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Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840.

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(man gestatte das Wort) der angeblich nur orientalischen Frage der Diplomatie beizulegen, der französischen besonders, diese aber darum des Mangels an Klugheit und Voraussicht zu zeihen, und ihr die weitere Entwickelung jenes rathlosen Handels als Folge ihres Mißverhaltens vorzurechnen, ist ein vergeblicher Aufwand von Scharfsinn und eine Ungerechtigkeit gegen Männer, die gerade auf diesem Punkt mit eben so viel Einsicht wie Entschiedenheit gehandelt haben, wie den Baron v. Stürmer, den Lord Ponsonby und den Admiral Roussin, oder die Chefs ihrer Cabinette. Mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten und der Wahrscheinlichkeit des ägyptischen Siegs war auch die Intervention geboten, und hat z. B. Marschall Soult seinen Adjutanten zu Ibrahim Pascha geschickt, um diesem Stillstand zu gebieten, also zu interveniren, so ist nur zu beklagen, daß dieser durch eine noch nicht aufgeklärte Zögerung von sieben Tagen in Alexandrette dem ägyptischen Feldherrn Zeit genug ließ, den Gegner zu erreichen und zu vernichten. Nicht daß intervenirt wurde, ist zu tadeln, nicht einmal, daß man über das Weitere nicht einig war, als man zu interveniren anfing, ist anzuklagen: jenes war nöthig, dieses natürlich, denn man war von den Begebenheiten überrascht, die Schlag auf Schlag und schneller hereinbrachen, als eine Verständigung der Gesandten mit den Cabinetten und der Cabinette mit einander möglich war. Ist aber bei der weitern Entfaltung der Intervention ein Fehler begangen worden, der die Sachen in einer Weise verwickelt hat, daß Hr. Thiers erklärt, er wisse nicht, wie man sie noch lösen könne, so ist dieser Fehler nicht da, wo der Redner ihn sucht, sondern darin, daß die Mächte, oder einzelne der Mächte, die Pforte zugleich gegen Aegypten und gegen Rußland sichern wollten. Der Pascha sollte bestimmt werden, einen Theil seiner Eroberung der Sicherheit der Pforte zum Opfer zu bringen. So wollte England und am Ende Rußland. Rußland aber sollte bestimmt werden, zu demselben Zweck den Tractat von Hunkiar-Skelessi aufzugeben. So wollten England und Frankreich, und am Ende wohl auch Oesterreich: beides aber ließ sich nicht vereinigen. Man konnte Rußland nicht gegen die russischen Interessen gewinnen, und das Unglück oder der Mißgriff ist, daß man dieses, wo nicht vorausgesehen, doch so gehandelt hat, als ob es nicht unmöglich wäre, und man es voraussetzte. Es geht zwar in Liebessachen, daß man das Unvereinbare zu vereinigen sucht oder weiß, und dem Liebesgott wird eine solche Triebkraft und Caprice zugeschrieben: dissociabiles consociare amat, aber es geht nicht in ernsten Dingen, am wenigsten in der Diplomatie. Hr. Thiers schildert die Folgen des diplomatischen Mißgeschicks, und abgesehen, daß er ihre Quelle verkennt, hat er sie mit eben so viel Feinheit des Geistes unterschieden, wie mit Beredsamkeit entwickelt: Rathlosigkeit in Konstantinopel, Entfremdung zwischen England und Frankreich und Eindringen Rußlands in den daraus entstandenen Bruch. Alles, was darüber gesagt wird, ist wahr, ist vortrefflich, ist nächst der oben erwähnten Darstellung der Verhältnisse von England, Frankreich und Rußland zu einander und zu der Türkei ein Lichtpunkt seiner Rede; aber, wie gesagt, es folgt nicht aus dem, was ihm ein Fehler scheint und was keiner ist. Die Rathlosigkeit in Konstantinopel hat keine tiefere, reichlichere Quelle, als den obenbezeichneten Versuch, das Sichwidersprechende zu thun; das zweite Uebel aber, die Spaltung Englands und Frankreichs, kommt vor Allem und zunächst aus dem Benehmen Frankreichs gegen England. Hr. Thiers hat das nicht verkannt; aber er hat es eben nur zum Theil und nur leise berührt als ein Mann, der vielleicht berufen ist, das Cabinet zu leiten, gegen das er spricht, und der darum gegen den thatsächlichen Chef desselben zu großer Schonung sich verpflichtet fühlt.

Frankreich wollte dem Pascha die türkische Flotte nicht mit Gewalt entreißen lassen. Es wollte eben denselben in seinen Eroberungen nicht schmälern lassen. Für beides wird es von Hrn. Thiers gelobt - getadelt nur, daß es mit seinen Absichten und mit seiner Farbe gegen England nicht früher herausgegangen ist, dadurch aber wenigstens den Schein der Duplicität bei seinen Verbündeten erregt habe. Hat Frankreich, d. i. hat das Cabinet oder das Ministerium vom 12 Mai nur dieses verschuldet? Man weiß die Beschuldigungen, die von St. James Street in fast officiellen Erklärungen gegen sein Betragen erhoben wurden. Sie sind ohne Widerlegung geblieben.*) Daß es mit England zu Anfang denselben Weg ging, ist offenbar, denn Lord Ponsonby und Admiral Roussin handelten nach gemeinsamem Plan, und verfügten oder begehrten dieselben Maaßregeln, und Niemand wird glauben, daß Admiral Roussin gegen Willen und Absicht seines Königs gehandelt habe. Aber man trennte sich von England, denn Admiral Roussin ward durch Hrn. v. Pontois ersetzt, der mit andern, und den entgegengesetzten Planen in Konstantinopel auftrat. Hier also ist etwas Anderes als ein bloßes Halten hinter dem Berge: es ist ein Wechsel des Systems durch einen Wechsel der Personen erklärt, der nur daraus erklärlich wird, daß er mitten in der Krisis statt fand. Was aber wollte Frankreich nach diesem Wechsel? Etwa nur eine Art Gleichgewicht zwischen beiden Feinden, dem Sultan und seinem Vasallen, wahren, oder das Uebergewicht des Pascha über den Sultan, dadurch aber sein eigenes Uebergewicht im Orient gründen und in die Beherrschung des Mittelmeeres vor der Hand mit Einem Fuß eintreten? Es ward dieser Absicht beschuldigt, bezichtigt; die Zögerung des französischen Emissars vor der Schlacht bei Nisib, die Mitwirkung des Admirals Lalande beim Abfall der Flotte - Thatsachen, die nicht widersprochen sind - scheinen die Annahme zu begründen, Frankreich habe gewünscht, alle substantielle Macht des Sultans vernichtet, ihn ganz entwaffnet zu sehen; es habe dazu indirect mitgewirkt, um mit seiner Schlichtung desto leichter und sicherer zu jenem Ziel zu kommen; und die ehrlichen Leute, die glaubten, man werde nicht so schnell in die Listen (ruses) der Richelieu und Mazarin zurückfallen, daß man mit dem theuern Alliirten nur darum vereint ginge, um ihm desto sicherer das Bein zu stellen, weisen unbefangene Beobachter darauf hin, es sey in Folge jener Ereignisse und der französischen Mitwissenheit geschehen, daß Hr. v. Pontois mit seiner Forderung, die Sache allein auszugleichen, in Konstantinopel auftrat, daß man die Forderungen oder Vorschläge Englands mit der Aufstellung der Reserveflotte in Toulon und der Ernennung eines Großadmirals beantwortete, und daß man fast im Namen des französischen Cabinets beim Ausbruch des Zorns des englischen Staatssecretärs für das Aeußere laut sagte: man solle ihn nur sich gebärden lassen, er werde sich schon beruhigen und zurückkommen, denn er könne doch ohne Frankreich nicht vorwärts.

Hier ist mehr als ein Zurückhalten der Ansichten und ein Schein von Duplicität - es ist eine Trennung vom Alliirten, es ist die Aufstellung eines eigenen, ihm widerstrebenden, ja feindseligen Systems auf die Gefahr hin, daß er nicht umhin könne, sich ihm zu unterwerfen, und in dieser schweren Verschuldung, nicht aber in einer ungeziemenden Zögerung ist der Grund der neuen Zerwürfnisse zu suchen, stark genug, um zehnjähriges auf Gemeinsamkeit der Grundsätze und der Interessen

*) Wir verweisen auf unsern heutigen Pariser Brief .


(man gestatte das Wort) der angeblich nur orientalischen Frage der Diplomatie beizulegen, der französischen besonders, diese aber darum des Mangels an Klugheit und Voraussicht zu zeihen, und ihr die weitere Entwickelung jenes rathlosen Handels als Folge ihres Mißverhaltens vorzurechnen, ist ein vergeblicher Aufwand von Scharfsinn und eine Ungerechtigkeit gegen Männer, die gerade auf diesem Punkt mit eben so viel Einsicht wie Entschiedenheit gehandelt haben, wie den Baron v. Stürmer, den Lord Ponsonby und den Admiral Roussin, oder die Chefs ihrer Cabinette. Mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten und der Wahrscheinlichkeit des ägyptischen Siegs war auch die Intervention geboten, und hat z. B. Marschall Soult seinen Adjutanten zu Ibrahim Pascha geschickt, um diesem Stillstand zu gebieten, also zu interveniren, so ist nur zu beklagen, daß dieser durch eine noch nicht aufgeklärte Zögerung von sieben Tagen in Alexandrette dem ägyptischen Feldherrn Zeit genug ließ, den Gegner zu erreichen und zu vernichten. Nicht daß intervenirt wurde, ist zu tadeln, nicht einmal, daß man über das Weitere nicht einig war, als man zu interveniren anfing, ist anzuklagen: jenes war nöthig, dieses natürlich, denn man war von den Begebenheiten überrascht, die Schlag auf Schlag und schneller hereinbrachen, als eine Verständigung der Gesandten mit den Cabinetten und der Cabinette mit einander möglich war. Ist aber bei der weitern Entfaltung der Intervention ein Fehler begangen worden, der die Sachen in einer Weise verwickelt hat, daß Hr. Thiers erklärt, er wisse nicht, wie man sie noch lösen könne, so ist dieser Fehler nicht da, wo der Redner ihn sucht, sondern darin, daß die Mächte, oder einzelne der Mächte, die Pforte zugleich gegen Aegypten und gegen Rußland sichern wollten. Der Pascha sollte bestimmt werden, einen Theil seiner Eroberung der Sicherheit der Pforte zum Opfer zu bringen. So wollte England und am Ende Rußland. Rußland aber sollte bestimmt werden, zu demselben Zweck den Tractat von Hunkiar-Skelessi aufzugeben. So wollten England und Frankreich, und am Ende wohl auch Oesterreich: beides aber ließ sich nicht vereinigen. Man konnte Rußland nicht gegen die russischen Interessen gewinnen, und das Unglück oder der Mißgriff ist, daß man dieses, wo nicht vorausgesehen, doch so gehandelt hat, als ob es nicht unmöglich wäre, und man es voraussetzte. Es geht zwar in Liebessachen, daß man das Unvereinbare zu vereinigen sucht oder weiß, und dem Liebesgott wird eine solche Triebkraft und Caprice zugeschrieben: dissociabiles consociare amat, aber es geht nicht in ernsten Dingen, am wenigsten in der Diplomatie. Hr. Thiers schildert die Folgen des diplomatischen Mißgeschicks, und abgesehen, daß er ihre Quelle verkennt, hat er sie mit eben so viel Feinheit des Geistes unterschieden, wie mit Beredsamkeit entwickelt: Rathlosigkeit in Konstantinopel, Entfremdung zwischen England und Frankreich und Eindringen Rußlands in den daraus entstandenen Bruch. Alles, was darüber gesagt wird, ist wahr, ist vortrefflich, ist nächst der oben erwähnten Darstellung der Verhältnisse von England, Frankreich und Rußland zu einander und zu der Türkei ein Lichtpunkt seiner Rede; aber, wie gesagt, es folgt nicht aus dem, was ihm ein Fehler scheint und was keiner ist. Die Rathlosigkeit in Konstantinopel hat keine tiefere, reichlichere Quelle, als den obenbezeichneten Versuch, das Sichwidersprechende zu thun; das zweite Uebel aber, die Spaltung Englands und Frankreichs, kommt vor Allem und zunächst aus dem Benehmen Frankreichs gegen England. Hr. Thiers hat das nicht verkannt; aber er hat es eben nur zum Theil und nur leise berührt als ein Mann, der vielleicht berufen ist, das Cabinet zu leiten, gegen das er spricht, und der darum gegen den thatsächlichen Chef desselben zu großer Schonung sich verpflichtet fühlt.

Frankreich wollte dem Pascha die türkische Flotte nicht mit Gewalt entreißen lassen. Es wollte eben denselben in seinen Eroberungen nicht schmälern lassen. Für beides wird es von Hrn. Thiers gelobt – getadelt nur, daß es mit seinen Absichten und mit seiner Farbe gegen England nicht früher herausgegangen ist, dadurch aber wenigstens den Schein der Duplicität bei seinen Verbündeten erregt habe. Hat Frankreich, d. i. hat das Cabinet oder das Ministerium vom 12 Mai nur dieses verschuldet? Man weiß die Beschuldigungen, die von St. James Street in fast officiellen Erklärungen gegen sein Betragen erhoben wurden. Sie sind ohne Widerlegung geblieben.*) Daß es mit England zu Anfang denselben Weg ging, ist offenbar, denn Lord Ponsonby und Admiral Roussin handelten nach gemeinsamem Plan, und verfügten oder begehrten dieselben Maaßregeln, und Niemand wird glauben, daß Admiral Roussin gegen Willen und Absicht seines Königs gehandelt habe. Aber man trennte sich von England, denn Admiral Roussin ward durch Hrn. v. Pontois ersetzt, der mit andern, und den entgegengesetzten Planen in Konstantinopel auftrat. Hier also ist etwas Anderes als ein bloßes Halten hinter dem Berge: es ist ein Wechsel des Systems durch einen Wechsel der Personen erklärt, der nur daraus erklärlich wird, daß er mitten in der Krisis statt fand. Was aber wollte Frankreich nach diesem Wechsel? Etwa nur eine Art Gleichgewicht zwischen beiden Feinden, dem Sultan und seinem Vasallen, wahren, oder das Uebergewicht des Pascha über den Sultan, dadurch aber sein eigenes Uebergewicht im Orient gründen und in die Beherrschung des Mittelmeeres vor der Hand mit Einem Fuß eintreten? Es ward dieser Absicht beschuldigt, bezichtigt; die Zögerung des französischen Emissars vor der Schlacht bei Nisib, die Mitwirkung des Admirals Lalande beim Abfall der Flotte – Thatsachen, die nicht widersprochen sind – scheinen die Annahme zu begründen, Frankreich habe gewünscht, alle substantielle Macht des Sultans vernichtet, ihn ganz entwaffnet zu sehen; es habe dazu indirect mitgewirkt, um mit seiner Schlichtung desto leichter und sicherer zu jenem Ziel zu kommen; und die ehrlichen Leute, die glaubten, man werde nicht so schnell in die Listen (ruses) der Richelieu und Mazarin zurückfallen, daß man mit dem theuern Alliirten nur darum vereint ginge, um ihm desto sicherer das Bein zu stellen, weisen unbefangene Beobachter darauf hin, es sey in Folge jener Ereignisse und der französischen Mitwissenheit geschehen, daß Hr. v. Pontois mit seiner Forderung, die Sache allein auszugleichen, in Konstantinopel auftrat, daß man die Forderungen oder Vorschläge Englands mit der Aufstellung der Reserveflotte in Toulon und der Ernennung eines Großadmirals beantwortete, und daß man fast im Namen des französischen Cabinets beim Ausbruch des Zorns des englischen Staatssecretärs für das Aeußere laut sagte: man solle ihn nur sich gebärden lassen, er werde sich schon beruhigen und zurückkommen, denn er könne doch ohne Frankreich nicht vorwärts.

Hier ist mehr als ein Zurückhalten der Ansichten und ein Schein von Duplicität – es ist eine Trennung vom Alliirten, es ist die Aufstellung eines eigenen, ihm widerstrebenden, ja feindseligen Systems auf die Gefahr hin, daß er nicht umhin könne, sich ihm zu unterwerfen, und in dieser schweren Verschuldung, nicht aber in einer ungeziemenden Zögerung ist der Grund der neuen Zerwürfnisse zu suchen, stark genug, um zehnjähriges auf Gemeinsamkeit der Grundsätze und der Interessen

*) Wir verweisen auf unsern heutigen Pariser Brief ✠.
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              <p>Frankreich wollte dem Pascha die türkische Flotte nicht mit Gewalt entreißen lassen. Es wollte eben denselben in seinen Eroberungen nicht schmälern lassen. Für beides wird es von Hrn. Thiers gelobt &#x2013; getadelt nur, daß es mit seinen Absichten und mit seiner Farbe gegen England nicht früher herausgegangen ist, dadurch aber wenigstens den Schein der Duplicität bei seinen Verbündeten erregt habe. Hat Frankreich, d. i. hat das Cabinet oder das Ministerium vom 12 Mai nur dieses verschuldet? Man weiß die Beschuldigungen, die von St. James Street in fast officiellen Erklärungen gegen sein Betragen erhoben wurden. Sie sind ohne Widerlegung geblieben.<note place="foot" n="*)"> Wir verweisen auf unsern heutigen Pariser Brief &#x2720;.</note> Daß es mit England zu Anfang denselben Weg ging, ist offenbar, denn Lord Ponsonby und Admiral Roussin handelten nach gemeinsamem Plan, und verfügten oder begehrten dieselben Maaßregeln, und Niemand wird glauben, daß Admiral Roussin gegen Willen und Absicht seines Königs gehandelt habe. Aber man trennte sich von England, denn Admiral Roussin ward durch Hrn. v. Pontois ersetzt, der mit andern, und den entgegengesetzten Planen in Konstantinopel auftrat. Hier also ist etwas Anderes als ein bloßes Halten hinter dem Berge: es ist ein Wechsel des Systems durch einen Wechsel der Personen erklärt, der nur daraus erklärlich wird, daß er mitten in der Krisis statt fand. Was aber wollte Frankreich nach diesem Wechsel? Etwa nur eine Art Gleichgewicht zwischen beiden Feinden, dem Sultan und seinem Vasallen, wahren, oder das Uebergewicht des Pascha über den Sultan, dadurch aber sein eigenes Uebergewicht im Orient gründen und in die Beherrschung des Mittelmeeres vor der Hand mit Einem Fuß eintreten? Es ward dieser Absicht beschuldigt, bezichtigt; die Zögerung des französischen Emissars vor der Schlacht bei Nisib, die Mitwirkung des Admirals Lalande beim Abfall der Flotte &#x2013; Thatsachen, die nicht widersprochen sind &#x2013; scheinen die Annahme zu begründen, Frankreich habe gewünscht, alle substantielle Macht des Sultans vernichtet, ihn ganz entwaffnet zu sehen; es habe dazu indirect mitgewirkt, um mit seiner Schlichtung desto leichter und sicherer zu jenem Ziel zu kommen; und die ehrlichen Leute, die glaubten, man werde nicht so schnell in die Listen (ruses) der Richelieu und Mazarin zurückfallen, daß man mit dem theuern Alliirten nur darum vereint ginge, um ihm desto sicherer das Bein zu stellen, weisen unbefangene Beobachter darauf hin, es sey in Folge jener Ereignisse und der französischen Mitwissenheit geschehen, daß Hr. v. Pontois mit seiner Forderung, die Sache allein auszugleichen, in Konstantinopel auftrat, daß man die Forderungen oder Vorschläge Englands mit der Aufstellung der Reserveflotte in Toulon und der Ernennung eines Großadmirals beantwortete, und daß man fast im Namen des französischen Cabinets beim Ausbruch des Zorns des englischen Staatssecretärs für das Aeußere laut sagte: man solle ihn nur sich gebärden lassen, er werde sich schon beruhigen und zurückkommen, denn er könne doch ohne Frankreich nicht vorwärts.</p><lb/>
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[0194/0010] (man gestatte das Wort) der angeblich nur orientalischen Frage der Diplomatie beizulegen, der französischen besonders, diese aber darum des Mangels an Klugheit und Voraussicht zu zeihen, und ihr die weitere Entwickelung jenes rathlosen Handels als Folge ihres Mißverhaltens vorzurechnen, ist ein vergeblicher Aufwand von Scharfsinn und eine Ungerechtigkeit gegen Männer, die gerade auf diesem Punkt mit eben so viel Einsicht wie Entschiedenheit gehandelt haben, wie den Baron v. Stürmer, den Lord Ponsonby und den Admiral Roussin, oder die Chefs ihrer Cabinette. Mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten und der Wahrscheinlichkeit des ägyptischen Siegs war auch die Intervention geboten, und hat z. B. Marschall Soult seinen Adjutanten zu Ibrahim Pascha geschickt, um diesem Stillstand zu gebieten, also zu interveniren, so ist nur zu beklagen, daß dieser durch eine noch nicht aufgeklärte Zögerung von sieben Tagen in Alexandrette dem ägyptischen Feldherrn Zeit genug ließ, den Gegner zu erreichen und zu vernichten. Nicht daß intervenirt wurde, ist zu tadeln, nicht einmal, daß man über das Weitere nicht einig war, als man zu interveniren anfing, ist anzuklagen: jenes war nöthig, dieses natürlich, denn man war von den Begebenheiten überrascht, die Schlag auf Schlag und schneller hereinbrachen, als eine Verständigung der Gesandten mit den Cabinetten und der Cabinette mit einander möglich war. Ist aber bei der weitern Entfaltung der Intervention ein Fehler begangen worden, der die Sachen in einer Weise verwickelt hat, daß Hr. Thiers erklärt, er wisse nicht, wie man sie noch lösen könne, so ist dieser Fehler nicht da, wo der Redner ihn sucht, sondern darin, daß die Mächte, oder einzelne der Mächte, die Pforte zugleich gegen Aegypten und gegen Rußland sichern wollten. Der Pascha sollte bestimmt werden, einen Theil seiner Eroberung der Sicherheit der Pforte zum Opfer zu bringen. So wollte England und am Ende Rußland. Rußland aber sollte bestimmt werden, zu demselben Zweck den Tractat von Hunkiar-Skelessi aufzugeben. So wollten England und Frankreich, und am Ende wohl auch Oesterreich: beides aber ließ sich nicht vereinigen. Man konnte Rußland nicht gegen die russischen Interessen gewinnen, und das Unglück oder der Mißgriff ist, daß man dieses, wo nicht vorausgesehen, doch so gehandelt hat, als ob es nicht unmöglich wäre, und man es voraussetzte. Es geht zwar in Liebessachen, daß man das Unvereinbare zu vereinigen sucht oder weiß, und dem Liebesgott wird eine solche Triebkraft und Caprice zugeschrieben: dissociabiles consociare amat, aber es geht nicht in ernsten Dingen, am wenigsten in der Diplomatie. Hr. Thiers schildert die Folgen des diplomatischen Mißgeschicks, und abgesehen, daß er ihre Quelle verkennt, hat er sie mit eben so viel Feinheit des Geistes unterschieden, wie mit Beredsamkeit entwickelt: Rathlosigkeit in Konstantinopel, Entfremdung zwischen England und Frankreich und Eindringen Rußlands in den daraus entstandenen Bruch. Alles, was darüber gesagt wird, ist wahr, ist vortrefflich, ist nächst der oben erwähnten Darstellung der Verhältnisse von England, Frankreich und Rußland zu einander und zu der Türkei ein Lichtpunkt seiner Rede; aber, wie gesagt, es folgt nicht aus dem, was ihm ein Fehler scheint und was keiner ist. Die Rathlosigkeit in Konstantinopel hat keine tiefere, reichlichere Quelle, als den obenbezeichneten Versuch, das Sichwidersprechende zu thun; das zweite Uebel aber, die Spaltung Englands und Frankreichs, kommt vor Allem und zunächst aus dem Benehmen Frankreichs gegen England. Hr. Thiers hat das nicht verkannt; aber er hat es eben nur zum Theil und nur leise berührt als ein Mann, der vielleicht berufen ist, das Cabinet zu leiten, gegen das er spricht, und der darum gegen den thatsächlichen Chef desselben zu großer Schonung sich verpflichtet fühlt. Frankreich wollte dem Pascha die türkische Flotte nicht mit Gewalt entreißen lassen. Es wollte eben denselben in seinen Eroberungen nicht schmälern lassen. Für beides wird es von Hrn. Thiers gelobt – getadelt nur, daß es mit seinen Absichten und mit seiner Farbe gegen England nicht früher herausgegangen ist, dadurch aber wenigstens den Schein der Duplicität bei seinen Verbündeten erregt habe. Hat Frankreich, d. i. hat das Cabinet oder das Ministerium vom 12 Mai nur dieses verschuldet? Man weiß die Beschuldigungen, die von St. James Street in fast officiellen Erklärungen gegen sein Betragen erhoben wurden. Sie sind ohne Widerlegung geblieben. *) Daß es mit England zu Anfang denselben Weg ging, ist offenbar, denn Lord Ponsonby und Admiral Roussin handelten nach gemeinsamem Plan, und verfügten oder begehrten dieselben Maaßregeln, und Niemand wird glauben, daß Admiral Roussin gegen Willen und Absicht seines Königs gehandelt habe. Aber man trennte sich von England, denn Admiral Roussin ward durch Hrn. v. Pontois ersetzt, der mit andern, und den entgegengesetzten Planen in Konstantinopel auftrat. Hier also ist etwas Anderes als ein bloßes Halten hinter dem Berge: es ist ein Wechsel des Systems durch einen Wechsel der Personen erklärt, der nur daraus erklärlich wird, daß er mitten in der Krisis statt fand. Was aber wollte Frankreich nach diesem Wechsel? Etwa nur eine Art Gleichgewicht zwischen beiden Feinden, dem Sultan und seinem Vasallen, wahren, oder das Uebergewicht des Pascha über den Sultan, dadurch aber sein eigenes Uebergewicht im Orient gründen und in die Beherrschung des Mittelmeeres vor der Hand mit Einem Fuß eintreten? Es ward dieser Absicht beschuldigt, bezichtigt; die Zögerung des französischen Emissars vor der Schlacht bei Nisib, die Mitwirkung des Admirals Lalande beim Abfall der Flotte – Thatsachen, die nicht widersprochen sind – scheinen die Annahme zu begründen, Frankreich habe gewünscht, alle substantielle Macht des Sultans vernichtet, ihn ganz entwaffnet zu sehen; es habe dazu indirect mitgewirkt, um mit seiner Schlichtung desto leichter und sicherer zu jenem Ziel zu kommen; und die ehrlichen Leute, die glaubten, man werde nicht so schnell in die Listen (ruses) der Richelieu und Mazarin zurückfallen, daß man mit dem theuern Alliirten nur darum vereint ginge, um ihm desto sicherer das Bein zu stellen, weisen unbefangene Beobachter darauf hin, es sey in Folge jener Ereignisse und der französischen Mitwissenheit geschehen, daß Hr. v. Pontois mit seiner Forderung, die Sache allein auszugleichen, in Konstantinopel auftrat, daß man die Forderungen oder Vorschläge Englands mit der Aufstellung der Reserveflotte in Toulon und der Ernennung eines Großadmirals beantwortete, und daß man fast im Namen des französischen Cabinets beim Ausbruch des Zorns des englischen Staatssecretärs für das Aeußere laut sagte: man solle ihn nur sich gebärden lassen, er werde sich schon beruhigen und zurückkommen, denn er könne doch ohne Frankreich nicht vorwärts. Hier ist mehr als ein Zurückhalten der Ansichten und ein Schein von Duplicität – es ist eine Trennung vom Alliirten, es ist die Aufstellung eines eigenen, ihm widerstrebenden, ja feindseligen Systems auf die Gefahr hin, daß er nicht umhin könne, sich ihm zu unterwerfen, und in dieser schweren Verschuldung, nicht aber in einer ungeziemenden Zögerung ist der Grund der neuen Zerwürfnisse zu suchen, stark genug, um zehnjähriges auf Gemeinsamkeit der Grundsätze und der Interessen *) Wir verweisen auf unsern heutigen Pariser Brief ✠.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840, S. 0194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_025_18400125/10>, abgerufen am 21.11.2024.