Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

frischer gewürzreicher Luft; -- das thut doch die Philo¬
sophie nicht die aufs Dreieck sich stützt, zwischen Atra¬
ction und Repulsion und höchster Potenz einen gefähr¬
lichen Tanz hält, die dem gesunden Menschenverstand
die Rippen einstoßen, und er als Invaliden-Krüppel sich
endlich zurückziehen muß. Und einmal ist doch die na¬
türliche Geschichte unseres Lebens auch unsere Aufgabe,
und ich denke daß wenn der Scharfsinn sich vom Hof¬
fart unbeleibter Speculation losmachte, und sich ganz
auf den Zustand der sinnlichen Tagsgeschichte wen¬
dete: dann müßte kein Gedanke so tief oder so erhaben
sein, der nicht im irdischen Treiben sich Platz verschaffte
und in sittlichem Sinn sich bekräftigt und aufwächst.
-- So wie der Großvater möcht ich sein, dem alle Men¬
schen gleich waren, Fürsten und Bauern gleichmäßig auf
den Verstand anredete, und nur allein durch diesen mit
ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war
als läge sie außer seinem Kreis; er sagte: "was ich mit
meinem Verstand beurtheilen kann, das gehört unter
meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß
laut und öffentlich entscheiden, wenn ich mich vor Gott
verantworten will daß er mir den Verstand dazu gegeben,
wer seine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und
er wird Herr über alles gesetzt." -- Ja das bin ich über¬

friſcher gewürzreicher Luft; — das thut doch die Philo¬
ſophie nicht die aufs Dreieck ſich ſtützt, zwiſchen Atra¬
ction und Repulſion und höchſter Potenz einen gefähr¬
lichen Tanz hält, die dem geſunden Menſchenverſtand
die Rippen einſtoßen, und er als Invaliden-Krüppel ſich
endlich zurückziehen muß. Und einmal iſt doch die na¬
türliche Geſchichte unſeres Lebens auch unſere Aufgabe,
und ich denke daß wenn der Scharfſinn ſich vom Hof¬
fart unbeleibter Speculation losmachte, und ſich ganz
auf den Zuſtand der ſinnlichen Tagsgeſchichte wen¬
dete: dann müßte kein Gedanke ſo tief oder ſo erhaben
ſein, der nicht im irdiſchen Treiben ſich Platz verſchaffte
und in ſittlichem Sinn ſich bekräftigt und aufwächſt.
— So wie der Großvater möcht ich ſein, dem alle Men¬
ſchen gleich waren, Fürſten und Bauern gleichmäßig auf
den Verſtand anredete, und nur allein durch dieſen mit
ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war
als läge ſie außer ſeinem Kreis; er ſagte: „was ich mit
meinem Verſtand beurtheilen kann, das gehört unter
meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß
laut und öffentlich entſcheiden, wenn ich mich vor Gott
verantworten will daß er mir den Verſtand dazu gegeben,
wer ſeine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und
er wird Herr über alles geſetzt.“ — Ja das bin ich über¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="47"/>
fri&#x017F;cher gewürzreicher Luft; &#x2014; das thut doch die Philo¬<lb/>
&#x017F;ophie nicht die aufs Dreieck &#x017F;ich &#x017F;tützt, zwi&#x017F;chen Atra¬<lb/>
ction und Repul&#x017F;ion und höch&#x017F;ter Potenz einen gefähr¬<lb/>
lichen Tanz hält, die dem ge&#x017F;unden Men&#x017F;chenver&#x017F;tand<lb/>
die Rippen ein&#x017F;toßen, und er als Invaliden-Krüppel &#x017F;ich<lb/>
endlich zurückziehen muß. Und einmal i&#x017F;t doch die na¬<lb/>
türliche Ge&#x017F;chichte un&#x017F;eres Lebens auch un&#x017F;ere Aufgabe,<lb/>
und ich denke daß wenn der Scharf&#x017F;inn &#x017F;ich vom Hof¬<lb/>
fart unbeleibter Speculation losmachte, und &#x017F;ich ganz<lb/>
auf den Zu&#x017F;tand der &#x017F;innlichen Tagsge&#x017F;chichte wen¬<lb/>
dete: dann müßte kein Gedanke &#x017F;o tief oder &#x017F;o erhaben<lb/>
&#x017F;ein, der nicht im irdi&#x017F;chen Treiben &#x017F;ich Platz ver&#x017F;chaffte<lb/>
und in &#x017F;ittlichem Sinn &#x017F;ich bekräftigt und aufwäch&#x017F;t.<lb/>
&#x2014; So wie der Großvater möcht ich &#x017F;ein, dem alle Men¬<lb/>
&#x017F;chen gleich waren, Für&#x017F;ten und Bauern gleichmäßig auf<lb/>
den Ver&#x017F;tand anredete, und nur allein durch die&#x017F;en mit<lb/>
ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war<lb/>
als läge &#x017F;ie außer &#x017F;einem Kreis; er &#x017F;agte: &#x201E;was ich mit<lb/>
meinem Ver&#x017F;tand beurtheilen kann, das gehört unter<lb/>
meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß<lb/>
laut und öffentlich ent&#x017F;cheiden, wenn ich mich vor Gott<lb/>
verantworten will daß er mir den Ver&#x017F;tand dazu gegeben,<lb/>
wer &#x017F;eine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und<lb/>
er wird Herr über alles ge&#x017F;etzt.&#x201C; &#x2014; Ja das bin ich über¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0061] friſcher gewürzreicher Luft; — das thut doch die Philo¬ ſophie nicht die aufs Dreieck ſich ſtützt, zwiſchen Atra¬ ction und Repulſion und höchſter Potenz einen gefähr¬ lichen Tanz hält, die dem geſunden Menſchenverſtand die Rippen einſtoßen, und er als Invaliden-Krüppel ſich endlich zurückziehen muß. Und einmal iſt doch die na¬ türliche Geſchichte unſeres Lebens auch unſere Aufgabe, und ich denke daß wenn der Scharfſinn ſich vom Hof¬ fart unbeleibter Speculation losmachte, und ſich ganz auf den Zuſtand der ſinnlichen Tagsgeſchichte wen¬ dete: dann müßte kein Gedanke ſo tief oder ſo erhaben ſein, der nicht im irdiſchen Treiben ſich Platz verſchaffte und in ſittlichem Sinn ſich bekräftigt und aufwächſt. — So wie der Großvater möcht ich ſein, dem alle Men¬ ſchen gleich waren, Fürſten und Bauern gleichmäßig auf den Verſtand anredete, und nur allein durch dieſen mit ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war als läge ſie außer ſeinem Kreis; er ſagte: „was ich mit meinem Verſtand beurtheilen kann, das gehört unter meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß laut und öffentlich entſcheiden, wenn ich mich vor Gott verantworten will daß er mir den Verſtand dazu gegeben, wer ſeine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und er wird Herr über alles geſetzt.“ — Ja das bin ich über¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/61
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/61>, abgerufen am 27.11.2024.