Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Arm in Arm verschränkt lägt Ihr unter der kühlen ge-
sunden Erde, und mächtige Eichen beschatteten Euer
Grab; sag, wär's nicht besser als daß Du bald ihr fei-
nes Gebild den anatomischen Händen des Abee über-
lassen mußt daß er ein künstliches Wachs hineinspritze.

Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen
früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt
so hülflos, so unverstanden wie damals die Mignon. --
Da draußen ist heute ein Lärm und doch geschieht
nichts, sie haben arme Tyroler gefangen eingebracht,
armes Taglöhnervolk, was sich in den Wäldern ver-
steckt hatte; ich hör hier oben das wahnsinnige Toben,
ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's
nicht mit ansehen, der Tag ist auch schon im Scheiden,
ich bin allein, kein Mensch, der wie ich menschlich fühlte.
Diese festen, sicheren, in sich einheimischen Naturen, die
den Geist der Treue und Freiheit mit der reineren Luft
ihrer Berge einathmen, die müssen sich durch die kothi-
gen Straßen schleifen lassen, von einem biertrunkenen
Volk, und keiner thut diesem Einhalt, keiner wehrt sei-
nen Mißhandlungen; man läßt sie sich versündigen an
den höheren Gefühlen der Menschheit. -- Teufel! --
wenn ich Herrscher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß

Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge-
ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer
Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei-
nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über-
laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze.

Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen
früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt
ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. —
Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht
nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht,
armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver-
ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben,
ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's
nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden,
ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte.
Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die
den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft
ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi-
gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen
Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei-
nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an
den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! —
wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="37"/>
Arm in Arm ver&#x017F;chränkt lägt Ihr unter der kühlen ge-<lb/>
&#x017F;unden Erde, und mächtige Eichen be&#x017F;chatteten Euer<lb/>
Grab; &#x017F;ag, wär's nicht be&#x017F;&#x017F;er als daß Du bald ihr fei-<lb/>
nes Gebild den anatomi&#x017F;chen Händen des Ab<hi rendition="#aq">é</hi>e über-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en mußt daß er ein kün&#x017F;tliches Wachs hinein&#x017F;pritze.</p><lb/>
          <p>Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen<lb/>
früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt<lb/>
&#x017F;o hülflos, &#x017F;o unver&#x017F;tanden wie damals die Mignon. &#x2014;<lb/>
Da draußen i&#x017F;t heute ein Lärm und doch ge&#x017F;chieht<lb/>
nichts, &#x017F;ie haben arme Tyroler gefangen eingebracht,<lb/>
armes Taglöhnervolk, was &#x017F;ich in den Wäldern ver-<lb/>
&#x017F;teckt hatte; ich hör hier oben das wahn&#x017F;innige Toben,<lb/>
ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's<lb/>
nicht mit an&#x017F;ehen, der Tag i&#x017F;t auch &#x017F;chon im Scheiden,<lb/>
ich bin allein, kein Men&#x017F;ch, der wie ich men&#x017F;chlich fühlte.<lb/>
Die&#x017F;e fe&#x017F;ten, &#x017F;icheren, in &#x017F;ich einheimi&#x017F;chen Naturen, die<lb/>
den Gei&#x017F;t der <hi rendition="#g">Treue</hi> und Freiheit mit der reineren Luft<lb/>
ihrer Berge einathmen, die mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich durch die kothi-<lb/>
gen Straßen &#x017F;chleifen la&#x017F;&#x017F;en, von einem biertrunkenen<lb/>
Volk, und keiner thut die&#x017F;em Einhalt, keiner wehrt &#x017F;ei-<lb/>
nen Mißhandlungen; man läßt &#x017F;ie &#x017F;ich ver&#x017F;ündigen an<lb/>
den höheren Gefühlen der Men&#x017F;chheit. &#x2014; Teufel! &#x2014;<lb/>
wenn ich Herr&#x017F;cher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0047] Arm in Arm verſchränkt lägt Ihr unter der kühlen ge- ſunden Erde, und mächtige Eichen beſchatteten Euer Grab; ſag, wär's nicht beſſer als daß Du bald ihr fei- nes Gebild den anatomiſchen Händen des Abée über- laſſen mußt daß er ein künſtliches Wachs hineinſpritze. Ach, ich muß klagen, Goethe, über alle Schmerzen früherer Zeit, die Du mir angethan, ich fühl mich jetzt ſo hülflos, ſo unverſtanden wie damals die Mignon. — Da draußen iſt heute ein Lärm und doch geſchieht nichts, ſie haben arme Tyroler gefangen eingebracht, armes Taglöhnervolk, was ſich in den Wäldern ver- ſteckt hatte; ich hör hier oben das wahnſinnige Toben, ich habe Läden und Vorhänge zugemacht, ich kann's nicht mit anſehen, der Tag iſt auch ſchon im Scheiden, ich bin allein, kein Menſch, der wie ich menſchlich fühlte. Dieſe feſten, ſicheren, in ſich einheimiſchen Naturen, die den Geiſt der Treue und Freiheit mit der reineren Luft ihrer Berge einathmen, die müſſen ſich durch die kothi- gen Straßen ſchleifen laſſen, von einem biertrunkenen Volk, und keiner thut dieſem Einhalt, keiner wehrt ſei- nen Mißhandlungen; man läßt ſie ſich verſündigen an den höheren Gefühlen der Menſchheit. — Teufel! — wenn ich Herrſcher wär, hier wollt ich ihnen zeigen daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/47
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/47>, abgerufen am 21.11.2024.