kein Wasser, holen mochte ich auch keins, der Nachbar Andree, dessen Du Dich auch erinnern mußt, war mit mehreren Freunden auf sein Observatorium gestiegen um das Kriegswesen zu beobachten, er konnte mich be- merken. Ein einzig Mittel hatte ich erfunden: ich leckte ihm das Blut ab, -- denn es ihm so mit Speichel ab- zuwaschen, schien mir zu unbescheiden; er ließ mich ge- währen, ich zog leise und sanft die anklebenden Haare zurück, -- da flog ein Huhn mit großem Geschrei vom oberen Holz herunter, wir hatten es verscheucht von dem Ort, wo es seine Eier zu legen pflegte, ich kletterte hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße Haut legte ich über die Wunde -- es mag wohl geheilt ha- ben, ich will's hoffen! -- Nun eilte ich wieder in den Keller, die eine Schwester schlief, die andere betete vor Angst, die Großmutter schrieb an einem kleinen Tisch bei Licht ihr Testament, die Tante hatte den Thee be- reitet, ich bekam die Schlüssel zur Speisekammer, um Wein und kalte Speisen zu holen, da dachte ich auch an den Magen meines armen Gefangenen, und brachte ihm Wein und Brod. So ging der Tag vorüber und die Gefahr, der Keller wurde verlassen, mein Geheim- niß fing an mich zu beklemmen; ich beobachtete jeden Schritt der Hausgenossen, der Köchin half ich in der
kein Waſſer, holen mochte ich auch keins, der Nachbar Andree, deſſen Du Dich auch erinnern mußt, war mit mehreren Freunden auf ſein Obſervatorium geſtiegen um das Kriegsweſen zu beobachten, er konnte mich be- merken. Ein einzig Mittel hatte ich erfunden: ich leckte ihm das Blut ab, — denn es ihm ſo mit Speichel ab- zuwaſchen, ſchien mir zu unbeſcheiden; er ließ mich ge- währen, ich zog leiſe und ſanft die anklebenden Haare zurück, — da flog ein Huhn mit großem Geſchrei vom oberen Holz herunter, wir hatten es verſcheucht von dem Ort, wo es ſeine Eier zu legen pflegte, ich kletterte hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße Haut legte ich über die Wunde — es mag wohl geheilt ha- ben, ich will's hoffen! — Nun eilte ich wieder in den Keller, die eine Schweſter ſchlief, die andere betete vor Angſt, die Großmutter ſchrieb an einem kleinen Tiſch bei Licht ihr Teſtament, die Tante hatte den Thee be- reitet, ich bekam die Schlüſſel zur Speiſekammer, um Wein und kalte Speiſen zu holen, da dachte ich auch an den Magen meines armen Gefangenen, und brachte ihm Wein und Brod. So ging der Tag vorüber und die Gefahr, der Keller wurde verlaſſen, mein Geheim- niß fing an mich zu beklemmen; ich beobachtete jeden Schritt der Hausgenoſſen, der Köchin half ich in der
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kein Waſſer, holen mochte ich auch keins, der Nachbar
Andree, deſſen Du Dich auch erinnern mußt, war mit
mehreren Freunden auf ſein Obſervatorium geſtiegen
um das Kriegsweſen zu beobachten, er konnte mich be-
merken. Ein einzig Mittel hatte ich erfunden: ich leckte
ihm das Blut ab, — denn es ihm ſo mit Speichel ab-
zuwaſchen, ſchien mir zu unbeſcheiden; er ließ mich ge-
währen, ich zog leiſe und ſanft die anklebenden Haare
zurück, — da flog ein Huhn mit großem Geſchrei vom
oberen Holz herunter, wir hatten es verſcheucht von
dem Ort, wo es ſeine Eier zu legen pflegte, ich kletterte
hinauf, um das Ei zu holen, die innere weiße Haut
legte ich über die Wunde — es mag wohl geheilt ha-
ben, ich will's hoffen! — Nun eilte ich wieder in den
Keller, die eine Schweſter ſchlief, die andere betete vor
Angſt, die Großmutter ſchrieb an einem kleinen Tiſch
bei Licht ihr Teſtament, die Tante hatte den Thee be-
reitet, ich bekam die Schlüſſel zur Speiſekammer, um
Wein und kalte Speiſen zu holen, da dachte ich auch
an den Magen meines armen Gefangenen, und brachte
ihm Wein und Brod. So ging der Tag vorüber und
die Gefahr, der Keller wurde verlaſſen, mein Geheim-
niß fing an mich zu beklemmen; ich beobachtete jeden
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/143>, abgerufen am 25.11.2024.
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