Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Einmal schon, im Kloster hatten mich die Geister
bewogen, mich ihnen zu gesellen, in den hellen Mond-
nächten lockten sie mich; ich durchwanderte wunderliche
dunkle Gänge, in denen ich die Wasser rauschen hörte,
ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich;
der Mond schien in sein bewegtes Wasser und gewan-
dete die Geister, die auf seinem wogenden Spiegel sich
mir zeigten in Silberglanz; -- sie kamen, sie bedeute-
ten mein fragendes Herz, und verschwanden wieder, es
kamen andere, sie legten Geheimnisse auf meine Zunge,
berührten alle Lebenskeime in meiner Brust, bezeichneten
mich mit ihrem Siegel, sie verhüllten meinen Willen,
meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich
ausgegangen war.

Wie war das? -- wie beriethen sie mich? -- durch
welche Sprache gab sich ihre Lehre kund? -- und wie
soll ich Dir darlegen, daß es so war? -- und was sie
mir lehrten? --

Die Mondnacht deckte mich im süßen, tiefen Kin-
desschlaf, dann trat sie aus sich selbst hervor und be-
rührte mich an meinen Augen, daß sie ihrem Licht er-
wachten, und senkte sich mit magnetischer Gewalt in
meine Brust, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,

5*

Einmal ſchon, im Kloſter hatten mich die Geiſter
bewogen, mich ihnen zu geſellen, in den hellen Mond-
nächten lockten ſie mich; ich durchwanderte wunderliche
dunkle Gänge, in denen ich die Waſſer rauſchen hörte,
ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich;
der Mond ſchien in ſein bewegtes Waſſer und gewan-
dete die Geiſter, die auf ſeinem wogenden Spiegel ſich
mir zeigten in Silberglanz; — ſie kamen, ſie bedeute-
ten mein fragendes Herz, und verſchwanden wieder, es
kamen andere, ſie legten Geheimniſſe auf meine Zunge,
berührten alle Lebenskeime in meiner Bruſt, bezeichneten
mich mit ihrem Siegel, ſie verhüllten meinen Willen,
meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich
ausgegangen war.

Wie war das? — wie beriethen ſie mich? — durch
welche Sprache gab ſich ihre Lehre kund? — und wie
ſoll ich Dir darlegen, daß es ſo war? — und was ſie
mir lehrten? —

Die Mondnacht deckte mich im ſüßen, tiefen Kin-
desſchlaf, dann trat ſie aus ſich ſelbſt hervor und be-
rührte mich an meinen Augen, daß ſie ihrem Licht er-
wachten, und ſenkte ſich mit magnetiſcher Gewalt in
meine Bruſt, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0109" n="99"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Einmal &#x017F;chon, im Klo&#x017F;ter hatten mich die Gei&#x017F;ter<lb/>
bewogen, mich ihnen zu ge&#x017F;ellen, in den hellen Mond-<lb/>
nächten lockten &#x017F;ie mich; ich durchwanderte wunderliche<lb/>
dunkle Gänge, in denen ich die Wa&#x017F;&#x017F;er rau&#x017F;chen hörte,<lb/>
ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich;<lb/>
der Mond &#x017F;chien in &#x017F;ein bewegtes Wa&#x017F;&#x017F;er und gewan-<lb/>
dete die Gei&#x017F;ter, die auf &#x017F;einem wogenden Spiegel &#x017F;ich<lb/>
mir zeigten in Silberglanz; &#x2014; &#x017F;ie kamen, &#x017F;ie bedeute-<lb/>
ten mein fragendes Herz, und ver&#x017F;chwanden wieder, es<lb/>
kamen andere, &#x017F;ie legten Geheimni&#x017F;&#x017F;e auf meine Zunge,<lb/>
berührten alle Lebenskeime in meiner Bru&#x017F;t, bezeichneten<lb/>
mich mit ihrem Siegel, &#x017F;ie verhüllten meinen Willen,<lb/>
meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich<lb/>
ausgegangen war.</p><lb/>
          <p>Wie war das? &#x2014; wie beriethen &#x017F;ie mich? &#x2014; durch<lb/>
welche Sprache gab &#x017F;ich ihre Lehre kund? &#x2014; und wie<lb/>
&#x017F;oll ich Dir darlegen, daß es &#x017F;o war? &#x2014; und was &#x017F;ie<lb/>
mir lehrten? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die Mondnacht deckte mich im &#x017F;üßen, tiefen Kin-<lb/>
des&#x017F;chlaf, dann trat &#x017F;ie aus &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hervor und be-<lb/>
rührte mich an meinen Augen, daß &#x017F;ie ihrem Licht er-<lb/>
wachten, und &#x017F;enkte &#x017F;ich mit magneti&#x017F;cher Gewalt in<lb/>
meine Bru&#x017F;t, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0109] Einmal ſchon, im Kloſter hatten mich die Geiſter bewogen, mich ihnen zu geſellen, in den hellen Mond- nächten lockten ſie mich; ich durchwanderte wunderliche dunkle Gänge, in denen ich die Waſſer rauſchen hörte, ich folgte beklemmt, bis zum Springbrunnen kam ich; der Mond ſchien in ſein bewegtes Waſſer und gewan- dete die Geiſter, die auf ſeinem wogenden Spiegel ſich mir zeigten in Silberglanz; — ſie kamen, ſie bedeute- ten mein fragendes Herz, und verſchwanden wieder, es kamen andere, ſie legten Geheimniſſe auf meine Zunge, berührten alle Lebenskeime in meiner Bruſt, bezeichneten mich mit ihrem Siegel, ſie verhüllten meinen Willen, meine Neigungen und die Kraft, die von ihnen auf mich ausgegangen war. Wie war das? — wie beriethen ſie mich? — durch welche Sprache gab ſich ihre Lehre kund? — und wie ſoll ich Dir darlegen, daß es ſo war? — und was ſie mir lehrten? — Die Mondnacht deckte mich im ſüßen, tiefen Kin- desſchlaf, dann trat ſie aus ſich ſelbſt hervor und be- rührte mich an meinen Augen, daß ſie ihrem Licht er- wachten, und ſenkte ſich mit magnetiſcher Gewalt in meine Bruſt, daß ich alle Furcht bezwang, auf Wegen, 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/109
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/109>, abgerufen am 28.11.2024.