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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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-- ich mußte doch lachen über diese wohlgemeinte Be¬
merkung, nun kam Tonie, der es Marie mittheilte, sie
meinten Du seist so blaß gewesen im Frühjahr und
auch letzt habest Du noch krankhaft ausgesehen, nein,
sagt Tonie, nicht krank, sondern geisterhaft, und
wenn ich nicht wüßte, daß sie das natürlichste Mäd¬
chen wär, die immer noch ist wie ein unentwickeltes
Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, so müßte
man fürchten sie habe eine geheime Leidenschaft, aber
hier in der Stadt befindet sie sich nur wohl in
der Kinderstube, sie schleicht immer weg aus der Ge¬
sellschaft und vom Tisch, und geht an die Wiege,
nimmt die kleine Max heraus, hält sie wohl eine
Stunde auf dem Schooß und freut sich an jedem Ge¬
sicht das sie schneidet. Das Kind hatte die Röthen,
niemand kam zu mir. Sie allein saß Stunden lang
beim Kinde, es hat ihr nicht geschadet; sie kann alles
aushalten, noch nie hab ich sie klagen hören über Kopf¬
weh oder sonst etwas, wie lange hat sie bei der Clau¬
dine gewacht, kein Mensch könnte das, ich glaub sie ist
vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen, sie ist wie zu
Haus in jeder Krankenstube, und amüsirt sich köstlich wo
andre sich langeweilen. Aber ihr ganzer Geist besteht in

— ich mußte doch lachen über dieſe wohlgemeinte Be¬
merkung, nun kam Tonie, der es Marie mittheilte, ſie
meinten Du ſeiſt ſo blaß geweſen im Frühjahr und
auch letzt habeſt Du noch krankhaft ausgeſehen, nein,
ſagt Tonie, nicht krank, ſondern geiſterhaft, und
wenn ich nicht wüßte, daß ſie das natürlichſte Mäd¬
chen wär, die immer noch iſt wie ein unentwickeltes
Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, ſo müßte
man fürchten ſie habe eine geheime Leidenſchaft, aber
hier in der Stadt befindet ſie ſich nur wohl in
der Kinderſtube, ſie ſchleicht immer weg aus der Ge¬
ſellſchaft und vom Tiſch, und geht an die Wiege,
nimmt die kleine Max heraus, hält ſie wohl eine
Stunde auf dem Schooß und freut ſich an jedem Ge¬
ſicht das ſie ſchneidet. Das Kind hatte die Röthen,
niemand kam zu mir. Sie allein ſaß Stunden lang
beim Kinde, es hat ihr nicht geſchadet; ſie kann alles
aushalten, noch nie hab ich ſie klagen hören über Kopf¬
weh oder ſonſt etwas, wie lange hat ſie bei der Clau¬
dine gewacht, kein Menſch könnte das, ich glaub ſie iſt
vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen, ſie iſt wie zu
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[238/0254] — ich mußte doch lachen über dieſe wohlgemeinte Be¬ merkung, nun kam Tonie, der es Marie mittheilte, ſie meinten Du ſeiſt ſo blaß geweſen im Frühjahr und auch letzt habeſt Du noch krankhaft ausgeſehen, nein, ſagt Tonie, nicht krank, ſondern geiſterhaft, und wenn ich nicht wüßte, daß ſie das natürlichſte Mäd¬ chen wär, die immer noch iſt wie ein unentwickeltes Kind, was noch gar nichts vom Leben weiß, ſo müßte man fürchten ſie habe eine geheime Leidenſchaft, aber hier in der Stadt befindet ſie ſich nur wohl in der Kinderſtube, ſie ſchleicht immer weg aus der Ge¬ ſellſchaft und vom Tiſch, und geht an die Wiege, nimmt die kleine Max heraus, hält ſie wohl eine Stunde auf dem Schooß und freut ſich an jedem Ge¬ ſicht das ſie ſchneidet. Das Kind hatte die Röthen, niemand kam zu mir. Sie allein ſaß Stunden lang beim Kinde, es hat ihr nicht geſchadet; ſie kann alles aushalten, noch nie hab ich ſie klagen hören über Kopf¬ weh oder ſonſt etwas, wie lange hat ſie bei der Clau¬ dine gewacht, kein Menſch könnte das, ich glaub ſie iſt vierzehn Tage nicht ins Bett gekommen, ſie iſt wie zu Haus in jeder Krankenſtube, und amüſirt ſich köſtlich wo andre ſich langeweilen. Aber ihr ganzer Geiſt beſteht in

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/254>, abgerufen am 29.05.2024.