in der Zeit der Gluth, und mit diesen Träumen gehen wir schlafen. Manche Geister aber steigen so hoch, daß ihnen die Liebessonne nimmermehr untergeht, und der neue Tag schließt sich an den versinkenden an.
Die einsame Zeit ist allein was mir bleibt; wessen ich mich erinnere das war in der Einsamkeit erlebt, und was ich erlebt habe das hat mich einsam gemacht; die ganze weite Welt umspielt in allen Farben den einsa- men Geist, sie spiegelt sich in ihm, aber sie durchdringt ihn nicht.
Geist ist in sich und was er wahrnimmt, was er aufnimmt das ist seine eigne Richtung, sein Vermögen; es ist seine höchste Offenbarung, daß er erfasse was er vermag. Ich glaub' im Tod mags ihm wohl offenbar werden, früher hat er nur ungläubige Anschauungen davon; hätte ich früher geglaubt so hätte der Geist auch zu erreichen gestrebt was er unmöglich wähnte und hätte erlangt wonach er sich sehnte, denn Sehnsucht ist ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, sie ist Inspiration und macht den Geist kühn. Dem Geist soll nichts zu kühn sein, denn weil er alles vermag; er
in der Zeit der Gluth, und mit dieſen Träumen gehen wir ſchlafen. Manche Geiſter aber ſteigen ſo hoch, daß ihnen die Liebesſonne nimmermehr untergeht, und der neue Tag ſchließt ſich an den verſinkenden an.
Die einſame Zeit iſt allein was mir bleibt; weſſen ich mich erinnere das war in der Einſamkeit erlebt, und was ich erlebt habe das hat mich einſam gemacht; die ganze weite Welt umſpielt in allen Farben den einſa- men Geiſt, ſie ſpiegelt ſich in ihm, aber ſie durchdringt ihn nicht.
Geiſt iſt in ſich und was er wahrnimmt, was er aufnimmt das iſt ſeine eigne Richtung, ſein Vermögen; es iſt ſeine höchſte Offenbarung, daß er erfaſſe was er vermag. Ich glaub' im Tod mags ihm wohl offenbar werden, früher hat er nur ungläubige Anſchauungen davon; hätte ich früher geglaubt ſo hätte der Geiſt auch zu erreichen geſtrebt was er unmöglich wähnte und hätte erlangt wonach er ſich ſehnte, denn Sehnſucht iſt ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, ſie iſt Inſpiration und macht den Geiſt kühn. Dem Geiſt ſoll nichts zu kühn ſein, denn weil er alles vermag; er
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in der Zeit der Gluth, und mit dieſen Träumen gehen
wir ſchlafen. Manche Geiſter aber ſteigen ſo hoch, daß
ihnen die Liebesſonne nimmermehr untergeht, und der
neue Tag ſchließt ſich an den verſinkenden an.
Die einſame Zeit iſt allein was mir bleibt; weſſen
ich mich erinnere das war in der Einſamkeit erlebt, und
was ich erlebt habe das hat mich einſam gemacht; die
ganze weite Welt umſpielt in allen Farben den einſa-
men Geiſt, ſie ſpiegelt ſich in ihm, aber ſie durchdringt
ihn nicht.
Geiſt iſt in ſich und was er wahrnimmt, was er
aufnimmt das iſt ſeine eigne Richtung, ſein Vermögen;
es iſt ſeine höchſte Offenbarung, daß er erfaſſe was er
vermag. Ich glaub' im Tod mags ihm wohl offenbar
werden, früher hat er nur ungläubige Anſchauungen
davon; hätte ich früher geglaubt ſo hätte der Geiſt
auch zu erreichen geſtrebt was er unmöglich wähnte und
hätte erlangt wonach er ſich ſehnte, denn Sehnſucht iſt
ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, ſie
iſt Inſpiration und macht den Geiſt kühn. Dem Geiſt
ſoll nichts zu kühn ſein, denn weil er alles vermag; er
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/75>, abgerufen am 16.02.2025.
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