Aston, Louise: Aus dem Leben einer Frau. Hamburg, 1847.Küsse auf ihre Lippen. So saßen sie stumm eine geraume Zeit -- alles war still und heimlich; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe ringsum. Es war jene Mittagstille in der Natur -- das orientalische Brüten, die Ruhe, die sich selbst genießt, welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche, die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont, in schwülen Schlummer wiegt. Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens; und mächtiger wird sein heißes Begehren, wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert. Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten. Er flüsterte: "Sieh' mich nicht so an, -- das ertrag' ich nicht! Du willst mir nicht gehören; du willst nicht mein werden -- o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube, ein stilles, argloses Glück spiegeln, die Idylle der Unschuld, den süßen Wahn der Kindheit! Laß' ihn ohne Verlangen sein, wie die stille, abendliche Flut, die keinen Sturm und keine Brandung kennt! Doch selber glühend, weckst Du meine Glut, die mich verzehrt, die mich ringen macht nach Deinem Besitz!" Küsse auf ihre Lippen. So saßen sie stumm eine geraume Zeit — alles war still und heimlich; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe ringsum. Es war jene Mittagstille in der Natur — das orientalische Brüten, die Ruhe, die sich selbst genießt, welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche, die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont, in schwülen Schlummer wiegt. Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens; und mächtiger wird sein heißes Begehren, wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert. Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten. Er flüsterte: „Sieh' mich nicht so an, — das ertrag' ich nicht! Du willst mir nicht gehören; du willst nicht mein werden — o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube, ein stilles, argloses Glück spiegeln, die Idylle der Unschuld, den süßen Wahn der Kindheit! Laß' ihn ohne Verlangen sein, wie die stille, abendliche Flut, die keinen Sturm und keine Brandung kennt! Doch selber glühend, weckst Du meine Glut, die mich verzehrt, die mich ringen macht nach Deinem Besitz!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="35"/> Küsse auf ihre Lippen. So saßen sie stumm eine geraume Zeit — alles war still und heimlich; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe ringsum. Es war jene Mittagstille in der Natur — das orientalische Brüten, die Ruhe, die sich selbst genießt, welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche, die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont, in schwülen Schlummer wiegt. Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens; und mächtiger wird sein heißes Begehren, wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert. Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten. Er flüsterte: „Sieh' mich nicht <hi rendition="#g">so</hi> an, — das ertrag' ich nicht! Du willst mir nicht gehören; du willst nicht <hi rendition="#g">mein</hi> werden — o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube, ein stilles, argloses Glück spiegeln, die Idylle der Unschuld, den süßen Wahn der Kindheit! Laß' ihn ohne Verlangen sein, wie die stille, abendliche Flut, die keinen Sturm und keine Brandung kennt! Doch selber glühend, weckst Du meine Glut, die mich verzehrt, die mich ringen macht nach Deinem Besitz!“</p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0047]
Küsse auf ihre Lippen. So saßen sie stumm eine geraume Zeit — alles war still und heimlich; kein fallendes Blatt unterbrach die Ruhe ringsum. Es war jene Mittagstille in der Natur — das orientalische Brüten, die Ruhe, die sich selbst genießt, welche die Fühlhörner des Lebens zurückzieht und ihre großen Wünsche, die in fernen Blitzen aufzucken am Horizont, in schwülen Schlummer wiegt. Doch des Menschen Herz hat den rastlosen Pulsschlag des Lebens; und mächtiger wird sein heißes Begehren, wenn alles ringsum wünschelos und regungslos schlummert. Die Blicke des jungen Weibes zogen den Zauberkreis immer enger um den Geliebten. Er flüsterte: „Sieh' mich nicht so an, — das ertrag' ich nicht! Du willst mir nicht gehören; du willst nicht mein werden — o so laß' Deinen Blick sanft sein wie den Blick der Taube, ein stilles, argloses Glück spiegeln, die Idylle der Unschuld, den süßen Wahn der Kindheit! Laß' ihn ohne Verlangen sein, wie die stille, abendliche Flut, die keinen Sturm und keine Brandung kennt! Doch selber glühend, weckst Du meine Glut, die mich verzehrt, die mich ringen macht nach Deinem Besitz!“
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