[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.röthlichen Knospen entgegen, und wie ich in die erschloss- röthlichen Knoſpen entgegen, und wie ich in die erſchloſſ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0090" n="80"/> röthlichen Knoſpen entgegen, und wie ich in die erſchloſſ-<lb/> nen Kelche blickte, da liebte ich und betete die Sinnen-<lb/> welt in den Blüthen an, und ich miſchte meine Thrä-<lb/> nen mit dem Honig in ihren Kelchen. Ja, glaub's, es<lb/> war mir ein beſonderer Reiz, die Thräne, die unwill-<lb/> kührlich mir in's Auge gedrungen, da hinein zu betten,<lb/> ſo wechſelte die Luſt mit der Wehmuth. Die jungen<lb/> Feigenblätter, wie ſie zuerſt ſo rein und dicht gefaltet<lb/> aus dem Keim hervorſteigen und vor der Sonne ſich<lb/> ausbreiten: Ach Gott! Du! warum ſchmerzt die Schön-<lb/> heit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe ſich untüch-<lb/> tig fühlt ſie ganz zu umfaſſen, ſo iſt die glücklichſte<lb/> Liebe von Wehmuth durchdrungen, weil ſie ihrer eignen<lb/> Sehnſucht kein Genüge thun kann, ſo macht mich Deine<lb/> Schönheit wehmüthig, weil ich Dich nicht genug lieben<lb/> kann. — O verlaſſe mich nicht, ſei mir nur ſo weit<lb/> willig geſinnt, wie der Thau den Blumen geſinnt iſt;<lb/> Morgens weckt er ſie und nährt ſie, und Abends reinigt<lb/> er ſie vom Staub und kühlt ſie von der Hitze des Ta-<lb/> ges. So mache Du es auch, wecke und nähre meine<lb/> Begeiſtrung in der Frühe, und kühle meine Gluth und<lb/> reinige mich von Sünden am Abend.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0090]
röthlichen Knoſpen entgegen, und wie ich in die erſchloſſ-
nen Kelche blickte, da liebte ich und betete die Sinnen-
welt in den Blüthen an, und ich miſchte meine Thrä-
nen mit dem Honig in ihren Kelchen. Ja, glaub's, es
war mir ein beſonderer Reiz, die Thräne, die unwill-
kührlich mir in's Auge gedrungen, da hinein zu betten,
ſo wechſelte die Luſt mit der Wehmuth. Die jungen
Feigenblätter, wie ſie zuerſt ſo rein und dicht gefaltet
aus dem Keim hervorſteigen und vor der Sonne ſich
ausbreiten: Ach Gott! Du! warum ſchmerzt die Schön-
heit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe ſich untüch-
tig fühlt ſie ganz zu umfaſſen, ſo iſt die glücklichſte
Liebe von Wehmuth durchdrungen, weil ſie ihrer eignen
Sehnſucht kein Genüge thun kann, ſo macht mich Deine
Schönheit wehmüthig, weil ich Dich nicht genug lieben
kann. — O verlaſſe mich nicht, ſei mir nur ſo weit
willig geſinnt, wie der Thau den Blumen geſinnt iſt;
Morgens weckt er ſie und nährt ſie, und Abends reinigt
er ſie vom Staub und kühlt ſie von der Hitze des Ta-
ges. So mache Du es auch, wecke und nähre meine
Begeiſtrung in der Frühe, und kühle meine Gluth und
reinige mich von Sünden am Abend.
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