Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

nem Geist duften, wie diese Kräuter, dem Geist jener
schönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut
ist. -- Dein Geist spricht ja die heilige Ordnung der
Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich
ihm was bleibe, das ist dann einerlei.

Ja süßer Freund! ob ich Dir was bin: was soll
ich danach fragen? -- weiß ich doch, daß die Lerche
nicht umsonst jubelnd aufsteigt, daß der Morgenwind
nicht ungefühlt in den Zweigen lispelt, ja daß die ganze
Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen versunken ist;
was sollt' ich zagen, von Dir nicht verstanden nicht ge-
fühlt zu sein? -- Drum will ich nicht schwören Dir et-
was zu sein; es ist mir gewiß, daß ich Dir bin, was
in einstimmender Schönheit ein Ton der Natur, eine
geistige Berührung dieser sinnlichen Welt Dir sein kann.



Diese Tage, diese Gegenden sie tragen das Antlitz
des Paradieses. Die Fülle lacht mich an in der reifen-
den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und einsam bin
ich wie der erste Mensch; und ich lerne wie dieser herr-
schen und gebieten dem Glück: daß die Welt soll

nem Geiſt duften, wie dieſe Kräuter, dem Geiſt jener
ſchönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut
iſt. — Dein Geiſt ſpricht ja die heilige Ordnung der
Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich
ihm was bleibe, das iſt dann einerlei.

Ja ſüßer Freund! ob ich Dir was bin: was ſoll
ich danach fragen? — weiß ich doch, daß die Lerche
nicht umſonſt jubelnd aufſteigt, daß der Morgenwind
nicht ungefühlt in den Zweigen liſpelt, ja daß die ganze
Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen verſunken iſt;
was ſollt' ich zagen, von Dir nicht verſtanden nicht ge-
fühlt zu ſein? — Drum will ich nicht ſchwören Dir et-
was zu ſein; es iſt mir gewiß, daß ich Dir bin, was
in einſtimmender Schönheit ein Ton der Natur, eine
geiſtige Berührung dieſer ſinnlichen Welt Dir ſein kann.



Dieſe Tage, dieſe Gegenden ſie tragen das Antlitz
des Paradieſes. Die Fülle lacht mich an in der reifen-
den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und einſam bin
ich wie der erſte Menſch; und ich lerne wie dieſer herr-
ſchen und gebieten dem Glück: daß die Welt ſoll

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
nem Gei&#x017F;t duften, wie die&#x017F;e Kräuter, dem Gei&#x017F;t jener<lb/>
&#x017F;chönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut<lb/>
i&#x017F;t. &#x2014; Dein Gei&#x017F;t &#x017F;pricht ja die heilige Ordnung der<lb/>
Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich<lb/>
ihm was bleibe, das i&#x017F;t dann einerlei.</p><lb/>
          <p>Ja &#x017F;üßer Freund! ob ich Dir was bin: was &#x017F;oll<lb/>
ich danach fragen? &#x2014; weiß ich doch, daß die Lerche<lb/>
nicht um&#x017F;on&#x017F;t jubelnd auf&#x017F;teigt, daß der Morgenwind<lb/>
nicht ungefühlt in den Zweigen li&#x017F;pelt, ja daß die ganze<lb/>
Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen ver&#x017F;unken i&#x017F;t;<lb/>
was &#x017F;ollt' ich zagen, von Dir nicht ver&#x017F;tanden nicht ge-<lb/>
fühlt zu &#x017F;ein? &#x2014; Drum will ich nicht &#x017F;chwören Dir et-<lb/>
was zu &#x017F;ein; es i&#x017F;t mir gewiß, daß ich Dir bin, was<lb/>
in ein&#x017F;timmender Schönheit ein Ton der Natur, eine<lb/>
gei&#x017F;tige Berührung die&#x017F;er &#x017F;innlichen Welt Dir &#x017F;ein kann.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">Im Juli.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Tage, die&#x017F;e Gegenden &#x017F;ie tragen das Antlitz<lb/>
des Paradie&#x017F;es. Die Fülle lacht mich an in der reifen-<lb/>
den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und ein&#x017F;am bin<lb/>
ich wie der er&#x017F;te Men&#x017F;ch; und ich lerne wie die&#x017F;er herr-<lb/>
&#x017F;chen und gebieten dem Glück: daß die Welt &#x017F;oll<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] nem Geiſt duften, wie dieſe Kräuter, dem Geiſt jener ſchönen Vorwelt, in deren Sinn der Tempel hier gebaut iſt. — Dein Geiſt ſpricht ja die heilige Ordnung der Schönheit aus wie er, und ob ich ihm was bin, ob ich ihm was bleibe, das iſt dann einerlei. Ja ſüßer Freund! ob ich Dir was bin: was ſoll ich danach fragen? — weiß ich doch, daß die Lerche nicht umſonſt jubelnd aufſteigt, daß der Morgenwind nicht ungefühlt in den Zweigen liſpelt, ja daß die ganze Natur nicht unbegriffen in ihr Schweigen verſunken iſt; was ſollt' ich zagen, von Dir nicht verſtanden nicht ge- fühlt zu ſein? — Drum will ich nicht ſchwören Dir et- was zu ſein; es iſt mir gewiß, daß ich Dir bin, was in einſtimmender Schönheit ein Ton der Natur, eine geiſtige Berührung dieſer ſinnlichen Welt Dir ſein kann. Im Juli. Dieſe Tage, dieſe Gegenden ſie tragen das Antlitz des Paradieſes. Die Fülle lacht mich an in der reifen- den Frucht, das Leben jauchzt in mir, und einſam bin ich wie der erſte Menſch; und ich lerne wie dieſer herr- ſchen und gebieten dem Glück: daß die Welt ſoll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/29
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/29>, abgerufen am 03.12.2024.