Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm etwas zu sein als nothwendig erachten. Mittheilung ist sein höchster Genuß; er appelirt in allem an seine Früh- lingszeit, jede frisch aufgeblühte Rose erinnert ihn leb- haft an jene die ihm zum Genuß einst blühten, und in- dem er sanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie einst Freunde Arm in Arm sich mit ihm umschlungen in köstlichen Gesprächen, die spät in die laue Som- mernacht währten, und da weiß er noch von jedem Baum in Pempelfort, von der Laube am Wasser auf dem die Schwäne kreisten, von welcher Seite der Mond herein strahlte auf reinlichem Kies, wo die Bachstelzchen stolzierten; das alles spricht sich aus ihm hervor wie der Ton einer einsamen Flöte, sie deutet an: der Geist weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodieen aber spricht sich die Sehnsucht zum unendlichen aus. Seine höchst edle Gestalt ist gebrechlich, es ist als ob die Hülle leicht zusammen sinken könne um den Geist in die Frei- heit zu entlassen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden Schwestern, und dem Grafen Westenhold, nach dem Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem an- genehmen Garten, alles war mit Blumen und blühenden Sträuchern übersäet, und da ich zur Unterhaltung der
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Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm etwas zu ſein als nothwendig erachten. Mittheilung iſt ſein höchſter Genuß; er appelirt in allem an ſeine Früh- lingszeit, jede friſch aufgeblühte Roſe erinnert ihn leb- haft an jene die ihm zum Genuß einſt blühten, und in- dem er ſanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie einſt Freunde Arm in Arm ſich mit ihm umſchlungen in köſtlichen Geſprächen, die ſpät in die laue Som- mernacht währten, und da weiß er noch von jedem Baum in Pempelfort, von der Laube am Waſſer auf dem die Schwäne kreiſten, von welcher Seite der Mond herein ſtrahlte auf reinlichem Kies, wo die Bachſtelzchen ſtolzierten; das alles ſpricht ſich aus ihm hervor wie der Ton einer einſamen Flöte, ſie deutet an: der Geiſt weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodieen aber ſpricht ſich die Sehnſucht zum unendlichen aus. Seine höchſt edle Geſtalt iſt gebrechlich, es iſt als ob die Hülle leicht zuſammen ſinken könne um den Geiſt in die Frei- heit zu entlaſſen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden Schweſtern, und dem Grafen Weſtenhold, nach dem Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem an- genehmen Garten, alles war mit Blumen und blühenden Sträuchern überſäet, und da ich zur Unterhaltung der
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Lebenswärme erregen, als jene alle die vor ihm etwas
zu ſein als nothwendig erachten. Mittheilung iſt ſein
höchſter Genuß; er appelirt in allem an ſeine Früh-
lingszeit, jede friſch aufgeblühte Roſe erinnert ihn leb-
haft an jene die ihm zum Genuß einſt blühten, und in-
dem er ſanft durch die Haine wandelt, erzählt er, wie
einſt Freunde Arm in Arm ſich mit ihm umſchlungen
in köſtlichen Geſprächen, die ſpät in die laue Som-
mernacht währten, und da weiß er noch von jedem
Baum in Pempelfort, von der Laube am Waſſer auf
dem die Schwäne kreiſten, von welcher Seite der Mond
herein ſtrahlte auf reinlichem Kies, wo die Bachſtelzchen
ſtolzierten; das alles ſpricht ſich aus ihm hervor wie
der Ton einer einſamen Flöte, ſie deutet an: der Geiſt
weilt noch hier; in ihren friedlichen Melodieen aber ſpricht
ſich die Sehnſucht zum unendlichen aus. Seine höchſt
edle Geſtalt iſt gebrechlich, es iſt als ob die Hülle
leicht zuſammen ſinken könne um den Geiſt in die Frei-
heit zu entlaſſen. Neulich fuhr ich mit ihm, den beiden
Schweſtern, und dem Grafen Weſtenhold, nach dem
Staremberger See. Wir aßen zu Mittag in einem an-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/85>, abgerufen am 24.11.2024.
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