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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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und etlichen andern weibspersonen/ wie auch von Petro Poiret.
[Spaltenumbruch] Jahr
MDC.
biß
MDCC.
der rühmen/ noch auch fähig seyn kön-
ten/ welche nicht sich selbst und ihrer
verderbten natur mit allen ihren nei-
gungen und bewegungen abgestorben
wären
Hingegen könne er mit den heutigen
Pelagianern durchaus nicht leugnen/ daß
man nicht durch die reinigung dahin
streben müsse/ und daß wahre CHristen
nicht wahrhafftig und rechtmäßig des
Geistes CHristi theilhafftig werden
können/ oder daß sie keintempel/ hütte
und hauß GOttes/ CHristi und des H.
Geistes seyn/ der in ihnen wohne/ bleibe/
lebe/ regiere und lehre/ also daß sie end-
lich erfüllet seyn mit aller fülle GOttes.

"Wenn man dieses spottweise einen Enthusia-
"smum
nennen wolle/ so erkenne und bekenne er
"CHristum mit diesem schmälichen titul unter
"der schmach des creutzes gleichwol vor einen
"König und innersten regierer und beherrscher de-
"rer seelen/ schäme sich auch nicht die gabe/ gegen-
"wart und führung seines geistes in sich zu ver-
"langen/ und lebendig zu hoffen. Wünsche
"auch dabey/ daß solcher Enthusiasten die
"erde voll werden möchte/ gleich wie der
"himmel von solchen angefüllet ist.

39. Dieses sey gnug von dem haupt-grund
seiner lehre/ von welchem man seine schrifften
sonderlich die oeconomiam angefüllet findet/ in
welcher er auch seinen begriff von andern glau-
bens-puncten ausführlich und in ungemeiner
weißheit darleget/ welches hier auszuzeichnen
gar zu viel weitleufftigkeit erfordern würde.
Uns soll gnug seyn noch eine und andere erinne-
rung von dem gemeinen studieren und lehren
hier anzusetzen/ und zwar erstlich von der The-
ologie.
Da denn anfangs aus der Antoinette,
Von der
wahren
und fal-
schen The-
ologi
e.
nach deren schrifften er sich selbst will geschätzet
wissen/ ein theil von ihrem ersten brieff aus dem
grab der falschen Theologie hier stehen kan/
mit folgenden worten: Jch kan in der heu-
tigen
theologie nichts anders sehen als
daß sie einen gantz verkehrten sinn habe/
und der wahrheit/ welche mir GOtt be-
kant gemacht/ widerspreche. Jch habe
die schulen nie besuchet/ wenn ich aber
unsere
theologen ihre gedancken erklären
und ihre meinung eröfnen höre/ alsdenn
befinde ich sie dergestalt streitig wider
GOttes wahrheit/ daß ich ihnen keines
weges beyfall geben kan. Es ist zwar
wahr/ daß sie der Schrifft gedencken/
und viel schöne worte haben/ aber die
würckung und übung ihrer lehre ist nicht
wahrhafftig; Denn sie berühmen sich
die Evangelische lehre zu haben/ da un-
terdessen ihr gantzes leben und thun da-
wider streitet. Sie erfinden so viel
auslegungen und erklärungen über die
schrifft/ daß man in derselben nichts le-
bendiges mehr finden kan. Sie schei-
net eine blosse historie/ welche man dem
volck erzehlen muß/ damit sie dieselbe
allein im gedächtniß behalten mögen;
neben dem sind alle wissenschafften der
schulen allein ausgefunden/ worte zu-
sammen zu stellen/ wodurch man den
menschen zu kleinachtung der Evange-
lischen lehre liebkosen/ und ihnen ein
ruchloses leben vergönnen möchte.
[Spaltenumbruch] Denn so ferne die heutige
theologie dieJahr
MDC.
biß
MDCC.

sünden nicht verschonete/ so würde sich
niemand in der Christenheit/ der selig
werden wolte/ geruhig in dem gegen-
wärtigen stand und arth des lebens hal-
ten können. Ein jeder würde wol sehen/
daß er auff demselben fuß nicht selig
werden könte/ aller massen die übung der
Christen nunmehr der ersten kirche/ so
CHristus eingefuhret hat/ gäntzlich zu-
wider ist.

40. Weil man aber diese ausleger sehr
kräftig
philosophiren und disputiren höret/
den wahren sinn der schrifft zu verfäl-
schen/ so lässetsich ein jedweder weiß ma-
chen/ daß man ihnen wol glauben geben
und folgen könne; denn sie werden bey den
menschen für gelehrte angesehen/ da sie
doch für GOTT unwissend sind. Sie
bringen so viel fragen/ so viel
casus con-
scientiae,
(gewissens-fälle) und so viel er-
klärungen über den sinn der H. Schrifft/
daß es scheinet/ als sey ihre
theologie zu
keinem andern ende ausgefunden/ als al-
lerley sünden zubekräfftigen/ und die see-
len unempfindlich zur höllen lauffen zu
lassen. Wer kan zweiffeln/ daß dieses
nicht vom teuffel erfunden? Denn im
fall diese
theologie nöthig gewesen wäre/
die Christen ihrer seligkeit mittel da durch
zu lernen/ so würde ohne zweiffel JEsus
CHristus
collegien und hohe schulen der
GOttes gelehrtheit eingeführet haben/
damit das volck nicht in ihrer unwissen-
heit hätte verharren mögen. Es ist aber
weit gefehlet/ sondern er hat zu den wei-
sen gesaget: daß sie als kleine kinder wer-
den müssen/ so erst in die welt kommen
und deß wegen nicht
studiert haben kön-
nen/ was fället denn nun hierauff aus zu-
legen? diese warheit ist so klar/ daß man
mit einer kindlichen einfalt die lehre des
Evangelii annehmen müste/ so ferne man
in das himmlische königreich zugelangen
gedencket.

41. Worzu solte denn diese neue theo-
logi
e gut seyn/ da man doch die lehre JE-
su CHristi als kleine kinder empfangen
muß? Man solte vielmehr sich verein-
fältigen lernen/ als verschmitzt
disputiren;
denn alle diese wort-wechselungen werf-
fen den wahren sinn der H. Schrifft übern
hauffen/ und schliessen die thür des him-
mels für denjenigen zu/ so ihnen folge lei-
sten. JEsus CHristus hat uns mit ein-
fältigen und nackenden worten gelehret/
was wir thun und lassen müssen. Wir
haben weder auslegungen noch erklärun-
gen nöthig/ um zu verstehen/ was uns
JEsus Christus sagt/ wenn er lehret/
daß der/ so nicht alles verlasse/ was er
besitzet/ sein Jünger nicht seyn könne.
Aber das ärgste ist/ daß man diese wahr-
heit nicht nach den buchstaben verstehen/
und noch vielweniger zur übung lassen
kommen will; hierum gehet man zu den

Theologen/ eine andere auslegung als die
rechte und wahre darüber zu haben/ und
diese bemühen sich äusserst/ um zu probi-

ren/

und etlichen andern weibsperſonen/ wie auch von Petro Poiret.
[Spaltenumbruch] Jahr
MDC.
biß
MDCC.
der ruͤhmen/ noch auch faͤhig ſeyn koͤn-
ten/ welche nicht ſich ſelbſt und ihrer
verderbten natur mit allen ihren nei-
gungen und bewegungen abgeſtorben
waͤren
Hingegen koͤnne er mit den heutigen
Pelagianern durchaus nicht leugnen/ daß
man nicht durch die reinigung dahin
ſtreben muͤſſe/ und daß wahre CHriſten
nicht wahrhafftig und rechtmaͤßig des
Geiſtes CHriſti theilhafftig werden
koͤnnen/ oder daß ſie keintempel/ huͤtte
und hauß GOttes/ CHriſti und des H.
Geiſtes ſeyn/ der in ihnen wohne/ bleibe/
lebe/ regiere und lehre/ alſo daß ſie end-
lich erfuͤllet ſeyn mit aller fuͤlle GOttes.

„Wenn man dieſes ſpottweiſe einen Enthuſia-
„ſmum
nennen wolle/ ſo erkenne und bekenne er
„CHriſtum mit dieſem ſchmaͤlichen titul unter
„der ſchmach des creutzes gleichwol vor einen
„Koͤnig und iñerſten regierer und beherꝛſcher de-
„rer ſeelẽ/ ſchaͤme ſich auch nicht die gabe/ gegen-
„wart und fuͤhrung ſeines geiſtes in ſich zu ver-
„langen/ und lebendig zu hoffen. Wuͤnſche
„auch dabey/ daß ſolcher Enthuſiaſten die
„erde voll werden moͤchte/ gleich wie der
„himmel von ſolchen angefuͤllet iſt.

39. Dieſes ſey gnug von dem haupt-grund
ſeiner lehre/ von welchem man ſeine ſchrifften
ſonderlich die œconomiam angefuͤllet findet/ in
welcher er auch ſeinen begriff von andern glau-
bens-puncten ausfuͤhrlich und in ungemeiner
weißheit darleget/ welches hier auszuzeichnen
gar zu viel weitleufftigkeit erfordern wuͤrde.
Uns ſoll gnug ſeyn noch eine und andere erinne-
rung von dem gemeinen ſtudieren und lehren
hier anzuſetzen/ und zwar erſtlich von der The-
ologie.
Da denn anfangs aus der Antoinette,
Von der
wahren
und fal-
ſchen The-
ologi
e.
nach deren ſchrifften er ſich ſelbſt will geſchaͤtzet
wiſſen/ ein theil von ihrem erſten brieff aus dem
grab der falſchen Theologie hier ſtehen kan/
mit folgenden worten: Jch kan in der heu-
tigen
theologie nichts anders ſehen als
daß ſie einen gantz veꝛkehꝛten ſinn habe/
und der wahrheit/ welche mir GOtt be-
kant gemacht/ widerſpreche. Jch habe
die ſchulen nie beſuchet/ wenn ich aber
unſere
theologen ihre gedancken erklaͤren
und ihre meinung eroͤfnen hoͤre/ alsdenn
befinde ich ſie dergeſtalt ſtreitig wider
GOttes wahrheit/ daß ich ihnen keines
weges beyfall geben kan. Es iſt zwar
wahr/ daß ſie der Schrifft gedencken/
und viel ſchoͤne worte haben/ aber die
wuͤrckung und uͤbung ihrer lehꝛe iſt nicht
wahrhafftig; Denn ſie beruͤhmen ſich
die Evangeliſche lehre zu haben/ da un-
terdeſſen ihr gantzes leben und thun da-
wider ſtreitet. Sie erfinden ſo viel
auslegungen und erklaͤrungen uͤber die
ſchrifft/ daß man in derſelben nichts le-
bendiges mehr finden kan. Sie ſchei-
net eine bloſſe hiſtorie/ welche man dem
volck erzehlen muß/ damit ſie dieſelbe
allein im gedaͤchtniß behalten moͤgen;
neben dem ſind alle wiſſenſchafften der
ſchulen allein ausgefunden/ worte zu-
ſammen zu ſtellen/ wodurch man den
menſchen zu kleinachtung der Evange-
liſchen lehre liebkoſen/ und ihnen ein
ruchloſes leben vergoͤnnen moͤchte.
[Spaltenumbruch] Denn ſo ferne die heutige
theologie dieJahr
MDC.
biß
MDCC.

ſuͤnden nicht verſchonete/ ſo wuͤrde ſich
niemand in der Chriſtenheit/ der ſelig
werden wolte/ geruhig in dem gegen-
waͤrtigen ſtand und arth des lebens hal-
ten koͤnnen. Ein jeder wuͤrde wol ſehen/
daß er auff demſelben fuß nicht ſelig
werden koͤnte/ aller maſſen die uͤbung der
Chriſten nunmehr der erſten kirche/ ſo
CHriſtus eingefuhret hat/ gaͤntzlich zu-
wider iſt.

40. Weil man aber dieſe ausleger ſehr
kraͤftig
philoſophiren und diſputiren hoͤret/
den wahren ſinn der ſchrifft zu verfaͤl-
ſchen/ ſo laͤſſetſich ein jedweder weiß ma-
chen/ daß man ihnen wol glauben geben
und folgen koͤnne; denn ſie werden bey den
menſchen fuͤr gelehrte angeſehen/ da ſie
doch fuͤr GOTT unwiſſend ſind. Sie
bringen ſo viel fragen/ ſo viel
caſus con-
ſcientiæ,
(gewiſſens-faͤlle) und ſo viel er-
klaͤrungen uͤber den ſinn der H. Schrifft/
daß es ſcheinet/ als ſey ihre
theologie zu
keinem andern ende ausgefunden/ als al-
lerley ſuͤnden zubekraͤfftigen/ und die ſee-
len unempfindlich zur hoͤllen lauffen zu
laſſen. Wer kan zweiffeln/ daß dieſes
nicht vom teuffel erfunden? Denn im
fall dieſe
theologie noͤthig geweſen waͤre/
die Chriſten ihrer ſeligkeit mittel da durch
zu lernen/ ſo wuͤrde ohne zweiffel JEſus
CHriſtus
collegien und hohe ſchulen der
GOttes gelehrtheit eingefuͤhret haben/
damit das volck nicht in ihrer unwiſſen-
heit haͤtte verharren moͤgen. Es iſt aber
weit gefehlet/ ſondern er hat zu den wei-
ſen geſaget: daß ſie als kleine kinder wer-
den muͤſſen/ ſo erſt in die welt kommen
und deß wegen nicht
ſtudiert haben koͤn-
nen/ was faͤllet denn nun hierauff aus zu-
legen? dieſe warheit iſt ſo klar/ daß man
mit einer kindlichen einfalt die lehre des
Evangelii annehmen muͤſte/ ſo ferne man
in das himmliſche koͤnigreich zugelangen
gedencket.

41. Worzu ſolte denn dieſe neue theo-
logi
e gut ſeyn/ da man doch die lehre JE-
ſu CHriſti als kleine kinder empfangen
muß? Man ſolte vielmehr ſich verein-
faͤltigen lernen/ als verſchmitzt
diſputiren;
denn alle dieſe wort-wechſelungen werf-
fen den wahren ſinn der H. Schrifft uͤbern
hauffen/ und ſchlieſſen die thuͤr des him-
mels fuͤr denjenigen zu/ ſo ihnen folge lei-
ſten. JEſus CHriſtus hat uns mit ein-
faͤltigen und nackenden worten gelehret/
was wir thun und laſſen muͤſſen. Wir
haben weder auslegungen noch erklaͤrun-
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JEſus Chriſtus ſagt/ wenn er lehret/
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Aber das aͤrgſte iſt/ daß man dieſe wahr-
heit nicht nach den buchſtaben veꝛſtehen/
und noch vielweniger zur uͤbung laſſen
kommen will; hierum gehet man zu den

Theologen/ eine andere auslegung als die
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[167/0179] und etlichen andern weibsperſonen/ wie auch von Petro Poiret. der ruͤhmen/ noch auch faͤhig ſeyn koͤn- ten/ welche nicht ſich ſelbſt und ihrer verderbten natur mit allen ihren nei- gungen und bewegungen abgeſtorben waͤren Hingegen koͤnne er mit den heutigen Pelagianern durchaus nicht leugnen/ daß man nicht durch die reinigung dahin ſtreben muͤſſe/ und daß wahre CHriſten nicht wahrhafftig und rechtmaͤßig des Geiſtes CHriſti theilhafftig werden koͤnnen/ oder daß ſie keintempel/ huͤtte und hauß GOttes/ CHriſti und des H. Geiſtes ſeyn/ der in ihnen wohne/ bleibe/ lebe/ regiere und lehre/ alſo daß ſie end- lich erfuͤllet ſeyn mit aller fuͤlle GOttes. „Wenn man dieſes ſpottweiſe einen Enthuſia- „ſmum nennen wolle/ ſo erkenne und bekenne er „CHriſtum mit dieſem ſchmaͤlichen titul unter „der ſchmach des creutzes gleichwol vor einen „Koͤnig und iñerſten regierer und beherꝛſcher de- „rer ſeelẽ/ ſchaͤme ſich auch nicht die gabe/ gegen- „wart und fuͤhrung ſeines geiſtes in ſich zu ver- „langen/ und lebendig zu hoffen. Wuͤnſche „auch dabey/ daß ſolcher Enthuſiaſten die „erde voll werden moͤchte/ gleich wie der „himmel von ſolchen angefuͤllet iſt. Jahr MDC. biß MDCC. 39. Dieſes ſey gnug von dem haupt-grund ſeiner lehre/ von welchem man ſeine ſchrifften ſonderlich die œconomiam angefuͤllet findet/ in welcher er auch ſeinen begriff von andern glau- bens-puncten ausfuͤhrlich und in ungemeiner weißheit darleget/ welches hier auszuzeichnen gar zu viel weitleufftigkeit erfordern wuͤrde. Uns ſoll gnug ſeyn noch eine und andere erinne- rung von dem gemeinen ſtudieren und lehren hier anzuſetzen/ und zwar erſtlich von der The- ologie. Da denn anfangs aus der Antoinette, nach deren ſchrifften er ſich ſelbſt will geſchaͤtzet wiſſen/ ein theil von ihrem erſten brieff aus dem grab der falſchen Theologie hier ſtehen kan/ mit folgenden worten: Jch kan in der heu- tigen theologie nichts anders ſehen als daß ſie einen gantz veꝛkehꝛten ſinn habe/ und der wahrheit/ welche mir GOtt be- kant gemacht/ widerſpreche. Jch habe die ſchulen nie beſuchet/ wenn ich aber unſere theologen ihre gedancken erklaͤren und ihre meinung eroͤfnen hoͤre/ alsdenn befinde ich ſie dergeſtalt ſtreitig wider GOttes wahrheit/ daß ich ihnen keines weges beyfall geben kan. Es iſt zwar wahr/ daß ſie der Schrifft gedencken/ und viel ſchoͤne worte haben/ aber die wuͤrckung und uͤbung ihrer lehꝛe iſt nicht wahrhafftig; Denn ſie beruͤhmen ſich die Evangeliſche lehre zu haben/ da un- terdeſſen ihr gantzes leben und thun da- wider ſtreitet. Sie erfinden ſo viel auslegungen und erklaͤrungen uͤber die ſchrifft/ daß man in derſelben nichts le- bendiges mehr finden kan. Sie ſchei- net eine bloſſe hiſtorie/ welche man dem volck erzehlen muß/ damit ſie dieſelbe allein im gedaͤchtniß behalten moͤgen; neben dem ſind alle wiſſenſchafften der ſchulen allein ausgefunden/ worte zu- ſammen zu ſtellen/ wodurch man den menſchen zu kleinachtung der Evange- liſchen lehre liebkoſen/ und ihnen ein ruchloſes leben vergoͤnnen moͤchte. Denn ſo ferne die heutige theologie die ſuͤnden nicht verſchonete/ ſo wuͤrde ſich niemand in der Chriſtenheit/ der ſelig werden wolte/ geruhig in dem gegen- waͤrtigen ſtand und arth des lebens hal- ten koͤnnen. Ein jeder wuͤrde wol ſehen/ daß er auff demſelben fuß nicht ſelig werden koͤnte/ aller maſſen die uͤbung der Chriſten nunmehr der erſten kirche/ ſo CHriſtus eingefuhret hat/ gaͤntzlich zu- wider iſt. Von der wahren und fal- ſchen The- ologie. Jahr MDC. biß MDCC. 40. Weil man aber dieſe ausleger ſehr kraͤftig philoſophiren und diſputiren hoͤret/ den wahren ſinn der ſchrifft zu verfaͤl- ſchen/ ſo laͤſſetſich ein jedweder weiß ma- chen/ daß man ihnen wol glauben geben und folgen koͤnne; denn ſie werden bey den menſchen fuͤr gelehrte angeſehen/ da ſie doch fuͤr GOTT unwiſſend ſind. Sie bringen ſo viel fragen/ ſo viel caſus con- ſcientiæ, (gewiſſens-faͤlle) und ſo viel er- klaͤrungen uͤber den ſinn der H. Schrifft/ daß es ſcheinet/ als ſey ihre theologie zu keinem andern ende ausgefunden/ als al- lerley ſuͤnden zubekraͤfftigen/ und die ſee- len unempfindlich zur hoͤllen lauffen zu laſſen. Wer kan zweiffeln/ daß dieſes nicht vom teuffel erfunden? Denn im fall dieſe theologie noͤthig geweſen waͤre/ die Chriſten ihrer ſeligkeit mittel da durch zu lernen/ ſo wuͤrde ohne zweiffel JEſus CHriſtus collegien und hohe ſchulen der GOttes gelehrtheit eingefuͤhret haben/ damit das volck nicht in ihrer unwiſſen- heit haͤtte verharren moͤgen. Es iſt aber weit gefehlet/ ſondern er hat zu den wei- ſen geſaget: daß ſie als kleine kinder wer- den muͤſſen/ ſo erſt in die welt kommen und deß wegen nicht ſtudiert haben koͤn- nen/ was faͤllet denn nun hierauff aus zu- legen? dieſe warheit iſt ſo klar/ daß man mit einer kindlichen einfalt die lehre des Evangelii annehmen muͤſte/ ſo ferne man in das himmliſche koͤnigreich zugelangen gedencket. 41. Worzu ſolte denn dieſe neue theo- logie gut ſeyn/ da man doch die lehre JE- ſu CHriſti als kleine kinder empfangen muß? Man ſolte vielmehr ſich verein- faͤltigen lernen/ als verſchmitzt diſputiren; denn alle dieſe wort-wechſelungen werf- fen den wahren ſinn der H. Schrifft uͤbern hauffen/ und ſchlieſſen die thuͤr des him- mels fuͤr denjenigen zu/ ſo ihnen folge lei- ſten. JEſus CHriſtus hat uns mit ein- faͤltigen und nackenden worten gelehret/ was wir thun und laſſen muͤſſen. Wir haben weder auslegungen noch erklaͤrun- gen noͤthig/ um zu verſtehen/ was uns JEſus Chriſtus ſagt/ wenn er lehret/ daß der/ ſo nicht alles verlaſſe/ was er beſitzet/ ſein Juͤnger nicht ſeyn koͤnne. Aber das aͤrgſte iſt/ daß man dieſe wahr- heit nicht nach den buchſtaben veꝛſtehen/ und noch vielweniger zur uͤbung laſſen kommen will; hierum gehet man zu den Theologen/ eine andere auslegung als die rechte und wahre daruͤber zu haben/ und dieſe bemuͤhen ſich aͤuſſerſt/ um zu probi- ren/

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/179>, abgerufen am 22.12.2024.