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Allgemeine Zeitung. Nr. 16. Augsburg, 16. Januar 1840.

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um die Ordnung, zumal während der Stunden des Gottesdienstes, aufrecht zu erhalten, zuweilen einschreiten muß. Darauf beschränkte sich auch diesmal der ganze, so breit besprochene Vorfall, von dem gewiß neun Zehntel aller Bewohner Posens die erste Kunde durch die eben gedachte Zeitung erhalten haben. - Auffallend ist bei uns seit einiger Zeit der unaufhörliche plötzliche Witterungswechsel, denn Frost, Wärme, Regen, Schnee machen einander das Regiment streitig, und selten herrscht einer von ihnen über 24 Stunden. Unlängst lag der Schnee zwei Fuß hoch, so daß alle Posten sich um 12 bis 16 Stunden verspäteten; dann trat Thauwetter ein, und darauf plötzlich eine grimmige Kälte von 21 Grad, die zwar glücklicherweise nur zwei Tage anhielt, aber doch schon Unheil genug angerichtet hat. Unser Lazareth ist mit Kranken angefüllt, denen einzelne Gliedmaßen erfroren sind; bei vielen müssen Amputationen eintreten.

Der Orient und die europäischen Mächte.

(Beschluß.)

Die verschiedenen Phasen der orientalischen Frage folgen sich mit Windesschnelle, und Niemand vermag zu sagen, was der Morgen bringen wird. Der angebliche Quadrupelvertrag hat einen Zweck für England und für Rußland, aber auch für Oesterreich und Preußen? England und Rußland wollen, wie wir gezeigt haben, Mehemed Ali vernichten - dieß ist das rechte Wort, denn wenn Mehemed Ali nicht seine jetzige Macht behält, ja diese noch ausdehnt, ist er ein verlorner Mann. Die Gründe, aus denen Rußland und England handeln, sind verschieden, der Zweck ist derselbe, und dieser könnte sie momentan vereinigen; wenn aber dieser Zweck ausgeführt wird, dann ist einerseits alle Kraft des türkisch-moslemitischen Reichs, welche in Mehemed Ali so gut wie in der Pforte beruht, gebrochen, und zum Ueberfluß muß, um diesen für Oesterreich und Preußen keineswegs wünschenswerthen Zweck zu erreichen, Gewalt angewendet, also der Krieg begonnen werden, dessen Wechselfälle Niemand absieht. Die französischen Forfanterien über die Föderativinteressen Frankreichs konnten einen vorübergehenden Aerger erregen, aber das Nützliche, was in den französischen Vorschlägen für den Frieden Europa's liegt, ließ sich unmöglich übersehen. Frankreichs Stellung im Orient und seine Verbindung mit Mehemed Ali sind Rußland und England nachtheilig und lästig, nicht aber dem übrigen Europa. Die Annäherung Rußland und Englands ist also motivirt, aber für einen Beitritt Oesterreichs und Preußens ist kein zureichender Grund vorhanden. Auch die Pforte fühlt bei allem, was man dagegen sagen mag, daß sie mit Mehemed Ali sich allein vertragen muß. Ihre Macht in Europa ist in stetem Sinken begriffen, die slavischen Völker und die Albanesen untergraben sie langsam aber sicher, und nur in Asien steht ihre Autorität noch unerschüttert, kann sich aber dort ohne die türkisch-arabische Macht Mehemed Ali's nicht behaupten. Oesterreich, Frankreich und Preußen werden wohl keine Mühe haben, die Pforte über diese ihre Stellung aufzuklären, aber die Pforte sowohl als die genannten Mächte haben nicht mehr freie Hand, sie sind durch frühere Erklärungen gebunden, und wie man aus diesem diplomatischen Durcheinander sich herausziehen wird, das mag der Himmel wissen. Indeß sind dieß nur Schwierigkeiten der Form, in der Sache würden sich Frankreich, Oesterreich, Preußen und die Pforte leicht verständigen können, denn hier handelt es sich darum, die Frage wieder zu einer asiatischen zwischen Rußland und England zu machen, und somit den europäischen Frieden noch auf einige Zeit zu erhalten. Frankreich zieht aus der Sache den bedeutenden Vortheil, daß man Mehemed Ali von der europäischen Seite her wohl schwerlich fürs erste angreifen wird.

Indeß ist die Frage, so weit sie Europa betrifft, unr aufgeschoben, nicht aufgehoben: für England und für Rußland besteht die Nothwendigkeit fort, der Macht Mehemed Ali's Schranken zu setzen, und es fragt sich, wie dieß erreicht werden soll. Ueber den Weg, den Rußland einschlagen wird, kann kaum ein Zweifel seyn, denn es hat ein sehr leichtes Mittel an der Hand, seine Absichten völlig zu verschleiern, nämlich Persien. Man wird sich der Ansprüche erinnern, die Persien in neuerer Zeit auf Bagdad erhoben hat; ebenso ist es eine schon mehrfach gemeldete Thatsache, daß ein persisches Truppencorps an der Gränze von Kurdistan steht und dort schon einige hundert Dörfer besetzt haben soll. Die Gränzen sind dort nirgends sicher bezeichnet: seit Jahrhunderten haben die kurdischen Häuptlinge an der persischen Gränze bald die Hoheit Persiens anerkannt, bald Einfälle gemacht und geplündert. An Vorwänden, eine Armee nach Kurdistan zu senden, kann es somit nie fehlen, und wenn einmal Rußland ernstlich darauf bedacht ist, dem umsichgreifenden Einfluß Mehemed Ali's auf Kurdistan und Obermesopotamien Schranken zu setzen, so ist es ihm ein leichtes, Persien durch Officiere und sogenannte russische Ueberläufer, von denen stets zwei Bataillone in persischem Sold standen, zu unterstützen. Sollte auch dieß Mittel nicht helfen, so hat es inzwischen Zeit genug gewonnen, am Arares ein Truppencorps zusammen zu ziehen, und bei den steten Räubereien der Kurden kann es an Veranlassung zum Kriege nicht fehlen. Rußland träte hier ganz als asiatische Macht auf, in einer Weise, die keinem europäischen Hofe zu Einsprachen Grund und Veranlassung geben könnte, und doch würde es seinen Hauptzweck, der Türkei durch die Schwächung Mehemed Ali's den Todesstoß zu geben, unfehlbar erreichen. Diese Wendung der Dinge ist schon in dem bekannten Werke: Progress of Russia in the East angedeutet worden, zum abermaligen Beweise, wie richtig schon damals der bekannte Verfasser die Verhältnisse im Orient beurtheilte. *)*)

Weit schwieriger ist die Stellung für England. Dieß hat keine Mittel, als Mehemed Ali von Indien aus direct anzugreifen, oder aber zu dem von manchen Engländern, namentlich Adolph Slade und Waghorn, vorgeschlagenen Auskunftsmittel zu greifen, und sich mit Mehemed Ali zu verbinden, um mit diesem, der allein möglicherweise im Stande ist, die Russen in Asien aufzuhalten, gemeinsame Sache gegen das Umsichgreifen der Russen zu machen. Das mögliche Mißlingen des Quadrupelvertrags, den man in gewissem Sinne nur als eine England gelegte Schlinge betrachten kann, würde vielleicht zu einer solchen ziemlich veränderten Politik Englands gegen Mehemed Ali führen. Was die Gelüste Englands gegen Aegypten sind, haben wir schon früher gesehen, und es mag für den englischen Hochmuth, der in Indien Alles vor sich gebeugt sieht, einen harten Kampf kosten, mit einem türkischen Pascha, den man drei Jahre bitter verfolgte, auf gleiche gegenseitige

*) Es heißt daselbst S. 124: "Der Einfluß, den Persien und die Türkei auf einander üben, ist der Art, daß die Aufopferung einer dieser Mächte (von Seite Englands) den Fall beider nach sich ziehen würde. Die Hülfsquellen Persiens in den Händen Rußlands würden hinreichen, die ganze noch übrige Macht des Sultans in Asien zu neutralisiren, und die Verfügung über die Hülfsquellen der Türkei würde Persien ohne einen Schlag zu Boden strecken." Die Macht des Sultans, d. h. der Türkei in Asien ist jetzt durch Mehemed Ali repräsentirt, und wie eng Persien mit Rußland verbündet ist, braucht keines Beweises mehr.

um die Ordnung, zumal während der Stunden des Gottesdienstes, aufrecht zu erhalten, zuweilen einschreiten muß. Darauf beschränkte sich auch diesmal der ganze, so breit besprochene Vorfall, von dem gewiß neun Zehntel aller Bewohner Posens die erste Kunde durch die eben gedachte Zeitung erhalten haben. – Auffallend ist bei uns seit einiger Zeit der unaufhörliche plötzliche Witterungswechsel, denn Frost, Wärme, Regen, Schnee machen einander das Regiment streitig, und selten herrscht einer von ihnen über 24 Stunden. Unlängst lag der Schnee zwei Fuß hoch, so daß alle Posten sich um 12 bis 16 Stunden verspäteten; dann trat Thauwetter ein, und darauf plötzlich eine grimmige Kälte von 21 Grad, die zwar glücklicherweise nur zwei Tage anhielt, aber doch schon Unheil genug angerichtet hat. Unser Lazareth ist mit Kranken angefüllt, denen einzelne Gliedmaßen erfroren sind; bei vielen müssen Amputationen eintreten.

Der Orient und die europäischen Mächte.

(Beschluß.)

Die verschiedenen Phasen der orientalischen Frage folgen sich mit Windesschnelle, und Niemand vermag zu sagen, was der Morgen bringen wird. Der angebliche Quadrupelvertrag hat einen Zweck für England und für Rußland, aber auch für Oesterreich und Preußen? England und Rußland wollen, wie wir gezeigt haben, Mehemed Ali vernichten – dieß ist das rechte Wort, denn wenn Mehemed Ali nicht seine jetzige Macht behält, ja diese noch ausdehnt, ist er ein verlorner Mann. Die Gründe, aus denen Rußland und England handeln, sind verschieden, der Zweck ist derselbe, und dieser könnte sie momentan vereinigen; wenn aber dieser Zweck ausgeführt wird, dann ist einerseits alle Kraft des türkisch-moslemitischen Reichs, welche in Mehemed Ali so gut wie in der Pforte beruht, gebrochen, und zum Ueberfluß muß, um diesen für Oesterreich und Preußen keineswegs wünschenswerthen Zweck zu erreichen, Gewalt angewendet, also der Krieg begonnen werden, dessen Wechselfälle Niemand absieht. Die französischen Forfanterien über die Föderativinteressen Frankreichs konnten einen vorübergehenden Aerger erregen, aber das Nützliche, was in den französischen Vorschlägen für den Frieden Europa's liegt, ließ sich unmöglich übersehen. Frankreichs Stellung im Orient und seine Verbindung mit Mehemed Ali sind Rußland und England nachtheilig und lästig, nicht aber dem übrigen Europa. Die Annäherung Rußland und Englands ist also motivirt, aber für einen Beitritt Oesterreichs und Preußens ist kein zureichender Grund vorhanden. Auch die Pforte fühlt bei allem, was man dagegen sagen mag, daß sie mit Mehemed Ali sich allein vertragen muß. Ihre Macht in Europa ist in stetem Sinken begriffen, die slavischen Völker und die Albanesen untergraben sie langsam aber sicher, und nur in Asien steht ihre Autorität noch unerschüttert, kann sich aber dort ohne die türkisch-arabische Macht Mehemed Ali's nicht behaupten. Oesterreich, Frankreich und Preußen werden wohl keine Mühe haben, die Pforte über diese ihre Stellung aufzuklären, aber die Pforte sowohl als die genannten Mächte haben nicht mehr freie Hand, sie sind durch frühere Erklärungen gebunden, und wie man aus diesem diplomatischen Durcheinander sich herausziehen wird, das mag der Himmel wissen. Indeß sind dieß nur Schwierigkeiten der Form, in der Sache würden sich Frankreich, Oesterreich, Preußen und die Pforte leicht verständigen können, denn hier handelt es sich darum, die Frage wieder zu einer asiatischen zwischen Rußland und England zu machen, und somit den europäischen Frieden noch auf einige Zeit zu erhalten. Frankreich zieht aus der Sache den bedeutenden Vortheil, daß man Mehemed Ali von der europäischen Seite her wohl schwerlich fürs erste angreifen wird.

Indeß ist die Frage, so weit sie Europa betrifft, unr aufgeschoben, nicht aufgehoben: für England und für Rußland besteht die Nothwendigkeit fort, der Macht Mehemed Ali's Schranken zu setzen, und es fragt sich, wie dieß erreicht werden soll. Ueber den Weg, den Rußland einschlagen wird, kann kaum ein Zweifel seyn, denn es hat ein sehr leichtes Mittel an der Hand, seine Absichten völlig zu verschleiern, nämlich Persien. Man wird sich der Ansprüche erinnern, die Persien in neuerer Zeit auf Bagdad erhoben hat; ebenso ist es eine schon mehrfach gemeldete Thatsache, daß ein persisches Truppencorps an der Gränze von Kurdistan steht und dort schon einige hundert Dörfer besetzt haben soll. Die Gränzen sind dort nirgends sicher bezeichnet: seit Jahrhunderten haben die kurdischen Häuptlinge an der persischen Gränze bald die Hoheit Persiens anerkannt, bald Einfälle gemacht und geplündert. An Vorwänden, eine Armee nach Kurdistan zu senden, kann es somit nie fehlen, und wenn einmal Rußland ernstlich darauf bedacht ist, dem umsichgreifenden Einfluß Mehemed Ali's auf Kurdistan und Obermesopotamien Schranken zu setzen, so ist es ihm ein leichtes, Persien durch Officiere und sogenannte russische Ueberläufer, von denen stets zwei Bataillone in persischem Sold standen, zu unterstützen. Sollte auch dieß Mittel nicht helfen, so hat es inzwischen Zeit genug gewonnen, am Arares ein Truppencorps zusammen zu ziehen, und bei den steten Räubereien der Kurden kann es an Veranlassung zum Kriege nicht fehlen. Rußland träte hier ganz als asiatische Macht auf, in einer Weise, die keinem europäischen Hofe zu Einsprachen Grund und Veranlassung geben könnte, und doch würde es seinen Hauptzweck, der Türkei durch die Schwächung Mehemed Ali's den Todesstoß zu geben, unfehlbar erreichen. Diese Wendung der Dinge ist schon in dem bekannten Werke: Progress of Russia in the East angedeutet worden, zum abermaligen Beweise, wie richtig schon damals der bekannte Verfasser die Verhältnisse im Orient beurtheilte. *)*)

Weit schwieriger ist die Stellung für England. Dieß hat keine Mittel, als Mehemed Ali von Indien aus direct anzugreifen, oder aber zu dem von manchen Engländern, namentlich Adolph Slade und Waghorn, vorgeschlagenen Auskunftsmittel zu greifen, und sich mit Mehemed Ali zu verbinden, um mit diesem, der allein möglicherweise im Stande ist, die Russen in Asien aufzuhalten, gemeinsame Sache gegen das Umsichgreifen der Russen zu machen. Das mögliche Mißlingen des Quadrupelvertrags, den man in gewissem Sinne nur als eine England gelegte Schlinge betrachten kann, würde vielleicht zu einer solchen ziemlich veränderten Politik Englands gegen Mehemed Ali führen. Was die Gelüste Englands gegen Aegypten sind, haben wir schon früher gesehen, und es mag für den englischen Hochmuth, der in Indien Alles vor sich gebeugt sieht, einen harten Kampf kosten, mit einem türkischen Pascha, den man drei Jahre bitter verfolgte, auf gleiche gegenseitige

*) Es heißt daselbst S. 124: „Der Einfluß, den Persien und die Türkei auf einander üben, ist der Art, daß die Aufopferung einer dieser Mächte (von Seite Englands) den Fall beider nach sich ziehen würde. Die Hülfsquellen Persiens in den Händen Rußlands würden hinreichen, die ganze noch übrige Macht des Sultans in Asien zu neutralisiren, und die Verfügung über die Hülfsquellen der Türkei würde Persien ohne einen Schlag zu Boden strecken.“ Die Macht des Sultans, d. h. der Türkei in Asien ist jetzt durch Mehemed Ali repräsentirt, und wie eng Persien mit Rußland verbündet ist, braucht keines Beweises mehr.
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[0125/0013] um die Ordnung, zumal während der Stunden des Gottesdienstes, aufrecht zu erhalten, zuweilen einschreiten muß. Darauf beschränkte sich auch diesmal der ganze, so breit besprochene Vorfall, von dem gewiß neun Zehntel aller Bewohner Posens die erste Kunde durch die eben gedachte Zeitung erhalten haben. – Auffallend ist bei uns seit einiger Zeit der unaufhörliche plötzliche Witterungswechsel, denn Frost, Wärme, Regen, Schnee machen einander das Regiment streitig, und selten herrscht einer von ihnen über 24 Stunden. Unlängst lag der Schnee zwei Fuß hoch, so daß alle Posten sich um 12 bis 16 Stunden verspäteten; dann trat Thauwetter ein, und darauf plötzlich eine grimmige Kälte von 21 Grad, die zwar glücklicherweise nur zwei Tage anhielt, aber doch schon Unheil genug angerichtet hat. Unser Lazareth ist mit Kranken angefüllt, denen einzelne Gliedmaßen erfroren sind; bei vielen müssen Amputationen eintreten. Der Orient und die europäischen Mächte. (Beschluß.) Die verschiedenen Phasen der orientalischen Frage folgen sich mit Windesschnelle, und Niemand vermag zu sagen, was der Morgen bringen wird. Der angebliche Quadrupelvertrag hat einen Zweck für England und für Rußland, aber auch für Oesterreich und Preußen? England und Rußland wollen, wie wir gezeigt haben, Mehemed Ali vernichten – dieß ist das rechte Wort, denn wenn Mehemed Ali nicht seine jetzige Macht behält, ja diese noch ausdehnt, ist er ein verlorner Mann. Die Gründe, aus denen Rußland und England handeln, sind verschieden, der Zweck ist derselbe, und dieser könnte sie momentan vereinigen; wenn aber dieser Zweck ausgeführt wird, dann ist einerseits alle Kraft des türkisch-moslemitischen Reichs, welche in Mehemed Ali so gut wie in der Pforte beruht, gebrochen, und zum Ueberfluß muß, um diesen für Oesterreich und Preußen keineswegs wünschenswerthen Zweck zu erreichen, Gewalt angewendet, also der Krieg begonnen werden, dessen Wechselfälle Niemand absieht. Die französischen Forfanterien über die Föderativinteressen Frankreichs konnten einen vorübergehenden Aerger erregen, aber das Nützliche, was in den französischen Vorschlägen für den Frieden Europa's liegt, ließ sich unmöglich übersehen. Frankreichs Stellung im Orient und seine Verbindung mit Mehemed Ali sind Rußland und England nachtheilig und lästig, nicht aber dem übrigen Europa. Die Annäherung Rußland und Englands ist also motivirt, aber für einen Beitritt Oesterreichs und Preußens ist kein zureichender Grund vorhanden. Auch die Pforte fühlt bei allem, was man dagegen sagen mag, daß sie mit Mehemed Ali sich allein vertragen muß. Ihre Macht in Europa ist in stetem Sinken begriffen, die slavischen Völker und die Albanesen untergraben sie langsam aber sicher, und nur in Asien steht ihre Autorität noch unerschüttert, kann sich aber dort ohne die türkisch-arabische Macht Mehemed Ali's nicht behaupten. Oesterreich, Frankreich und Preußen werden wohl keine Mühe haben, die Pforte über diese ihre Stellung aufzuklären, aber die Pforte sowohl als die genannten Mächte haben nicht mehr freie Hand, sie sind durch frühere Erklärungen gebunden, und wie man aus diesem diplomatischen Durcheinander sich herausziehen wird, das mag der Himmel wissen. Indeß sind dieß nur Schwierigkeiten der Form, in der Sache würden sich Frankreich, Oesterreich, Preußen und die Pforte leicht verständigen können, denn hier handelt es sich darum, die Frage wieder zu einer asiatischen zwischen Rußland und England zu machen, und somit den europäischen Frieden noch auf einige Zeit zu erhalten. Frankreich zieht aus der Sache den bedeutenden Vortheil, daß man Mehemed Ali von der europäischen Seite her wohl schwerlich fürs erste angreifen wird. Indeß ist die Frage, so weit sie Europa betrifft, unr aufgeschoben, nicht aufgehoben: für England und für Rußland besteht die Nothwendigkeit fort, der Macht Mehemed Ali's Schranken zu setzen, und es fragt sich, wie dieß erreicht werden soll. Ueber den Weg, den Rußland einschlagen wird, kann kaum ein Zweifel seyn, denn es hat ein sehr leichtes Mittel an der Hand, seine Absichten völlig zu verschleiern, nämlich Persien. Man wird sich der Ansprüche erinnern, die Persien in neuerer Zeit auf Bagdad erhoben hat; ebenso ist es eine schon mehrfach gemeldete Thatsache, daß ein persisches Truppencorps an der Gränze von Kurdistan steht und dort schon einige hundert Dörfer besetzt haben soll. Die Gränzen sind dort nirgends sicher bezeichnet: seit Jahrhunderten haben die kurdischen Häuptlinge an der persischen Gränze bald die Hoheit Persiens anerkannt, bald Einfälle gemacht und geplündert. An Vorwänden, eine Armee nach Kurdistan zu senden, kann es somit nie fehlen, und wenn einmal Rußland ernstlich darauf bedacht ist, dem umsichgreifenden Einfluß Mehemed Ali's auf Kurdistan und Obermesopotamien Schranken zu setzen, so ist es ihm ein leichtes, Persien durch Officiere und sogenannte russische Ueberläufer, von denen stets zwei Bataillone in persischem Sold standen, zu unterstützen. Sollte auch dieß Mittel nicht helfen, so hat es inzwischen Zeit genug gewonnen, am Arares ein Truppencorps zusammen zu ziehen, und bei den steten Räubereien der Kurden kann es an Veranlassung zum Kriege nicht fehlen. Rußland träte hier ganz als asiatische Macht auf, in einer Weise, die keinem europäischen Hofe zu Einsprachen Grund und Veranlassung geben könnte, und doch würde es seinen Hauptzweck, der Türkei durch die Schwächung Mehemed Ali's den Todesstoß zu geben, unfehlbar erreichen. Diese Wendung der Dinge ist schon in dem bekannten Werke: Progress of Russia in the East angedeutet worden, zum abermaligen Beweise, wie richtig schon damals der bekannte Verfasser die Verhältnisse im Orient beurtheilte. *) *) Weit schwieriger ist die Stellung für England. Dieß hat keine Mittel, als Mehemed Ali von Indien aus direct anzugreifen, oder aber zu dem von manchen Engländern, namentlich Adolph Slade und Waghorn, vorgeschlagenen Auskunftsmittel zu greifen, und sich mit Mehemed Ali zu verbinden, um mit diesem, der allein möglicherweise im Stande ist, die Russen in Asien aufzuhalten, gemeinsame Sache gegen das Umsichgreifen der Russen zu machen. Das mögliche Mißlingen des Quadrupelvertrags, den man in gewissem Sinne nur als eine England gelegte Schlinge betrachten kann, würde vielleicht zu einer solchen ziemlich veränderten Politik Englands gegen Mehemed Ali führen. Was die Gelüste Englands gegen Aegypten sind, haben wir schon früher gesehen, und es mag für den englischen Hochmuth, der in Indien Alles vor sich gebeugt sieht, einen harten Kampf kosten, mit einem türkischen Pascha, den man drei Jahre bitter verfolgte, auf gleiche gegenseitige *) Es heißt daselbst S. 124: „Der Einfluß, den Persien und die Türkei auf einander üben, ist der Art, daß die Aufopferung einer dieser Mächte (von Seite Englands) den Fall beider nach sich ziehen würde. Die Hülfsquellen Persiens in den Händen Rußlands würden hinreichen, die ganze noch übrige Macht des Sultans in Asien zu neutralisiren, und die Verfügung über die Hülfsquellen der Türkei würde Persien ohne einen Schlag zu Boden strecken.“ Die Macht des Sultans, d. h. der Türkei in Asien ist jetzt durch Mehemed Ali repräsentirt, und wie eng Persien mit Rußland verbündet ist, braucht keines Beweises mehr.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 16. Augsburg, 16. Januar 1840, S. 0125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_016_18400116/13>, abgerufen am 21.11.2024.