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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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tiefe Gedanken erregen; jetzt aber in dieser beweglichen
Zeit, wo alle Grundvesten ein rechtes Krachen und Glie-
derreißen haben, da will sie keinem Gedanken Raum
gestatten, aber das, woran ein Freund Theil genommen,
daß man sich auf seinen Arm gestützt, auf seiner Schul-
ter geruht hat, dies einzige ätzt tief jede Linie der Ge-
genstände in's Herz, so weiß ich jeden Baum des Parks
noch an dem wir vorübergegangen, und wie Du die
Äste der Zuckerplatane niederbogst und zeigtest mir die
röthliche Wolle unter den jungen Blättern, und sagtest
die Jugend sei wollig; und dann die runde, grüne Quelle,
an der wir standen, die so ewig über sich sprudelt, bul,
bul, und Du sagtest sie rufe der Nachtigall, und die
Laube mit der steinernen Bank, wo eine Kugel an der
Wand liegt, da haben wir eine Minute gesessen, und
Du sagtest: setze Dich näher, damit die Kugel nicht in
Schatten komme, denn sie ist eine Sonnenuhr, und ich
war einen Augenblick so dumm zu glauben die Sonnen-
uhr könne aus dem Gange kommen, wenn die Sonne
nicht auf sie scheine, und da hab ich gewünscht nur ei-
nen Frühling mit Dir zu sein; hast Du mich ausge-
lacht, da fragt ich, ob Dir dies zu lang sei, ei nein,
sagtest Du, aber dort kömmt einer gegangen, der wird
gleich dem Spaß ein Ende machen; das war der Her-

tiefe Gedanken erregen; jetzt aber in dieſer beweglichen
Zeit, wo alle Grundveſten ein rechtes Krachen und Glie-
derreißen haben, da will ſie keinem Gedanken Raum
geſtatten, aber das, woran ein Freund Theil genommen,
daß man ſich auf ſeinen Arm geſtützt, auf ſeiner Schul-
ter geruht hat, dies einzige ätzt tief jede Linie der Ge-
genſtände in's Herz, ſo weiß ich jeden Baum des Parks
noch an dem wir vorübergegangen, und wie Du die
Äſte der Zuckerplatane niederbogſt und zeigteſt mir die
röthliche Wolle unter den jungen Blättern, und ſagteſt
die Jugend ſei wollig; und dann die runde, grüne Quelle,
an der wir ſtanden, die ſo ewig über ſich ſprudelt, bul,
bul, und Du ſagteſt ſie rufe der Nachtigall, und die
Laube mit der ſteinernen Bank, wo eine Kugel an der
Wand liegt, da haben wir eine Minute geſeſſen, und
Du ſagteſt: ſetze Dich näher, damit die Kugel nicht in
Schatten komme, denn ſie iſt eine Sonnenuhr, und ich
war einen Augenblick ſo dumm zu glauben die Sonnen-
uhr könne aus dem Gange kommen, wenn die Sonne
nicht auf ſie ſcheine, und da hab ich gewünſcht nur ei-
nen Frühling mit Dir zu ſein; haſt Du mich ausge-
lacht, da fragt ich, ob Dir dies zu lang ſei, ei nein,
ſagteſt Du, aber dort kömmt einer gegangen, der wird
gleich dem Spaß ein Ende machen; das war der Her-

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[84/0094] tiefe Gedanken erregen; jetzt aber in dieſer beweglichen Zeit, wo alle Grundveſten ein rechtes Krachen und Glie- derreißen haben, da will ſie keinem Gedanken Raum geſtatten, aber das, woran ein Freund Theil genommen, daß man ſich auf ſeinen Arm geſtützt, auf ſeiner Schul- ter geruht hat, dies einzige ätzt tief jede Linie der Ge- genſtände in's Herz, ſo weiß ich jeden Baum des Parks noch an dem wir vorübergegangen, und wie Du die Äſte der Zuckerplatane niederbogſt und zeigteſt mir die röthliche Wolle unter den jungen Blättern, und ſagteſt die Jugend ſei wollig; und dann die runde, grüne Quelle, an der wir ſtanden, die ſo ewig über ſich ſprudelt, bul, bul, und Du ſagteſt ſie rufe der Nachtigall, und die Laube mit der ſteinernen Bank, wo eine Kugel an der Wand liegt, da haben wir eine Minute geſeſſen, und Du ſagteſt: ſetze Dich näher, damit die Kugel nicht in Schatten komme, denn ſie iſt eine Sonnenuhr, und ich war einen Augenblick ſo dumm zu glauben die Sonnen- uhr könne aus dem Gange kommen, wenn die Sonne nicht auf ſie ſcheine, und da hab ich gewünſcht nur ei- nen Frühling mit Dir zu ſein; haſt Du mich ausge- lacht, da fragt ich, ob Dir dies zu lang ſei, ei nein, ſagteſt Du, aber dort kömmt einer gegangen, der wird gleich dem Spaß ein Ende machen; das war der Her-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/94>, abgerufen am 18.05.2024.