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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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das Herz durchschneide, wie in ihrem siebenzehnten Jahr
damals war Karl der siebente mit dem Zunamen der
Unglückliche in Frankfurt, alles war voll Begeisterung
über seine große Schönheit; am Charfreitag sah sie ihn
im langen schwarzen Mantel zu Fuß mit vielen Herren
und schwarz gekleideten Pagen die Kirchen besuchen. "Him-
mel was hatte der Mann für Augen; wie melancholisch
blickte er unter den gesenkten Augenwimpern hervor! --
ich verließ ihn nicht folgte ihm in alle Kirchen, überall
kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und
legte sein Haupt eine Weile in die Hände, wenn er
wieder empor sah war mir's allemal wie ein Donner-
schlag in der Brust; da ich nach Hause kam fand ich
mich nicht mehr in die alte Lebensweise, es war als ob
Bett, Stuhl und Tisch nicht mehr an dem gewohnten
Ort stünden, es war Nacht geworden, man brachte Licht
herein, ich ging an's Fenster und sah hinaus auf die
dunkeln Straßen, und wie ich die in der Stube von
dem Kaiser sprechen hörte da zitterte ich wie Espenlaub,
am Abend in meiner Kammer legt ich mich vor meinem
Bett auf die Knie, und hielt meinen Kopf in den Hän-
den wie er, und es war nicht anders wie wenn ein gro-
ßes Thor in meiner Brust geöffnet wär; meine Schwe-
ster die ihn enthusiastisch pries, suchte jede Gelegenheit

das Herz durchſchneide, wie in ihrem ſiebenzehnten Jahr
damals war Karl der ſiebente mit dem Zunamen der
Unglückliche in Frankfurt, alles war voll Begeiſterung
über ſeine große Schönheit; am Charfreitag ſah ſie ihn
im langen ſchwarzen Mantel zu Fuß mit vielen Herren
und ſchwarz gekleideten Pagen die Kirchen beſuchen. „Him-
mel was hatte der Mann für Augen; wie melancholiſch
blickte er unter den geſenkten Augenwimpern hervor! —
ich verließ ihn nicht folgte ihm in alle Kirchen, überall
kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und
legte ſein Haupt eine Weile in die Hände, wenn er
wieder empor ſah war mir's allemal wie ein Donner-
ſchlag in der Bruſt; da ich nach Hauſe kam fand ich
mich nicht mehr in die alte Lebensweiſe, es war als ob
Bett, Stuhl und Tiſch nicht mehr an dem gewohnten
Ort ſtünden, es war Nacht geworden, man brachte Licht
herein, ich ging an's Fenſter und ſah hinaus auf die
dunkeln Straßen, und wie ich die in der Stube von
dem Kaiſer ſprechen hörte da zitterte ich wie Eſpenlaub,
am Abend in meiner Kammer legt ich mich vor meinem
Bett auf die Knie, und hielt meinen Kopf in den Hän-
den wie er, und es war nicht anders wie wenn ein gro-
ßes Thor in meiner Bruſt geöffnet wär; meine Schwe-
ſter die ihn enthuſiaſtiſch pries, ſuchte jede Gelegenheit

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[272/0282] das Herz durchſchneide, wie in ihrem ſiebenzehnten Jahr damals war Karl der ſiebente mit dem Zunamen der Unglückliche in Frankfurt, alles war voll Begeiſterung über ſeine große Schönheit; am Charfreitag ſah ſie ihn im langen ſchwarzen Mantel zu Fuß mit vielen Herren und ſchwarz gekleideten Pagen die Kirchen beſuchen. „Him- mel was hatte der Mann für Augen; wie melancholiſch blickte er unter den geſenkten Augenwimpern hervor! — ich verließ ihn nicht folgte ihm in alle Kirchen, überall kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und legte ſein Haupt eine Weile in die Hände, wenn er wieder empor ſah war mir's allemal wie ein Donner- ſchlag in der Bruſt; da ich nach Hauſe kam fand ich mich nicht mehr in die alte Lebensweiſe, es war als ob Bett, Stuhl und Tiſch nicht mehr an dem gewohnten Ort ſtünden, es war Nacht geworden, man brachte Licht herein, ich ging an's Fenſter und ſah hinaus auf die dunkeln Straßen, und wie ich die in der Stube von dem Kaiſer ſprechen hörte da zitterte ich wie Eſpenlaub, am Abend in meiner Kammer legt ich mich vor meinem Bett auf die Knie, und hielt meinen Kopf in den Hän- den wie er, und es war nicht anders wie wenn ein gro- ßes Thor in meiner Bruſt geöffnet wär; meine Schwe- ſter die ihn enthuſiaſtiſch pries, ſuchte jede Gelegenheit

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/282>, abgerufen am 02.06.2024.