Ich hab Deinen letzten Brief noch oft gelesen, er kommt mir ganz besonders vor, wenn ich ihn mit an¬ dern vergleiche, die ich auch hier in derselben Zeit erhalten hab, so muß ich denken, daß es Schick¬ sale giebt im Geist, die so entfernt sind von einander und so verschieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben, der eine wird sichs nicht einbilden vom andern, was der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träu¬ men und Denken. -- Dein ganz Sein mit Andern ist träumerisch, ich weiß auch warum; wach könntest Du nicht unter ihnen sein und dabei so nachgebend, nein sie hätten Dich gewiß verschüchtert, wenn Du ganz wach wärst, dann würden Dich die gräßlichen Gesichter, die sie schneiden, in die Flucht jagen. -- Ich hab ein¬ mal im Traum das selbst gesehen, ich war erst zwei Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich ein, daß ich denke, die Menschen sind lauter schreckliche Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im Traum die Augen zumachte, ums nicht zu sehen und vor Angst zu vergehen, so machst Du auch im Leben aus Großmuth die Augen zu, magst nicht sehen wies
Am Montag.
Ich hab Deinen letzten Brief noch oft geleſen, er kommt mir ganz beſonders vor, wenn ich ihn mit an¬ dern vergleiche, die ich auch hier in derſelben Zeit erhalten hab, ſo muß ich denken, daß es Schick¬ ſale giebt im Geiſt, die ſo entfernt ſind von einander und ſo verſchieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben, der eine wird ſichs nicht einbilden vom andern, was der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träu¬ men und Denken. — Dein ganz Sein mit Andern iſt träumeriſch, ich weiß auch warum; wach könnteſt Du nicht unter ihnen ſein und dabei ſo nachgebend, nein ſie hätten Dich gewiß verſchüchtert, wenn Du ganz wach wärſt, dann würden Dich die gräßlichen Geſichter, die ſie ſchneiden, in die Flucht jagen. — Ich hab ein¬ mal im Traum das ſelbſt geſehen, ich war erſt zwei Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich ein, daß ich denke, die Menſchen ſind lauter ſchreckliche Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im Traum die Augen zumachte, ums nicht zu ſehen und vor Angſt zu vergehen, ſo machſt Du auch im Leben aus Großmuth die Augen zu, magſt nicht ſehen wies
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Am Montag.
Ich hab Deinen letzten Brief noch oft geleſen, er
kommt mir ganz beſonders vor, wenn ich ihn mit an¬
dern vergleiche, die ich auch hier in derſelben Zeit
erhalten hab, ſo muß ich denken, daß es Schick¬
ſale giebt im Geiſt, die ſo entfernt ſind von einander
und ſo verſchieden, wie im gewöhnlichen Tagesleben,
der eine wird ſichs nicht einbilden vom andern, was
der denkt und träumt, und was er fühlt beim Träu¬
men und Denken. — Dein ganz Sein mit Andern iſt
träumeriſch, ich weiß auch warum; wach könnteſt Du
nicht unter ihnen ſein und dabei ſo nachgebend, nein
ſie hätten Dich gewiß verſchüchtert, wenn Du ganz
wach wärſt, dann würden Dich die gräßlichen Geſichter,
die ſie ſchneiden, in die Flucht jagen. — Ich hab ein¬
mal im Traum das ſelbſt geſehen, ich war erſt zwei
Jahr alt, aber der Traum fällt mir noch oft plötzlich
ein, daß ich denke, die Menſchen ſind lauter ſchreckliche
Larven, von denen ich umgeben bin, und die wollen
mir die Sinne nehmen, und wie ich auch damals im
Traum die Augen zumachte, ums nicht zu ſehen und
vor Angſt zu vergehen, ſo machſt Du auch im Leben
aus Großmuth die Augen zu, magſt nicht ſehen wies
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/159>, abgerufen am 28.11.2024.
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