zog, der grad auf uns zukam, ich wollte mich verstecken, Du warfst deinen Überrock über mich, ich sah durch den langen Ärmel wie der Herzog immer näher kam, ich sah auf seinem Gesicht daß er was merkte, er blieb an der Laube stehen, was er sagte, verstand ich nicht, so große Angst hatte ich unter deinem Überrock, so klopfte mir das Herz, Du winktest mit der Hand, das sah ich durch meinen Rockärmel, der Herzog lachte und blieb stehen; er nahm kleine Sandsteinchen und warf nach mir, und dann ging er weiter. Da haben wir nachher noch lang geplaudert mit einander, was war's doch? -- nicht viel Weisheit, denn Du verglichst mich damals mit der weisheitvollen Griechin, die dem Socrates über die Liebe belehrte, und sagtest: kein ge- scheutes Wort bringst Du vor, aber deine Narrheit be- lehrt besser, wie ihre Weisheit, -- und warum waren wir da beide so tief bewegt? -- daß Du von mir ver- langtest mit den einfachen Worten: "Lieb mich immer," und ich sagte: "Ja." -- Und eine ganze Weile drauf, da nahmst Du eine Spinnwebe von dem Gitter der Laube und hingst mir's auf's Gesicht, und sagtest: bleib verschleiert vor jedermann und zeige niemand was Du mir bist. -- Ach! Goethe, ich hab Dir keinen Eid der Treue gethan mit den Lippen, die da zuckten vor hef-
zog, der grad auf uns zukam, ich wollte mich verſtecken, Du warfſt deinen Überrock über mich, ich ſah durch den langen Ärmel wie der Herzog immer näher kam, ich ſah auf ſeinem Geſicht daß er was merkte, er blieb an der Laube ſtehen, was er ſagte, verſtand ich nicht, ſo große Angſt hatte ich unter deinem Überrock, ſo klopfte mir das Herz, Du winkteſt mit der Hand, das ſah ich durch meinen Rockärmel, der Herzog lachte und blieb ſtehen; er nahm kleine Sandſteinchen und warf nach mir, und dann ging er weiter. Da haben wir nachher noch lang geplaudert mit einander, was war's doch? — nicht viel Weisheit, denn Du verglichſt mich damals mit der weisheitvollen Griechin, die dem Socrates über die Liebe belehrte, und ſagteſt: kein ge- ſcheutes Wort bringſt Du vor, aber deine Narrheit be- lehrt beſſer, wie ihre Weisheit, — und warum waren wir da beide ſo tief bewegt? — daß Du von mir ver- langteſt mit den einfachen Worten: „Lieb mich immer,“ und ich ſagte: „Ja.“ — Und eine ganze Weile drauf, da nahmſt Du eine Spinnwebe von dem Gitter der Laube und hingſt mir's auf's Geſicht, und ſagteſt: bleib verſchleiert vor jedermann und zeige niemand was Du mir biſt. — Ach! Goethe, ich hab Dir keinen Eid der Treue gethan mit den Lippen, die da zuckten vor hef-
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zog, der grad auf uns zukam, ich wollte mich verſtecken,
Du warfſt deinen Überrock über mich, ich ſah durch
den langen Ärmel wie der Herzog immer näher kam,
ich ſah auf ſeinem Geſicht daß er was merkte, er blieb
an der Laube ſtehen, was er ſagte, verſtand ich nicht,
ſo große Angſt hatte ich unter deinem Überrock, ſo
klopfte mir das Herz, Du winkteſt mit der Hand,
das ſah ich durch meinen Rockärmel, der Herzog lachte
und blieb ſtehen; er nahm kleine Sandſteinchen und
warf nach mir, und dann ging er weiter. Da haben
wir nachher noch lang geplaudert mit einander, was
war's doch? — nicht viel Weisheit, denn Du verglichſt
mich damals mit der weisheitvollen Griechin, die dem
Socrates über die Liebe belehrte, und ſagteſt: kein ge-
ſcheutes Wort bringſt Du vor, aber deine Narrheit be-
lehrt beſſer, wie ihre Weisheit, — und warum waren
wir da beide ſo tief bewegt? — daß Du von mir ver-
langteſt mit den einfachen Worten: „Lieb mich immer,“
und ich ſagte: „Ja.“ — Und eine ganze Weile drauf,
da nahmſt Du eine Spinnwebe von dem Gitter der
Laube und hingſt mir's auf's Geſicht, und ſagteſt: bleib
verſchleiert vor jedermann und zeige niemand was Du
mir biſt. — Ach! Goethe, ich hab Dir keinen Eid der
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/95>, abgerufen am 24.11.2024.
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