schlafen muß im besten Denken, wenn ich eben em¬ pfind, als wolle ein tieferer Geist in mir wach werden, wo ich höchlich gespannt bin zu erfahren was sich in mir erdichten will, und statt daß es in mir erwacht so muß ich drüber einschlafen, als ob eine idealische Natur mir nicht wolle wissen lassen wie sie in mir denkt und empfindet. --
Es ist ein Zauberer in uns, der sieht uns streben nach seinem Wissen, der macht all mein Streben zunichte, wenn ich nah bin und die Offenbarung schon durch¬ schimmern seh, so schläfert er mich ein. --
Ich lese jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meister, als ich ihn zum erstenmal las, hatte mein Leben Mig¬ non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie ihr, waren die andern in der Geschichte des Buchs mir gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. -- Jetzt fühl ich daß ich weit über diesen Tod hinaus ins Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbestimmter bin ich, schon so früh drückt mich mein Alter, wenn ich hier dran denke. -- Ich hab mit ihr empfunden, ich bin mit ihr gestorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und sehe auf meinen Tod herab. -- Gewiß stirbt der Mensch
ſchlafen muß im beſten Denken, wenn ich eben em¬ pfind, als wolle ein tieferer Geiſt in mir wach werden, wo ich höchlich geſpannt bin zu erfahren was ſich in mir erdichten will, und ſtatt daß es in mir erwacht ſo muß ich drüber einſchlafen, als ob eine idealiſche Natur mir nicht wolle wiſſen laſſen wie ſie in mir denkt und empfindet. —
Es iſt ein Zauberer in uns, der ſieht uns ſtreben nach ſeinem Wiſſen, der macht all mein Streben zunichte, wenn ich nah bin und die Offenbarung ſchon durch¬ ſchimmern ſeh, ſo ſchläfert er mich ein. —
Ich leſe jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meiſter, als ich ihn zum erſtenmal las, hatte mein Leben Mig¬ non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie ihr, waren die andern in der Geſchichte des Buchs mir gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. — Jetzt fühl ich daß ich weit über dieſen Tod hinaus ins Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbeſtimmter bin ich, ſchon ſo früh drückt mich mein Alter, wenn ich hier dran denke. — Ich hab mit ihr empfunden, ich bin mit ihr geſtorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und ſehe auf meinen Tod herab. — Gewiß ſtirbt der Menſch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0208"n="194"/>ſchlafen muß im beſten Denken, wenn ich eben em¬<lb/>
pfind, als wolle ein tieferer Geiſt in mir wach werden,<lb/>
wo ich höchlich geſpannt bin zu erfahren was ſich in<lb/>
mir erdichten will, und ſtatt daß es in mir erwacht<lb/>ſo muß ich drüber einſchlafen, als ob eine idealiſche<lb/>
Natur mir nicht wolle wiſſen laſſen wie ſie in mir<lb/>
denkt und empfindet. —</p><lb/><p>Es iſt ein Zauberer in uns, der ſieht uns ſtreben<lb/>
nach ſeinem Wiſſen, der macht all mein Streben zunichte,<lb/>
wenn ich nah bin und die Offenbarung ſchon durch¬<lb/>ſchimmern ſeh, ſo ſchläfert er mich ein. —</p><lb/><p>Ich leſe jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meiſter,<lb/>
als ich ihn zum erſtenmal las, hatte mein Leben Mig¬<lb/>
non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie<lb/>
ihr, waren die andern in der Geſchichte des Buchs mir<lb/>
gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe<lb/>
anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. —<lb/>
Jetzt fühl ich daß ich weit über dieſen Tod hinaus ins<lb/>
Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbeſtimmter<lb/>
bin ich, ſchon ſo früh drückt mich mein Alter, wenn ich<lb/>
hier dran denke. — Ich hab mit ihr empfunden, ich bin<lb/>
mit ihr geſtorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und<lb/>ſehe auf meinen Tod herab. — Gewiß ſtirbt der Menſch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[194/0208]
ſchlafen muß im beſten Denken, wenn ich eben em¬
pfind, als wolle ein tieferer Geiſt in mir wach werden,
wo ich höchlich geſpannt bin zu erfahren was ſich in
mir erdichten will, und ſtatt daß es in mir erwacht
ſo muß ich drüber einſchlafen, als ob eine idealiſche
Natur mir nicht wolle wiſſen laſſen wie ſie in mir
denkt und empfindet. —
Es iſt ein Zauberer in uns, der ſieht uns ſtreben
nach ſeinem Wiſſen, der macht all mein Streben zunichte,
wenn ich nah bin und die Offenbarung ſchon durch¬
ſchimmern ſeh, ſo ſchläfert er mich ein. —
Ich leſe jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meiſter,
als ich ihn zum erſtenmal las, hatte mein Leben Mig¬
non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie
ihr, waren die andern in der Geſchichte des Buchs mir
gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe
anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. —
Jetzt fühl ich daß ich weit über dieſen Tod hinaus ins
Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbeſtimmter
bin ich, ſchon ſo früh drückt mich mein Alter, wenn ich
hier dran denke. — Ich hab mit ihr empfunden, ich bin
mit ihr geſtorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und
ſehe auf meinen Tod herab. — Gewiß ſtirbt der Menſch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/208>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.