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Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
1 Februar 1840

Georges Sand.

Vorigen Sommer war ich einige Tage in Marseille, und da hatte ich Gelegenheit, Mad. Dudevant (Georges Sand) zu sehen, mit der ich vor zwei Jahren oft in Genf zusammengetroffen war. Damals sah ich sie immer als flotten Burschen in Männerkleidern, dießmal aber als ernste Dame in einem reichen, schwarzen Atlaßkleid, das sich vertraulich ihrem schönen und zarten Körper anschmiegte und dessen reizende Formen wie aus schwarzem Marmor gebildet hervorhob. Ihr reiches, spanisch dunkles Haar war nicht mehr unter einem armseligen modernen Filz zusammengedrückt, sondern umfloß in herrlichen Wellen und Locken den zarten und doch imposanten Frauenkopf. Was damals unter dem fatalen knappen Habit verborgen blieb, trat nun mit Bedeutung ans Licht: ein Hals und Nacken voll Anmuth. Mad. Dudevant ist zwar indessen etwas älter geworden, muß aber noch immer eine schöne Frau heißen, mit einer Mischung von zartem Reiz und Strenge in den regelmäßigen Zügen. Immer erinnerte sie mich an die Judith von Dominichino. Dasselbe dunkel glühende, strenge, aber phantastische und poetische Auge unter der männlichen Stirn, dieselbe Weichheit um die Wangen und die sinnreiche Sprachfülle auf dem wollüstigen Mund. Was dieß seltsam schöne Sphinxgesicht verspricht, hat Georges Sand so ziemlich gehalten. In dieser Doppelgängerin sehen wir unstreitig den brillantesten Romanschriftsteller Frankreichs der neuesten Zeit. ... Ihrem tiefen Gemüth genügte der elende Materialismus unserer Tage nicht, sie erhob sich über ihn, und in noch kühnerem Flug auch über alles Positive, um in die Region des Idealen und Absoluten zu gelangen. In letzter Beziehung folgt sie ganz dem Sehnen, dem Bedürfniß, das jetzt unsere bessere Gesellschaft in Frankreich lebendig fühlt, und nach dem sie auf mannichfache Weise ringt. Die Macht des Geldes und des Sinnengenusses ist so ungeheuer geworden, daß endlich alle nicht ganz gemeinen Gemüther mit aller Kraft dagegen aufstehen. Es ist nicht zu verkennen, daß sich jetzt in Frankreich neben der nur mercantilischen, rechnenden, speculirenden und eiskalten Generation eine kleine Gemeinde Andersdenkender bildet, die festhält an allem was Pflicht und Liebe gebieten, und die, ungeirrt von den verworfenen Speculationen des Egoismus um sie her, dem Gesetz der Ehre und Hingebung vor Allem treu bleibt. In dieser Beziehung könnten geniale Roman- und dramatische Schriftsteller viel Gutes wirken; sie könnten mit mehr Erfolg, als alle andern, die vom Materialismus pestartig ergriffene Gesellschaft packen und aufrütteln. Nun fragt sich's: hat G. Sand mit ihrem seltenen, herrlichen Talent die ganze Größe und auch die Weihe ihrer Sendung verstanden? Hat sie die mächtige Inspiration, das tiefe, glühende Gefühl, das ihr Gott verlieh, zur Besserung und Aufrichtung der verdorbenen Gesellschaft in ihrem Vaterland verwendet? Leider nicht. Ihre ersten Schritte trugen das Gepräge aller neuen und scheußlichen Leidenschaften des jungen Frankreichs; in ihnen herrscht eine fieberhafte, wollüstige und schmutzige Ueberreizung, wie in der ganzen anarchischen, auf die Juliustage folgenden Bewegung. Allerdings ist Form und Sprache darin sehr reizend, ich möchte sagen berauschend, Bilder auf Bilder drängen sich darin mit jugendlicher Schöpfungslust. Die ganze äußere Natur spiegelt sich darin mit entzückender Wahrheit und Fülle; alle wilde Leidenschaft ist mit hinreißender Farbe und Gluth gemalt, und manchmal dringen aus diesen zarten Melodien kühne und furchtbare Accorde hervor; sie erinnern an manche düstere Worte Dante's. Alles dieß aber ist nur die Hülle des Gedankens. Wenn man die ersten Romane G. Sands des reizend verführerischen Gewandes der Sprache und Darstellung entkleidet, so wird man traurig und unwillig, daß ein so schönes Talent sich im Schmutz wälzen mag. Denn was ist Indiana und Valentine? Die Erhebung und Verherrlichung des Ehebruchs, die Fatalität und Nothwendigkeit der Leidenschaft, mit all' ihren Folgen, die Glück, Menschenwürde und gesellschaftlichen Werth zerstören. Und doch sind diese Theorien noch nichts in Vergleich mit Lelia, dieser Cloake menschlicher Leidenschaft, mit Jacques, diesem Codex der Unsittlichkeit und einer Moral, die sich nur auf den Sinnen schaukelt, worin die Familie und das Familienleben in ihrem innersten Wesen zerstört, worin der Selbstmord gerechtfertigt und geadelt wird. Dieser Haß gegen alle Ehe, die nicht aus jugendlicher Gluth und Leidenschaft entsteht, und gegen das Leben selbst, wenn ihm nicht Alles nach Willen geht, dieser Haß wäre kindisch und unsinnig, wenn man ihn nicht feig und verächtlich nennen müßte. Dieß fühlte G. Sand selbst recht gut, und darum ging sie auf diesem schmutzigen Wege nicht weiter. Chateaubriand und Lamennais, diese starken und strengen Gemüther gewannen glücklicherweise Einfluß auf sie und bewirkten in der Schriftstellerin eine Umwandlung. Jetzt traten republicanische und neuchristliche Ideen an die Stelle ihres Hasses gegen die sittliche Gesellschaft, ihre Gesetze und Ordnung. Den neuen Weg begann sie mit Mauprat, erhob und reinigte sich noch mehr in den herrlichen italischen Bildern, in den maeitres mozaistes und den Aldini, besonders aber in Spiridion. In einem Gespräch mit Sand habe ich ihr obige Ansichten nicht verborgen, und zugleich der geistreichen Frau muthig die Frage ausgesprochen, wie sie sich mit ihrem herrlichen Talent früher habe so sehr vergreifen können? Da erwiederte sie mir mit einer großen Thräne in den herrlichen Augen: "Si vous connaissiez l'histoire de mon coeur et de ma jeunesse, vous comprendriez tout. Je porte dans mon sein la trilogie de votre Faust, j'etais Marguerite, Faust et Mephistopheles a la fois; me venger de la societe qui me repoussa, ternir ce qu'elle a de plus beau et de plus cher, telle me parut la mission de ma vie; maintenant je suis sauvee comme Faust." (Morgenblatt.)

Algier vor und nach der französischen Eroberung.

Seit den neun Jahren, daß die französische Fahne auf den Küsten des nördlichen Afrika's weht, hat eine große Anzahl Officiere und Gelehrte von jenseits des Rheins die aufblühende Colonie besucht, theils um das den Eingebornen eigenthümliche Kriegssystem zu studiren, theils um mitten unter Gefahren und Entbehrungen jeder Art friedlichere, doch nicht weniger interessante Untersuchungen anzustellen. Diese edle Sympathie für die Handvoll Europäer, welche hier mit Muth und Ausdauer nach dem Ziele streben, ein fruchtbares Land den trägen und barbarischen Händen zu entreißen, die es unbenutzt lassen, ehrt die Nation, die sie empfindet. Darf übrigens nicht auch Deutschland unter den afrikanischen Ansiedlern, die so lebhaft seine Theilnahme rege machen, mit Liebe und Stolz eine große Anzahl als seine Söhne bezeichnen?*)

*) Eine ziemliche Anzahl der in Algier angesiedelten Colonisten sind Deutsche.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
1 Februar 1840

Georges Sand.

Vorigen Sommer war ich einige Tage in Marseille, und da hatte ich Gelegenheit, Mad. Dudevant (Georges Sand) zu sehen, mit der ich vor zwei Jahren oft in Genf zusammengetroffen war. Damals sah ich sie immer als flotten Burschen in Männerkleidern, dießmal aber als ernste Dame in einem reichen, schwarzen Atlaßkleid, das sich vertraulich ihrem schönen und zarten Körper anschmiegte und dessen reizende Formen wie aus schwarzem Marmor gebildet hervorhob. Ihr reiches, spanisch dunkles Haar war nicht mehr unter einem armseligen modernen Filz zusammengedrückt, sondern umfloß in herrlichen Wellen und Locken den zarten und doch imposanten Frauenkopf. Was damals unter dem fatalen knappen Habit verborgen blieb, trat nun mit Bedeutung ans Licht: ein Hals und Nacken voll Anmuth. Mad. Dudevant ist zwar indessen etwas älter geworden, muß aber noch immer eine schöne Frau heißen, mit einer Mischung von zartem Reiz und Strenge in den regelmäßigen Zügen. Immer erinnerte sie mich an die Judith von Dominichino. Dasselbe dunkel glühende, strenge, aber phantastische und poetische Auge unter der männlichen Stirn, dieselbe Weichheit um die Wangen und die sinnreiche Sprachfülle auf dem wollüstigen Mund. Was dieß seltsam schöne Sphinxgesicht verspricht, hat Georges Sand so ziemlich gehalten. In dieser Doppelgängerin sehen wir unstreitig den brillantesten Romanschriftsteller Frankreichs der neuesten Zeit. ... Ihrem tiefen Gemüth genügte der elende Materialismus unserer Tage nicht, sie erhob sich über ihn, und in noch kühnerem Flug auch über alles Positive, um in die Region des Idealen und Absoluten zu gelangen. In letzter Beziehung folgt sie ganz dem Sehnen, dem Bedürfniß, das jetzt unsere bessere Gesellschaft in Frankreich lebendig fühlt, und nach dem sie auf mannichfache Weise ringt. Die Macht des Geldes und des Sinnengenusses ist so ungeheuer geworden, daß endlich alle nicht ganz gemeinen Gemüther mit aller Kraft dagegen aufstehen. Es ist nicht zu verkennen, daß sich jetzt in Frankreich neben der nur mercantilischen, rechnenden, speculirenden und eiskalten Generation eine kleine Gemeinde Andersdenkender bildet, die festhält an allem was Pflicht und Liebe gebieten, und die, ungeirrt von den verworfenen Speculationen des Egoismus um sie her, dem Gesetz der Ehre und Hingebung vor Allem treu bleibt. In dieser Beziehung könnten geniale Roman- und dramatische Schriftsteller viel Gutes wirken; sie könnten mit mehr Erfolg, als alle andern, die vom Materialismus pestartig ergriffene Gesellschaft packen und aufrütteln. Nun fragt sich's: hat G. Sand mit ihrem seltenen, herrlichen Talent die ganze Größe und auch die Weihe ihrer Sendung verstanden? Hat sie die mächtige Inspiration, das tiefe, glühende Gefühl, das ihr Gott verlieh, zur Besserung und Aufrichtung der verdorbenen Gesellschaft in ihrem Vaterland verwendet? Leider nicht. Ihre ersten Schritte trugen das Gepräge aller neuen und scheußlichen Leidenschaften des jungen Frankreichs; in ihnen herrscht eine fieberhafte, wollüstige und schmutzige Ueberreizung, wie in der ganzen anarchischen, auf die Juliustage folgenden Bewegung. Allerdings ist Form und Sprache darin sehr reizend, ich möchte sagen berauschend, Bilder auf Bilder drängen sich darin mit jugendlicher Schöpfungslust. Die ganze äußere Natur spiegelt sich darin mit entzückender Wahrheit und Fülle; alle wilde Leidenschaft ist mit hinreißender Farbe und Gluth gemalt, und manchmal dringen aus diesen zarten Melodien kühne und furchtbare Accorde hervor; sie erinnern an manche düstere Worte Dante's. Alles dieß aber ist nur die Hülle des Gedankens. Wenn man die ersten Romane G. Sands des reizend verführerischen Gewandes der Sprache und Darstellung entkleidet, so wird man traurig und unwillig, daß ein so schönes Talent sich im Schmutz wälzen mag. Denn was ist Indiana und Valentine? Die Erhebung und Verherrlichung des Ehebruchs, die Fatalität und Nothwendigkeit der Leidenschaft, mit all' ihren Folgen, die Glück, Menschenwürde und gesellschaftlichen Werth zerstören. Und doch sind diese Theorien noch nichts in Vergleich mit Lelia, dieser Cloake menschlicher Leidenschaft, mit Jacques, diesem Codex der Unsittlichkeit und einer Moral, die sich nur auf den Sinnen schaukelt, worin die Familie und das Familienleben in ihrem innersten Wesen zerstört, worin der Selbstmord gerechtfertigt und geadelt wird. Dieser Haß gegen alle Ehe, die nicht aus jugendlicher Gluth und Leidenschaft entsteht, und gegen das Leben selbst, wenn ihm nicht Alles nach Willen geht, dieser Haß wäre kindisch und unsinnig, wenn man ihn nicht feig und verächtlich nennen müßte. Dieß fühlte G. Sand selbst recht gut, und darum ging sie auf diesem schmutzigen Wege nicht weiter. Chateaubriand und Lamennais, diese starken und strengen Gemüther gewannen glücklicherweise Einfluß auf sie und bewirkten in der Schriftstellerin eine Umwandlung. Jetzt traten republicanische und neuchristliche Ideen an die Stelle ihres Hasses gegen die sittliche Gesellschaft, ihre Gesetze und Ordnung. Den neuen Weg begann sie mit Mauprat, erhob und reinigte sich noch mehr in den herrlichen italischen Bildern, in den maîtres mozaïstes und den Aldini, besonders aber in Spiridion. In einem Gespräch mit Sand habe ich ihr obige Ansichten nicht verborgen, und zugleich der geistreichen Frau muthig die Frage ausgesprochen, wie sie sich mit ihrem herrlichen Talent früher habe so sehr vergreifen können? Da erwiederte sie mir mit einer großen Thräne in den herrlichen Augen: „Si vous connaissiez l'histoire de mon cœur et de ma jeunesse, vous comprendriez tout. Je porte dans mon sein la trilogie de votre Faust, j'étais Marguerite, Faust et Méphistopheles à la fois; me venger de la société qui me repoussa, ternir ce qu'elle a de plus beau et de plus cher, telle me parut la mission de ma vie; maintenant je suis sauvée comme Faust.“ (Morgenblatt.)

Algier vor und nach der französischen Eroberung.

Seit den neun Jahren, daß die französische Fahne auf den Küsten des nördlichen Afrika's weht, hat eine große Anzahl Officiere und Gelehrte von jenseits des Rheins die aufblühende Colonie besucht, theils um das den Eingebornen eigenthümliche Kriegssystem zu studiren, theils um mitten unter Gefahren und Entbehrungen jeder Art friedlichere, doch nicht weniger interessante Untersuchungen anzustellen. Diese edle Sympathie für die Handvoll Europäer, welche hier mit Muth und Ausdauer nach dem Ziele streben, ein fruchtbares Land den trägen und barbarischen Händen zu entreißen, die es unbenutzt lassen, ehrt die Nation, die sie empfindet. Darf übrigens nicht auch Deutschland unter den afrikanischen Ansiedlern, die so lebhaft seine Theilnahme rege machen, mit Liebe und Stolz eine große Anzahl als seine Söhne bezeichnen?*)

*) Eine ziemliche Anzahl der in Algier angesiedelten Colonisten sind Deutsche.
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Immer erinnerte sie mich an die Judith von Dominichino. Dasselbe dunkel glühende, strenge, aber phantastische und poetische Auge unter der männlichen Stirn, dieselbe Weichheit um die Wangen und die sinnreiche Sprachfülle auf dem wollüstigen Mund. Was dieß seltsam schöne Sphinxgesicht verspricht, hat Georges Sand so ziemlich gehalten. In dieser Doppelgängerin sehen wir unstreitig den brillantesten Romanschriftsteller Frankreichs der neuesten Zeit. ... Ihrem tiefen Gemüth genügte der elende Materialismus unserer Tage nicht, sie erhob sich über ihn, und in noch kühnerem Flug auch über alles Positive, um in die Region des Idealen und Absoluten zu gelangen. In letzter Beziehung folgt sie ganz dem Sehnen, dem Bedürfniß, das jetzt unsere bessere Gesellschaft in Frankreich lebendig fühlt, und nach dem sie auf mannichfache Weise ringt. Die Macht des Geldes und des Sinnengenusses ist so ungeheuer geworden, daß endlich alle nicht ganz gemeinen Gemüther mit aller Kraft dagegen aufstehen. Es ist nicht zu verkennen, daß sich jetzt in Frankreich neben der nur mercantilischen, rechnenden, speculirenden und eiskalten Generation eine kleine Gemeinde Andersdenkender bildet, die festhält an allem was Pflicht und Liebe gebieten, und die, ungeirrt von den verworfenen Speculationen des Egoismus um sie her, dem Gesetz der Ehre und Hingebung vor Allem treu bleibt. In dieser Beziehung könnten geniale Roman- und dramatische Schriftsteller viel Gutes wirken; sie könnten mit mehr Erfolg, als alle andern, die vom Materialismus pestartig ergriffene Gesellschaft packen und aufrütteln. Nun fragt sich's: hat G. Sand mit ihrem seltenen, herrlichen Talent die ganze Größe und auch die Weihe ihrer Sendung verstanden? Hat sie die mächtige Inspiration, das tiefe, glühende Gefühl, das ihr Gott verlieh, zur Besserung und Aufrichtung der verdorbenen Gesellschaft in ihrem Vaterland verwendet? Leider nicht. Ihre ersten Schritte trugen das Gepräge aller neuen und scheußlichen Leidenschaften des jungen Frankreichs; in ihnen herrscht eine fieberhafte, wollüstige und schmutzige Ueberreizung, wie in der ganzen anarchischen, auf die Juliustage folgenden Bewegung. Allerdings ist Form und Sprache darin sehr reizend, ich möchte sagen berauschend, Bilder auf Bilder drängen sich darin mit jugendlicher Schöpfungslust. Die ganze äußere Natur spiegelt sich darin mit entzückender Wahrheit und Fülle; alle wilde Leidenschaft ist mit hinreißender Farbe und Gluth gemalt, und manchmal dringen aus diesen zarten Melodien kühne und furchtbare Accorde hervor; sie erinnern an manche düstere Worte Dante's. Alles dieß aber ist nur die Hülle des Gedankens. Wenn man die ersten Romane G. Sands des reizend verführerischen Gewandes der Sprache und Darstellung entkleidet, so wird man traurig und unwillig, daß ein so schönes Talent sich im Schmutz wälzen mag. Denn was ist Indiana und Valentine? Die Erhebung und Verherrlichung des Ehebruchs, die Fatalität und Nothwendigkeit der Leidenschaft, mit all' ihren Folgen, die Glück, Menschenwürde und gesellschaftlichen Werth zerstören. Und doch sind diese Theorien noch nichts in Vergleich mit Lelia, dieser Cloake menschlicher Leidenschaft, mit Jacques, diesem Codex der Unsittlichkeit und einer Moral, die sich nur auf den Sinnen schaukelt, worin die Familie und das Familienleben in ihrem innersten Wesen zerstört, worin der Selbstmord gerechtfertigt und geadelt wird. Dieser Haß gegen alle Ehe, die nicht aus jugendlicher Gluth und Leidenschaft entsteht, und gegen das Leben selbst, wenn ihm nicht Alles nach Willen geht, dieser Haß wäre kindisch und unsinnig, wenn man ihn nicht feig und verächtlich nennen müßte. Dieß fühlte G. Sand selbst recht gut, und darum ging sie auf diesem schmutzigen Wege nicht weiter. Chateaubriand und Lamennais, diese starken und strengen Gemüther gewannen glücklicherweise Einfluß auf sie und bewirkten in der Schriftstellerin eine Umwandlung. Jetzt traten republicanische und neuchristliche Ideen an die Stelle ihres Hasses gegen die sittliche Gesellschaft, ihre Gesetze und Ordnung. Den neuen Weg begann sie mit Mauprat, erhob und reinigte sich noch mehr in den herrlichen italischen Bildern, in den maîtres mozaïstes und den Aldini, besonders aber in Spiridion. In einem Gespräch mit Sand habe ich ihr obige Ansichten nicht verborgen, und zugleich der geistreichen Frau muthig die Frage ausgesprochen, wie sie sich mit ihrem herrlichen Talent früher habe so sehr vergreifen können? Da erwiederte sie mir mit einer großen Thräne in den herrlichen Augen: &#x201E;Si vous connaissiez l'histoire de mon c&#x0153;ur et de ma jeunesse, vous comprendriez tout. 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[0249/0008] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1 Februar 1840 Georges Sand. Lyon, Januar. Vorigen Sommer war ich einige Tage in Marseille, und da hatte ich Gelegenheit, Mad. Dudevant (Georges Sand) zu sehen, mit der ich vor zwei Jahren oft in Genf zusammengetroffen war. Damals sah ich sie immer als flotten Burschen in Männerkleidern, dießmal aber als ernste Dame in einem reichen, schwarzen Atlaßkleid, das sich vertraulich ihrem schönen und zarten Körper anschmiegte und dessen reizende Formen wie aus schwarzem Marmor gebildet hervorhob. Ihr reiches, spanisch dunkles Haar war nicht mehr unter einem armseligen modernen Filz zusammengedrückt, sondern umfloß in herrlichen Wellen und Locken den zarten und doch imposanten Frauenkopf. Was damals unter dem fatalen knappen Habit verborgen blieb, trat nun mit Bedeutung ans Licht: ein Hals und Nacken voll Anmuth. Mad. Dudevant ist zwar indessen etwas älter geworden, muß aber noch immer eine schöne Frau heißen, mit einer Mischung von zartem Reiz und Strenge in den regelmäßigen Zügen. Immer erinnerte sie mich an die Judith von Dominichino. Dasselbe dunkel glühende, strenge, aber phantastische und poetische Auge unter der männlichen Stirn, dieselbe Weichheit um die Wangen und die sinnreiche Sprachfülle auf dem wollüstigen Mund. Was dieß seltsam schöne Sphinxgesicht verspricht, hat Georges Sand so ziemlich gehalten. In dieser Doppelgängerin sehen wir unstreitig den brillantesten Romanschriftsteller Frankreichs der neuesten Zeit. ... Ihrem tiefen Gemüth genügte der elende Materialismus unserer Tage nicht, sie erhob sich über ihn, und in noch kühnerem Flug auch über alles Positive, um in die Region des Idealen und Absoluten zu gelangen. In letzter Beziehung folgt sie ganz dem Sehnen, dem Bedürfniß, das jetzt unsere bessere Gesellschaft in Frankreich lebendig fühlt, und nach dem sie auf mannichfache Weise ringt. Die Macht des Geldes und des Sinnengenusses ist so ungeheuer geworden, daß endlich alle nicht ganz gemeinen Gemüther mit aller Kraft dagegen aufstehen. Es ist nicht zu verkennen, daß sich jetzt in Frankreich neben der nur mercantilischen, rechnenden, speculirenden und eiskalten Generation eine kleine Gemeinde Andersdenkender bildet, die festhält an allem was Pflicht und Liebe gebieten, und die, ungeirrt von den verworfenen Speculationen des Egoismus um sie her, dem Gesetz der Ehre und Hingebung vor Allem treu bleibt. In dieser Beziehung könnten geniale Roman- und dramatische Schriftsteller viel Gutes wirken; sie könnten mit mehr Erfolg, als alle andern, die vom Materialismus pestartig ergriffene Gesellschaft packen und aufrütteln. Nun fragt sich's: hat G. Sand mit ihrem seltenen, herrlichen Talent die ganze Größe und auch die Weihe ihrer Sendung verstanden? Hat sie die mächtige Inspiration, das tiefe, glühende Gefühl, das ihr Gott verlieh, zur Besserung und Aufrichtung der verdorbenen Gesellschaft in ihrem Vaterland verwendet? Leider nicht. Ihre ersten Schritte trugen das Gepräge aller neuen und scheußlichen Leidenschaften des jungen Frankreichs; in ihnen herrscht eine fieberhafte, wollüstige und schmutzige Ueberreizung, wie in der ganzen anarchischen, auf die Juliustage folgenden Bewegung. Allerdings ist Form und Sprache darin sehr reizend, ich möchte sagen berauschend, Bilder auf Bilder drängen sich darin mit jugendlicher Schöpfungslust. Die ganze äußere Natur spiegelt sich darin mit entzückender Wahrheit und Fülle; alle wilde Leidenschaft ist mit hinreißender Farbe und Gluth gemalt, und manchmal dringen aus diesen zarten Melodien kühne und furchtbare Accorde hervor; sie erinnern an manche düstere Worte Dante's. Alles dieß aber ist nur die Hülle des Gedankens. Wenn man die ersten Romane G. Sands des reizend verführerischen Gewandes der Sprache und Darstellung entkleidet, so wird man traurig und unwillig, daß ein so schönes Talent sich im Schmutz wälzen mag. Denn was ist Indiana und Valentine? Die Erhebung und Verherrlichung des Ehebruchs, die Fatalität und Nothwendigkeit der Leidenschaft, mit all' ihren Folgen, die Glück, Menschenwürde und gesellschaftlichen Werth zerstören. Und doch sind diese Theorien noch nichts in Vergleich mit Lelia, dieser Cloake menschlicher Leidenschaft, mit Jacques, diesem Codex der Unsittlichkeit und einer Moral, die sich nur auf den Sinnen schaukelt, worin die Familie und das Familienleben in ihrem innersten Wesen zerstört, worin der Selbstmord gerechtfertigt und geadelt wird. Dieser Haß gegen alle Ehe, die nicht aus jugendlicher Gluth und Leidenschaft entsteht, und gegen das Leben selbst, wenn ihm nicht Alles nach Willen geht, dieser Haß wäre kindisch und unsinnig, wenn man ihn nicht feig und verächtlich nennen müßte. Dieß fühlte G. Sand selbst recht gut, und darum ging sie auf diesem schmutzigen Wege nicht weiter. Chateaubriand und Lamennais, diese starken und strengen Gemüther gewannen glücklicherweise Einfluß auf sie und bewirkten in der Schriftstellerin eine Umwandlung. Jetzt traten republicanische und neuchristliche Ideen an die Stelle ihres Hasses gegen die sittliche Gesellschaft, ihre Gesetze und Ordnung. Den neuen Weg begann sie mit Mauprat, erhob und reinigte sich noch mehr in den herrlichen italischen Bildern, in den maîtres mozaïstes und den Aldini, besonders aber in Spiridion. In einem Gespräch mit Sand habe ich ihr obige Ansichten nicht verborgen, und zugleich der geistreichen Frau muthig die Frage ausgesprochen, wie sie sich mit ihrem herrlichen Talent früher habe so sehr vergreifen können? Da erwiederte sie mir mit einer großen Thräne in den herrlichen Augen: „Si vous connaissiez l'histoire de mon cœur et de ma jeunesse, vous comprendriez tout. Je porte dans mon sein la trilogie de votre Faust, j'étais Marguerite, Faust et Méphistopheles à la fois; me venger de la société qui me repoussa, ternir ce qu'elle a de plus beau et de plus cher, telle me parut la mission de ma vie; maintenant je suis sauvée comme Faust.“ (Morgenblatt.) Algier vor und nach der französischen Eroberung. _Algier, Anfang Januar. Seit den neun Jahren, daß die französische Fahne auf den Küsten des nördlichen Afrika's weht, hat eine große Anzahl Officiere und Gelehrte von jenseits des Rheins die aufblühende Colonie besucht, theils um das den Eingebornen eigenthümliche Kriegssystem zu studiren, theils um mitten unter Gefahren und Entbehrungen jeder Art friedlichere, doch nicht weniger interessante Untersuchungen anzustellen. Diese edle Sympathie für die Handvoll Europäer, welche hier mit Muth und Ausdauer nach dem Ziele streben, ein fruchtbares Land den trägen und barbarischen Händen zu entreißen, die es unbenutzt lassen, ehrt die Nation, die sie empfindet. Darf übrigens nicht auch Deutschland unter den afrikanischen Ansiedlern, die so lebhaft seine Theilnahme rege machen, mit Liebe und Stolz eine große Anzahl als seine Söhne bezeichnen? *) *) Eine ziemliche Anzahl der in Algier angesiedelten Colonisten sind Deutsche.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840, S. 0249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201/8>, abgerufen am 09.11.2024.