alle Abend die Sterne, die auf mein Grab scheinen wer- den und das freut mich," sagte sie, "ich habe Friede geschlossen mit allen Menschen und mit allem Schicksal, der Wind mag brausend daher fahren, wie in der Bi- bel stehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, -- ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht den Geist mächtig -- der wahre Friede hat Flügel, und trägt den Menschen noch bei Leibes Leben hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er ist ein himmlischer Bote und zeigt den kürzesten Weg; er sagt, wir sollen uns nirgend wo aufhalten, denn das ist Unfriede; der grade Weg zum Himmel ist Geist, das ist die Straße, die hinüber führt, daß man alles versteht und begreift, wer gegen sein Schicksal murrt, der begreift es nicht, wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch bald verstehen; was man erfahren und gelernt hat, das ist allemal eine Station, die man auf der Himmels- straße zurückgelegt; ja, ja! das Schicksal des Menschen enthält alle Erkenntniß, und wenn man erst alles ver- standen hat auf dieser irdischen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geist, durch eigne Offenbarung lernt man fremde
alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer- den und das freut mich,“ ſagte ſie, „ich habe Friede geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal, der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi- bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen, oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, — ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße, die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift, wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht, wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels- ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver- ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0173"n="163"/>
alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer-<lb/>
den und das freut mich,“ſagte ſie, „ich habe Friede<lb/>
geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal,<lb/>
der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi-<lb/>
bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,<lb/>
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, —<lb/>
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht<lb/>
den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und<lb/>
trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über<lb/>
die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher<lb/>
Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen<lb/>
uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der<lb/>
grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße,<lb/>
die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift,<lb/>
wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht,<lb/>
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch<lb/>
bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das<lb/>
iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels-<lb/>ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen<lb/>
enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver-<lb/>ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man<lb/>
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.<lb/>
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom<lb/>
heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde<lb/></p></div></body></text></TEI>
[163/0173]
alle Abend die Sterne, die auf mein Grab ſcheinen wer-
den und das freut mich,“ ſagte ſie, „ich habe Friede
geſchloſſen mit allen Menſchen und mit allem Schickſal,
der Wind mag brauſend daher fahren, wie in der Bi-
bel ſtehet, und den alten Eichen den Hals umdrehen,
oder die Sonne mag meine alten Glieder erwärmen, —
ich nehme alles dahin. Friede mit allen Dingen macht
den Geiſt mächtig — der wahre Friede hat Flügel, und
trägt den Menſchen noch bei Leibes Leben hoch über
die Erde dem Himmel zu, denn er iſt ein himmliſcher
Bote und zeigt den kürzeſten Weg; er ſagt, wir ſollen
uns nirgend wo aufhalten, denn das iſt Unfriede; der
grade Weg zum Himmel iſt Geiſt, das iſt die Straße,
die hinüber führt, daß man alles verſteht und begreift,
wer gegen ſein Schickſal murrt, der begreift es nicht,
wer es aber im Frieden dahin nimmt, der lernt es auch
bald verſtehen; was man erfahren und gelernt hat, das
iſt allemal eine Station, die man auf der Himmels-
ſtraße zurückgelegt; ja, ja! das Schickſal des Menſchen
enthält alle Erkenntniß, und wenn man erſt alles ver-
ſtanden hat auf dieſer irdiſchen Welt, dann wird man
ja doch wohl den lieben Gott können begreifen lernen.
Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom
heiligen Geiſt, durch eigne Offenbarung lernt man fremde
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/173>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.