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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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"weine mit mir!" -- Ach, was steht in meiner Macht?
-- was kann ich ihr geben!

Da ich zurückkehrte, sah ich im Vorübergehen den
Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht
vor ihm saß und ihm in den Mund sah, das weiße
Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt hatte.


Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als
Gegenstück eine alte Frau, umgeben von drei blonden
Enkelengels-Köpfchen, wovon das älteste drei Jahr und
das jüngste sechs Monat ist. Sie ist nah an siebenzig
Jahr und geht an Krücken; im vorigen Jahr war sie
noch rüstig, erzählte sie, und hatte vom Schulmeister
den Dienst, die Glocken zu läuten, weil die Kirche hö-
her lag wie das Dorf, und näher an der alten Burg-
ruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kal-
ten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen
und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, -- er
war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht
brachte, ging sie hinab in den Wald, um ihn noch ein-
mal zu sehen, und da fiel sie zusammen und erlahmte,
man mußte sie wieder die steilste Anhöhe hinauftragen,
von der sie nun nicht wieder herabkommt. "Ich sehe

„weine mit mir!“ — Ach, was ſteht in meiner Macht?
— was kann ich ihr geben!

Da ich zurückkehrte, ſah ich im Vorübergehen den
Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht
vor ihm ſaß und ihm in den Mund ſah, das weiße
Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt hatte.


Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als
Gegenſtück eine alte Frau, umgeben von drei blonden
Enkelengels-Köpfchen, wovon das älteſte drei Jahr und
das jüngſte ſechs Monat iſt. Sie iſt nah an ſiebenzig
Jahr und geht an Krücken; im vorigen Jahr war ſie
noch rüſtig, erzählte ſie, und hatte vom Schulmeiſter
den Dienſt, die Glocken zu läuten, weil die Kirche hö-
her lag wie das Dorf, und näher an der alten Burg-
ruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kal-
ten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen
und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, — er
war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht
brachte, ging ſie hinab in den Wald, um ihn noch ein-
mal zu ſehen, und da fiel ſie zuſammen und erlahmte,
man mußte ſie wieder die ſteilſte Anhöhe hinauftragen,
von der ſie nun nicht wieder herabkommt. „Ich ſehe

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[162/0172] „weine mit mir!“ — Ach, was ſteht in meiner Macht? — was kann ich ihr geben! Da ich zurückkehrte, ſah ich im Vorübergehen den Alten unter dem Baum mit dem Hund, der aufrecht vor ihm ſaß und ihm in den Mund ſah, das weiße Brod verzehren, was ich bei ihn gelegt hatte. Gegenüber liegt eine andre Burg, da wohnt als Gegenſtück eine alte Frau, umgeben von drei blonden Enkelengels-Köpfchen, wovon das älteſte drei Jahr und das jüngſte ſechs Monat iſt. Sie iſt nah an ſiebenzig Jahr und geht an Krücken; im vorigen Jahr war ſie noch rüſtig, erzählte ſie, und hatte vom Schulmeiſter den Dienſt, die Glocken zu läuten, weil die Kirche hö- her lag wie das Dorf, und näher an der alten Burg- ruine; ihr Sohn war Zimmermann, er ging in der kal- ten Weihnachtszeit in den Wald, um Holz zu fällen und zum Bau zu behauen, er kam nicht wieder, — er war erfroren im Wald. Da man ihr die Nachricht brachte, ging ſie hinab in den Wald, um ihn noch ein- mal zu ſehen, und da fiel ſie zuſammen und erlahmte, man mußte ſie wieder die ſteilſte Anhöhe hinauftragen, von der ſie nun nicht wieder herabkommt. „Ich ſehe

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/172>, abgerufen am 21.11.2024.