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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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betrogen, und da er die Summe fast um das Dreifache zu hoch angegeben, vermied er es, dem Blicke seiner Frau zu begegnen, der, wie er zu spüren glaubte, zurechtweisend auf ihm ruhte.

Endlich wurde das Täfelchen mit den zwei rothen Händen in Ermangelung eines Fensterladens auf die Hausthür genagelt. Martha saß daneben auf der steinernen Hausbank. Diethelm stand bei ihr. Als der erste Hammerschlag geführt wurde, sagte sie leise vor sich hin:

Mir ist's, wie wenn ich den Nagel in meinen Sarg schlagen hörte. Diethelm blickte sie nur scharf an, und ob dieser Rede erzürnt, blieb er nicht zu Hause, sondern ging mit den Männern hinab in das Waldhorn und blieb dort den ganzen Tag bis tief in die Nacht. Als die feinwolligen Schafe, die man nicht im Pferch übernachten ließ, am Abend heimkamen, schauten sie, den Blicken ihres Führers folgend, verwundert nach dem hellfarbigen Täfelchen über der Hausthür. Heute kam Diethelm nicht zur Laternenvisitation, und noch spät in der Nacht trug Medard seine geringe Habe zu seinem Vater in das Dorf und übergab ihm noch ein Päcklein Tabak und einen Theil des Trinkgeldes, das er auf dem Kirchheimer Wollmarkt erhalten hatte. Der alte Schäferle, ein schweigsames, dürres Männchen, nickte froh, er bedurfte zu seinem Lebensunterhalte fast nichts als ein paar Kreuzer zu Tabak, und ein Trinkgeld ließ er nicht gern altbacken werden. Vom Waldhorn herab tönte durch das stille Dorf Lachen und lautes Hin- und Herreden. Als der alte Schäferle in die Wirthsstube trat, wurde er mit großem Halloh empfangen, und Diethelm ließ ihm sogleich einen Schoppen einschenken, denn Alles um ihn her sollte lustig sein, wie er's selber war. Er hatte heute wieder seinen Hauptspaß, er gab dem Lehrer und vielen Anderen schwere Rechnungsexempel auf, Räthselrechnungen, die Niemand herausbrachte; und wenn Alles ringsum ihn lobte und ihm huldigte, rühmte er den alten Kopfrechner in Letzweiler, von dem er das gelernt, und die

betrogen, und da er die Summe fast um das Dreifache zu hoch angegeben, vermied er es, dem Blicke seiner Frau zu begegnen, der, wie er zu spüren glaubte, zurechtweisend auf ihm ruhte.

Endlich wurde das Täfelchen mit den zwei rothen Händen in Ermangelung eines Fensterladens auf die Hausthür genagelt. Martha saß daneben auf der steinernen Hausbank. Diethelm stand bei ihr. Als der erste Hammerschlag geführt wurde, sagte sie leise vor sich hin:

Mir ist's, wie wenn ich den Nagel in meinen Sarg schlagen hörte. Diethelm blickte sie nur scharf an, und ob dieser Rede erzürnt, blieb er nicht zu Hause, sondern ging mit den Männern hinab in das Waldhorn und blieb dort den ganzen Tag bis tief in die Nacht. Als die feinwolligen Schafe, die man nicht im Pferch übernachten ließ, am Abend heimkamen, schauten sie, den Blicken ihres Führers folgend, verwundert nach dem hellfarbigen Täfelchen über der Hausthür. Heute kam Diethelm nicht zur Laternenvisitation, und noch spät in der Nacht trug Medard seine geringe Habe zu seinem Vater in das Dorf und übergab ihm noch ein Päcklein Tabak und einen Theil des Trinkgeldes, das er auf dem Kirchheimer Wollmarkt erhalten hatte. Der alte Schäferle, ein schweigsames, dürres Männchen, nickte froh, er bedurfte zu seinem Lebensunterhalte fast nichts als ein paar Kreuzer zu Tabak, und ein Trinkgeld ließ er nicht gern altbacken werden. Vom Waldhorn herab tönte durch das stille Dorf Lachen und lautes Hin- und Herreden. Als der alte Schäferle in die Wirthsstube trat, wurde er mit großem Halloh empfangen, und Diethelm ließ ihm sogleich einen Schoppen einschenken, denn Alles um ihn her sollte lustig sein, wie er's selber war. Er hatte heute wieder seinen Hauptspaß, er gab dem Lehrer und vielen Anderen schwere Rechnungsexempel auf, Räthselrechnungen, die Niemand herausbrachte; und wenn Alles ringsum ihn lobte und ihm huldigte, rühmte er den alten Kopfrechner in Letzweiler, von dem er das gelernt, und die

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/68>, abgerufen am 14.05.2024.