Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich so sein könnt in diesen schönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für Zeile, lese ich nichts Trauriges und doch macht er mich schwer. -- Du redest von Dir als seist Du anders wie ich, ganz anders, ach und stehst mir doch allein unter allen Menschen gegenüber, und alles was wir mit einan¬ der besprachen, da waren wir nicht eins, Du warst an¬ ders gesinnt und ich anders, und doch hast Du mich immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du, ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die mir doch so wahr sind und den tiefen Grund Deiner Seele beleuchten. Wie ist doch jeder Mensch ein groß Geheimniß, und bis alles ins Himmlische sich verwan¬ delt, wie viel bleibt da unverstanden. Aber ganz ver¬ standen sein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬ morphose, die einzige Himmelfahrt. -- Im Gartenhäus¬ chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum ersten¬ mal gesehen haben -- also ein ganz Jahr sind wir schon gut Freund mit einander ? ? ? ! ! ! -- -- -- und so könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬ derung, des Stummseins, des Denkens -- Seufzens, ja
11*
An die Günderode.
Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich ſo ſein könnt in dieſen ſchönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für Zeile, leſe ich nichts Trauriges und doch macht er mich ſchwer. — Du redeſt von Dir als ſeiſt Du anders wie ich, ganz anders, ach und ſtehſt mir doch allein unter allen Menſchen gegenüber, und alles was wir mit einan¬ der beſprachen, da waren wir nicht eins, Du warſt an¬ ders geſinnt und ich anders, und doch haſt Du mich immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du, ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die mir doch ſo wahr ſind und den tiefen Grund Deiner Seele beleuchten. Wie iſt doch jeder Menſch ein groß Geheimniß, und bis alles ins Himmliſche ſich verwan¬ delt, wie viel bleibt da unverſtanden. Aber ganz ver¬ ſtanden ſein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬ morphoſe, die einzige Himmelfahrt. — Im Gartenhäus¬ chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum erſten¬ mal geſehen haben — alſo ein ganz Jahr ſind wir ſchon gut Freund mit einander ? ? ? ! ! ! — — — und ſo könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬ derung, des Stummſeins, des Denkens — Seufzens, ja
11*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0259"n="243"/></div><divn="2"><head>An die Günderode.<lb/></head><p>Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich ſo ſein könnt<lb/>
in dieſen ſchönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für<lb/>
Zeile, leſe ich nichts Trauriges und doch macht er mich<lb/>ſchwer. — Du redeſt von Dir als ſeiſt Du anders wie<lb/>
ich, ganz anders, ach und ſtehſt mir doch allein unter<lb/>
allen Menſchen gegenüber, und alles was wir mit einan¬<lb/>
der beſprachen, da waren wir nicht eins, Du warſt an¬<lb/>
ders geſinnt und ich anders, und doch haſt Du mich<lb/>
immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du,<lb/>
ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die<lb/>
mir doch ſo wahr ſind und den tiefen Grund Deiner<lb/>
Seele beleuchten. Wie iſt doch jeder Menſch ein groß<lb/>
Geheimniß, und bis alles ins Himmliſche ſich verwan¬<lb/>
delt, wie viel bleibt da unverſtanden. Aber ganz ver¬<lb/>ſtanden ſein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬<lb/>
morphoſe, die einzige Himmelfahrt. — Im Gartenhäus¬<lb/>
chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum erſten¬<lb/>
mal geſehen haben — alſo ein ganz Jahr ſind wir<lb/>ſchon gut Freund mit einander ? ? ? ! ! ! ——— und<lb/>ſo könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬<lb/>
derung, des Stummſeins, des Denkens — Seufzens, ja<lb/><fwplace="bottom"type="sig">11*<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[243/0259]
An die Günderode.
Ich hab mirs nicht gedacht, daß ich ſo ſein könnt
in dieſen ſchönen Tagen. In Deinem Brief, Zeile für
Zeile, leſe ich nichts Trauriges und doch macht er mich
ſchwer. — Du redeſt von Dir als ſeiſt Du anders wie
ich, ganz anders, ach und ſtehſt mir doch allein unter
allen Menſchen gegenüber, und alles was wir mit einan¬
der beſprachen, da waren wir nicht eins, Du warſt an¬
ders geſinnt und ich anders, und doch haſt Du mich
immer vertreten, ja gewißlich ich bin anders wie Du,
ich fühls auch heut aus jeder Zeile Deines Briefs, die
mir doch ſo wahr ſind und den tiefen Grund Deiner
Seele beleuchten. Wie iſt doch jeder Menſch ein groß
Geheimniß, und bis alles ins Himmliſche ſich verwan¬
delt, wie viel bleibt da unverſtanden. Aber ganz ver¬
ſtanden ſein, das deucht mir die wahre alleinige Meta¬
morphoſe, die einzige Himmelfahrt. — Im Gartenhäus¬
chen, wo wir vorm Jahr um die Zeit uns zum erſten¬
mal geſehen haben — alſo ein ganz Jahr ſind wir
ſchon gut Freund mit einander ? ? ? ! ! ! — — — und
ſo könnt ich fortfahren Zeichen zu machen der Verwun¬
derung, des Stummſeins, des Denkens — Seufzens, ja
11*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/259>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.