Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840.aufgehen sehen, wie viel Demüthigung ihnen erspart wäre, stände ein solches Talent an ihrer Spitze. Ich behaupte, wenn Hr. Thiers vorher nicht der Unvermeidliche war, am gestrigen Tage ist er es geworden. Seine ganze Rede athmet bei aller Tiefe der Ideen eine solche - ich möchte sagen naive - Einfachheit, Alles ist so klar und so aus dem Leben und den Verhältnissen gegriffen, daß jeder glaubte, er habe ja doch alles dieß schon lange vorher selbst gedacht, und nur eben die Worte zu seinen Gedanken nicht finden können. Ohne Zweifel werden Sie Ihren Lesern diese Rede mittheilen, und diese werden mein Urtheil bestätigen, daß die orientalische Frage noch nie mit so vieler Klarheit behandelt worden ist. Und mit welcher Feinheit gab er zu verstehen, daß nun der Grund der Differenz zwischen ihm und dem König gehoben sey (die spanische Angelegenheit) - wußte er den Männern der richtigen Mitte zu demonstriren, kein System könne Bestand haben, das nicht auf die Erhaltung des europäischen Friedens gegründet sey - sucht er sich den fremden Cabinetten, ja dem Großtürken selbst angenehm zu machen, indem er ihm andeutet, welch reiches Feld ihm zwischen dem Balkan und dem Taurus übrig bleibe, um die türkische Nationalität zu restauriren. Wie ist Alles Allen so schön und auf eine so wenig gesuchte, so natürliche Weise zu Ohren gesprochen, nur nicht den Ministern, die er als Leute darstellt, die eben ihr Metier gar nicht verstehen. Aber mit welcher Großmuth, mit welcher Schonung sagt er dieß! Er läßt die Fehler mehr errathen als er sie ausspricht. Er enthält sich aller Persönlichkeit. Er bedauert, die Blößen der französischen Politik aufdecken zu müssen, er will aber dabei nur so weit gehen, als es seine unerläßliche Pflicht ist. Kurz, er spricht so lehrreich, verständlich, versöhnend, captivirend, großmüthig und zartsinnig, daß das Journal des Debats selbst ihm seine Lobsprüche nicht versagen kann. Freilich mußte dieses Journal die Minister in Schutz nehmen, und Hrn. Duchatel das Zeugniß geben, daß er den Tadel des Hrn. Thiers "zureichend" zurückgewiesen habe. Mit diesem Ausdruck gibt das Journal selbst zu verstehen, was es mit dieser Zurechtweisung eigentlich für eine Beschaffenheit habe. Sie ist recht kläglich zu nennen, und muß zu Vergleichungen zwischen den Talenten des linken und des rechten Centrums Veranlassung geben, die den gegenwärtigen Planen des letztern nicht besonders förderlich seyn dürften. Ich schließe mit der Bemerkung: ist die parlamentarische Regierung eine Regierung des parlamentarischen Talents, so ist das Ministerium Thiers unvermeidlich. Paris, 14 Jan. Die Verhandlungen über die orientalische Frage in der Deputirtenkammer sind beendet worden, wie sie unter den bestehenden Verhältnissen enden mußten, d. h. man ist dadurch über den wahren Stand der Dinge um nichts klüger geworden, man hat keine der obwaltenden Schwierigkeiten gehoben, man hat nicht einmal den Weg näher bezeichnet, auf welchem man schneller und mit Bestimmtheit zum Ziele gelangen könnte. Man ist folglich im Wesentlichen um keinen Schritt weiter gekommen. Ein neuer Beweis, daß parlamentarische Discussion und diplomatische Verhandlungen zwei ganz verschiedene Elemente des politischen Lebens sind, welche sich je in ihrer Sphäre bewegen müssen, wenn sie innerhalb der ihnen von der Natur der Sache angewiesenen Gränzen bleiben wollen. Diese haben ihren Zweck mehr in der Zukunft, welche sie nicht durch voreilige Enthüllung compromittiren dürfen, jene dagegen ist vorzugsweise, und namentlich wenn es sich um auswärtige Politik handelt, an die Vergangenheit gewiesen, und hat hier für ihre Kritiken freies Feld, während ihr für die Zukunft eben nichts weiter übrig bleibt, als fromme Wünsche und wohlgemeinte Theorien, welche leider nur zu oft und zu leicht in das Gebiet der politischen Phantasien hinüberschweifen. Dieß bedingte im voraus theils den Charakter der Verhandlungen in den letzten Sitzungen im Allgemeinen, theils die Stellung, welche die Opposition und das Ministerium bei dieser Frage gegeneinander einnehmen mußten. Dieses stand dabei ganz auf dem Terrain der Diplomatie und war schon dadurch im Vortheil, daß es sich hinter einem fast absoluten Stillschweigen verschanzen konnte; jene mußte sich ganz an die Vergangenheit halten, und hatte selbst da nur wenig feste Stützpunkte, von denen ein sicherer Operationsplan hätte ausgehen müssen. Eben deßhalb konnte die Opposition bei der Discussion der orientalischen Frage eben so wenig etwas gewinnen, wie sie dazu gemacht war, der Majorität zum Prüfstein zu dienen und ihre Kräfte zu heben; es ist mit Einem Worte keine parlamentarische Frage, und sie kann nicht in den Kammern, sondern nur zwischen den Cabinetten entschieden werden. Aus demselben Grunde hatten diese ganzen Verhandlungen etwas Unzusammenhängendes, etwas Zerrissenes, was nach unserer Meinung nur dafür zu sprechen scheint, daß sich in der Kammer, wie im Lande, eine bestimmtere Ansicht von den orientalischen Angelegenheiten und der Art, sie zu schlichten, noch nicht durchgebildet hat. Alle Redner, welche nach und nach in dieser Sache das Wort ergriffen haben, haben nicht im Namen oder im Auftrage ihrer Parteien - wenn es deren überhaupt gibt, zu denen sie sich rechnen können - gesprochen; sie haben bloß ihre eigenen Ideen und Vorschläge entwickelt, welche in den weiteren Kreisen kaum einigen vorübergehenden Anklang gefunden haben. Von diesem individuellen Standpunkte aus betrachtet, wenn ich mich so ausdrücken darf, waren die Debatten dem letzten Tagen in vielfacher Hinsicht interessant und lehrreich, selbst wenn man zugeben muß, daß sie wenig Neues dargeboten haben, und oft nur als ein Nachhall der Verhandlungen bei Gelegenheit des außerordentlichen Credits der zehn Millionen im Julius des vorigen Jahres erschienen. Abgesehen von den Rednern, welche dabei die zweite und dritte Linie eingenommen haben, theilt sich der Ruhm der ganzen Debatten zwischen Villemain und Thiers. Villemain hat sich dadurch eigentlich erst zum privilegirten Redner des Ministeriums vom 12 Mai erhoben, und ist als solcher in der öffentlichen Meinung seit drei Tagen ungemein gestiegen; und dieß kommt natürlich dem Ministerium im Ganzen um so mehr zu gute, je weniger markirte Talente es in dieser Beziehung besitzt. Nur hat sich Villemain noch nicht genug als Staatsmann hervorgethan, und die Rolle, welche er früher in der Pairskammer gespielt hat, macht es ihm ziemlich schwer, jetzt seinen Ruf als solchen fester zu begründen. Er steht in dieser Hinsicht am Eingange seiner politischen Laufbahn, welche ihm allerdings eine glänzende Zukunft verspricht, wenn es ihm gelingt, eine seinem eminenten Talente entsprechende Festigkeit und Bestimmtheit der Principien zu gewinnen, und sie in der bedeutenden Stellung, in welcher er sich gegenwärtig befindet, geltend zu machen. - Thiers gehört in eine ganz andere, beinahe möchte ich sagen entgegengesetzte Kategorie öffentlicher Charaktere. Thiers, das ist die allgemeine Meinung, hat den besten, den glänzendsten Theil seiner politischen Laufbahn hinter sich, wird aber in Zukunft nichtsdestoweniger noch gebraucht werden, und besitzt Fügsamkeit genug, sich brauchen zu lassen, wenn er es einigermaßen mit seinen Interessen vereinbar halten sollte. Thiers versteht es vortrefflich, so von Zeit zu Zeit sein Daseyn bemerklich zu machen, und am rechten Fleck hervorzutreten. Daß er in den Verhandlungen über die orientalische Frage sprechen würde, war schon lange vorher allgemein aufgehen sehen, wie viel Demüthigung ihnen erspart wäre, stände ein solches Talent an ihrer Spitze. Ich behaupte, wenn Hr. Thiers vorher nicht der Unvermeidliche war, am gestrigen Tage ist er es geworden. Seine ganze Rede athmet bei aller Tiefe der Ideen eine solche – ich möchte sagen naive – Einfachheit, Alles ist so klar und so aus dem Leben und den Verhältnissen gegriffen, daß jeder glaubte, er habe ja doch alles dieß schon lange vorher selbst gedacht, und nur eben die Worte zu seinen Gedanken nicht finden können. Ohne Zweifel werden Sie Ihren Lesern diese Rede mittheilen, und diese werden mein Urtheil bestätigen, daß die orientalische Frage noch nie mit so vieler Klarheit behandelt worden ist. Und mit welcher Feinheit gab er zu verstehen, daß nun der Grund der Differenz zwischen ihm und dem König gehoben sey (die spanische Angelegenheit) – wußte er den Männern der richtigen Mitte zu demonstriren, kein System könne Bestand haben, das nicht auf die Erhaltung des europäischen Friedens gegründet sey – sucht er sich den fremden Cabinetten, ja dem Großtürken selbst angenehm zu machen, indem er ihm andeutet, welch reiches Feld ihm zwischen dem Balkan und dem Taurus übrig bleibe, um die türkische Nationalität zu restauriren. Wie ist Alles Allen so schön und auf eine so wenig gesuchte, so natürliche Weise zu Ohren gesprochen, nur nicht den Ministern, die er als Leute darstellt, die eben ihr Metier gar nicht verstehen. Aber mit welcher Großmuth, mit welcher Schonung sagt er dieß! Er läßt die Fehler mehr errathen als er sie ausspricht. Er enthält sich aller Persönlichkeit. Er bedauert, die Blößen der französischen Politik aufdecken zu müssen, er will aber dabei nur so weit gehen, als es seine unerläßliche Pflicht ist. Kurz, er spricht so lehrreich, verständlich, versöhnend, captivirend, großmüthig und zartsinnig, daß das Journal des Débats selbst ihm seine Lobsprüche nicht versagen kann. Freilich mußte dieses Journal die Minister in Schutz nehmen, und Hrn. Duchatel das Zeugniß geben, daß er den Tadel des Hrn. Thiers „zureichend“ zurückgewiesen habe. Mit diesem Ausdruck gibt das Journal selbst zu verstehen, was es mit dieser Zurechtweisung eigentlich für eine Beschaffenheit habe. Sie ist recht kläglich zu nennen, und muß zu Vergleichungen zwischen den Talenten des linken und des rechten Centrums Veranlassung geben, die den gegenwärtigen Planen des letztern nicht besonders förderlich seyn dürften. Ich schließe mit der Bemerkung: ist die parlamentarische Regierung eine Regierung des parlamentarischen Talents, so ist das Ministerium Thiers unvermeidlich. Paris, 14 Jan. Die Verhandlungen über die orientalische Frage in der Deputirtenkammer sind beendet worden, wie sie unter den bestehenden Verhältnissen enden mußten, d. h. man ist dadurch über den wahren Stand der Dinge um nichts klüger geworden, man hat keine der obwaltenden Schwierigkeiten gehoben, man hat nicht einmal den Weg näher bezeichnet, auf welchem man schneller und mit Bestimmtheit zum Ziele gelangen könnte. Man ist folglich im Wesentlichen um keinen Schritt weiter gekommen. Ein neuer Beweis, daß parlamentarische Discussion und diplomatische Verhandlungen zwei ganz verschiedene Elemente des politischen Lebens sind, welche sich je in ihrer Sphäre bewegen müssen, wenn sie innerhalb der ihnen von der Natur der Sache angewiesenen Gränzen bleiben wollen. Diese haben ihren Zweck mehr in der Zukunft, welche sie nicht durch voreilige Enthüllung compromittiren dürfen, jene dagegen ist vorzugsweise, und namentlich wenn es sich um auswärtige Politik handelt, an die Vergangenheit gewiesen, und hat hier für ihre Kritiken freies Feld, während ihr für die Zukunft eben nichts weiter übrig bleibt, als fromme Wünsche und wohlgemeinte Theorien, welche leider nur zu oft und zu leicht in das Gebiet der politischen Phantasien hinüberschweifen. Dieß bedingte im voraus theils den Charakter der Verhandlungen in den letzten Sitzungen im Allgemeinen, theils die Stellung, welche die Opposition und das Ministerium bei dieser Frage gegeneinander einnehmen mußten. Dieses stand dabei ganz auf dem Terrain der Diplomatie und war schon dadurch im Vortheil, daß es sich hinter einem fast absoluten Stillschweigen verschanzen konnte; jene mußte sich ganz an die Vergangenheit halten, und hatte selbst da nur wenig feste Stützpunkte, von denen ein sicherer Operationsplan hätte ausgehen müssen. Eben deßhalb konnte die Opposition bei der Discussion der orientalischen Frage eben so wenig etwas gewinnen, wie sie dazu gemacht war, der Majorität zum Prüfstein zu dienen und ihre Kräfte zu heben; es ist mit Einem Worte keine parlamentarische Frage, und sie kann nicht in den Kammern, sondern nur zwischen den Cabinetten entschieden werden. Aus demselben Grunde hatten diese ganzen Verhandlungen etwas Unzusammenhängendes, etwas Zerrissenes, was nach unserer Meinung nur dafür zu sprechen scheint, daß sich in der Kammer, wie im Lande, eine bestimmtere Ansicht von den orientalischen Angelegenheiten und der Art, sie zu schlichten, noch nicht durchgebildet hat. Alle Redner, welche nach und nach in dieser Sache das Wort ergriffen haben, haben nicht im Namen oder im Auftrage ihrer Parteien – wenn es deren überhaupt gibt, zu denen sie sich rechnen können – gesprochen; sie haben bloß ihre eigenen Ideen und Vorschläge entwickelt, welche in den weiteren Kreisen kaum einigen vorübergehenden Anklang gefunden haben. Von diesem individuellen Standpunkte aus betrachtet, wenn ich mich so ausdrücken darf, waren die Debatten dem letzten Tagen in vielfacher Hinsicht interessant und lehrreich, selbst wenn man zugeben muß, daß sie wenig Neues dargeboten haben, und oft nur als ein Nachhall der Verhandlungen bei Gelegenheit des außerordentlichen Credits der zehn Millionen im Julius des vorigen Jahres erschienen. Abgesehen von den Rednern, welche dabei die zweite und dritte Linie eingenommen haben, theilt sich der Ruhm der ganzen Debatten zwischen Villemain und Thiers. Villemain hat sich dadurch eigentlich erst zum privilegirten Redner des Ministeriums vom 12 Mai erhoben, und ist als solcher in der öffentlichen Meinung seit drei Tagen ungemein gestiegen; und dieß kommt natürlich dem Ministerium im Ganzen um so mehr zu gute, je weniger markirte Talente es in dieser Beziehung besitzt. Nur hat sich Villemain noch nicht genug als Staatsmann hervorgethan, und die Rolle, welche er früher in der Pairskammer gespielt hat, macht es ihm ziemlich schwer, jetzt seinen Ruf als solchen fester zu begründen. Er steht in dieser Hinsicht am Eingange seiner politischen Laufbahn, welche ihm allerdings eine glänzende Zukunft verspricht, wenn es ihm gelingt, eine seinem eminenten Talente entsprechende Festigkeit und Bestimmtheit der Principien zu gewinnen, und sie in der bedeutenden Stellung, in welcher er sich gegenwärtig befindet, geltend zu machen. – Thiers gehört in eine ganz andere, beinahe möchte ich sagen entgegengesetzte Kategorie öffentlicher Charaktere. Thiers, das ist die allgemeine Meinung, hat den besten, den glänzendsten Theil seiner politischen Laufbahn hinter sich, wird aber in Zukunft nichtsdestoweniger noch gebraucht werden, und besitzt Fügsamkeit genug, sich brauchen zu lassen, wenn er es einigermaßen mit seinen Interessen vereinbar halten sollte. Thiers versteht es vortrefflich, so von Zeit zu Zeit sein Daseyn bemerklich zu machen, und am rechten Fleck hervorzutreten. Daß er in den Verhandlungen über die orientalische Frage sprechen würde, war schon lange vorher allgemein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="0148"/> aufgehen sehen, wie viel Demüthigung ihnen erspart wäre, stände ein solches Talent an ihrer Spitze. Ich behaupte, wenn Hr. Thiers vorher nicht der Unvermeidliche war, am gestrigen Tage ist er es geworden. 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Und mit welcher Feinheit gab er zu verstehen, daß nun der Grund der Differenz zwischen ihm und dem König gehoben sey (die spanische Angelegenheit) – wußte er den Männern der richtigen Mitte zu demonstriren, kein System könne Bestand haben, das nicht auf die Erhaltung des europäischen Friedens gegründet sey – sucht er sich den fremden Cabinetten, ja dem Großtürken selbst angenehm zu machen, indem er ihm andeutet, welch reiches Feld ihm zwischen dem Balkan und dem Taurus übrig bleibe, um die türkische Nationalität zu restauriren. Wie ist Alles Allen so schön und auf eine so wenig gesuchte, so natürliche Weise zu Ohren gesprochen, nur nicht den Ministern, die er als Leute darstellt, die eben ihr Metier gar nicht verstehen. Aber mit welcher Großmuth, mit welcher Schonung sagt er dieß! Er läßt die Fehler mehr errathen als er sie ausspricht. Er enthält sich aller Persönlichkeit. Er bedauert, die Blößen der französischen Politik aufdecken zu müssen, er will aber dabei nur so weit gehen, als es seine unerläßliche Pflicht ist. Kurz, er spricht so lehrreich, verständlich, versöhnend, captivirend, großmüthig und zartsinnig, daß das Journal des Débats selbst ihm seine Lobsprüche nicht versagen kann. Freilich mußte dieses Journal die Minister in Schutz nehmen, und Hrn. Duchatel das Zeugniß geben, daß er den Tadel des Hrn. Thiers „<hi rendition="#g">zureichend</hi>“ zurückgewiesen habe. Mit diesem Ausdruck gibt das Journal selbst zu verstehen, was es mit dieser Zurechtweisung eigentlich für eine Beschaffenheit habe. Sie ist recht kläglich zu nennen, und muß zu Vergleichungen zwischen den Talenten des linken und des rechten Centrums Veranlassung geben, die den gegenwärtigen Planen des letztern nicht besonders förderlich seyn dürften. 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Ein neuer Beweis, daß parlamentarische Discussion und diplomatische Verhandlungen zwei ganz verschiedene Elemente des politischen Lebens sind, welche sich je in ihrer Sphäre bewegen müssen, wenn sie innerhalb der ihnen von der Natur der Sache angewiesenen Gränzen bleiben wollen. Diese haben ihren Zweck mehr in der Zukunft, welche sie nicht durch voreilige Enthüllung compromittiren dürfen, jene dagegen ist vorzugsweise, und namentlich wenn es sich um auswärtige Politik handelt, an die Vergangenheit gewiesen, und hat hier für ihre Kritiken freies Feld, während ihr für die Zukunft eben nichts weiter übrig bleibt, als fromme Wünsche und wohlgemeinte Theorien, welche leider nur zu oft und zu leicht in das Gebiet der politischen Phantasien hinüberschweifen. Dieß bedingte im voraus theils den Charakter der Verhandlungen in den letzten Sitzungen im Allgemeinen, theils die Stellung, welche die Opposition und das Ministerium bei dieser Frage gegeneinander einnehmen mußten. Dieses stand dabei ganz auf dem Terrain der Diplomatie und war schon dadurch im Vortheil, daß es sich hinter einem fast absoluten Stillschweigen verschanzen konnte; jene mußte sich ganz an die Vergangenheit halten, und hatte selbst da nur wenig feste Stützpunkte, von denen ein sicherer Operationsplan hätte ausgehen müssen. Eben deßhalb konnte die Opposition bei der Discussion der orientalischen Frage eben so wenig etwas gewinnen, wie sie dazu gemacht war, der Majorität zum Prüfstein zu dienen und ihre Kräfte zu heben; es ist mit Einem Worte keine parlamentarische Frage, und sie kann nicht in den Kammern, sondern nur zwischen den Cabinetten entschieden werden. Aus demselben Grunde hatten diese ganzen Verhandlungen etwas Unzusammenhängendes, etwas Zerrissenes, was nach unserer Meinung nur dafür zu sprechen scheint, daß sich in der Kammer, wie im Lande, eine bestimmtere Ansicht von den orientalischen Angelegenheiten und der Art, sie zu schlichten, noch nicht durchgebildet hat. Alle Redner, welche nach und nach in dieser Sache das Wort ergriffen haben, haben nicht im Namen oder im Auftrage ihrer Parteien – wenn es deren überhaupt gibt, zu denen sie sich rechnen können – gesprochen; sie haben bloß ihre eigenen Ideen und Vorschläge entwickelt, welche in den weiteren Kreisen kaum einigen vorübergehenden Anklang gefunden haben. Von diesem individuellen Standpunkte aus betrachtet, wenn ich mich so ausdrücken darf, waren die Debatten dem letzten Tagen in vielfacher Hinsicht interessant und lehrreich, selbst wenn man zugeben muß, daß sie wenig Neues dargeboten haben, und oft nur als ein Nachhall der Verhandlungen bei Gelegenheit des außerordentlichen Credits der zehn Millionen im Julius des vorigen Jahres erschienen. Abgesehen von den Rednern, welche dabei die zweite und dritte Linie eingenommen haben, theilt sich der Ruhm der ganzen Debatten zwischen Villemain und Thiers. <hi rendition="#g">Villemain</hi> hat sich dadurch eigentlich erst zum privilegirten Redner des Ministeriums vom 12 Mai erhoben, und ist als solcher in der öffentlichen Meinung seit drei Tagen ungemein gestiegen; und dieß kommt natürlich dem Ministerium im Ganzen um so mehr zu gute, je weniger markirte Talente es in dieser Beziehung besitzt. Nur hat sich Villemain noch nicht genug als Staatsmann hervorgethan, und die Rolle, welche er früher in der Pairskammer gespielt hat, macht es ihm ziemlich schwer, jetzt seinen Ruf als solchen fester zu begründen. Er steht in dieser Hinsicht am Eingange seiner politischen Laufbahn, welche ihm allerdings eine glänzende Zukunft verspricht, wenn es ihm gelingt, eine seinem eminenten Talente entsprechende Festigkeit und Bestimmtheit der Principien zu gewinnen, und sie in der bedeutenden Stellung, in welcher er sich gegenwärtig befindet, geltend zu machen. – <hi rendition="#g">Thiers</hi> gehört in eine ganz andere, beinahe möchte ich sagen entgegengesetzte Kategorie öffentlicher Charaktere. Thiers, das ist die allgemeine Meinung, hat den besten, den glänzendsten Theil seiner politischen Laufbahn hinter sich, wird aber in Zukunft nichtsdestoweniger noch gebraucht werden, und besitzt Fügsamkeit genug, sich brauchen zu lassen, wenn er es einigermaßen mit seinen Interessen vereinbar halten sollte. Thiers versteht es vortrefflich, so von Zeit zu Zeit sein Daseyn bemerklich zu machen, und am rechten Fleck hervorzutreten. 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aufgehen sehen, wie viel Demüthigung ihnen erspart wäre, stände ein solches Talent an ihrer Spitze. Ich behaupte, wenn Hr. Thiers vorher nicht der Unvermeidliche war, am gestrigen Tage ist er es geworden. Seine ganze Rede athmet bei aller Tiefe der Ideen eine solche – ich möchte sagen naive – Einfachheit, Alles ist so klar und so aus dem Leben und den Verhältnissen gegriffen, daß jeder glaubte, er habe ja doch alles dieß schon lange vorher selbst gedacht, und nur eben die Worte zu seinen Gedanken nicht finden können. Ohne Zweifel werden Sie Ihren Lesern diese Rede mittheilen, und diese werden mein Urtheil bestätigen, daß die orientalische Frage noch nie mit so vieler Klarheit behandelt worden ist. Und mit welcher Feinheit gab er zu verstehen, daß nun der Grund der Differenz zwischen ihm und dem König gehoben sey (die spanische Angelegenheit) – wußte er den Männern der richtigen Mitte zu demonstriren, kein System könne Bestand haben, das nicht auf die Erhaltung des europäischen Friedens gegründet sey – sucht er sich den fremden Cabinetten, ja dem Großtürken selbst angenehm zu machen, indem er ihm andeutet, welch reiches Feld ihm zwischen dem Balkan und dem Taurus übrig bleibe, um die türkische Nationalität zu restauriren. Wie ist Alles Allen so schön und auf eine so wenig gesuchte, so natürliche Weise zu Ohren gesprochen, nur nicht den Ministern, die er als Leute darstellt, die eben ihr Metier gar nicht verstehen. Aber mit welcher Großmuth, mit welcher Schonung sagt er dieß! Er läßt die Fehler mehr errathen als er sie ausspricht. Er enthält sich aller Persönlichkeit. Er bedauert, die Blößen der französischen Politik aufdecken zu müssen, er will aber dabei nur so weit gehen, als es seine unerläßliche Pflicht ist. Kurz, er spricht so lehrreich, verständlich, versöhnend, captivirend, großmüthig und zartsinnig, daß das Journal des Débats selbst ihm seine Lobsprüche nicht versagen kann. Freilich mußte dieses Journal die Minister in Schutz nehmen, und Hrn. Duchatel das Zeugniß geben, daß er den Tadel des Hrn. Thiers „zureichend“ zurückgewiesen habe. Mit diesem Ausdruck gibt das Journal selbst zu verstehen, was es mit dieser Zurechtweisung eigentlich für eine Beschaffenheit habe. Sie ist recht kläglich zu nennen, und muß zu Vergleichungen zwischen den Talenten des linken und des rechten Centrums Veranlassung geben, die den gegenwärtigen Planen des letztern nicht besonders förderlich seyn dürften. Ich schließe mit der Bemerkung: ist die parlamentarische Regierung eine Regierung des parlamentarischen Talents, so ist das Ministerium Thiers unvermeidlich.
_ Paris, 14 Jan. Die Verhandlungen über die orientalische Frage in der Deputirtenkammer sind beendet worden, wie sie unter den bestehenden Verhältnissen enden mußten, d. h. man ist dadurch über den wahren Stand der Dinge um nichts klüger geworden, man hat keine der obwaltenden Schwierigkeiten gehoben, man hat nicht einmal den Weg näher bezeichnet, auf welchem man schneller und mit Bestimmtheit zum Ziele gelangen könnte. Man ist folglich im Wesentlichen um keinen Schritt weiter gekommen. Ein neuer Beweis, daß parlamentarische Discussion und diplomatische Verhandlungen zwei ganz verschiedene Elemente des politischen Lebens sind, welche sich je in ihrer Sphäre bewegen müssen, wenn sie innerhalb der ihnen von der Natur der Sache angewiesenen Gränzen bleiben wollen. Diese haben ihren Zweck mehr in der Zukunft, welche sie nicht durch voreilige Enthüllung compromittiren dürfen, jene dagegen ist vorzugsweise, und namentlich wenn es sich um auswärtige Politik handelt, an die Vergangenheit gewiesen, und hat hier für ihre Kritiken freies Feld, während ihr für die Zukunft eben nichts weiter übrig bleibt, als fromme Wünsche und wohlgemeinte Theorien, welche leider nur zu oft und zu leicht in das Gebiet der politischen Phantasien hinüberschweifen. Dieß bedingte im voraus theils den Charakter der Verhandlungen in den letzten Sitzungen im Allgemeinen, theils die Stellung, welche die Opposition und das Ministerium bei dieser Frage gegeneinander einnehmen mußten. Dieses stand dabei ganz auf dem Terrain der Diplomatie und war schon dadurch im Vortheil, daß es sich hinter einem fast absoluten Stillschweigen verschanzen konnte; jene mußte sich ganz an die Vergangenheit halten, und hatte selbst da nur wenig feste Stützpunkte, von denen ein sicherer Operationsplan hätte ausgehen müssen. Eben deßhalb konnte die Opposition bei der Discussion der orientalischen Frage eben so wenig etwas gewinnen, wie sie dazu gemacht war, der Majorität zum Prüfstein zu dienen und ihre Kräfte zu heben; es ist mit Einem Worte keine parlamentarische Frage, und sie kann nicht in den Kammern, sondern nur zwischen den Cabinetten entschieden werden. Aus demselben Grunde hatten diese ganzen Verhandlungen etwas Unzusammenhängendes, etwas Zerrissenes, was nach unserer Meinung nur dafür zu sprechen scheint, daß sich in der Kammer, wie im Lande, eine bestimmtere Ansicht von den orientalischen Angelegenheiten und der Art, sie zu schlichten, noch nicht durchgebildet hat. Alle Redner, welche nach und nach in dieser Sache das Wort ergriffen haben, haben nicht im Namen oder im Auftrage ihrer Parteien – wenn es deren überhaupt gibt, zu denen sie sich rechnen können – gesprochen; sie haben bloß ihre eigenen Ideen und Vorschläge entwickelt, welche in den weiteren Kreisen kaum einigen vorübergehenden Anklang gefunden haben. Von diesem individuellen Standpunkte aus betrachtet, wenn ich mich so ausdrücken darf, waren die Debatten dem letzten Tagen in vielfacher Hinsicht interessant und lehrreich, selbst wenn man zugeben muß, daß sie wenig Neues dargeboten haben, und oft nur als ein Nachhall der Verhandlungen bei Gelegenheit des außerordentlichen Credits der zehn Millionen im Julius des vorigen Jahres erschienen. Abgesehen von den Rednern, welche dabei die zweite und dritte Linie eingenommen haben, theilt sich der Ruhm der ganzen Debatten zwischen Villemain und Thiers. Villemain hat sich dadurch eigentlich erst zum privilegirten Redner des Ministeriums vom 12 Mai erhoben, und ist als solcher in der öffentlichen Meinung seit drei Tagen ungemein gestiegen; und dieß kommt natürlich dem Ministerium im Ganzen um so mehr zu gute, je weniger markirte Talente es in dieser Beziehung besitzt. Nur hat sich Villemain noch nicht genug als Staatsmann hervorgethan, und die Rolle, welche er früher in der Pairskammer gespielt hat, macht es ihm ziemlich schwer, jetzt seinen Ruf als solchen fester zu begründen. Er steht in dieser Hinsicht am Eingange seiner politischen Laufbahn, welche ihm allerdings eine glänzende Zukunft verspricht, wenn es ihm gelingt, eine seinem eminenten Talente entsprechende Festigkeit und Bestimmtheit der Principien zu gewinnen, und sie in der bedeutenden Stellung, in welcher er sich gegenwärtig befindet, geltend zu machen. – Thiers gehört in eine ganz andere, beinahe möchte ich sagen entgegengesetzte Kategorie öffentlicher Charaktere. Thiers, das ist die allgemeine Meinung, hat den besten, den glänzendsten Theil seiner politischen Laufbahn hinter sich, wird aber in Zukunft nichtsdestoweniger noch gebraucht werden, und besitzt Fügsamkeit genug, sich brauchen zu lassen, wenn er es einigermaßen mit seinen Interessen vereinbar halten sollte. Thiers versteht es vortrefflich, so von Zeit zu Zeit sein Daseyn bemerklich zu machen, und am rechten Fleck hervorzutreten. Daß er in den Verhandlungen über die orientalische Frage sprechen würde, war schon lange vorher allgemein
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