Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

selt in den Umarmungen der Nacht; dahin schaute ich,
dahin trug mich mein eisiger Seelenverkäufer, und der
Wind, der sich kaum über die Höhe des Flusses hob,
spielte und klatschte zu meinen Füßen mit den Falten
meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen
Stolz in meiner Brust, noch heute hebt mich die Erin-
nerung der schmeichelnden Winde zu meinen Füßen,
noch heute durchglüht mich die Begeistrung jener küh-
nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor sechs Jah-
ren, sondern in dieser kalten Winternacht wär', in der
ich hier sitze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei-
ner Liebe alles aufzuschreiben. Eine gute Strecke hatte
ich mich dahin treiben lassen, da war ich eben so wil-
lenlos, als ich den Fluß hinabgeschwommen war, wie-
der umgekehrt, ich schritt ruhig von einer nachkommen-
den Eisscholle zur andern, bis ich mich glücklich am
Ufer befand. Zu Haus' im Bett überlegte ich, wo mich
wohl noch diese Wege hinführen möchten; es ahndete
mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück
führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer
der nächsten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine
zufällige Reise in die Stadt meine nächtlichen Geister-
wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte,
war dieser mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte

6*

ſelt in den Umarmungen der Nacht; dahin ſchaute ich,
dahin trug mich mein eiſiger Seelenverkäufer, und der
Wind, der ſich kaum über die Höhe des Fluſſes hob,
ſpielte und klatſchte zu meinen Füßen mit den Falten
meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen
Stolz in meiner Bruſt, noch heute hebt mich die Erin-
nerung der ſchmeichelnden Winde zu meinen Füßen,
noch heute durchglüht mich die Begeiſtrung jener küh-
nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor ſechs Jah-
ren, ſondern in dieſer kalten Winternacht wär', in der
ich hier ſitze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei-
ner Liebe alles aufzuſchreiben. Eine gute Strecke hatte
ich mich dahin treiben laſſen, da war ich eben ſo wil-
lenlos, als ich den Fluß hinabgeſchwommen war, wie-
der umgekehrt, ich ſchritt ruhig von einer nachkommen-
den Eisſcholle zur andern, bis ich mich glücklich am
Ufer befand. Zu Hauſ' im Bett überlegte ich, wo mich
wohl noch dieſe Wege hinführen möchten; es ahndete
mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück
führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer
der nächſten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine
zufällige Reiſe in die Stadt meine nächtlichen Geiſter-
wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte,
war dieſer mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte

6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="123"/>
&#x017F;elt in den Umarmungen der Nacht; dahin &#x017F;chaute ich,<lb/>
dahin trug mich mein ei&#x017F;iger Seelenverkäufer, und der<lb/>
Wind, der &#x017F;ich kaum über die Höhe des Flu&#x017F;&#x017F;es hob,<lb/>
&#x017F;pielte und klat&#x017F;chte zu meinen Füßen mit den Falten<lb/>
meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen<lb/>
Stolz in meiner Bru&#x017F;t, noch heute hebt mich die Erin-<lb/>
nerung der &#x017F;chmeichelnden Winde zu meinen Füßen,<lb/>
noch heute durchglüht mich die Begei&#x017F;trung jener küh-<lb/>
nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor &#x017F;echs Jah-<lb/>
ren, &#x017F;ondern in die&#x017F;er kalten Winternacht wär', in der<lb/>
ich hier &#x017F;itze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei-<lb/>
ner Liebe alles aufzu&#x017F;chreiben. Eine gute Strecke hatte<lb/>
ich mich dahin treiben la&#x017F;&#x017F;en, da war ich eben &#x017F;o wil-<lb/>
lenlos, als ich den Fluß hinabge&#x017F;chwommen war, wie-<lb/>
der umgekehrt, ich &#x017F;chritt ruhig von einer nachkommen-<lb/>
den Eis&#x017F;cholle zur andern, bis ich mich glücklich am<lb/>
Ufer befand. Zu Hau&#x017F;' im Bett überlegte ich, wo mich<lb/>
wohl noch die&#x017F;e Wege hinführen möchten; es ahndete<lb/>
mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück<lb/>
führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer<lb/>
der näch&#x017F;ten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine<lb/>
zufällige Rei&#x017F;e in die Stadt meine nächtlichen Gei&#x017F;ter-<lb/>
wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte,<lb/>
war die&#x017F;er mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0133] ſelt in den Umarmungen der Nacht; dahin ſchaute ich, dahin trug mich mein eiſiger Seelenverkäufer, und der Wind, der ſich kaum über die Höhe des Fluſſes hob, ſpielte und klatſchte zu meinen Füßen mit den Falten meiner Kleider; noch heute empfinde ich den königlichen Stolz in meiner Bruſt, noch heute hebt mich die Erin- nerung der ſchmeichelnden Winde zu meinen Füßen, noch heute durchglüht mich die Begeiſtrung jener küh- nen nächtlichen Fahrt, als wenn es nicht vor ſechs Jah- ren, ſondern in dieſer kalten Winternacht wär', in der ich hier ſitze um Dir zu lieb und zum Gedächtniß mei- ner Liebe alles aufzuſchreiben. Eine gute Strecke hatte ich mich dahin treiben laſſen, da war ich eben ſo wil- lenlos, als ich den Fluß hinabgeſchwommen war, wie- der umgekehrt, ich ſchritt ruhig von einer nachkommen- den Eisſcholle zur andern, bis ich mich glücklich am Ufer befand. Zu Hauſ' im Bett überlegte ich, wo mich wohl noch dieſe Wege hinführen möchten; es ahndete mir wie ein Weg, der immer weiter, aber nicht zurück führen werde, und ich war neugierig auf das Abentheuer der nächſten Nacht. Am andern Tag unterbrach eine zufällige Reiſe in die Stadt meine nächtlichen Geiſter- wanderungen. Da ich nach drei Wochen zurückkehrte, war dieſer mächtige Reiz aufgehoben, und nichts hätte 6*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/133
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/133>, abgerufen am 25.11.2024.