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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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Welt nur wie Fantome im Hintergrund nie wahrhaften
Einfluß auf mich hatten, so hat der Glaube, als sei ich
Dir näher verwandt, als habe dein Sehen, dein Hören,
dein Fühlen einen Augenblick meinem Einfluß sich er-
geben, allein mir zur Versicherung meiner Selbst ver-
holfen. Der Weg zu Dir ist die Erinnerung, durch sie
wirke ich an einer Gemeinschaft mit Dir, sie ist mir Er-
scheinung und Gegenerscheinung; Geistergespräch, Mit-
theilung und Zueignung, und was mir damals ein Räth-
sel war, daß ich bei zärtlichem Gespräch mehr den Be-
wegungen deiner Züge lauschte, als deinen Worten, daß
ich deine Pulsschläge Dein Herzklopfen zählte, die
Schwere und Tiefe deines Athems berechnete, die Linien
an den Falten deiner Kleider betrachtete, ja den Schat-
ten den deine Gestalt warf, mit Geisterliebe in mich ein-
sog, das ist mir jetzt kein Räthsel mehr sondern Offen-
barung durch die mir deine Erscheinung um so fühlbarer
wird, und auch mein Herz bei der Erinnerung zum Klo-
pfen und den Athem zum Seufzen bewegt.

Sieh! an den Stufen der Verklärung wo sich alle
willkührliche Thätigkeit des Geistes niederbeugen läßt
von irdischer Schwere, keine Liebe, keine Bewunderung
ihre Flügel versucht um die Nebel zu durchdringen in
die der Scheidende sich einhüllt, und die zwischen hier

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Welt nur wie Fantome im Hintergrund nie wahrhaften
Einfluß auf mich hatten, ſo hat der Glaube, als ſei ich
Dir näher verwandt, als habe dein Sehen, dein Hören,
dein Fühlen einen Augenblick meinem Einfluß ſich er-
geben, allein mir zur Verſicherung meiner Selbſt ver-
holfen. Der Weg zu Dir iſt die Erinnerung, durch ſie
wirke ich an einer Gemeinſchaft mit Dir, ſie iſt mir Er-
ſcheinung und Gegenerſcheinung; Geiſtergeſpräch, Mit-
theilung und Zueignung, und was mir damals ein Räth-
ſel war, daß ich bei zärtlichem Geſpräch mehr den Be-
wegungen deiner Züge lauſchte, als deinen Worten, daß
ich deine Pulsſchläge Dein Herzklopfen zählte, die
Schwere und Tiefe deines Athems berechnete, die Linien
an den Falten deiner Kleider betrachtete, ja den Schat-
ten den deine Geſtalt warf, mit Geiſterliebe in mich ein-
ſog, das iſt mir jetzt kein Räthſel mehr ſondern Offen-
barung durch die mir deine Erſcheinung um ſo fühlbarer
wird, und auch mein Herz bei der Erinnerung zum Klo-
pfen und den Athem zum Seufzen bewegt.

Sieh! an den Stufen der Verklärung wo ſich alle
willkührliche Thätigkeit des Geiſtes niederbeugen läßt
von irdiſcher Schwere, keine Liebe, keine Bewunderung
ihre Flügel verſucht um die Nebel zu durchdringen in
die der Scheidende ſich einhüllt, und die zwiſchen hier

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[317/0327] Welt nur wie Fantome im Hintergrund nie wahrhaften Einfluß auf mich hatten, ſo hat der Glaube, als ſei ich Dir näher verwandt, als habe dein Sehen, dein Hören, dein Fühlen einen Augenblick meinem Einfluß ſich er- geben, allein mir zur Verſicherung meiner Selbſt ver- holfen. Der Weg zu Dir iſt die Erinnerung, durch ſie wirke ich an einer Gemeinſchaft mit Dir, ſie iſt mir Er- ſcheinung und Gegenerſcheinung; Geiſtergeſpräch, Mit- theilung und Zueignung, und was mir damals ein Räth- ſel war, daß ich bei zärtlichem Geſpräch mehr den Be- wegungen deiner Züge lauſchte, als deinen Worten, daß ich deine Pulsſchläge Dein Herzklopfen zählte, die Schwere und Tiefe deines Athems berechnete, die Linien an den Falten deiner Kleider betrachtete, ja den Schat- ten den deine Geſtalt warf, mit Geiſterliebe in mich ein- ſog, das iſt mir jetzt kein Räthſel mehr ſondern Offen- barung durch die mir deine Erſcheinung um ſo fühlbarer wird, und auch mein Herz bei der Erinnerung zum Klo- pfen und den Athem zum Seufzen bewegt. Sieh! an den Stufen der Verklärung wo ſich alle willkührliche Thätigkeit des Geiſtes niederbeugen läßt von irdiſcher Schwere, keine Liebe, keine Bewunderung ihre Flügel verſucht um die Nebel zu durchdringen in die der Scheidende ſich einhüllt, und die zwiſchen hier 14**

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/327>, abgerufen am 24.11.2024.