Aston, Louise: Aus dem Leben einer Frau. Hamburg, 1847.als die Erhöhung ihres Lohnes. Deßhalb sprach sie freundlich mit allen, erkundigte sich nach den Familien und half nach Kräften, wenn sie von einer Krankheit oder einem Unfall hörte. Die Arbeiter, die sie bisher als die Ursache ihres gesteigerten Druckes angesehen hatten, beteten sie jetzt an. Die bärtigen Gesichter glänzten vor Freude, wenn sie in die Arbeitssäle trat; und von dem Wiederschein dieser Freude wurde selbst das sonst undurchdringlich ernste Gesicht des Buchhalters verklärt, der seine Herrinn auf diesen Gängen zu begleiten pflegte! Bei all' ihrer Milde und Menschlichkeit, trotz des Segens, den sie überall verbreitete, konnte Madame Oburn doch bei den Werken der Wohlthätigkeit ein peinliches Gefühl nicht überwinden. Ihr richtiger Takt gab ihr das Bewußtsein, das die tiefsten Denker dieses Jahrhunderts erkannt, und in kühnen Problemen wissenschaftlich ausgearbeitet, das Bewußtsein, daß in der Wohlthätigkeit selbst, und mag sie mit noch so viel christlicher Liebe prunken, eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen, deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablassung herabgewürdigt als die Erhöhung ihres Lohnes. Deßhalb sprach sie freundlich mit allen, erkundigte sich nach den Familien und half nach Kräften, wenn sie von einer Krankheit oder einem Unfall hörte. Die Arbeiter, die sie bisher als die Ursache ihres gesteigerten Druckes angesehen hatten, beteten sie jetzt an. Die bärtigen Gesichter glänzten vor Freude, wenn sie in die Arbeitssäle trat; und von dem Wiederschein dieser Freude wurde selbst das sonst undurchdringlich ernste Gesicht des Buchhalters verklärt, der seine Herrinn auf diesen Gängen zu begleiten pflegte! Bei all' ihrer Milde und Menschlichkeit, trotz des Segens, den sie überall verbreitete, konnte Madame Oburn doch bei den Werken der Wohlthätigkeit ein peinliches Gefühl nicht überwinden. Ihr richtiger Takt gab ihr das Bewußtsein, das die tiefsten Denker dieses Jahrhunderts erkannt, und in kühnen Problemen wissenschaftlich ausgearbeitet, das Bewußtsein, daß in der Wohlthätigkeit selbst, und mag sie mit noch so viel christlicher Liebe prunken, eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen, deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablassung herabgewürdigt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="128"/> als die Erhöhung ihres Lohnes. Deßhalb sprach sie freundlich mit allen, erkundigte sich nach den Familien und half nach Kräften, wenn sie von einer Krankheit oder einem Unfall hörte. Die Arbeiter, die sie bisher als die Ursache ihres gesteigerten Druckes angesehen hatten, beteten sie jetzt an. Die bärtigen Gesichter glänzten vor Freude, wenn sie in die Arbeitssäle trat; und von dem Wiederschein dieser Freude wurde selbst das sonst undurchdringlich ernste Gesicht des Buchhalters verklärt, der seine Herrinn auf diesen Gängen zu begleiten pflegte! Bei all' ihrer Milde und Menschlichkeit, trotz des Segens, den sie überall verbreitete, konnte Madame Oburn doch bei den Werken der Wohlthätigkeit ein peinliches Gefühl nicht überwinden. Ihr richtiger Takt gab ihr das Bewußtsein, das die tiefsten Denker dieses Jahrhunderts erkannt, und in kühnen Problemen wissenschaftlich ausgearbeitet, das Bewußtsein, daß in der Wohlthätigkeit selbst, und mag sie mit noch so viel christlicher Liebe prunken, eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen, deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablassung herabgewürdigt </p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0140]
als die Erhöhung ihres Lohnes. Deßhalb sprach sie freundlich mit allen, erkundigte sich nach den Familien und half nach Kräften, wenn sie von einer Krankheit oder einem Unfall hörte. Die Arbeiter, die sie bisher als die Ursache ihres gesteigerten Druckes angesehen hatten, beteten sie jetzt an. Die bärtigen Gesichter glänzten vor Freude, wenn sie in die Arbeitssäle trat; und von dem Wiederschein dieser Freude wurde selbst das sonst undurchdringlich ernste Gesicht des Buchhalters verklärt, der seine Herrinn auf diesen Gängen zu begleiten pflegte! Bei all' ihrer Milde und Menschlichkeit, trotz des Segens, den sie überall verbreitete, konnte Madame Oburn doch bei den Werken der Wohlthätigkeit ein peinliches Gefühl nicht überwinden. Ihr richtiger Takt gab ihr das Bewußtsein, das die tiefsten Denker dieses Jahrhunderts erkannt, und in kühnen Problemen wissenschaftlich ausgearbeitet, das Bewußtsein, daß in der Wohlthätigkeit selbst, und mag sie mit noch so viel christlicher Liebe prunken, eine Erniedrigung liege für die Bedürftigen, deren ewige Menschenrechte zu einem Gegenstand frommer Herablassung herabgewürdigt
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Zitationshilfe: | Aston, Louise: Aus dem Leben einer Frau. Hamburg, 1847, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/aston_leben_1847/140>, abgerufen am 16.02.2025. |