Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

sonderbar, daß das, was wir für uns selbst fordern,
gewöhnlich auch das ist, was uns unserer Freiheit be-
raubt; wir wollen gebunden sein mit Banden, die uns
süß deuchten, und unserer Schwachheit eine Stütze, eine
Versicherung sind; wir wollen getragen sein, gehoben
durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht,
daß wir dieser Forderung das Ruhmwürdige und die
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt
sein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's
nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver-
drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be-
dürfnisse hat, und sie befriedigt wissen will durch äußere
Vermittlung? --

Was ist die Forderung, die wir außer uns machen
anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und
was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde-
rung dieser Schwäche, die Gebundenheit unserer Freiheit
in dieser. Der Genius will, daß die Seele lieber ent-
behre, als daß sie von der Befriedigung eines Triebes,
einer Neigung, eines Bedürfnisses abhänge.

Wir alle sollen Könige sein, und je widerspenstiger,
je herrischer der Knecht in uns, je herrlicher wird sich
die Herrscherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger
der Geist, der überwindet.

ſonderbar, daß das, was wir für uns ſelbſt fordern,
gewöhnlich auch das iſt, was uns unſerer Freiheit be-
raubt; wir wollen gebunden ſein mit Banden, die uns
ſüß deuchten, und unſerer Schwachheit eine Stütze, eine
Verſicherung ſind; wir wollen getragen ſein, gehoben
durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht,
daß wir dieſer Forderung das Ruhmwürdige und die
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt
ſein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's
nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver-
drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be-
dürfniſſe hat, und ſie befriedigt wiſſen will durch äußere
Vermittlung? —

Was iſt die Forderung, die wir außer uns machen
anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und
was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde-
rung dieſer Schwäche, die Gebundenheit unſerer Freiheit
in dieſer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent-
behre, als daß ſie von der Befriedigung eines Triebes,
einer Neigung, eines Bedürfniſſes abhänge.

Wir alle ſollen Könige ſein, und je widerſpenſtiger,
je herriſcher der Knecht in uns, je herrlicher wird ſich
die Herrſcherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger
der Geiſt, der überwindet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0113" n="103"/>
&#x017F;onderbar, daß das, was wir für uns &#x017F;elb&#x017F;t fordern,<lb/>
gewöhnlich auch das i&#x017F;t, was uns un&#x017F;erer Freiheit be-<lb/>
raubt; wir wollen gebunden &#x017F;ein mit Banden, die uns<lb/>
&#x017F;üß deuchten, und un&#x017F;erer Schwachheit eine Stütze, eine<lb/>
Ver&#x017F;icherung &#x017F;ind; wir wollen getragen &#x017F;ein, gehoben<lb/>
durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht,<lb/>
daß wir die&#x017F;er Forderung das Ruhmwürdige und die<lb/>
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt<lb/>
&#x017F;ein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's<lb/>
nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver-<lb/>
drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be-<lb/>
dürfni&#x017F;&#x017F;e hat, und &#x017F;ie befriedigt wi&#x017F;&#x017F;en will durch äußere<lb/>
Vermittlung? &#x2014;</p><lb/>
          <p>Was i&#x017F;t die Forderung, die wir außer uns machen<lb/>
anders, als der Beweis eines Mangels <hi rendition="#g">in</hi> uns? und<lb/>
was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde-<lb/>
rung die&#x017F;er Schwäche, die Gebundenheit un&#x017F;erer Freiheit<lb/>
in die&#x017F;er. Der Genius will, daß die Seele lieber ent-<lb/>
behre, als daß &#x017F;ie von der Befriedigung eines Triebes,<lb/>
einer Neigung, eines Bedürfni&#x017F;&#x017F;es abhänge.</p><lb/>
          <p>Wir alle &#x017F;ollen Könige &#x017F;ein, und je wider&#x017F;pen&#x017F;tiger,<lb/>
je herri&#x017F;cher der Knecht in uns, je herrlicher wird &#x017F;ich<lb/>
die Herr&#x017F;cherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger<lb/>
der Gei&#x017F;t, der überwindet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0113] ſonderbar, daß das, was wir für uns ſelbſt fordern, gewöhnlich auch das iſt, was uns unſerer Freiheit be- raubt; wir wollen gebunden ſein mit Banden, die uns ſüß deuchten, und unſerer Schwachheit eine Stütze, eine Verſicherung ſind; wir wollen getragen ſein, gehoben durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht, daß wir dieſer Forderung das Ruhmwürdige und die Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt ſein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver- drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be- dürfniſſe hat, und ſie befriedigt wiſſen will durch äußere Vermittlung? — Was iſt die Forderung, die wir außer uns machen anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde- rung dieſer Schwäche, die Gebundenheit unſerer Freiheit in dieſer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent- behre, als daß ſie von der Befriedigung eines Triebes, einer Neigung, eines Bedürfniſſes abhänge. Wir alle ſollen Könige ſein, und je widerſpenſtiger, je herriſcher der Knecht in uns, je herrlicher wird ſich die Herrſcherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger der Geiſt, der überwindet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/113
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/113>, abgerufen am 27.11.2024.