[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.So wollen wir dann das Kloster verlassen, in dem Ach ja, diese Prophezeihung ist mir wahr gewor- So wollen wir dann das Kloſter verlaſſen, in dem Ach ja, dieſe Prophezeihung iſt mir wahr gewor- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0087" n="77"/> <p>So wollen wir dann das Kloſter verlaſſen, in dem<lb/> kein Spiegel war, und in dem ich alſo während vier<lb/> Jahren vergeblich die Bekanntſchaft meiner Geſichts-<lb/> züge, meiner Geſtalt geſucht haben würde, doch iſt es mir<lb/> in dieſer ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken,<lb/> wie ich wohl ausſehe, es war mir eine große Über-<lb/> raſchung, wie ich im dreizehnten Jahr zum erſtenmal<lb/> mit zwei Schweſtern, umarmt von der Großmutter, die<lb/> ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle,<lb/> aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden<lb/> Wangen, mit ſchwarzem, fein gekräuſeltem Haar; ich<lb/> kenne ſie nicht, aber mein Herz ſchlägt ihr entgegen,<lb/> ein ſolches Geſicht hab' ich ſchon im Traum geliebt, in<lb/> dieſem Blick liegt etwas, was mich zu Thränen bewegt,<lb/> dieſem Weſen muß ich nachgehen, ich muß ihr Treue<lb/> und Glauben zuſagen; wenn ſie weint, will ich ſtill<lb/> trauern, wenn ſie freudig iſt, will ich ihr ſtill dienen,<lb/> ich winke ihr, — ſiehe, ſie erhebt ſich und kommt mir<lb/> entgegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht län-<lb/> ger bezweifeln, daß ich mein Bild im Spiegel erblickt.</p><lb/> <p>Ach ja, dieſe Prophezeihung iſt mir wahr gewor-<lb/> den, ich habe keinen andern Freund gehabt als mich<lb/> ſelber, ich habe nicht um mich, aber oft mit mir geweint;<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0087]
So wollen wir dann das Kloſter verlaſſen, in dem
kein Spiegel war, und in dem ich alſo während vier
Jahren vergeblich die Bekanntſchaft meiner Geſichts-
züge, meiner Geſtalt geſucht haben würde, doch iſt es mir
in dieſer ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken,
wie ich wohl ausſehe, es war mir eine große Über-
raſchung, wie ich im dreizehnten Jahr zum erſtenmal
mit zwei Schweſtern, umarmt von der Großmutter, die
ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle,
aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden
Wangen, mit ſchwarzem, fein gekräuſeltem Haar; ich
kenne ſie nicht, aber mein Herz ſchlägt ihr entgegen,
ein ſolches Geſicht hab' ich ſchon im Traum geliebt, in
dieſem Blick liegt etwas, was mich zu Thränen bewegt,
dieſem Weſen muß ich nachgehen, ich muß ihr Treue
und Glauben zuſagen; wenn ſie weint, will ich ſtill
trauern, wenn ſie freudig iſt, will ich ihr ſtill dienen,
ich winke ihr, — ſiehe, ſie erhebt ſich und kommt mir
entgegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht län-
ger bezweifeln, daß ich mein Bild im Spiegel erblickt.
Ach ja, dieſe Prophezeihung iſt mir wahr gewor-
den, ich habe keinen andern Freund gehabt als mich
ſelber, ich habe nicht um mich, aber oft mit mir geweint;
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