Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Correspondenz, zu welcher dieser Artikel in gewisser Hinsicht die Vorrede bildet, soll zum Zweck haben, den Gang der Ereignisse in Algerien zu verfolgen. Da es aber unmöglich ist, die Gegenwart richtig zu beurtheilen, ohne gewisse Thatsachen zu kennen, welche der Vergangenheit angehören, so wird es nicht unangemessen seyn, mit einer Uebersicht des früheren Zustandes zu beginnen, die sich übrigens in den engsten Schranken halten soll.

Schon seit langer Zeit schweift die europäische Neugier um den geheimnißvollen Continent von Afrika, einer alten Welt, und selbst in unsern Tagen noch so wenig bekannt! Seit mehr als drei Jahrhunderten waren die Türken schon Herren der Regentschaft, und noch bestand nicht der Schatten einer Vermischung zwischen ihnen und den Eingebornen des Landes; die Bevölkerung, die wir bei unserer Ankunft daselbst trafen, konnte, nach den bestehenden Verhältnissen, in zwei große Classen getheilt werden: die Sieger und die Besiegten. Diese Trennung, welche die Politik geheiligt hatte, wurde durch die Religion noch schärfer, denn wenn auch Türken und Araber auf gleiche Weise den Islam bekennen, so gehören sie doch nicht zu derselben Secte, da die erstern die Meinungen des Imam Abu Hhanifah angenommen haben, während die andern den Lehren des berühmten Malek Ebn Ans folgen. Die Hhanifiten und Malekiten aber (wie sich diese Secten zu Ehren der Gründer ihrer Lehrsätze nennen) hassen sich von ganzem Herzen.

Die Sieger waren fast ausschließlich Türken, und ihre Zahl hält sich ziemlich auf gleicher Höhe durch die Anwerbungen, die zu Konstantinopel, Smyrna etc. gemacht wurden, und die gewöhnlich die Hefe der muselmännischen Bevölkerung jener Gegenden herführte. Dieser privilegirten Classe wurden ausschließlich die Ehrenstellen, Militär- und Civilämter zu Theil. Die Söhne der Türken, die man Kuruglis nannte, genossen schon nicht mehr dieselben Vorrechte. Ihre Väter hatten sie von maurischen oder arabischen Frauen erhalten (denn die türkischen Damen fanden es nicht schicklich, sich in Algier niederzulassen), sie sahen in ihnen schon darum entartete Wesen, weil in ihren Adern das edle Blut der Osmanli sich mit dem der Eingebornen vermischte, und lehrten sie nicht einmal ihre Nationalsprache.

Da aber die Türken, deren Anzahl fast nie 20,000 überstieg, und oft geringer war, nicht ausgereicht haben würden, das ganze Land zu beherrschen, so ersetzten sie die Schwäche ihrer Zahl durch zwei Einrichtungen, deren Wichtigkeit eine nähere Erklärung verlangt. Auf mehreren Punkten des Gebiets, sorgfältig nach politischen und strategischen Gründen ausgewählt, gründeten sie Militärcolonien, die hauptsächlich aus Kuruglis bestanden. Man zeigt in den Umgebungen von Algier diejenige der Männer von Uad el Zeitun*), die sich ihren Nachbarn in Folge ihres vorgespiegelten türkischen Ursprungs furchtbar gemacht hatten und einen noch schätzbareren Ruhm erwarben, indem sie ihr schönes Gebiet mit einem Eifer und Geschick anbauten, das Europäern Ehre gemacht haben würde. Außer dieser Art Vorposten war es den Türken gelungen, durch die Bewilligung gewisser Privilegien, die streitbarsten arabischen Stämme in ihr Interesse zu ziehen, und sie hatten sie in topographischer Hinsicht so gut gewählt, daß diese Hülfsmiliz, auf allen Punkten Algeriens verbreitet, ein furchtbares Netz bildete, das in seinen Schlingen die ganze übrige eingeborne Bevölkerung festhielt. Unter dem Namen von Duayer im Westen, Deira im Osten*) hatten sie also auf allen Seiten bedeutende Reitermassen, die auf das erste Zeichen aufbrachen, und indem sie ihnen verstatteten, die widerspänstigen Völkerschaften von vorn, im Rücken und in den Seiten anzugreifen, sicherten sie ihren militärischen Operationen einen Erfolg und eine Wirksamkeit, die man mit Leuten, die so schnell sich in große Entfernungen und fast unzugängliche Gegenden zurückzogen, nicht anders erreichen konnte. Sie hatten auch Fußvölker der Eingebornen in ihrem Dienst, die man Zuawau nannte, woher der Name Zuaven, den man dem ältesten und besten Regiment gegeben hat, das wir in Afrika besitzen.

Was konnte gegen diese Masse von so engverbundenen Streitkräften das unterjochte Volk thun, das sich in verschiedene Stämme und Parteien theilte, die alle besondere Führer und folglich getrennte Interessen hatten? Der einzige Theil der Bevölkerung, der wegen seiner Tapferkeit und der Schwierigkeit seiner Wohnplätze wirklich zu fürchten war (die Kabylen), trieb die Liebe zur Unabhängigkeit so weit, daß jedes Gebirg, jedes Dorf nach eigener Weise lebte und sich mit seinen Nachbarn nur bei seltenen und feierlichen Gelegenheiten vereinigte. Dieses Geschlecht hat übrigens einen eigenthümlichen Charakter, der die Plane der Osmanli ganz besonders begünstigte. Obgleich mit ausgezeichnetem Muthe begabt, kennt es den Eroberungsgeist nicht und, zufrieden auf seinen unzugänglichen Felsenspitzen seine Unabhängigkeit zu bewahren, bekümmert es sich in der Regel wenig darum, was in der Ebene vorgeht. Die Türken, die klug genug waren, die Schwierigkeit einzusehen, diese wilden Bergvölker völlig und unmittelbar zu beherrschen, verlangten von ihnen nur geringen Tribut, bloß um ihr Hoheitsrecht aufrecht zu erhalten und mit Hülfe der verehrten Marabuts und einflußreicher Häuptlinge dieses Volks, die sie reich besoldeten, erhielten sie dieses Resultat ziemlich leicht.

Was die Araber betrifft, die größtentheils in leicht zugänglichen Gegenden wohnten, und die in Bezug auf kriegerische Tugenden ihren Vorfahren, den unerschrockenen Gefährten von Oqbahet, Cid Abd-Allah, den Eroberern des Morhereb**), keineswegs gleichen, so übten die Türken über sie fast fortdauernd durch die Colonien der Kuruglis und die in Hülfstruppen organisirten eingebornen Stämme eine unmittelbare Herrschaft aus.***)

In den Städten war die Herrschaft der Türken noch unmittelbarer, weil hier der Besiegte ganz in ihrer Hand war, und außerdem die Mauren und Juden, aus denen hauptsächlich die Bevölkerung der Städte besteht, am wenigsten kriegerisch gesinnt sind.

So trefflich aber in militärischer Hinsicht auch der Staat organisirt war, so schwach war er in Bezug auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Zwar fehlte das Land nicht; auch hatte die alte Fruchtbarkeit Numidiens und Mauritaniens nicht aufgehört, aber die unwissende, träge Bevölkerung, unaufhörlich mit

*) Uad el Zeitun, der Fluß der Oelbäume.
*) Diese Hülfstruppen erhielten den allgemeinen Namen Makhzen (wovon das französische magasin) oder Reservetruppen.
**) Morhereb, die arabische Bezeichnung des nördlichen Afrika's von der Wüste Barka bis zum atlantischen Meere, die südliche Begränzung ist Sahhara.
***) Schon die Römer wandten dieses so natürliche Mittel an, die Eingebornen durch die Eingebornen zu besiegen. Eine Inschrift, die Shaw bei Sur el Rhozlan (das Fort der Gazellen) fand, nennt vexillarii equitum maurorum in territorio auziensi praetendentium. Es waren Abtheilungen afrikanischer Reiterei, die als Vorposten dienten, eine wahre Makhzen in der Art, wie die Türken gegen den Anfang des 16ten Jahrhunderts sie errichteten.

Die Correspondenz, zu welcher dieser Artikel in gewisser Hinsicht die Vorrede bildet, soll zum Zweck haben, den Gang der Ereignisse in Algerien zu verfolgen. Da es aber unmöglich ist, die Gegenwart richtig zu beurtheilen, ohne gewisse Thatsachen zu kennen, welche der Vergangenheit angehören, so wird es nicht unangemessen seyn, mit einer Uebersicht des früheren Zustandes zu beginnen, die sich übrigens in den engsten Schranken halten soll.

Schon seit langer Zeit schweift die europäische Neugier um den geheimnißvollen Continent von Afrika, einer alten Welt, und selbst in unsern Tagen noch so wenig bekannt! Seit mehr als drei Jahrhunderten waren die Türken schon Herren der Regentschaft, und noch bestand nicht der Schatten einer Vermischung zwischen ihnen und den Eingebornen des Landes; die Bevölkerung, die wir bei unserer Ankunft daselbst trafen, konnte, nach den bestehenden Verhältnissen, in zwei große Classen getheilt werden: die Sieger und die Besiegten. Diese Trennung, welche die Politik geheiligt hatte, wurde durch die Religion noch schärfer, denn wenn auch Türken und Araber auf gleiche Weise den Islam bekennen, so gehören sie doch nicht zu derselben Secte, da die erstern die Meinungen des Imam Abu Hhanifah angenommen haben, während die andern den Lehren des berühmten Malek Ebn Ans folgen. Die Hhanifiten und Malekiten aber (wie sich diese Secten zu Ehren der Gründer ihrer Lehrsätze nennen) hassen sich von ganzem Herzen.

Die Sieger waren fast ausschließlich Türken, und ihre Zahl hält sich ziemlich auf gleicher Höhe durch die Anwerbungen, die zu Konstantinopel, Smyrna etc. gemacht wurden, und die gewöhnlich die Hefe der muselmännischen Bevölkerung jener Gegenden herführte. Dieser privilegirten Classe wurden ausschließlich die Ehrenstellen, Militär- und Civilämter zu Theil. Die Söhne der Türken, die man Kuruglis nannte, genossen schon nicht mehr dieselben Vorrechte. Ihre Väter hatten sie von maurischen oder arabischen Frauen erhalten (denn die türkischen Damen fanden es nicht schicklich, sich in Algier niederzulassen), sie sahen in ihnen schon darum entartete Wesen, weil in ihren Adern das edle Blut der Osmanli sich mit dem der Eingebornen vermischte, und lehrten sie nicht einmal ihre Nationalsprache.

Da aber die Türken, deren Anzahl fast nie 20,000 überstieg, und oft geringer war, nicht ausgereicht haben würden, das ganze Land zu beherrschen, so ersetzten sie die Schwäche ihrer Zahl durch zwei Einrichtungen, deren Wichtigkeit eine nähere Erklärung verlangt. Auf mehreren Punkten des Gebiets, sorgfältig nach politischen und strategischen Gründen ausgewählt, gründeten sie Militärcolonien, die hauptsächlich aus Kuruglis bestanden. Man zeigt in den Umgebungen von Algier diejenige der Männer von Uad el Zeitun*), die sich ihren Nachbarn in Folge ihres vorgespiegelten türkischen Ursprungs furchtbar gemacht hatten und einen noch schätzbareren Ruhm erwarben, indem sie ihr schönes Gebiet mit einem Eifer und Geschick anbauten, das Europäern Ehre gemacht haben würde. Außer dieser Art Vorposten war es den Türken gelungen, durch die Bewilligung gewisser Privilegien, die streitbarsten arabischen Stämme in ihr Interesse zu ziehen, und sie hatten sie in topographischer Hinsicht so gut gewählt, daß diese Hülfsmiliz, auf allen Punkten Algeriens verbreitet, ein furchtbares Netz bildete, das in seinen Schlingen die ganze übrige eingeborne Bevölkerung festhielt. Unter dem Namen von Duayer im Westen, Deira im Osten*) hatten sie also auf allen Seiten bedeutende Reitermassen, die auf das erste Zeichen aufbrachen, und indem sie ihnen verstatteten, die widerspänstigen Völkerschaften von vorn, im Rücken und in den Seiten anzugreifen, sicherten sie ihren militärischen Operationen einen Erfolg und eine Wirksamkeit, die man mit Leuten, die so schnell sich in große Entfernungen und fast unzugängliche Gegenden zurückzogen, nicht anders erreichen konnte. Sie hatten auch Fußvölker der Eingebornen in ihrem Dienst, die man Zuawau nannte, woher der Name Zuaven, den man dem ältesten und besten Regiment gegeben hat, das wir in Afrika besitzen.

Was konnte gegen diese Masse von so engverbundenen Streitkräften das unterjochte Volk thun, das sich in verschiedene Stämme und Parteien theilte, die alle besondere Führer und folglich getrennte Interessen hatten? Der einzige Theil der Bevölkerung, der wegen seiner Tapferkeit und der Schwierigkeit seiner Wohnplätze wirklich zu fürchten war (die Kabylen), trieb die Liebe zur Unabhängigkeit so weit, daß jedes Gebirg, jedes Dorf nach eigener Weise lebte und sich mit seinen Nachbarn nur bei seltenen und feierlichen Gelegenheiten vereinigte. Dieses Geschlecht hat übrigens einen eigenthümlichen Charakter, der die Plane der Osmanli ganz besonders begünstigte. Obgleich mit ausgezeichnetem Muthe begabt, kennt es den Eroberungsgeist nicht und, zufrieden auf seinen unzugänglichen Felsenspitzen seine Unabhängigkeit zu bewahren, bekümmert es sich in der Regel wenig darum, was in der Ebene vorgeht. Die Türken, die klug genug waren, die Schwierigkeit einzusehen, diese wilden Bergvölker völlig und unmittelbar zu beherrschen, verlangten von ihnen nur geringen Tribut, bloß um ihr Hoheitsrecht aufrecht zu erhalten und mit Hülfe der verehrten Marabuts und einflußreicher Häuptlinge dieses Volks, die sie reich besoldeten, erhielten sie dieses Resultat ziemlich leicht.

Was die Araber betrifft, die größtentheils in leicht zugänglichen Gegenden wohnten, und die in Bezug auf kriegerische Tugenden ihren Vorfahren, den unerschrockenen Gefährten von Oqbahet, Cid Abd-Allah, den Eroberern des Morhereb**), keineswegs gleichen, so übten die Türken über sie fast fortdauernd durch die Colonien der Kuruglis und die in Hülfstruppen organisirten eingebornen Stämme eine unmittelbare Herrschaft aus.***)

In den Städten war die Herrschaft der Türken noch unmittelbarer, weil hier der Besiegte ganz in ihrer Hand war, und außerdem die Mauren und Juden, aus denen hauptsächlich die Bevölkerung der Städte besteht, am wenigsten kriegerisch gesinnt sind.

So trefflich aber in militärischer Hinsicht auch der Staat organisirt war, so schwach war er in Bezug auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Zwar fehlte das Land nicht; auch hatte die alte Fruchtbarkeit Numidiens und Mauritaniens nicht aufgehört, aber die unwissende, träge Bevölkerung, unaufhörlich mit

*) Uad el Zeitun, der Fluß der Oelbäume.
*) Diese Hülfstruppen erhielten den allgemeinen Namen Makhzen (wovon das französische magasin) oder Reservetruppen.
**) Morhereb, die arabische Bezeichnung des nördlichen Afrika's von der Wüste Barka bis zum atlantischen Meere, die südliche Begränzung ist Sahhara.
***) Schon die Römer wandten dieses so natürliche Mittel an, die Eingebornen durch die Eingebornen zu besiegen. Eine Inschrift, die Shaw bei Sur el Rhozlan (das Fort der Gazellen) fand, nennt vexillarii equitum maurorum in territorio auziensi praetendentium. Es waren Abtheilungen afrikanischer Reiterei, die als Vorposten dienten, eine wahre Makhzen in der Art, wie die Türken gegen den Anfang des 16ten Jahrhunderts sie errichteten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jSupplement" n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="2">
              <div type="jArticle" n="3">
                <pb facs="#f0009" n="0250"/><lb/>
                <p>Die Correspondenz, zu welcher dieser Artikel in gewisser Hinsicht die Vorrede bildet, soll zum Zweck haben, den Gang der Ereignisse in Algerien zu verfolgen. Da es aber unmöglich ist, die Gegenwart richtig zu beurtheilen, ohne gewisse Thatsachen zu kennen, welche der Vergangenheit angehören, so wird es nicht unangemessen seyn, mit einer Uebersicht des früheren Zustandes zu beginnen, die sich übrigens in den engsten Schranken halten soll.</p><lb/>
                <p>Schon seit langer Zeit schweift die europäische Neugier um den geheimnißvollen Continent von Afrika, einer alten Welt, und selbst in unsern Tagen noch so wenig bekannt! Seit mehr als drei Jahrhunderten waren die Türken schon Herren der Regentschaft, und noch bestand nicht der Schatten einer Vermischung zwischen ihnen und den Eingebornen des Landes; die Bevölkerung, die wir bei unserer Ankunft daselbst trafen, konnte, nach den bestehenden Verhältnissen, in zwei große Classen getheilt werden: die Sieger und die Besiegten. Diese Trennung, welche die Politik geheiligt hatte, wurde durch die Religion noch schärfer, denn wenn auch Türken und Araber auf gleiche Weise den Islam bekennen, so gehören sie doch nicht zu derselben Secte, da die erstern die Meinungen des Imam <hi rendition="#g">Abu Hhanifah</hi> angenommen haben, während die andern den Lehren des berühmten <hi rendition="#g">Malek Ebn Ans</hi> folgen. Die Hhanifiten und Malekiten aber (wie sich diese Secten zu Ehren der Gründer ihrer Lehrsätze nennen) hassen sich von ganzem Herzen.</p><lb/>
                <p>Die Sieger waren fast ausschließlich Türken, und ihre Zahl hält sich ziemlich auf gleicher Höhe durch die Anwerbungen, die zu Konstantinopel, Smyrna etc. gemacht wurden, und die gewöhnlich die Hefe der muselmännischen Bevölkerung jener Gegenden herführte. Dieser privilegirten Classe wurden ausschließlich die Ehrenstellen, Militär- und Civilämter zu Theil. Die Söhne der Türken, die man Kuruglis nannte, genossen schon nicht mehr dieselben Vorrechte. Ihre Väter hatten sie von maurischen oder arabischen Frauen erhalten (denn die türkischen Damen fanden es nicht schicklich, sich in Algier niederzulassen), sie sahen in ihnen schon darum entartete Wesen, weil in ihren Adern das edle Blut der Osmanli sich mit dem der Eingebornen vermischte, und lehrten sie nicht einmal ihre Nationalsprache.</p><lb/>
                <p>Da aber die Türken, deren Anzahl fast nie 20,000 überstieg, und oft geringer war, nicht ausgereicht haben würden, das ganze Land zu beherrschen, so ersetzten sie die Schwäche ihrer Zahl durch zwei Einrichtungen, deren Wichtigkeit eine nähere Erklärung verlangt. Auf mehreren Punkten des Gebiets, sorgfältig nach politischen und strategischen Gründen ausgewählt, gründeten sie Militärcolonien, die hauptsächlich aus Kuruglis bestanden. Man zeigt in den Umgebungen von Algier diejenige der Männer von <hi rendition="#g">Uad el Zeitun</hi><note place="foot" n="*)">Uad el Zeitun, der Fluß der Oelbäume.</note>, die sich ihren Nachbarn in Folge ihres vorgespiegelten türkischen Ursprungs furchtbar gemacht hatten und einen noch schätzbareren Ruhm erwarben, indem sie ihr schönes Gebiet mit einem Eifer und Geschick anbauten, das Europäern Ehre gemacht haben würde. Außer dieser Art Vorposten war es den Türken gelungen, durch die Bewilligung gewisser Privilegien, die streitbarsten arabischen Stämme in ihr Interesse zu ziehen, und sie hatten sie in topographischer Hinsicht so gut gewählt, daß diese Hülfsmiliz, auf allen Punkten Algeriens verbreitet, ein furchtbares Netz bildete, das in seinen Schlingen die ganze übrige eingeborne Bevölkerung festhielt. Unter dem Namen von <hi rendition="#g">Duayer</hi> im Westen, <hi rendition="#g">Deira</hi> im Osten<note place="foot" n="*)">Diese Hülfstruppen erhielten den allgemeinen Namen <hi rendition="#g">Makhzen</hi> (wovon das französische magasin) oder Reservetruppen.</note> hatten sie also auf allen Seiten bedeutende Reitermassen, die auf das erste Zeichen aufbrachen, und indem sie ihnen verstatteten, die widerspänstigen Völkerschaften von vorn, im Rücken und in den Seiten anzugreifen, sicherten sie ihren militärischen Operationen einen Erfolg und eine Wirksamkeit, die man mit Leuten, die so schnell sich in große Entfernungen und fast unzugängliche Gegenden zurückzogen, nicht anders erreichen konnte. Sie hatten auch Fußvölker der Eingebornen in ihrem Dienst, die man Zuawau nannte, woher der Name Zuaven, den man dem ältesten und besten Regiment gegeben hat, das wir in Afrika besitzen.</p><lb/>
                <p>Was konnte gegen diese Masse von so engverbundenen Streitkräften das unterjochte Volk thun, das sich in verschiedene Stämme und Parteien theilte, die alle besondere Führer und folglich getrennte Interessen hatten? Der einzige Theil der Bevölkerung, der wegen seiner Tapferkeit und der Schwierigkeit seiner Wohnplätze wirklich zu fürchten war (die Kabylen), trieb die Liebe zur Unabhängigkeit so weit, daß jedes Gebirg, jedes Dorf nach eigener Weise lebte und sich mit seinen Nachbarn nur bei seltenen und feierlichen Gelegenheiten vereinigte. Dieses Geschlecht hat übrigens einen eigenthümlichen Charakter, der die Plane der Osmanli ganz besonders begünstigte. Obgleich mit ausgezeichnetem Muthe begabt, kennt es den Eroberungsgeist nicht und, zufrieden auf seinen unzugänglichen Felsenspitzen seine Unabhängigkeit zu bewahren, bekümmert es sich in der Regel wenig darum, was in der Ebene vorgeht. Die Türken, die klug genug waren, die Schwierigkeit einzusehen, diese wilden Bergvölker völlig und unmittelbar zu beherrschen, verlangten von ihnen nur geringen Tribut, bloß um ihr Hoheitsrecht aufrecht zu erhalten und mit Hülfe der verehrten Marabuts und einflußreicher Häuptlinge dieses Volks, die sie reich besoldeten, erhielten sie dieses Resultat ziemlich leicht.</p><lb/>
                <p>Was die Araber betrifft, die größtentheils in leicht zugänglichen Gegenden wohnten, und die in Bezug auf kriegerische Tugenden ihren Vorfahren, den unerschrockenen Gefährten von Oqbahet, Cid Abd-Allah, den Eroberern des Morhereb<note place="foot" n="**)">Morhereb, die arabische Bezeichnung des nördlichen Afrika's von der Wüste Barka bis zum atlantischen Meere, die südliche Begränzung ist Sahhara.</note>, keineswegs gleichen, so übten die Türken über sie fast fortdauernd durch die Colonien der Kuruglis und die in Hülfstruppen organisirten eingebornen Stämme eine unmittelbare Herrschaft aus.<note place="foot" n="***)">Schon die Römer wandten dieses so natürliche Mittel an, die Eingebornen durch die Eingebornen zu besiegen. Eine Inschrift, die Shaw bei <hi rendition="#g">Sur el Rhozlan</hi> (das Fort der Gazellen) fand, nennt vexillarii equitum maurorum in territorio auziensi praetendentium. Es waren Abtheilungen afrikanischer Reiterei, die als Vorposten dienten, eine wahre Makhzen in der Art, wie die Türken gegen den Anfang des 16ten Jahrhunderts sie errichteten.</note></p><lb/>
                <p>In den Städten war die Herrschaft der Türken noch unmittelbarer, weil hier der Besiegte ganz in ihrer Hand war, und außerdem die Mauren und Juden, aus denen hauptsächlich die Bevölkerung der Städte besteht, am wenigsten kriegerisch gesinnt sind.</p><lb/>
                <p>So trefflich aber in militärischer Hinsicht auch der Staat organisirt war, so schwach war er in Bezug auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Zwar fehlte das Land nicht; auch hatte die alte Fruchtbarkeit Numidiens und Mauritaniens nicht aufgehört, aber die unwissende, träge Bevölkerung, unaufhörlich mit<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250/0009] Die Correspondenz, zu welcher dieser Artikel in gewisser Hinsicht die Vorrede bildet, soll zum Zweck haben, den Gang der Ereignisse in Algerien zu verfolgen. Da es aber unmöglich ist, die Gegenwart richtig zu beurtheilen, ohne gewisse Thatsachen zu kennen, welche der Vergangenheit angehören, so wird es nicht unangemessen seyn, mit einer Uebersicht des früheren Zustandes zu beginnen, die sich übrigens in den engsten Schranken halten soll. Schon seit langer Zeit schweift die europäische Neugier um den geheimnißvollen Continent von Afrika, einer alten Welt, und selbst in unsern Tagen noch so wenig bekannt! Seit mehr als drei Jahrhunderten waren die Türken schon Herren der Regentschaft, und noch bestand nicht der Schatten einer Vermischung zwischen ihnen und den Eingebornen des Landes; die Bevölkerung, die wir bei unserer Ankunft daselbst trafen, konnte, nach den bestehenden Verhältnissen, in zwei große Classen getheilt werden: die Sieger und die Besiegten. Diese Trennung, welche die Politik geheiligt hatte, wurde durch die Religion noch schärfer, denn wenn auch Türken und Araber auf gleiche Weise den Islam bekennen, so gehören sie doch nicht zu derselben Secte, da die erstern die Meinungen des Imam Abu Hhanifah angenommen haben, während die andern den Lehren des berühmten Malek Ebn Ans folgen. Die Hhanifiten und Malekiten aber (wie sich diese Secten zu Ehren der Gründer ihrer Lehrsätze nennen) hassen sich von ganzem Herzen. Die Sieger waren fast ausschließlich Türken, und ihre Zahl hält sich ziemlich auf gleicher Höhe durch die Anwerbungen, die zu Konstantinopel, Smyrna etc. gemacht wurden, und die gewöhnlich die Hefe der muselmännischen Bevölkerung jener Gegenden herführte. Dieser privilegirten Classe wurden ausschließlich die Ehrenstellen, Militär- und Civilämter zu Theil. Die Söhne der Türken, die man Kuruglis nannte, genossen schon nicht mehr dieselben Vorrechte. Ihre Väter hatten sie von maurischen oder arabischen Frauen erhalten (denn die türkischen Damen fanden es nicht schicklich, sich in Algier niederzulassen), sie sahen in ihnen schon darum entartete Wesen, weil in ihren Adern das edle Blut der Osmanli sich mit dem der Eingebornen vermischte, und lehrten sie nicht einmal ihre Nationalsprache. Da aber die Türken, deren Anzahl fast nie 20,000 überstieg, und oft geringer war, nicht ausgereicht haben würden, das ganze Land zu beherrschen, so ersetzten sie die Schwäche ihrer Zahl durch zwei Einrichtungen, deren Wichtigkeit eine nähere Erklärung verlangt. Auf mehreren Punkten des Gebiets, sorgfältig nach politischen und strategischen Gründen ausgewählt, gründeten sie Militärcolonien, die hauptsächlich aus Kuruglis bestanden. Man zeigt in den Umgebungen von Algier diejenige der Männer von Uad el Zeitun *), die sich ihren Nachbarn in Folge ihres vorgespiegelten türkischen Ursprungs furchtbar gemacht hatten und einen noch schätzbareren Ruhm erwarben, indem sie ihr schönes Gebiet mit einem Eifer und Geschick anbauten, das Europäern Ehre gemacht haben würde. Außer dieser Art Vorposten war es den Türken gelungen, durch die Bewilligung gewisser Privilegien, die streitbarsten arabischen Stämme in ihr Interesse zu ziehen, und sie hatten sie in topographischer Hinsicht so gut gewählt, daß diese Hülfsmiliz, auf allen Punkten Algeriens verbreitet, ein furchtbares Netz bildete, das in seinen Schlingen die ganze übrige eingeborne Bevölkerung festhielt. Unter dem Namen von Duayer im Westen, Deira im Osten *) hatten sie also auf allen Seiten bedeutende Reitermassen, die auf das erste Zeichen aufbrachen, und indem sie ihnen verstatteten, die widerspänstigen Völkerschaften von vorn, im Rücken und in den Seiten anzugreifen, sicherten sie ihren militärischen Operationen einen Erfolg und eine Wirksamkeit, die man mit Leuten, die so schnell sich in große Entfernungen und fast unzugängliche Gegenden zurückzogen, nicht anders erreichen konnte. Sie hatten auch Fußvölker der Eingebornen in ihrem Dienst, die man Zuawau nannte, woher der Name Zuaven, den man dem ältesten und besten Regiment gegeben hat, das wir in Afrika besitzen. Was konnte gegen diese Masse von so engverbundenen Streitkräften das unterjochte Volk thun, das sich in verschiedene Stämme und Parteien theilte, die alle besondere Führer und folglich getrennte Interessen hatten? Der einzige Theil der Bevölkerung, der wegen seiner Tapferkeit und der Schwierigkeit seiner Wohnplätze wirklich zu fürchten war (die Kabylen), trieb die Liebe zur Unabhängigkeit so weit, daß jedes Gebirg, jedes Dorf nach eigener Weise lebte und sich mit seinen Nachbarn nur bei seltenen und feierlichen Gelegenheiten vereinigte. Dieses Geschlecht hat übrigens einen eigenthümlichen Charakter, der die Plane der Osmanli ganz besonders begünstigte. Obgleich mit ausgezeichnetem Muthe begabt, kennt es den Eroberungsgeist nicht und, zufrieden auf seinen unzugänglichen Felsenspitzen seine Unabhängigkeit zu bewahren, bekümmert es sich in der Regel wenig darum, was in der Ebene vorgeht. Die Türken, die klug genug waren, die Schwierigkeit einzusehen, diese wilden Bergvölker völlig und unmittelbar zu beherrschen, verlangten von ihnen nur geringen Tribut, bloß um ihr Hoheitsrecht aufrecht zu erhalten und mit Hülfe der verehrten Marabuts und einflußreicher Häuptlinge dieses Volks, die sie reich besoldeten, erhielten sie dieses Resultat ziemlich leicht. Was die Araber betrifft, die größtentheils in leicht zugänglichen Gegenden wohnten, und die in Bezug auf kriegerische Tugenden ihren Vorfahren, den unerschrockenen Gefährten von Oqbahet, Cid Abd-Allah, den Eroberern des Morhereb **), keineswegs gleichen, so übten die Türken über sie fast fortdauernd durch die Colonien der Kuruglis und die in Hülfstruppen organisirten eingebornen Stämme eine unmittelbare Herrschaft aus. ***) In den Städten war die Herrschaft der Türken noch unmittelbarer, weil hier der Besiegte ganz in ihrer Hand war, und außerdem die Mauren und Juden, aus denen hauptsächlich die Bevölkerung der Städte besteht, am wenigsten kriegerisch gesinnt sind. So trefflich aber in militärischer Hinsicht auch der Staat organisirt war, so schwach war er in Bezug auf Ackerbau, Handel und Gewerbe. Zwar fehlte das Land nicht; auch hatte die alte Fruchtbarkeit Numidiens und Mauritaniens nicht aufgehört, aber die unwissende, träge Bevölkerung, unaufhörlich mit *) Uad el Zeitun, der Fluß der Oelbäume. *) Diese Hülfstruppen erhielten den allgemeinen Namen Makhzen (wovon das französische magasin) oder Reservetruppen. **) Morhereb, die arabische Bezeichnung des nördlichen Afrika's von der Wüste Barka bis zum atlantischen Meere, die südliche Begränzung ist Sahhara. ***) Schon die Römer wandten dieses so natürliche Mittel an, die Eingebornen durch die Eingebornen zu besiegen. Eine Inschrift, die Shaw bei Sur el Rhozlan (das Fort der Gazellen) fand, nennt vexillarii equitum maurorum in territorio auziensi praetendentium. Es waren Abtheilungen afrikanischer Reiterei, die als Vorposten dienten, eine wahre Makhzen in der Art, wie die Türken gegen den Anfang des 16ten Jahrhunderts sie errichteten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 31. Augsburg, 1. Februar 1840, S. 0250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_032_18400201/9>, abgerufen am 03.12.2024.