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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Ein großer Haufe Geld, wie ihn baar das Dorf noch nie gesehen hatte, kam andern Tages an, es war die volle Versicherungssumme für die Fahrniß. Der überbringende Kaufmann Gäbler war voll Unterwürfigkeit gegen Diethelm und empfahl sich ihm zu jeglicher Vermittelung. Nun ging es an ein Abwickeln der Schulden und zwischen hinein an Uebernahme der Erbschaft vom Kohlenhof, und im Waldhorn war allzeit ein reges Leben. Das Haus selbst, das in der Staats-Brandkasse versichert war, wurde erst zur Hälfte bei Beginn und zur andern Hälfte bei Vollendung des Wiederaufbaues bezahlt. Diethelm ließ schon im Winter Steine brechen und fahren und verschaffte dem Dorfe und der ganzen Umgegend gesegneten Verdienst in einer sonst kahlen Zeit; aber weder er selbst, noch Martha besuchten je die Brandstätte, nur Fränz war mehrmals dort gewesen. Es schien Alles wohl zu gehen, nur Martha klagte viel über das Leiden in ihrer rechten Hand; die Mittel des oft herbeigerufenen Arztes verschlugen nicht, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren wie abgestorben, leichenhaften Ansehens. Der Arzt behauptete, diese Finger seien durch zu eifriges Spinnen mit der Spindel abgetödtet, und Diethelm bestätigte, daß ihm seine Mutter oft erzählt habe, Spindeln seien giftig; aber seine Frau habe nie nachgegeben und am Rädchen spinnen lernen wollen. Er klagte nun auch, nachdem er Frau und Tochter fortgeschickt, sein eigen Leid, wie es ihm stets mitten im Körper so kalt sei und es ihn innerlich stets friere, wenn er am Ofen sitze und fast verbrate. Der Arzt bedeutete, daß das vielleicht ein innerlicher Rheumatismus sei, und daß es sich gerade schicke, Frau Martha müsse im nächsten Sommer nach einem warmen Bade und der Herr Diethelm auch.

Als Diethelm diese Botschaft seiner Frau verkündete, sagte sie:

Der Doctor versteht mein Uebel nicht, aber ich versteh's. Sei nur nicht bös, ich muß es aber doch zu einem Menschen sagen; guck, mir sind just die drei Finger abge-

Ein großer Haufe Geld, wie ihn baar das Dorf noch nie gesehen hatte, kam andern Tages an, es war die volle Versicherungssumme für die Fahrniß. Der überbringende Kaufmann Gäbler war voll Unterwürfigkeit gegen Diethelm und empfahl sich ihm zu jeglicher Vermittelung. Nun ging es an ein Abwickeln der Schulden und zwischen hinein an Uebernahme der Erbschaft vom Kohlenhof, und im Waldhorn war allzeit ein reges Leben. Das Haus selbst, das in der Staats-Brandkasse versichert war, wurde erst zur Hälfte bei Beginn und zur andern Hälfte bei Vollendung des Wiederaufbaues bezahlt. Diethelm ließ schon im Winter Steine brechen und fahren und verschaffte dem Dorfe und der ganzen Umgegend gesegneten Verdienst in einer sonst kahlen Zeit; aber weder er selbst, noch Martha besuchten je die Brandstätte, nur Fränz war mehrmals dort gewesen. Es schien Alles wohl zu gehen, nur Martha klagte viel über das Leiden in ihrer rechten Hand; die Mittel des oft herbeigerufenen Arztes verschlugen nicht, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren wie abgestorben, leichenhaften Ansehens. Der Arzt behauptete, diese Finger seien durch zu eifriges Spinnen mit der Spindel abgetödtet, und Diethelm bestätigte, daß ihm seine Mutter oft erzählt habe, Spindeln seien giftig; aber seine Frau habe nie nachgegeben und am Rädchen spinnen lernen wollen. Er klagte nun auch, nachdem er Frau und Tochter fortgeschickt, sein eigen Leid, wie es ihm stets mitten im Körper so kalt sei und es ihn innerlich stets friere, wenn er am Ofen sitze und fast verbrate. Der Arzt bedeutete, daß das vielleicht ein innerlicher Rheumatismus sei, und daß es sich gerade schicke, Frau Martha müsse im nächsten Sommer nach einem warmen Bade und der Herr Diethelm auch.

Als Diethelm diese Botschaft seiner Frau verkündete, sagte sie:

Der Doctor versteht mein Uebel nicht, aber ich versteh's. Sei nur nicht bös, ich muß es aber doch zu einem Menschen sagen; guck, mir sind just die drei Finger abge-

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[0153] Ein großer Haufe Geld, wie ihn baar das Dorf noch nie gesehen hatte, kam andern Tages an, es war die volle Versicherungssumme für die Fahrniß. Der überbringende Kaufmann Gäbler war voll Unterwürfigkeit gegen Diethelm und empfahl sich ihm zu jeglicher Vermittelung. Nun ging es an ein Abwickeln der Schulden und zwischen hinein an Uebernahme der Erbschaft vom Kohlenhof, und im Waldhorn war allzeit ein reges Leben. Das Haus selbst, das in der Staats-Brandkasse versichert war, wurde erst zur Hälfte bei Beginn und zur andern Hälfte bei Vollendung des Wiederaufbaues bezahlt. Diethelm ließ schon im Winter Steine brechen und fahren und verschaffte dem Dorfe und der ganzen Umgegend gesegneten Verdienst in einer sonst kahlen Zeit; aber weder er selbst, noch Martha besuchten je die Brandstätte, nur Fränz war mehrmals dort gewesen. Es schien Alles wohl zu gehen, nur Martha klagte viel über das Leiden in ihrer rechten Hand; die Mittel des oft herbeigerufenen Arztes verschlugen nicht, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren wie abgestorben, leichenhaften Ansehens. Der Arzt behauptete, diese Finger seien durch zu eifriges Spinnen mit der Spindel abgetödtet, und Diethelm bestätigte, daß ihm seine Mutter oft erzählt habe, Spindeln seien giftig; aber seine Frau habe nie nachgegeben und am Rädchen spinnen lernen wollen. Er klagte nun auch, nachdem er Frau und Tochter fortgeschickt, sein eigen Leid, wie es ihm stets mitten im Körper so kalt sei und es ihn innerlich stets friere, wenn er am Ofen sitze und fast verbrate. Der Arzt bedeutete, daß das vielleicht ein innerlicher Rheumatismus sei, und daß es sich gerade schicke, Frau Martha müsse im nächsten Sommer nach einem warmen Bade und der Herr Diethelm auch. Als Diethelm diese Botschaft seiner Frau verkündete, sagte sie: Der Doctor versteht mein Uebel nicht, aber ich versteh's. Sei nur nicht bös, ich muß es aber doch zu einem Menschen sagen; guck, mir sind just die drei Finger abge-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/153>, abgerufen am 15.05.2024.