Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.Die Sonne steiget auf und nieder; Doch Abend bleibt's in seiner Brust. Es sank der Tag ihm, kehrt nicht wieder, Und sie, nur sie ist ihm bewußt, Und ewig, ewig ist gefangen Sein Geist im quälenden Verlangen Sie, wachend träumend, anzuschaun. Und da, erwacht aus seinem Schlummer Ists ihm, als stieg' er aus der Gruft, So fremd und todt: und aller Kummer Der mit ihm schlief erwacht und ruft: O weine! sie ist dir verloren Die deine Liebe hat erkoren, Ein Abgrund trennet sie und dich! Er rafft sich auf mit trüber Seele Und eilt des Schlosses Gärten zu; Da sieht er, bei des Mondeshelle, Ein Mädchen auf ihn eilen zu. Sie reicht ein Blatt ihm und verschwindet Eh er zu fragen Worte findet, Er bricht die Siegel aus und liest: "Entfliehe! wenn dies Blatt gelesen
Du hast, und rette so dich mir. Mir ist als sei ich einst gewesen, Die Gegenwart erstirbt in mir, Die Sonne ſteiget auf und nieder; Doch Abend bleibt's in ſeiner Bruſt. Es ſank der Tag ihm, kehrt nicht wieder, Und ſie, nur ſie iſt ihm bewußt, Und ewig, ewig iſt gefangen Sein Geiſt im quälenden Verlangen Sie, wachend träumend, anzuſchaun. Und da, erwacht aus ſeinem Schlummer Iſts ihm, als ſtieg' er aus der Gruft, So fremd und todt: und aller Kummer Der mit ihm ſchlief erwacht und ruft: O weine! ſie iſt dir verloren Die deine Liebe hat erkoren, Ein Abgrund trennet ſie und dich! Er rafft ſich auf mit trüber Seele Und eilt des Schloſſes Gärten zu; Da ſieht er, bei des Mondeshelle, Ein Mädchen auf ihn eilen zu. Sie reicht ein Blatt ihm und verſchwindet Eh er zu fragen Worte findet, Er bricht die Siegel aus und lieſt: „Entfliehe! wenn dies Blatt geleſen
Du haſt, und rette ſo dich mir. Mir iſt als ſei ich einſt geweſen, Die Gegenwart erſtirbt in mir, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0455" n="439"/> <lg n="2"> <l>Die Sonne ſteiget auf und nieder;</l><lb/> <l>Doch Abend bleibt's in ſeiner Bruſt.</l><lb/> <l>Es ſank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,</l><lb/> <l>Und ſie, nur ſie iſt ihm bewußt,</l><lb/> <l>Und ewig, ewig iſt gefangen</l><lb/> <l>Sein Geiſt im quälenden Verlangen</l><lb/> <l>Sie, wachend träumend, anzuſchaun.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Und da, erwacht aus ſeinem Schlummer</l><lb/> <l>Iſts ihm, als ſtieg' er aus der Gruft,</l><lb/> <l>So fremd und todt: und aller Kummer</l><lb/> <l>Der mit ihm ſchlief erwacht und ruft:</l><lb/> <l>O weine! ſie iſt dir verloren</l><lb/> <l>Die deine Liebe hat erkoren,</l><lb/> <l>Ein Abgrund trennet ſie und dich!</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Er rafft ſich auf mit trüber Seele</l><lb/> <l>Und eilt des Schloſſes Gärten zu;</l><lb/> <l>Da ſieht er, bei des Mondeshelle,</l><lb/> <l>Ein Mädchen auf ihn eilen zu.</l><lb/> <l>Sie reicht ein Blatt ihm und verſchwindet</l><lb/> <l>Eh er zu fragen Worte findet,</l><lb/> <l>Er bricht die Siegel aus und lieſt:</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>„Entfliehe! wenn dies Blatt geleſen</l><lb/> <l>Du haſt, und rette ſo dich mir.</l><lb/> <l>Mir iſt als ſei ich einſt geweſen,</l><lb/> <l>Die Gegenwart erſtirbt in mir,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [439/0455]
Die Sonne ſteiget auf und nieder;
Doch Abend bleibt's in ſeiner Bruſt.
Es ſank der Tag ihm, kehrt nicht wieder,
Und ſie, nur ſie iſt ihm bewußt,
Und ewig, ewig iſt gefangen
Sein Geiſt im quälenden Verlangen
Sie, wachend träumend, anzuſchaun.
Und da, erwacht aus ſeinem Schlummer
Iſts ihm, als ſtieg' er aus der Gruft,
So fremd und todt: und aller Kummer
Der mit ihm ſchlief erwacht und ruft:
O weine! ſie iſt dir verloren
Die deine Liebe hat erkoren,
Ein Abgrund trennet ſie und dich!
Er rafft ſich auf mit trüber Seele
Und eilt des Schloſſes Gärten zu;
Da ſieht er, bei des Mondeshelle,
Ein Mädchen auf ihn eilen zu.
Sie reicht ein Blatt ihm und verſchwindet
Eh er zu fragen Worte findet,
Er bricht die Siegel aus und lieſt:
„Entfliehe! wenn dies Blatt geleſen
Du haſt, und rette ſo dich mir.
Mir iſt als ſei ich einſt geweſen,
Die Gegenwart erſtirbt in mir,
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