Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

fer die Heerde," sagte der Bruder Franz, da er mich
mit der nachgeeilten Heerde angekommen sah.

Bis alles sich reisefertig gemacht hatte, ging ich in
den Kuhställen umher. Das Gehöfte ist unendlich groß-
man könnte ein Vorwerk drin anlegen, sie rufen von
der entferntesten Scheune zur andern mit einem Sprach-
rohr. Der Kuhstall inmitten bildet ein Amphitheater,
ein Halbkreis von spiegelglatten Kühen, an jedem Ende
durch einen Bullen abgeschlossen. An dem Ende, wo
ich eintrat, ist der Ochs so freundlich, zärtlich, daß er
jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen
sucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem
Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten lassen, mußte
mein Gesicht von seiner schaumigen Zunge belecken las-
sen; das schmeckte ihm so gut, er konnte nicht fertig
werden, er verkleisterte mir alle Locken, die Deine Hand
immer in so schöne Ordnung streichelt. --

Jetzt beschreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn
wo ich nicht in Worten liebkosen kann, da verweile ich
nicht lange. -- Sie ist besser erhalten wie alle andern,
auch selbst die Gelnhäuser ist lange nicht so ganz mehr,
und ich begreife nicht, daß man keine Rücksicht darauf
nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries-
heim, jetzt ist sie an die Grafen Stollberg gefallen. --

Die

fer die Heerde,“ ſagte der Bruder Franz, da er mich
mit der nachgeeilten Heerde angekommen ſah.

Bis alles ſich reiſefertig gemacht hatte, ging ich in
den Kuhſtällen umher. Das Gehöfte iſt unendlich groß-
man könnte ein Vorwerk drin anlegen, ſie rufen von
der entfernteſten Scheune zur andern mit einem Sprach-
rohr. Der Kuhſtall inmitten bildet ein Amphitheater,
ein Halbkreis von ſpiegelglatten Kühen, an jedem Ende
durch einen Bullen abgeſchloſſen. An dem Ende, wo
ich eintrat, iſt der Ochs ſo freundlich, zärtlich, daß er
jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen
ſucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem
Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten laſſen, mußte
mein Geſicht von ſeiner ſchaumigen Zunge belecken laſ-
ſen; das ſchmeckte ihm ſo gut, er konnte nicht fertig
werden, er verkleiſterte mir alle Locken, die Deine Hand
immer in ſo ſchöne Ordnung ſtreichelt. —

Jetzt beſchreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn
wo ich nicht in Worten liebkoſen kann, da verweile ich
nicht lange. — Sie iſt beſſer erhalten wie alle andern,
auch ſelbſt die Gelnhäuſer iſt lange nicht ſo ganz mehr,
und ich begreife nicht, daß man keine Rückſicht darauf
nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries-
heim, jetzt iſt ſie an die Grafen Stollberg gefallen. —

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="168"/>
fer die Heerde,&#x201C; &#x017F;agte der Bruder Franz, da er mich<lb/>
mit der nachgeeilten Heerde angekommen &#x017F;ah.</p><lb/>
        <p>Bis alles &#x017F;ich rei&#x017F;efertig gemacht hatte, ging ich in<lb/>
den Kuh&#x017F;tällen umher. Das Gehöfte i&#x017F;t unendlich groß-<lb/>
man könnte ein Vorwerk drin anlegen, &#x017F;ie rufen von<lb/>
der entfernte&#x017F;ten Scheune zur andern mit einem Sprach-<lb/>
rohr. Der Kuh&#x017F;tall inmitten bildet ein Amphitheater,<lb/>
ein Halbkreis von &#x017F;piegelglatten Kühen, an jedem Ende<lb/>
durch einen Bullen abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. An dem Ende, wo<lb/>
ich eintrat, i&#x017F;t der Ochs &#x017F;o freundlich, zärtlich, daß er<lb/>
jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen<lb/>
&#x017F;ucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem<lb/>
Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten la&#x017F;&#x017F;en, mußte<lb/>
mein Ge&#x017F;icht von &#x017F;einer &#x017F;chaumigen Zunge belecken la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en; das &#x017F;chmeckte ihm &#x017F;o gut, er konnte nicht fertig<lb/>
werden, er verklei&#x017F;terte mir alle Locken, die Deine Hand<lb/>
immer in &#x017F;o &#x017F;chöne Ordnung &#x017F;treichelt. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Jetzt be&#x017F;chreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn<lb/>
wo ich nicht in Worten liebko&#x017F;en kann, da verweile ich<lb/>
nicht lange. &#x2014; Sie i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er erhalten wie alle andern,<lb/>
auch &#x017F;elb&#x017F;t die Gelnhäu&#x017F;er i&#x017F;t lange nicht &#x017F;o ganz mehr,<lb/>
und ich begreife nicht, daß man keine Rück&#x017F;icht darauf<lb/>
nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries-<lb/>
heim, jetzt i&#x017F;t &#x017F;ie an die Grafen Stollberg gefallen. &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0178] fer die Heerde,“ ſagte der Bruder Franz, da er mich mit der nachgeeilten Heerde angekommen ſah. Bis alles ſich reiſefertig gemacht hatte, ging ich in den Kuhſtällen umher. Das Gehöfte iſt unendlich groß- man könnte ein Vorwerk drin anlegen, ſie rufen von der entfernteſten Scheune zur andern mit einem Sprach- rohr. Der Kuhſtall inmitten bildet ein Amphitheater, ein Halbkreis von ſpiegelglatten Kühen, an jedem Ende durch einen Bullen abgeſchloſſen. An dem Ende, wo ich eintrat, iſt der Ochs ſo freundlich, zärtlich, daß er jeden, der ihm nahe kommt, mit der Zunge zu erreichen ſucht, um ihn zu belecken; er muhte mich an in hohem Ton, ich wollte ihn nicht vergeblich bitten laſſen, mußte mein Geſicht von ſeiner ſchaumigen Zunge belecken laſ- ſen; das ſchmeckte ihm ſo gut, er konnte nicht fertig werden, er verkleiſterte mir alle Locken, die Deine Hand immer in ſo ſchöne Ordnung ſtreichelt. — Jetzt beſchreib' ich Dir die Burg, aber flüchtig, denn wo ich nicht in Worten liebkoſen kann, da verweile ich nicht lange. — Sie iſt beſſer erhalten wie alle andern, auch ſelbſt die Gelnhäuſer iſt lange nicht ſo ganz mehr, und ich begreife nicht, daß man keine Rückſicht darauf nimmt. Sie gehörte ehmals den Herren von Gries- heim, jetzt iſt ſie an die Grafen Stollberg gefallen. — Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/178
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/178>, abgerufen am 13.05.2024.