte dieſe Worte beachtet, er ſelbſt äußerte am andern Morgen nichts und ſchien es ver- geſſen zu haben, ſeine älteſte Tochter (deine Mutter) hatte ſich's gemerkt und hatte einen feſten Glauben dran, wie nun der Vater in's Rathhaus gegangen war, ſteckte ſie ſich nach ihrer eignen Ausſage in einen un- menſchlichen Staat, und friſirte ſich bis an den Him- mel. In dieſer Pracht ſetzte ſie ſich mit einem Buch in der Hand im Lehnſeſſel an's Fenſter. Mutter und Schwe- ſtern glaubten, die Schweſter Prinzeß (ſo wurde ſie we- gen ihrem Abſcheu vor häuslicher Arbeit, und Liebe zur II. 12

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/275>, abgerufen am 25.11.2024.