Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

die Unzuverlässigkeit, über die Zufälle des äußeren, dar-
aus entstehe die edle Harmonie, das Wesen, was so
wohl über Schönheit hinaus ist, als der Häßlichkeit
trotzt. So bist Du mir erschienen, die geistige Erschei-
nung der Unsterblichkeit, die der irdischen vergänglichen
Meister wird. Obschon nun Dürrer's Antlitz ein ganz
anders ist, so hat mich doch die Sprache seines Charak-
ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko-
pieren lassen. -- Ich hab das Bild den ganzen Win-
ter über auf mein Zimmer gehabt und war nicht al-
lein
. Ich hab mich viel in Gedanken an diesen Mann
gewendet, hab Trost und Leid von ihm empfunden, bald
war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man
doch in sich stolz ist, zu Grunde geht vor einem solchen,
der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich
zu diesem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die
Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht sage:
mein Herz war in manchen Stunden so tief von dem
reinen Scharfblick gerührt, der aus seinem edlen Augen
dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le-
bender. Dieses Bild nun hatte ich eigentlich für Dich
kopieren lassen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter
meiner Herzensangelegenheiten senden, und so verging
Woche um Woche, immer mit dem festen Entschluß es

4**

die Unzuverläſſigkeit, über die Zufälle des äußeren, dar-
aus entſtehe die edle Harmonie, das Weſen, was ſo
wohl über Schönheit hinaus iſt, als der Häßlichkeit
trotzt. So biſt Du mir erſchienen, die geiſtige Erſchei-
nung der Unſterblichkeit, die der irdiſchen vergänglichen
Meiſter wird. Obſchon nun Dürrer's Antlitz ein ganz
anders iſt, ſo hat mich doch die Sprache ſeines Charak-
ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko-
pieren laſſen. — Ich hab das Bild den ganzen Win-
ter über auf mein Zimmer gehabt und war nicht al-
lein
. Ich hab mich viel in Gedanken an dieſen Mann
gewendet, hab Troſt und Leid von ihm empfunden, bald
war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man
doch in ſich ſtolz iſt, zu Grunde geht vor einem ſolchen,
der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich
zu dieſem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die
Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht ſage:
mein Herz war in manchen Stunden ſo tief von dem
reinen Scharfblick gerührt, der aus ſeinem edlen Augen
dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le-
bender. Dieſes Bild nun hatte ich eigentlich für Dich
kopieren laſſen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter
meiner Herzensangelegenheiten ſenden, und ſo verging
Woche um Woche, immer mit dem feſten Entſchluß es

4**
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="81"/>
die Unzuverlä&#x017F;&#x017F;igkeit, über die Zufälle des äußeren, dar-<lb/>
aus ent&#x017F;tehe die edle Harmonie, das We&#x017F;en, was &#x017F;o<lb/>
wohl über Schönheit hinaus i&#x017F;t, als der Häßlichkeit<lb/>
trotzt. So bi&#x017F;t Du mir er&#x017F;chienen, die gei&#x017F;tige Er&#x017F;chei-<lb/>
nung der Un&#x017F;terblichkeit, die der irdi&#x017F;chen vergänglichen<lb/>
Mei&#x017F;ter wird. Ob&#x017F;chon nun Dürrer's Antlitz ein ganz<lb/>
anders i&#x017F;t, &#x017F;o hat mich doch die Sprache &#x017F;eines Charak-<lb/>
ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko-<lb/>
pieren la&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Ich hab das Bild den ganzen Win-<lb/>
ter über auf mein Zimmer gehabt <hi rendition="#g">und war nicht al-<lb/>
lein</hi>. Ich hab mich viel in Gedanken an die&#x017F;en Mann<lb/>
gewendet, hab Tro&#x017F;t und Leid von ihm empfunden, bald<lb/>
war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man<lb/>
doch in &#x017F;ich &#x017F;tolz i&#x017F;t, zu Grunde geht vor einem &#x017F;olchen,<lb/>
der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich<lb/>
zu die&#x017F;em Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die<lb/>
Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht &#x017F;age:<lb/>
mein Herz war in manchen Stunden &#x017F;o tief von dem<lb/>
reinen Scharfblick gerührt, der aus &#x017F;einem edlen Augen<lb/>
dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le-<lb/>
bender. Die&#x017F;es Bild nun hatte ich eigentlich für Dich<lb/>
kopieren la&#x017F;&#x017F;en, ich wollte Dir's als einen Sachwalter<lb/>
meiner Herzensangelegenheiten &#x017F;enden, und &#x017F;o verging<lb/>
Woche um Woche, immer mit dem fe&#x017F;ten Ent&#x017F;chluß es<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4**</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0091] die Unzuverläſſigkeit, über die Zufälle des äußeren, dar- aus entſtehe die edle Harmonie, das Weſen, was ſo wohl über Schönheit hinaus iſt, als der Häßlichkeit trotzt. So biſt Du mir erſchienen, die geiſtige Erſchei- nung der Unſterblichkeit, die der irdiſchen vergänglichen Meiſter wird. Obſchon nun Dürrer's Antlitz ein ganz anders iſt, ſo hat mich doch die Sprache ſeines Charak- ters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's ko- pieren laſſen. — Ich hab das Bild den ganzen Win- ter über auf mein Zimmer gehabt und war nicht al- lein. Ich hab mich viel in Gedanken an dieſen Mann gewendet, hab Troſt und Leid von ihm empfunden, bald war's mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man doch in ſich ſtolz iſt, zu Grunde geht vor einem ſolchen, der recht wollte was er wollte; bald flüchtete ich mich zu dieſem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht ſage: mein Herz war in manchen Stunden ſo tief von dem reinen Scharfblick gerührt, der aus ſeinem edlen Augen dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Le- bender. Dieſes Bild nun hatte ich eigentlich für Dich kopieren laſſen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter meiner Herzensangelegenheiten ſenden, und ſo verging Woche um Woche, immer mit dem feſten Entſchluß es 4**

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/91
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/91>, abgerufen am 24.11.2024.