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Allgemeine Zeitung. Nr. 12. Augsburg, 12. Januar 1840.

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zwei Jahrhunderten einer bewundernswürdigen Beharrlichkeit, seine Herrschaft über den größten Theil der dort umherziehenden Nomadenvölker festzustellen. Diese Völker, welche die ungeheure Ausdehnung ihrer Steppen und Wüsten sowohl, als die Umwälzungen der Zeiten mit einer Menge verschiedener Nationalitäten und Civilisationen in Berührung brachten, stammen sämmtlich von einer und derselben Race ab, obwohl sie nach den verschiedenen Wohnplätzen und in verschiedenen Zeiten auch verschiedene Namen tragen, als: Mongolen, Tataren, Kirgisen, Turkomanen, Usbeken. Vor Zeiten schreckten sie mehr als einmal die Welt durch den Glanz ihrer Eroberungen und blutigen Siege. China wurde zu wiederholtenmalen durch ihre Heere erobert, und aus dem Innersten ihrer Steppen stürzten sich Dschenghis-Khan, Timur und die Türken auf die Welt. Wie sehr aber haben jene Zeiten sich geändert! Samarkand, einst die Hauptstadt des Welteroberers Timur, ist jetzt nur noch die zweite Stadt des kleinen Reichs Bukhara. In Kaschgar, Yarkand und Khokhand herrschen die Chinesen. Von den Stämmen der großen Kirgisenhorde ist die Minderzahl noch unabhängig, die meisten aber wurden allmählich gezwungen, die Suzeränetät China's oder Rußlands anzuerkennen. Die Stämme der mittlern und die der kleinern Horde stehen fast alle unter dem Protectorat des St. Petersburger Cabinets, und jetzt hat Rußland, nicht nur um Insulten zu rächen, die leider nur zu wahr sind, sondern auch um "in jenem Theil von Asien den legitimen Einfluß zu befestigen, auf den es ein Recht hat" die Stämme der Kirgisen gegen die von Khiwa bewaffnet; denn es scheint uns außer Zweifel, daß die ungeheure Mehrzahl des vom General Perowski befehligten Armeecorps aus kirgisischen Reitern besteht.

Das Khanat Khiwa ist, obwohl unfern von Persien und Europa gelegen, eines der wenigst bekannten Länder Asiens. Außer O'Connolly, welcher etwa hundert Meilen an der Küste des kaspischen Meeres hinreiste, kennen wir nur Murawieff und einige russische Agenten, welche in dieses Land eingedrungen sind; auch wissen wir von ihrer Reise nichts, als höchstens einige allgemeine Resultate. Selbst die Gränzen dieses Staates, der von Wüsten und unaufhörlich ihre Wohnplätze ändernden Nomadenvölkern umgeben ist, sind sehr schwer festzustellen. Gegen Norden stößt derselbe an das Südende des Isthmus, welcher den Aralsee vom kaspischen Meer trennt, und an die Wohnplätze der Kirgisenstämme, von denen einige seine Suzeränetät anerkennen. Im Osten ist Khiwa von der Bucharei durch Wüsten getrennt, welche der Oxus durchströmt. Am Süden liegt die Kette des Attok, dessen Hirtenstämme theils unabhängig, theils dem Khan von Khiwa oder dem Schah von Persien unterworfen sind. Im Westen bildet das kaspische Meer die deutlichste Gränze des Khanats Khiwa.

Ueberall gewahrt man in diesem Land unvertilgbare Spuren furchtbarer Revolutionen der Natur, und besonders eines langen Verweilens der Gewässer des Meeres. Ein Theil besteht aus ganz sterilem Sandboden, welcher so sehr mit Seesalz geschwängert ist, daß er die Ausdünstungen der Erde ganz einsaugt, so daß die Atmosphäre in den Sommernächten unerfrischt bleibt. An andern Punkten bringt die Wüste Kräuter hervor, die aber so herb sind, daß nur Kamele sich damit nähren können. Das Wasser von sehr vielen Quellen und Brunnen ist salzig und nicht trinkbar. Gebirge scheint es im Innern des Landes nicht zu geben. Die Kirgisen im Norden nennen es die "Niederebene," um es von dem Ust-Urt (dem Hochland), welches den Aral- und den kaspischen See trennt, zu unterscheiden. Der südliche Rand dieses Hochlands, welchen die Eingebornen Tschink nennen, zeigt zwischen den beiden Seen an der Nordgränze von Khiwa eine äußerst seltsame Form. Er gleicht einer ungeheuren Terrasse, welche an manchen Stellen sich 500 Fuß über der Ebene erhebt, ein langer Felsengürtel, den einst die Wogen des Meeres peitschten und so schroff abschliffen, daß nach dem Bericht des Generalmajors Berg, welcher im Jahr 1825 den topographischen Plan jenes Isthmus entwarf, ein Fußgänger nicht ohne die größten Gefahren hinabsteigen kann. Ueberdieß sind die Pässe, durch welche man Pferde und Kamele führen kann, dort sehr selten, vielleicht sind sie vor alten Zeiten durch Menschenhand gebahnt worden. Am Fuße dieser Terrasse findet man auffallenderweise eine Menge Süßwasserquellen. Die Kirgisen sagen, daß im Süden des Tschink während des Sommers eine unerträgliche Hitze herrsche, obwohl auch in ihrem Land der Thermometer in den Monaten Julius und August auf 50° Reaumur in der Sonne und auf 34° im Schatten steigt. Ueber die Temperatur Khiwa's während des Winters fehlen uns Nachrichten, wir wissen nur, daß der Aralsee fast jeden Winter zugefriert, und daß auf dem Hochland Ust-Urt der Thermometer manchmal auf 30° Reaumur unter Null fällt.

Khiwa hätte weder Städte noch Ackerland, wenn es nicht auf seiner Ostseite von dem Amu-Deria (dem Oxus der Alten) durchströmt wäre, dessen Bett eine Naturrevolution nach dem Aralsee leitete, während er früher in das kaspische Meer sich ergoß. Die äußerst fruchtbaren Ufer dieses Stroms werden von Tadschiks, einer Bevölkerung von Besiegten und Sklaven, welche die Nomaden allen ihren Nachbarn abnehmen, cultivirt, und beleben den Handel einiger Städte, die auf der großen Straße von Bukhara nach Europa liegen. Urghendi, die bedeutendste dieser Städte, wo nur Handelsleute, Bukharen, Afghanen und sogar, wie es heißt, Hindus und Armenier wohnen, soll eine Bevölkerung von 12,000 Seelen haben. Man darf daher nicht glauben, daß die Besitznahme der Ufer des Oxus und der dortigen Städte nothwendigerweise die Unterwerfung des Landes nach sich ziehen müsse; es wäre jene Besetzung ein für die kriegerische Bevölkerung der Wüste kaum fühlbarer Schlag, und eine solche Eroberung würde keine größern Resultate gewähren, als die Einnahme Maskara's in Algerien. Die Gesammtbevölkerung dieses von der Natur wenig begünstigten Landes ist sehr unbedeutend; der berühmte englische Reisende Alexander Burnes schätzt sie auf nicht mehr als 200,000 Seelen, welche über einen Flächenraum von wenigstens 1200 Quadratlieues verbreitet sind.

Man wird begreifen, daß eine Nomadenbevölkerung, welche in kleinen Abtheilungen von einigen Familien über einen so bedeutenden Flächenraum zerstreut wohnt, stets unter vielen Häuptlingen leben mußte, welche die Herrschsucht und der erbliche Haß, der in diesen Hirtenfamilien sich durch alle Generationen fortzeugt, zu ewigen Feinden untereinander macht. Die Perser gaben den turkomanischen Stämmen, um ihren anarchischen Zustand zu bezeichnen, den Namen Yuz-Begs (die hundert Beys oder Häuptlinge), den wir in "Usbeken" verdorben haben. Neben der Viehzucht ist Krieg und Raub die Hauptbeschäftigung der Khiwaer Stämme, wie der Nomadenvölker Afrika's, Arabiens und Centralasiens. Doch muß man gestehen, daß die Turkomanen sich auf den Namen Räuber ein ganz besonderes Vorrecht erworben haben. Mit den Kirgisen, welche sie als Ungläubige behandeln, weil sie Rußlands Suzeränetät anerkannt haben, führen sie beständigen Krieg, machen Einfälle (Tschippaos) auf ihr Gebiet, verbrennen die Zelte, plündern die Heerden, schleppen Männer und


zwei Jahrhunderten einer bewundernswürdigen Beharrlichkeit, seine Herrschaft über den größten Theil der dort umherziehenden Nomadenvölker festzustellen. Diese Völker, welche die ungeheure Ausdehnung ihrer Steppen und Wüsten sowohl, als die Umwälzungen der Zeiten mit einer Menge verschiedener Nationalitäten und Civilisationen in Berührung brachten, stammen sämmtlich von einer und derselben Race ab, obwohl sie nach den verschiedenen Wohnplätzen und in verschiedenen Zeiten auch verschiedene Namen tragen, als: Mongolen, Tataren, Kirgisen, Turkomanen, Usbeken. Vor Zeiten schreckten sie mehr als einmal die Welt durch den Glanz ihrer Eroberungen und blutigen Siege. China wurde zu wiederholtenmalen durch ihre Heere erobert, und aus dem Innersten ihrer Steppen stürzten sich Dschenghis-Khan, Timur und die Türken auf die Welt. Wie sehr aber haben jene Zeiten sich geändert! Samarkand, einst die Hauptstadt des Welteroberers Timur, ist jetzt nur noch die zweite Stadt des kleinen Reichs Bukhara. In Kaschgar, Yarkand und Khokhand herrschen die Chinesen. Von den Stämmen der großen Kirgisenhorde ist die Minderzahl noch unabhängig, die meisten aber wurden allmählich gezwungen, die Suzeränetät China's oder Rußlands anzuerkennen. Die Stämme der mittlern und die der kleinern Horde stehen fast alle unter dem Protectorat des St. Petersburger Cabinets, und jetzt hat Rußland, nicht nur um Insulten zu rächen, die leider nur zu wahr sind, sondern auch um „in jenem Theil von Asien den legitimen Einfluß zu befestigen, auf den es ein Recht hat“ die Stämme der Kirgisen gegen die von Khiwa bewaffnet; denn es scheint uns außer Zweifel, daß die ungeheure Mehrzahl des vom General Perowski befehligten Armeecorps aus kirgisischen Reitern besteht.

Das Khanat Khiwa ist, obwohl unfern von Persien und Europa gelegen, eines der wenigst bekannten Länder Asiens. Außer O'Connolly, welcher etwa hundert Meilen an der Küste des kaspischen Meeres hinreiste, kennen wir nur Murawieff und einige russische Agenten, welche in dieses Land eingedrungen sind; auch wissen wir von ihrer Reise nichts, als höchstens einige allgemeine Resultate. Selbst die Gränzen dieses Staates, der von Wüsten und unaufhörlich ihre Wohnplätze ändernden Nomadenvölkern umgeben ist, sind sehr schwer festzustellen. Gegen Norden stößt derselbe an das Südende des Isthmus, welcher den Aralsee vom kaspischen Meer trennt, und an die Wohnplätze der Kirgisenstämme, von denen einige seine Suzeränetät anerkennen. Im Osten ist Khiwa von der Bucharei durch Wüsten getrennt, welche der Oxus durchströmt. Am Süden liegt die Kette des Attok, dessen Hirtenstämme theils unabhängig, theils dem Khan von Khiwa oder dem Schah von Persien unterworfen sind. Im Westen bildet das kaspische Meer die deutlichste Gränze des Khanats Khiwa.

Ueberall gewahrt man in diesem Land unvertilgbare Spuren furchtbarer Revolutionen der Natur, und besonders eines langen Verweilens der Gewässer des Meeres. Ein Theil besteht aus ganz sterilem Sandboden, welcher so sehr mit Seesalz geschwängert ist, daß er die Ausdünstungen der Erde ganz einsaugt, so daß die Atmosphäre in den Sommernächten unerfrischt bleibt. An andern Punkten bringt die Wüste Kräuter hervor, die aber so herb sind, daß nur Kamele sich damit nähren können. Das Wasser von sehr vielen Quellen und Brunnen ist salzig und nicht trinkbar. Gebirge scheint es im Innern des Landes nicht zu geben. Die Kirgisen im Norden nennen es die „Niederebene,“ um es von dem Ust-Urt (dem Hochland), welches den Aral- und den kaspischen See trennt, zu unterscheiden. Der südliche Rand dieses Hochlands, welchen die Eingebornen Tschink nennen, zeigt zwischen den beiden Seen an der Nordgränze von Khiwa eine äußerst seltsame Form. Er gleicht einer ungeheuren Terrasse, welche an manchen Stellen sich 500 Fuß über der Ebene erhebt, ein langer Felsengürtel, den einst die Wogen des Meeres peitschten und so schroff abschliffen, daß nach dem Bericht des Generalmajors Berg, welcher im Jahr 1825 den topographischen Plan jenes Isthmus entwarf, ein Fußgänger nicht ohne die größten Gefahren hinabsteigen kann. Ueberdieß sind die Pässe, durch welche man Pferde und Kamele führen kann, dort sehr selten, vielleicht sind sie vor alten Zeiten durch Menschenhand gebahnt worden. Am Fuße dieser Terrasse findet man auffallenderweise eine Menge Süßwasserquellen. Die Kirgisen sagen, daß im Süden des Tschink während des Sommers eine unerträgliche Hitze herrsche, obwohl auch in ihrem Land der Thermometer in den Monaten Julius und August auf 50° Réaumur in der Sonne und auf 34° im Schatten steigt. Ueber die Temperatur Khiwa's während des Winters fehlen uns Nachrichten, wir wissen nur, daß der Aralsee fast jeden Winter zugefriert, und daß auf dem Hochland Ust-Urt der Thermometer manchmal auf 30° Réaumur unter Null fällt.

Khiwa hätte weder Städte noch Ackerland, wenn es nicht auf seiner Ostseite von dem Amu-Deria (dem Oxus der Alten) durchströmt wäre, dessen Bett eine Naturrevolution nach dem Aralsee leitete, während er früher in das kaspische Meer sich ergoß. Die äußerst fruchtbaren Ufer dieses Stroms werden von Tadschiks, einer Bevölkerung von Besiegten und Sklaven, welche die Nomaden allen ihren Nachbarn abnehmen, cultivirt, und beleben den Handel einiger Städte, die auf der großen Straße von Bukhara nach Europa liegen. Urghendi, die bedeutendste dieser Städte, wo nur Handelsleute, Bukharen, Afghanen und sogar, wie es heißt, Hindus und Armenier wohnen, soll eine Bevölkerung von 12,000 Seelen haben. Man darf daher nicht glauben, daß die Besitznahme der Ufer des Oxus und der dortigen Städte nothwendigerweise die Unterwerfung des Landes nach sich ziehen müsse; es wäre jene Besetzung ein für die kriegerische Bevölkerung der Wüste kaum fühlbarer Schlag, und eine solche Eroberung würde keine größern Resultate gewähren, als die Einnahme Maskara's in Algerien. Die Gesammtbevölkerung dieses von der Natur wenig begünstigten Landes ist sehr unbedeutend; der berühmte englische Reisende Alexander Burnes schätzt sie auf nicht mehr als 200,000 Seelen, welche über einen Flächenraum von wenigstens 1200 Quadratlieues verbreitet sind.

Man wird begreifen, daß eine Nomadenbevölkerung, welche in kleinen Abtheilungen von einigen Familien über einen so bedeutenden Flächenraum zerstreut wohnt, stets unter vielen Häuptlingen leben mußte, welche die Herrschsucht und der erbliche Haß, der in diesen Hirtenfamilien sich durch alle Generationen fortzeugt, zu ewigen Feinden untereinander macht. Die Perser gaben den turkomanischen Stämmen, um ihren anarchischen Zustand zu bezeichnen, den Namen Yuz-Begs (die hundert Beys oder Häuptlinge), den wir in „Usbeken“ verdorben haben. Neben der Viehzucht ist Krieg und Raub die Hauptbeschäftigung der Khiwaer Stämme, wie der Nomadenvölker Afrika's, Arabiens und Centralasiens. Doch muß man gestehen, daß die Turkomanen sich auf den Namen Räuber ein ganz besonderes Vorrecht erworben haben. Mit den Kirgisen, welche sie als Ungläubige behandeln, weil sie Rußlands Suzeränetät anerkannt haben, führen sie beständigen Krieg, machen Einfälle (Tschippaos) auf ihr Gebiet, verbrennen die Zelte, plündern die Heerden, schleppen Männer und

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Samarkand, einst die Hauptstadt des Welteroberers Timur, ist jetzt nur noch die zweite Stadt des kleinen Reichs Bukhara. In Kaschgar, Yarkand und Khokhand herrschen die Chinesen. Von den Stämmen der großen Kirgisenhorde ist die Minderzahl noch unabhängig, die meisten aber wurden allmählich gezwungen, die Suzeränetät China's oder Rußlands anzuerkennen. Die Stämme der mittlern und die der kleinern Horde stehen fast alle unter dem Protectorat des St. Petersburger Cabinets, und jetzt hat Rußland, nicht nur um Insulten zu rächen, die leider nur zu wahr sind, sondern auch um „in jenem Theil von Asien den legitimen Einfluß zu befestigen, auf den es ein Recht hat“ die Stämme der Kirgisen gegen die von Khiwa bewaffnet; denn es scheint uns außer Zweifel, daß die ungeheure Mehrzahl des vom General Perowski befehligten Armeecorps aus kirgisischen Reitern besteht. Das Khanat Khiwa ist, obwohl unfern von Persien und Europa gelegen, eines der wenigst bekannten Länder Asiens. Außer O'Connolly, welcher etwa hundert Meilen an der Küste des kaspischen Meeres hinreiste, kennen wir nur Murawieff und einige russische Agenten, welche in dieses Land eingedrungen sind; auch wissen wir von ihrer Reise nichts, als höchstens einige allgemeine Resultate. Selbst die Gränzen dieses Staates, der von Wüsten und unaufhörlich ihre Wohnplätze ändernden Nomadenvölkern umgeben ist, sind sehr schwer festzustellen. Gegen Norden stößt derselbe an das Südende des Isthmus, welcher den Aralsee vom kaspischen Meer trennt, und an die Wohnplätze der Kirgisenstämme, von denen einige seine Suzeränetät anerkennen. Im Osten ist Khiwa von der Bucharei durch Wüsten getrennt, welche der Oxus durchströmt. Am Süden liegt die Kette des Attok, dessen Hirtenstämme theils unabhängig, theils dem Khan von Khiwa oder dem Schah von Persien unterworfen sind. Im Westen bildet das kaspische Meer die deutlichste Gränze des Khanats Khiwa. Ueberall gewahrt man in diesem Land unvertilgbare Spuren furchtbarer Revolutionen der Natur, und besonders eines langen Verweilens der Gewässer des Meeres. Ein Theil besteht aus ganz sterilem Sandboden, welcher so sehr mit Seesalz geschwängert ist, daß er die Ausdünstungen der Erde ganz einsaugt, so daß die Atmosphäre in den Sommernächten unerfrischt bleibt. An andern Punkten bringt die Wüste Kräuter hervor, die aber so herb sind, daß nur Kamele sich damit nähren können. Das Wasser von sehr vielen Quellen und Brunnen ist salzig und nicht trinkbar. Gebirge scheint es im Innern des Landes nicht zu geben. Die Kirgisen im Norden nennen es die „Niederebene,“ um es von dem Ust-Urt (dem Hochland), welches den Aral- und den kaspischen See trennt, zu unterscheiden. Der südliche Rand dieses Hochlands, welchen die Eingebornen Tschink nennen, zeigt zwischen den beiden Seen an der Nordgränze von Khiwa eine äußerst seltsame Form. Er gleicht einer ungeheuren Terrasse, welche an manchen Stellen sich 500 Fuß über der Ebene erhebt, ein langer Felsengürtel, den einst die Wogen des Meeres peitschten und so schroff abschliffen, daß nach dem Bericht des Generalmajors Berg, welcher im Jahr 1825 den topographischen Plan jenes Isthmus entwarf, ein Fußgänger nicht ohne die größten Gefahren hinabsteigen kann. Ueberdieß sind die Pässe, durch welche man Pferde und Kamele führen kann, dort sehr selten, vielleicht sind sie vor alten Zeiten durch Menschenhand gebahnt worden. Am Fuße dieser Terrasse findet man auffallenderweise eine Menge Süßwasserquellen. Die Kirgisen sagen, daß im Süden des Tschink während des Sommers eine unerträgliche Hitze herrsche, obwohl auch in ihrem Land der Thermometer in den Monaten Julius und August auf 50° Réaumur in der Sonne und auf 34° im Schatten steigt. Ueber die Temperatur Khiwa's während des Winters fehlen uns Nachrichten, wir wissen nur, daß der Aralsee fast jeden Winter zugefriert, und daß auf dem Hochland Ust-Urt der Thermometer manchmal auf 30° Réaumur unter Null fällt. Khiwa hätte weder Städte noch Ackerland, wenn es nicht auf seiner Ostseite von dem Amu-Deria (dem Oxus der Alten) durchströmt wäre, dessen Bett eine Naturrevolution nach dem Aralsee leitete, während er früher in das kaspische Meer sich ergoß. Die äußerst fruchtbaren Ufer dieses Stroms werden von Tadschiks, einer Bevölkerung von Besiegten und Sklaven, welche die Nomaden allen ihren Nachbarn abnehmen, cultivirt, und beleben den Handel einiger Städte, die auf der großen Straße von Bukhara nach Europa liegen. Urghendi, die bedeutendste dieser Städte, wo nur Handelsleute, Bukharen, Afghanen und sogar, wie es heißt, Hindus und Armenier wohnen, soll eine Bevölkerung von 12,000 Seelen haben. Man darf daher nicht glauben, daß die Besitznahme der Ufer des Oxus und der dortigen Städte nothwendigerweise die Unterwerfung des Landes nach sich ziehen müsse; es wäre jene Besetzung ein für die kriegerische Bevölkerung der Wüste kaum fühlbarer Schlag, und eine solche Eroberung würde keine größern Resultate gewähren, als die Einnahme Maskara's in Algerien. Die Gesammtbevölkerung dieses von der Natur wenig begünstigten Landes ist sehr unbedeutend; der berühmte englische Reisende Alexander Burnes schätzt sie auf nicht mehr als 200,000 Seelen, welche über einen Flächenraum von wenigstens 1200 Quadratlieues verbreitet sind. Man wird begreifen, daß eine Nomadenbevölkerung, welche in kleinen Abtheilungen von einigen Familien über einen so bedeutenden Flächenraum zerstreut wohnt, stets unter vielen Häuptlingen leben mußte, welche die Herrschsucht und der erbliche Haß, der in diesen Hirtenfamilien sich durch alle Generationen fortzeugt, zu ewigen Feinden untereinander macht. Die Perser gaben den turkomanischen Stämmen, um ihren anarchischen Zustand zu bezeichnen, den Namen Yuz-Begs (die hundert Beys oder Häuptlinge), den wir in „Usbeken“ verdorben haben. Neben der Viehzucht ist Krieg und Raub die Hauptbeschäftigung der Khiwaer Stämme, wie der Nomadenvölker Afrika's, Arabiens und Centralasiens. Doch muß man gestehen, daß die Turkomanen sich auf den Namen Räuber ein ganz besonderes Vorrecht erworben haben. Mit den Kirgisen, welche sie als Ungläubige behandeln, weil sie Rußlands Suzeränetät anerkannt haben, führen sie beständigen Krieg, machen Einfälle (Tschippaos) auf ihr Gebiet, verbrennen die Zelte, plündern die Heerden, schleppen Männer und

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 12. Augsburg, 12. Januar 1840, S. 0090. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_012_18400112/10>, abgerufen am 29.04.2024.