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Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
5 Februar1840

Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten.

(Zweiter Artikel.)

Niebuhr im preußischen Staatsdienst.

Zu einer unglücklichern Zeit hätte Niebuhr nicht nach Preußen kommen können. Im October 1806, wenige Tage vor den Schlachten von Jena und Auerstädt, traf er in Berlin ein, einige Tage nachher war er schon wieder auf der Fahrt. Von Westen her waren die Straßen mit den Trümmern des Heers, ostwärts mit fliehenden Behörden und Cassen bedeckt. Seine Directorialarbeiten bei den großen Finanzinstituten des Staats, der Bank und der Seehandlung waren - Fortschaffung von Geldern und Effecten. Es war eine Wanderung ohne bestimmtes Ziel - nach Stettin, Danzig, Königsberg, Memel, Gott weiß wohin. So lange man auf eigentlich deutschem Boden war, ging's erträglich, aber in Cassuben und Polen waren oft keine Postpferde zu haben, oder nur um ungeheuern Preis, die Gasthöfe abscheulich und überfüllt, selbst an genießbaren Speisen Mangel, Alles - altpolnische Barbarei. Das Schrecklichste war die Ungewißheit über die Lage der Dinge, auch die Minister wußten nicht mehr als vage Gerüchte.1) Das preußische Volk erschien ihm in diesen Tagen bespielloser Noth sehr achtungswerth, voll Kraft, Ernst, Treue, Gutmüthigkeit, und wie sturmschnell auch die Fluth das Land überschwemmt hatte, noch jetzt unbezwingbar, wenn es geleitet würde von einem großen Geist. Diesen Geist entdeckte er aber nicht unter der Kanzleienkarawane, die ihm das Schicksal zur Begleitung gab. Da hatte das allgemeine Unglück keine feierliche Stimmung hervorgebracht. Der Krieg war Unterhaltungsgegenstand. Man schimpfte auf die Engländer, die an allem Unfrieden Schuld seyn sollten, auf die Russen, die im Land ihrer Bundesgenossen etwas asiatisch wirthschafteten, über verderbliche Rathschläge, Mißbräuche, Aristokratie, man tröstete sich mit dem Edelmuth der Franzosen und ihres großen Kaisers.2) Ihm mußte wieder Ali's Spruch einfallen: Verzweiflung ist ein Freier, Hoffnung ein Sklav.3)

Was sein persönliches Loos erleichterte, war das innige Verhältniß zu dem Freiherrn vom Stein. In Stein erkannte er einen Mann im höchsten Sinn des Worts, einen Minister wie er ihn sich nur wünschte, einen Obern, mit dem er sich in jeder Hinsicht verstand. Ihre Beziehungen wurden vielfältiger, die Zeit hatte die conventionellen Schranken durchbrochen, sie versprachen einander, daß sie sich nicht trennen, jedes Geschick zusammen bestehen wollten.4) In Königsberg, wo die wandernde Regierung von Anfang Novembers bis gegen Ende des Jahrs ihren Sitz hatte, hätte man sich behaglich finden können ohne die stete Erwartung den Pilgerstab fortsetzen zu müssen - vielleicht über Nacht. Niebuhr hatte wieder eine geregelte Beschäftigung, die ihm wohlthat; es wurden ihm Arbeiten übertragen auch außer der Ordnung, er kam mit allen Ministern in Berührung, fast auf vertrauten Fuß. Nicolovius wurde ein lieber Freund; Männer wie Schön, Altenstein, Fichte, Sir Hartford Jones, vieljähriger Gesandter in Bagdad und Teheran, Lord Hutchinson, boten sich zu interessantem Umgang. Als es aber über die kurische Nehrung, über die Memel ging, Stein abdankte, auch dort noch keine bleibende Stätte war, da kam Niebuhr sich vor wie ein armer Auswanderer, er fühlte sich mit seiner kranken Frau verlassen wie bei den Hyperboräern. Seine Aussichten auf eine schöne Wirksamkeit, verbunden mit so viel Vortheil und Ehre als das Arbeiten angenehm macht, war dahin: er sagte sich, daß er nur als Minister oder Vertrauter eines Ministers tauge, daß jede Art von Unterordnung ohne den Eindruck der Ueberlegenheit des Obern wie unter Stein seinem Charakter wiederstrebe, daß die Sphären der Thätigkeit seyen wie die Regionen der Atmosphäre für die verschieden organisirten Menschen, für deren Einige Sumpfgründe paßten, für Andere Mittelluft, während wieder Andere es nur in reiner Bergluft aushalten könnten, daß er zu den letztern gehöre, zu den Freiheitbedürftigen der Seele und dem Geist nach, daß er daher sich nie in den Geschäftszwang hätte begeben sollen.

Oft war er wie vom Heimweh ergriffen nach seinen historischen Studien, seinem Mitleben im Alterthum.5) Da er all litterarischen Hülfsmittel und zu freien Geistesarbeiten in der beklommenen Gegenwart die geniale Ruhe entbehrte, so legte er sich auf slavische Sprachen. Er verkannte nicht, daß Schaffen besser sey als Gelehrtseyn, aber zu jenem harrte er des Zeitpunkts, wo ihn die äußere Welt nicht mehr mit eisernen Klauen faßte, und als Geschichtschreiber, oder wenn das über ihm wäre, als Geschichtforscher hielt er es für nothwendig, wo möglich alle Völker in ihren eigenen Zungen zu vernehmen, überzeugt, daß man von einem Volk wenig begreift, wenn man es nicht aus seiner Sprache kennt, daß der ein lächerlicher Beurtheiler der Franzosen seyn würde, der etwa nur den Telemach in einer Uebersetzung gelesen hätte, wie die, welche sich an Perser und Araber machen, ohne von deren Sprachen Kenntniß zu haben, nur Dinge über den Orient sagen und träumen können, über die man sich ärgern muß.6)

Damals waren ihm Dienstanträge aus Rußland, Dänemark und England geworden; wenn er wählte, hätte er Dänemark gewählt, am liebsten wäre er in den Privatstand zurückgetreten, um als Schriftsteller zu leben, allein theils war einige Wahrscheinlichkeit, daß Stein wieder ans Ruder käme, theils hatte man ihm Geschäfte bei der Heerverpflegung anvertraut, denen er sich nicht entziehen wollte. Als die Franzosen nach der Schlacht bei Eylau hinter die Passarge zurückgegangen, die Russen längs der Alle vorgerückt waren, wurde er von Hardenberg, der jetzt gewissermaßen die ganze Verwaltung in seiner Hand vereinigte, in das Hauptquartier zu Bartenstein berufen. Der Weg führte über das Schlachtfeld von Eylau. Es war eine traurige Reise: schon über Königsberg hinauf verwüstete Häuser, menschenleere Dörfer, obgleich im Mai, kein Vieh auf den Feldern, höchst selten eine Trift Schafe oder Schweine, Alles elend und angstvoll. Von dem Schlachtfelde hätte er gern eine Reliquie mitgenommen: er fand nichts als Fetzen von Uniformen.7) In Bartenstein gefiel es ihm auch nicht. Herberg und Nahrung schlecht, unmäßig theuer, die Organisationsversuche unausführbar, seine Anwesenheit unnütz, die aufs Biegen oder Brechen eingerichtete russische Kriegsmanier gelähmt durch das von oben ausgehende Mißtrauen gegen Bennigsen,

1) Briefe von 1806, B. 1, S. 350 - 355.
2) A. a. O. S. 353, 361, 362.
3) Briefe an Moltke, B. 2, S. 53.
4) Briefe von 1806, B. 1, S. 358, 359.
5) Briefe von 1807, B. 1, S. 371, 372.
6) A. a. O. S. 376, 377.
7) A. a. O. S. 365.

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
5 Februar1840

Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten.

(Zweiter Artikel.)

Niebuhr im preußischen Staatsdienst.

Zu einer unglücklichern Zeit hätte Niebuhr nicht nach Preußen kommen können. Im October 1806, wenige Tage vor den Schlachten von Jena und Auerstädt, traf er in Berlin ein, einige Tage nachher war er schon wieder auf der Fahrt. Von Westen her waren die Straßen mit den Trümmern des Heers, ostwärts mit fliehenden Behörden und Cassen bedeckt. Seine Directorialarbeiten bei den großen Finanzinstituten des Staats, der Bank und der Seehandlung waren – Fortschaffung von Geldern und Effecten. Es war eine Wanderung ohne bestimmtes Ziel – nach Stettin, Danzig, Königsberg, Memel, Gott weiß wohin. So lange man auf eigentlich deutschem Boden war, ging's erträglich, aber in Cassuben und Polen waren oft keine Postpferde zu haben, oder nur um ungeheuern Preis, die Gasthöfe abscheulich und überfüllt, selbst an genießbaren Speisen Mangel, Alles – altpolnische Barbarei. Das Schrecklichste war die Ungewißheit über die Lage der Dinge, auch die Minister wußten nicht mehr als vage Gerüchte.1) Das preußische Volk erschien ihm in diesen Tagen bespielloser Noth sehr achtungswerth, voll Kraft, Ernst, Treue, Gutmüthigkeit, und wie sturmschnell auch die Fluth das Land überschwemmt hatte, noch jetzt unbezwingbar, wenn es geleitet würde von einem großen Geist. Diesen Geist entdeckte er aber nicht unter der Kanzleienkarawane, die ihm das Schicksal zur Begleitung gab. Da hatte das allgemeine Unglück keine feierliche Stimmung hervorgebracht. Der Krieg war Unterhaltungsgegenstand. Man schimpfte auf die Engländer, die an allem Unfrieden Schuld seyn sollten, auf die Russen, die im Land ihrer Bundesgenossen etwas asiatisch wirthschafteten, über verderbliche Rathschläge, Mißbräuche, Aristokratie, man tröstete sich mit dem Edelmuth der Franzosen und ihres großen Kaisers.2) Ihm mußte wieder Ali's Spruch einfallen: Verzweiflung ist ein Freier, Hoffnung ein Sklav.3)

Was sein persönliches Loos erleichterte, war das innige Verhältniß zu dem Freiherrn vom Stein. In Stein erkannte er einen Mann im höchsten Sinn des Worts, einen Minister wie er ihn sich nur wünschte, einen Obern, mit dem er sich in jeder Hinsicht verstand. Ihre Beziehungen wurden vielfältiger, die Zeit hatte die conventionellen Schranken durchbrochen, sie versprachen einander, daß sie sich nicht trennen, jedes Geschick zusammen bestehen wollten.4) In Königsberg, wo die wandernde Regierung von Anfang Novembers bis gegen Ende des Jahrs ihren Sitz hatte, hätte man sich behaglich finden können ohne die stete Erwartung den Pilgerstab fortsetzen zu müssen – vielleicht über Nacht. Niebuhr hatte wieder eine geregelte Beschäftigung, die ihm wohlthat; es wurden ihm Arbeiten übertragen auch außer der Ordnung, er kam mit allen Ministern in Berührung, fast auf vertrauten Fuß. Nicolovius wurde ein lieber Freund; Männer wie Schön, Altenstein, Fichte, Sir Hartford Jones, vieljähriger Gesandter in Bagdad und Teheran, Lord Hutchinson, boten sich zu interessantem Umgang. Als es aber über die kurische Nehrung, über die Memel ging, Stein abdankte, auch dort noch keine bleibende Stätte war, da kam Niebuhr sich vor wie ein armer Auswanderer, er fühlte sich mit seiner kranken Frau verlassen wie bei den Hyperboräern. Seine Aussichten auf eine schöne Wirksamkeit, verbunden mit so viel Vortheil und Ehre als das Arbeiten angenehm macht, war dahin: er sagte sich, daß er nur als Minister oder Vertrauter eines Ministers tauge, daß jede Art von Unterordnung ohne den Eindruck der Ueberlegenheit des Obern wie unter Stein seinem Charakter wiederstrebe, daß die Sphären der Thätigkeit seyen wie die Regionen der Atmosphäre für die verschieden organisirten Menschen, für deren Einige Sumpfgründe paßten, für Andere Mittelluft, während wieder Andere es nur in reiner Bergluft aushalten könnten, daß er zu den letztern gehöre, zu den Freiheitbedürftigen der Seele und dem Geist nach, daß er daher sich nie in den Geschäftszwang hätte begeben sollen.

Oft war er wie vom Heimweh ergriffen nach seinen historischen Studien, seinem Mitleben im Alterthum.5) Da er all litterarischen Hülfsmittel und zu freien Geistesarbeiten in der beklommenen Gegenwart die geniale Ruhe entbehrte, so legte er sich auf slavische Sprachen. Er verkannte nicht, daß Schaffen besser sey als Gelehrtseyn, aber zu jenem harrte er des Zeitpunkts, wo ihn die äußere Welt nicht mehr mit eisernen Klauen faßte, und als Geschichtschreiber, oder wenn das über ihm wäre, als Geschichtforscher hielt er es für nothwendig, wo möglich alle Völker in ihren eigenen Zungen zu vernehmen, überzeugt, daß man von einem Volk wenig begreift, wenn man es nicht aus seiner Sprache kennt, daß der ein lächerlicher Beurtheiler der Franzosen seyn würde, der etwa nur den Telemach in einer Uebersetzung gelesen hätte, wie die, welche sich an Perser und Araber machen, ohne von deren Sprachen Kenntniß zu haben, nur Dinge über den Orient sagen und träumen können, über die man sich ärgern muß.6)

Damals waren ihm Dienstanträge aus Rußland, Dänemark und England geworden; wenn er wählte, hätte er Dänemark gewählt, am liebsten wäre er in den Privatstand zurückgetreten, um als Schriftsteller zu leben, allein theils war einige Wahrscheinlichkeit, daß Stein wieder ans Ruder käme, theils hatte man ihm Geschäfte bei der Heerverpflegung anvertraut, denen er sich nicht entziehen wollte. Als die Franzosen nach der Schlacht bei Eylau hinter die Passarge zurückgegangen, die Russen längs der Alle vorgerückt waren, wurde er von Hardenberg, der jetzt gewissermaßen die ganze Verwaltung in seiner Hand vereinigte, in das Hauptquartier zu Bartenstein berufen. Der Weg führte über das Schlachtfeld von Eylau. Es war eine traurige Reise: schon über Königsberg hinauf verwüstete Häuser, menschenleere Dörfer, obgleich im Mai, kein Vieh auf den Feldern, höchst selten eine Trift Schafe oder Schweine, Alles elend und angstvoll. Von dem Schlachtfelde hätte er gern eine Reliquie mitgenommen: er fand nichts als Fetzen von Uniformen.7) In Bartenstein gefiel es ihm auch nicht. Herberg und Nahrung schlecht, unmäßig theuer, die Organisationsversuche unausführbar, seine Anwesenheit unnütz, die aufs Biegen oder Brechen eingerichtete russische Kriegsmanier gelähmt durch das von oben ausgehende Mißtrauen gegen Bennigsen,

1) Briefe von 1806, B. 1, S. 350 - 355.
2) A. a. O. S. 353, 361, 362.
3) Briefe an Moltke, B. 2, S. 53.
4) Briefe von 1806, B. 1, S. 358, 359.
5) Briefe von 1807, B. 1, S. 371, 372.
6) A. a. O. S. 376, 377.
7) A. a. O. S. 365.
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[0281/0008] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 5 Februar1840 Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten.* (Zweiter Artikel.) Niebuhr im preußischen Staatsdienst. Zu einer unglücklichern Zeit hätte Niebuhr nicht nach Preußen kommen können. Im October 1806, wenige Tage vor den Schlachten von Jena und Auerstädt, traf er in Berlin ein, einige Tage nachher war er schon wieder auf der Fahrt. Von Westen her waren die Straßen mit den Trümmern des Heers, ostwärts mit fliehenden Behörden und Cassen bedeckt. Seine Directorialarbeiten bei den großen Finanzinstituten des Staats, der Bank und der Seehandlung waren – Fortschaffung von Geldern und Effecten. Es war eine Wanderung ohne bestimmtes Ziel – nach Stettin, Danzig, Königsberg, Memel, Gott weiß wohin. So lange man auf eigentlich deutschem Boden war, ging's erträglich, aber in Cassuben und Polen waren oft keine Postpferde zu haben, oder nur um ungeheuern Preis, die Gasthöfe abscheulich und überfüllt, selbst an genießbaren Speisen Mangel, Alles – altpolnische Barbarei. Das Schrecklichste war die Ungewißheit über die Lage der Dinge, auch die Minister wußten nicht mehr als vage Gerüchte. 1) Das preußische Volk erschien ihm in diesen Tagen bespielloser Noth sehr achtungswerth, voll Kraft, Ernst, Treue, Gutmüthigkeit, und wie sturmschnell auch die Fluth das Land überschwemmt hatte, noch jetzt unbezwingbar, wenn es geleitet würde von einem großen Geist. Diesen Geist entdeckte er aber nicht unter der Kanzleienkarawane, die ihm das Schicksal zur Begleitung gab. Da hatte das allgemeine Unglück keine feierliche Stimmung hervorgebracht. Der Krieg war Unterhaltungsgegenstand. Man schimpfte auf die Engländer, die an allem Unfrieden Schuld seyn sollten, auf die Russen, die im Land ihrer Bundesgenossen etwas asiatisch wirthschafteten, über verderbliche Rathschläge, Mißbräuche, Aristokratie, man tröstete sich mit dem Edelmuth der Franzosen und ihres großen Kaisers. 2) Ihm mußte wieder Ali's Spruch einfallen: Verzweiflung ist ein Freier, Hoffnung ein Sklav. 3) Was sein persönliches Loos erleichterte, war das innige Verhältniß zu dem Freiherrn vom Stein. In Stein erkannte er einen Mann im höchsten Sinn des Worts, einen Minister wie er ihn sich nur wünschte, einen Obern, mit dem er sich in jeder Hinsicht verstand. 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Als es aber über die kurische Nehrung, über die Memel ging, Stein abdankte, auch dort noch keine bleibende Stätte war, da kam Niebuhr sich vor wie ein armer Auswanderer, er fühlte sich mit seiner kranken Frau verlassen wie bei den Hyperboräern. Seine Aussichten auf eine schöne Wirksamkeit, verbunden mit so viel Vortheil und Ehre als das Arbeiten angenehm macht, war dahin: er sagte sich, daß er nur als Minister oder Vertrauter eines Ministers tauge, daß jede Art von Unterordnung ohne den Eindruck der Ueberlegenheit des Obern wie unter Stein seinem Charakter wiederstrebe, daß die Sphären der Thätigkeit seyen wie die Regionen der Atmosphäre für die verschieden organisirten Menschen, für deren Einige Sumpfgründe paßten, für Andere Mittelluft, während wieder Andere es nur in reiner Bergluft aushalten könnten, daß er zu den letztern gehöre, zu den Freiheitbedürftigen der Seele und dem Geist nach, daß er daher sich nie in den Geschäftszwang hätte begeben sollen. Oft war er wie vom Heimweh ergriffen nach seinen historischen Studien, seinem Mitleben im Alterthum. 5) Da er all litterarischen Hülfsmittel und zu freien Geistesarbeiten in der beklommenen Gegenwart die geniale Ruhe entbehrte, so legte er sich auf slavische Sprachen. Er verkannte nicht, daß Schaffen besser sey als Gelehrtseyn, aber zu jenem harrte er des Zeitpunkts, wo ihn die äußere Welt nicht mehr mit eisernen Klauen faßte, und als Geschichtschreiber, oder wenn das über ihm wäre, als Geschichtforscher hielt er es für nothwendig, wo möglich alle Völker in ihren eigenen Zungen zu vernehmen, überzeugt, daß man von einem Volk wenig begreift, wenn man es nicht aus seiner Sprache kennt, daß der ein lächerlicher Beurtheiler der Franzosen seyn würde, der etwa nur den Telemach in einer Uebersetzung gelesen hätte, wie die, welche sich an Perser und Araber machen, ohne von deren Sprachen Kenntniß zu haben, nur Dinge über den Orient sagen und träumen können, über die man sich ärgern muß. 6) Damals waren ihm Dienstanträge aus Rußland, Dänemark und England geworden; wenn er wählte, hätte er Dänemark gewählt, am liebsten wäre er in den Privatstand zurückgetreten, um als Schriftsteller zu leben, allein theils war einige Wahrscheinlichkeit, daß Stein wieder ans Ruder käme, theils hatte man ihm Geschäfte bei der Heerverpflegung anvertraut, denen er sich nicht entziehen wollte. Als die Franzosen nach der Schlacht bei Eylau hinter die Passarge zurückgegangen, die Russen längs der Alle vorgerückt waren, wurde er von Hardenberg, der jetzt gewissermaßen die ganze Verwaltung in seiner Hand vereinigte, in das Hauptquartier zu Bartenstein berufen. Der Weg führte über das Schlachtfeld von Eylau. Es war eine traurige Reise: schon über Königsberg hinauf verwüstete Häuser, menschenleere Dörfer, obgleich im Mai, kein Vieh auf den Feldern, höchst selten eine Trift Schafe oder Schweine, Alles elend und angstvoll. Von dem Schlachtfelde hätte er gern eine Reliquie mitgenommen: er fand nichts als Fetzen von Uniformen. 7) In Bartenstein gefiel es ihm auch nicht. Herberg und Nahrung schlecht, unmäßig theuer, die Organisationsversuche unausführbar, seine Anwesenheit unnütz, die aufs Biegen oder Brechen eingerichtete russische Kriegsmanier gelähmt durch das von oben ausgehende Mißtrauen gegen Bennigsen, 1) Briefe von 1806, B. 1, S. 350 - 355. 2) A. a. O. S. 353, 361, 362. 3) Briefe an Moltke, B. 2, S. 53. 4) Briefe von 1806, B. 1, S. 358, 359. 5) Briefe von 1807, B. 1, S. 371, 372. 6) A. a. O. S. 376, 377. 7) A. a. O. S. 365.

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840, S. 0281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_036_18400205/8>, abgerufen am 03.12.2024.