Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬
tine
! vor einigen Nächten träumte mir, Du
seiest gestorben
, ich weinte sehr darüber und
hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬
klang davon in meiner Seele
." Ich auch lieb¬
stes Günderödchen würde sehr weinen, wenn ich Dich
sollt hier lassen müssen und in eine andre Welt gehen,
ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich
zu mir selber kommen möcht. Der musikalische Klang
jener Worte äußert sich wie der Pulsschlag Deiner
Empfindung, das ist lebendige Liebe, die fühlst Du für
mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts
ohne Musik im Geist bestehen kann, und daß nur der
Geist sich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt.
-- Ich kanns auch noch nicht so deutlich sagen, ich
meine man kann kein Buch lesen, keins verstehen, oder
seinen Geist aufnehmen, wenn die angeborne Melodie
es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬
greiflich oder fühlbar sein, wenn es in seiner Melodie
dahinfließt. Ja weil ich das so denke, so fällt mir
ein, ob nicht alles, so lang es nicht melodisch ist, wohl
auch noch nicht wahr sein mag. Dein Schelling und
Dein Fichte und Dein Kant sind mir ganz unmögliche
Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin

Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬
tine
! vor einigen Nächten träumte mir, Du
ſeieſt geſtorben
, ich weinte ſehr darüber und
hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬
klang davon in meiner Seele
.“ Ich auch lieb¬
ſtes Günderödchen würde ſehr weinen, wenn ich Dich
ſollt hier laſſen müſſen und in eine andre Welt gehen,
ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich
zu mir ſelber kommen möcht. Der muſikaliſche Klang
jener Worte äußert ſich wie der Pulsſchlag Deiner
Empfindung, das iſt lebendige Liebe, die fühlſt Du für
mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts
ohne Muſik im Geiſt beſtehen kann, und daß nur der
Geiſt ſich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt.
— Ich kanns auch noch nicht ſo deutlich ſagen, ich
meine man kann kein Buch leſen, keins verſtehen, oder
ſeinen Geiſt aufnehmen, wenn die angeborne Melodie
es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬
greiflich oder fühlbar ſein, wenn es in ſeiner Melodie
dahinfließt. Ja weil ich das ſo denke, ſo fällt mir
ein, ob nicht alles, ſo lang es nicht melodiſch iſt, wohl
auch noch nicht wahr ſein mag. Dein Schelling und
Dein Fichte und Dein Kant ſind mir ganz unmögliche
Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0031" n="15"/>
Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬<lb/>
tine</hi>! <hi rendition="#g">vor einigen Nächten träumte mir</hi>, <hi rendition="#g">Du<lb/>
&#x017F;eie&#x017F;t ge&#x017F;torben</hi>, <hi rendition="#g">ich weinte &#x017F;ehr darüber und<lb/>
hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬<lb/>
klang davon in meiner Seele</hi>.&#x201C; Ich auch lieb¬<lb/>
&#x017F;tes Günderödchen würde &#x017F;ehr weinen, wenn ich Dich<lb/>
&#x017F;ollt hier la&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;en und in eine andre Welt gehen,<lb/>
ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich<lb/>
zu mir &#x017F;elber kommen möcht. Der mu&#x017F;ikali&#x017F;che Klang<lb/>
jener Worte äußert &#x017F;ich wie der Puls&#x017F;chlag Deiner<lb/>
Empfindung, das i&#x017F;t lebendige Liebe, die fühl&#x017F;t Du für<lb/>
mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts<lb/>
ohne Mu&#x017F;ik im Gei&#x017F;t be&#x017F;tehen kann, und daß nur <hi rendition="#g">der</hi><lb/>
Gei&#x017F;t &#x017F;ich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt.<lb/>
&#x2014; Ich kanns auch noch nicht &#x017F;o deutlich &#x017F;agen, ich<lb/>
meine man kann kein Buch le&#x017F;en, keins ver&#x017F;tehen, oder<lb/>
&#x017F;einen Gei&#x017F;t aufnehmen, wenn die angeborne Melodie<lb/>
es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬<lb/>
greiflich oder fühlbar &#x017F;ein, wenn es in &#x017F;einer Melodie<lb/>
dahinfließt. Ja weil ich das &#x017F;o denke, &#x017F;o fällt mir<lb/>
ein, ob nicht alles, &#x017F;o lang es nicht melodi&#x017F;ch i&#x017F;t, wohl<lb/>
auch noch nicht wahr &#x017F;ein mag. Dein Schelling und<lb/>
Dein Fichte und Dein Kant &#x017F;ind mir ganz unmögliche<lb/>
Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0031] Zeit über recht oft an Dich gedacht liebe Bet¬ tine! vor einigen Nächten träumte mir, Du ſeieſt geſtorben, ich weinte ſehr darüber und hatte den ganzen Tag einen traurigen Nach¬ klang davon in meiner Seele.“ Ich auch lieb¬ ſtes Günderödchen würde ſehr weinen, wenn ich Dich ſollt hier laſſen müſſen und in eine andre Welt gehen, ich kann mir nicht denken, daß ich irgendwo ohne Dich zu mir ſelber kommen möcht. Der muſikaliſche Klang jener Worte äußert ſich wie der Pulsſchlag Deiner Empfindung, das iſt lebendige Liebe, die fühlſt Du für mich. Ich bin recht glücklich; ich glaub auch daß nichts ohne Muſik im Geiſt beſtehen kann, und daß nur der Geiſt ſich frei empfindet, dem die Stimmung treu bleibt. — Ich kanns auch noch nicht ſo deutlich ſagen, ich meine man kann kein Buch leſen, keins verſtehen, oder ſeinen Geiſt aufnehmen, wenn die angeborne Melodie es nicht trägt, ich glaub, daß alles müßt gleich be¬ greiflich oder fühlbar ſein, wenn es in ſeiner Melodie dahinfließt. Ja weil ich das ſo denke, ſo fällt mir ein, ob nicht alles, ſo lang es nicht melodiſch iſt, wohl auch noch nicht wahr ſein mag. Dein Schelling und Dein Fichte und Dein Kant ſind mir ganz unmögliche Kerle. Was hab ich mir für Mühe geben und ich bin

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/31
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/31>, abgerufen am 01.05.2024.