dann fragte ich leise: "Madame, est-ce que Jesus Christ a aussi une barbe noire?"
Diese schöne Frau war mit vielen andern hohen Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hat- ten und aus Frankreich vertrieben waren in unser Klo- ster gekommen; diese zogen alle weiter, sie allein blieb zurück, sie wandelte viel im Garten, sie hatte einen blitzenden Ring am Finger, den sie küßte wenn sie in der dunklen Allee allein war. Da las sie ihre Briefe mit leiser Stimme und mit einem feinen weißen Tuch trocknete sie die weinenden Augen. Ich belauschte sie, ich liebte sie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein schöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den Garten. Sie sprachen zärtlich miteinander. Der Mann hatte einen schwarzen Bart, er war größer als sie, er hielt sie in seinen Armen und sah auf sie herab, und seine glänzenden Thränen blieben in seinem schwarzen Bart hängen; das sah ich, denn ich saß in der dunkeln Laube an deren Eingang sie standen. Er seufzte tief und laut, er drückte sie an's Herz, und sie küßte die glänzenden Thränen im schwarzen Bart auf.
Noch oft wandelte die schöne Frau in diesen ein- samen Alleen, noch oft sah ich sie, weinend unter dem
Tagebuch. 4
dann fragte ich leiſe: „Madame, est-ce que Jesus Christ a aussi une barbe noire?“
Dieſe ſchöne Frau war mit vielen andern hohen Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hat- ten und aus Frankreich vertrieben waren in unſer Klo- ſter gekommen; dieſe zogen alle weiter, ſie allein blieb zurück, ſie wandelte viel im Garten, ſie hatte einen blitzenden Ring am Finger, den ſie küßte wenn ſie in der dunklen Allee allein war. Da las ſie ihre Briefe mit leiſer Stimme und mit einem feinen weißen Tuch trocknete ſie die weinenden Augen. Ich belauſchte ſie, ich liebte ſie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein ſchöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den Garten. Sie ſprachen zärtlich miteinander. Der Mann hatte einen ſchwarzen Bart, er war größer als ſie, er hielt ſie in ſeinen Armen und ſah auf ſie herab, und ſeine glänzenden Thränen blieben in ſeinem ſchwarzen Bart hängen; das ſah ich, denn ich ſaß in der dunkeln Laube an deren Eingang ſie ſtanden. Er ſeufzte tief und laut, er drückte ſie an's Herz, und ſie küßte die glänzenden Thränen im ſchwarzen Bart auf.
Noch oft wandelte die ſchöne Frau in dieſen ein- ſamen Alleen, noch oft ſah ich ſie, weinend unter dem
Tagebuch. 4
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dann fragte ich leiſe: „Madame, est-ce que Jesus Christ
a aussi une barbe noire?“
Dieſe ſchöne Frau war mit vielen andern hohen
Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hat-
ten und aus Frankreich vertrieben waren in unſer Klo-
ſter gekommen; dieſe zogen alle weiter, ſie allein blieb
zurück, ſie wandelte viel im Garten, ſie hatte einen
blitzenden Ring am Finger, den ſie küßte wenn ſie in
der dunklen Allee allein war. Da las ſie ihre Briefe
mit leiſer Stimme und mit einem feinen weißen Tuch
trocknete ſie die weinenden Augen. Ich belauſchte ſie,
ich liebte ſie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein
ſchöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den
Garten. Sie ſprachen zärtlich miteinander. Der Mann
hatte einen ſchwarzen Bart, er war größer als ſie, er
hielt ſie in ſeinen Armen und ſah auf ſie herab, und
ſeine glänzenden Thränen blieben in ſeinem ſchwarzen
Bart hängen; das ſah ich, denn ich ſaß in der dunkeln
Laube an deren Eingang ſie ſtanden. Er ſeufzte tief
und laut, er drückte ſie an's Herz, und ſie küßte die
glänzenden Thränen im ſchwarzen Bart auf.
Noch oft wandelte die ſchöne Frau in dieſen ein-
ſamen Alleen, noch oft ſah ich ſie, weinend unter dem
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/83>, abgerufen am 16.02.2025.
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