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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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derschreiben. Da saß ich und faltete die Hände über
dem Schatz und mochte ihn nicht vom warmen Herzen
herunternehmen. Du weißt, so hab' ich mich auch nie
aus Deinen Armen losgemacht; Du warst immer der
erste, und ließest die Arme sinken und sagtest: "nun
geh!" -- und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen.
Hätte ich dem Deiner Augen gefolgt, so wär' ich bei
Dir geblieben, denn die sagten: "komme her!"

Ich schlief also ein über dem Bewachen meines
Kleinods im Busen, und da ich erwachte, las ich die
zwei Zeilen von Deiner Hand geschrieben: "Ich war
auch einmal so närrisch wie Du, und damals war ich
besser als jetzt."

O Du! -- von Dir sagt die öffen[t]liche Stimme,
Du seist glücklich, sie preisen Deinen Ruhm, und daß
an den Strahlen Deines Geistes Dein Jahrhundert sich
zum Äthergeschlecht ausbrüte, zum Fliegen und Schwe-
ben über Höhen, und den Flug nach Deinen Winken
zu richten; aber doch sagen sie, Dein Glück übersteige
noch Deinen Geist. O wahrlich, Du bist Deines Glückes
Schmid, der es mit kühnem, kräftigem Schlag eines
Helden zurecht schmiedet; was Dir auch begegne, es
muß sich fügen, die Form auszufüllen, die Dein Glück
bedarf, der Schmerz, der Andre zum Mißmuth und zur

derſchreiben. Da ſaß ich und faltete die Hände über
dem Schatz und mochte ihn nicht vom warmen Herzen
herunternehmen. Du weißt, ſo hab' ich mich auch nie
aus Deinen Armen losgemacht; Du warſt immer der
erſte, und ließeſt die Arme ſinken und ſagteſt: „nun
geh!“ — und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen.
Hätte ich dem Deiner Augen gefolgt, ſo wär' ich bei
Dir geblieben, denn die ſagten: „komme her!“

Ich ſchlief alſo ein über dem Bewachen meines
Kleinods im Buſen, und da ich erwachte, las ich die
zwei Zeilen von Deiner Hand geſchrieben: „Ich war
auch einmal ſo närriſch wie Du, und damals war ich
beſſer als jetzt.“

O Du! — von Dir ſagt die öffen[t]liche Stimme,
Du ſeiſt glücklich, ſie preiſen Deinen Ruhm, und daß
an den Strahlen Deines Geiſtes Dein Jahrhundert ſich
zum Äthergeſchlecht ausbrüte, zum Fliegen und Schwe-
ben über Höhen, und den Flug nach Deinen Winken
zu richten; aber doch ſagen ſie, Dein Glück überſteige
noch Deinen Geiſt. O wahrlich, Du biſt Deines Glückes
Schmid, der es mit kühnem, kräftigem Schlag eines
Helden zurecht ſchmiedet; was Dir auch begegne, es
muß ſich fügen, die Form auszufüllen, die Dein Glück
bedarf, der Schmerz, der Andre zum Mißmuth und zur

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[114/0124] derſchreiben. Da ſaß ich und faltete die Hände über dem Schatz und mochte ihn nicht vom warmen Herzen herunternehmen. Du weißt, ſo hab' ich mich auch nie aus Deinen Armen losgemacht; Du warſt immer der erſte, und ließeſt die Arme ſinken und ſagteſt: „nun geh!“ — und ich folgte dem Befehl Deiner Lippen. Hätte ich dem Deiner Augen gefolgt, ſo wär' ich bei Dir geblieben, denn die ſagten: „komme her!“ Ich ſchlief alſo ein über dem Bewachen meines Kleinods im Buſen, und da ich erwachte, las ich die zwei Zeilen von Deiner Hand geſchrieben: „Ich war auch einmal ſo närriſch wie Du, und damals war ich beſſer als jetzt.“ O Du! — von Dir ſagt die öffentliche Stimme, Du ſeiſt glücklich, ſie preiſen Deinen Ruhm, und daß an den Strahlen Deines Geiſtes Dein Jahrhundert ſich zum Äthergeſchlecht ausbrüte, zum Fliegen und Schwe- ben über Höhen, und den Flug nach Deinen Winken zu richten; aber doch ſagen ſie, Dein Glück überſteige noch Deinen Geiſt. O wahrlich, Du biſt Deines Glückes Schmid, der es mit kühnem, kräftigem Schlag eines Helden zurecht ſchmiedet; was Dir auch begegne, es muß ſich fügen, die Form auszufüllen, die Dein Glück bedarf, der Schmerz, der Andre zum Mißmuth und zur

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/124>, abgerufen am 09.05.2024.