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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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legte sie herrlich aus, sie sagte, daß dies allein schon
beweisen müsse welche tiefe Religion in Dir sei, denn
Du habest den Zustand darin beschrieben in der allein
die Seele wieder sich zu Gott schwingen könne, nämlich
ohne Vorurtheile, ohne selbstische Verdienste aus reiner
Sehnsucht zu ihrem Erzeuger; und daß die Tugenden
mit denen man glaube den Himmel stürmen zu können
lauter Narrenspossen seien, und daß alles Verdienst vor
der Zuversicht der Unschuld die Seegel streichen müsse,
diese sei der Born der Gnade der alle Sünde abwasche,
und jedem Menschen sei diese Unschuld eingeboren
und sei das Urprinzip aller Sehnsucht nach einem gött-
lichen Leben; auch in dem verwirrtesten Gemüth vermit-
tele sich ein tiefer Zusammenhang mit seinem Schöpfer,
in jener unschuldigen Liebe und Zuversicht, die sich trotz
aller Verirrungen nicht ausrotten lasse, an diese solle
man sich halten denn es sei Gott selber im Menschen,
der nicht wolle daß er in Verzweiflung aus dieser Welt
in jene übergehe, sondern mit Behagen und Geistesge-
genwart, sonst würde der Geist wie ein Trunkenbold
hinüber stolpern, und die ewigen Freuden durch sein La-
mento stöhren, und seine Albernheit würde da keinen
großen Respekt einflößen, da man ihm erst den Kopf
wieder müsse zurecht setzen. Sie sagte von diesem Lied

legte ſie herrlich aus, ſie ſagte, daß dies allein ſchon
beweiſen müſſe welche tiefe Religion in Dir ſei, denn
Du habeſt den Zuſtand darin beſchrieben in der allein
die Seele wieder ſich zu Gott ſchwingen könne, nämlich
ohne Vorurtheile, ohne ſelbſtiſche Verdienſte aus reiner
Sehnſucht zu ihrem Erzeuger; und daß die Tugenden
mit denen man glaube den Himmel ſtürmen zu können
lauter Narrenspoſſen ſeien, und daß alles Verdienſt vor
der Zuverſicht der Unſchuld die Seegel ſtreichen müſſe,
dieſe ſei der Born der Gnade der alle Sünde abwaſche,
und jedem Menſchen ſei dieſe Unſchuld eingeboren
und ſei das Urprinzip aller Sehnſucht nach einem gött-
lichen Leben; auch in dem verwirrteſten Gemüth vermit-
tele ſich ein tiefer Zuſammenhang mit ſeinem Schöpfer,
in jener unſchuldigen Liebe und Zuverſicht, die ſich trotz
aller Verirrungen nicht ausrotten laſſe, an dieſe ſolle
man ſich halten denn es ſei Gott ſelber im Menſchen,
der nicht wolle daß er in Verzweiflung aus dieſer Welt
in jene übergehe, ſondern mit Behagen und Geiſtesge-
genwart, ſonſt würde der Geiſt wie ein Trunkenbold
hinüber ſtolpern, und die ewigen Freuden durch ſein La-
mento ſtöhren, und ſeine Albernheit würde da keinen
großen Reſpekt einflößen, da man ihm erſt den Kopf
wieder müſſe zurecht ſetzen. Sie ſagte von dieſem Lied

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[270/0280] legte ſie herrlich aus, ſie ſagte, daß dies allein ſchon beweiſen müſſe welche tiefe Religion in Dir ſei, denn Du habeſt den Zuſtand darin beſchrieben in der allein die Seele wieder ſich zu Gott ſchwingen könne, nämlich ohne Vorurtheile, ohne ſelbſtiſche Verdienſte aus reiner Sehnſucht zu ihrem Erzeuger; und daß die Tugenden mit denen man glaube den Himmel ſtürmen zu können lauter Narrenspoſſen ſeien, und daß alles Verdienſt vor der Zuverſicht der Unſchuld die Seegel ſtreichen müſſe, dieſe ſei der Born der Gnade der alle Sünde abwaſche, und jedem Menſchen ſei dieſe Unſchuld eingeboren und ſei das Urprinzip aller Sehnſucht nach einem gött- lichen Leben; auch in dem verwirrteſten Gemüth vermit- tele ſich ein tiefer Zuſammenhang mit ſeinem Schöpfer, in jener unſchuldigen Liebe und Zuverſicht, die ſich trotz aller Verirrungen nicht ausrotten laſſe, an dieſe ſolle man ſich halten denn es ſei Gott ſelber im Menſchen, der nicht wolle daß er in Verzweiflung aus dieſer Welt in jene übergehe, ſondern mit Behagen und Geiſtesge- genwart, ſonſt würde der Geiſt wie ein Trunkenbold hinüber ſtolpern, und die ewigen Freuden durch ſein La- mento ſtöhren, und ſeine Albernheit würde da keinen großen Reſpekt einflößen, da man ihm erſt den Kopf wieder müſſe zurecht ſetzen. Sie ſagte von dieſem Lied

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/280>, abgerufen am 24.11.2024.