Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite


über den man sich zankte, ob er seine Lorbeeren wirklich verdiene oder bloß dem Zufall und dem Muth seiner Soldaten verdanke, für Niebuhr selbst, der nicht wußte, wem er Recht geben sollte, ein Erfahrungsbeweis, wie schwer die Geschichte auch bei Augenzeugschaft in strenger Wahrheit darzustellen ist. Wie froh war er, als er in Geldangelegenheiten, die ihn mit Bennigsen, Popoff, Budberg in Correspondenz brachten, nach Königsberg zurückgeschickt wurde.8) Er war doch wieder aus dem wirren Gedränge in einem Element von Thätigkeit! Freilich eine kurze Pause, denn bald wurde bei Friedland gekämpft, und der Sturm dieser Schlacht verschlug ihn mit den Cassen bis nach Riga.

Noch in Memel hatte Niebuhr seine Entlassung nachgesucht und war nur geblieben, weil ihn Hardenberg mit Thränen in den Augen darum bat. Als Hardenberg in Folge des Friedens von Tilsit selber seine Entlassung nehmen mußte, wiederholte auch Niebuhr sein Gesuch; da ihm jedoch von Seite des Königs zu erkennen gegeben wurde, daß man jetzt, wo es die Wiederherstellung der Staatsverwaltung galt, einen Mann von seinen Einsichten und Talenten mit Bedauern vermissen würde, nahm er die Ernennung in eine Commission an, in der er mit Altenstein, Schön, Stägemann, Klewitz bis zur Anstellung eines Finanzministers die Geschäfte besorgen sollte, obgleich er sich wenig Ersprießliches von einem Collegium versprach, dessen sämmtliche Mitglieder coordinirt waren. Um so willkommener war ihm, nach Steins Wiedereintritt ins Cabinet, eine Sendung nach Holland um ein Anlehen zu unterhandeln, denn wenn es zu Stande kam, war es ein bedeutendes Mittel zur Erleichterung des Landes von dem französischen Joch. Bei der Verachtung des preußischen Staatscredits hatte er sich über die Schwierigkeiten des Vorhabens zum voraus keine Illusionen gemacht; an Ort und Stelle war er schnell darüber im Reinen, daß nichts auszurichten sey. Erst hatten die Capitalisten keine Lust, hernach als diesen sein Plan auf den Grund der Anerkennung einer alten Schuld eingeleuchtet hätte, wollte die holländische Regierung nicht unter dem Vorwand, man brauche das Geld im Land. So wurde für ihn der Aufenthalt sehr peinlich, verlängerte sich aber, weil eben die preußischen Finanzen einer solchen Beihülfe kaum entbehren konnten, über ein Jahr (vom März 1808 bis zum April 1809). Die Holländer nach ihrem Volkscharakter waren ihm lieb und werth - praktische Leute, aber in einer vorgezeichneten engen Sphäre wie die Bäume in ihren Alleen, alle von Einer Form und Größe, aber fast alle gesund und nur die verkrüppelten bemerkbar. Ludwig Bonaparte's Regierung gut und national, er weichherzig und menschlich: die Vollziehung eines Urtheils, das er nicht mildern konnte, machte ihn krank. Holland als Staat hatte unersetzliche Verluste erlitten und trug drückende Lasten, dagegen die Verheerungen des Kriegs hatte man schier nur aus der Ferne gesehen. Ein Bürger klagte über die Einquartirung von 1795, die 150 Gulden gekostet habe, und Niebuhr lachte ihm ins Gesicht.9) Im Anfang, ehe er zugleich bei dem Hof beglaubigt wurde, war er in Amsterdam so ziemlich auf kaufmännischen Umgang beschränkt, und je geschiedener die einzelnen Stände von einander waren, desto unbehaglicher fand er sich unter den selbstgenügsamen Repräsentanten des Geldstolzes, desto lebhafter sehnte er sich aus einer Stadt fort, die er nachgerade kannte wie seine Tasche.10) Auch das Studium der holländischen Litteratur und Geschichte hatte er bald so erschöpft, daß der Reiz der Neuheit die Nichtbefriedigung durch eine gar zu nüchterne Geistesrichtung nicht mehr überwog. Zwei höchst interessante gelehrte Bekanntschaften waren Brügmans und noch mehr Valkenaer in Friese, Sohn des berühmten Philologen, gewesener Gesandter in Spanien. Valkenaer war der erste seit Jahren, mit dem Niebuhr auf gleichem Fuß reden konnte, der nicht den verzweifelten Ton der Einweihung hatte wie die eminentern unter den deutschen Philologen, der die Alten durch einen andern Schlüssel verstand als die Grammatik allein, und mehr in ihnen suchte als Antiquitäten oder Worte. Bei ihm wurde er auch mit dem lateinischen Dichter Van Klooten bekannt, dem einzigen Dichter unter vielen Versmachern, und er fand keine Spielerei noch Affectation darin, wenn unter den Holländern ein poetisches Talent, das sich eine Sprache des Alterthums zu freiem Gebrauch angeeignet hat, statt seiner doch allzu plebejischen Muttersprache eine alte Sprache wählt und Formen der Poesie, die allerdings unverletzlich, also wahre Fesseln sind, aber welche der höchste Sinn der Schönheit schuf.11) Niebuhr hatte im Jahr 1814, als ihn ein Subsidiengeschäft mit England abermals nach Holland führte, Gelegenheit sein Urtheil über dieses Volk zu ergänzen. Hatte er sich früher an manchen von dessen stillen Tugenden erbaut, so staunte er mitten unter der Begeisterung des Befreiungskriegs dort auch nicht eine Spur von Aufschwung zu finden, sondern überall den krassesten Egoismus, völlige Gleichgültigkeit gegen andere als Handelsinteressen. Fechten wollte Niemand, den nicht die Noth zwang sein Leben um ein Handgeld zu verkaufen. Wer konnte, suchte sich, selbst in der Landwehr, einen Stellvertreter. Eine Caricatur zeigte die Holländer auf einem Wagen sitzend mit Theetöpfen und Pfeifen und den Preußen, Engländern, Russen zurufend: zoo gaat het wel! Nicht einmal die zu erwartende Verfassung erregte die öffentliche Theilnahme. Nur die von England angebahnte Abschaffung der Negersklaverei erschütterte das holländische Phlegma, so daß man jammern hörte, über die Plantagen die in Verfall gerathen würden, über die schönen Gegenden, wo so viele tausend Oxhöfte Zucker gewonnen werden könnten, die dann verdammt wären wüste zu liegen, über das Geld, das in der Erde bleiben müsse, über diese entsetzliche Unmöglichkeit künftig so wohlfeile und dauerhafte Arbeiter zu bekommen, da man bloß zwei Weiber zu halten brauchte auf fünf Männer.12)

(Fortsetzung folgt.)

Leon Roches, der Renegat.

Im Sommer des Jahres 1837 verschwand aus Algier ein junger Kaufmann Leon Roches, der dort ziemlich locker gelebt hatte und von Gläubigern bedrängt war. Da dieser junge Franzose der arabischen Sprache in einem merkwürdigen Grad Meister geworden und auch für die Sitten der Eingebornen und ihren Umgang stets viele Vorliebe gezeigt hatte, so vermutheten seine Freunde, er habe nach dem Beispiel anderer Abenteurer sein Glück im Innern gesucht und bei irgend einem arabischen Stammhäuptling oder Marabut Aufnahme gefunden. In der That erfuhr man bald, daß Leon Roches in der Umgebung des Emirs Abd-El-Kader selbst lebe, den Islam angenommen habe und sich leidlich wohl befinde. Er hatte aber in Algier einen alten Vater zurückgelassen,

8) A. a. O. S. 370, 372.
9) Briefe von 1808, Bd. 1. S. 390, 391.
10) A. a. O. S. 387, 392.
11) Briefe von 1809, Bd. 1, S. 407, 408.
12) Briefe von 1814, Bd. 1. S. 583, 584, 593.


über den man sich zankte, ob er seine Lorbeeren wirklich verdiene oder bloß dem Zufall und dem Muth seiner Soldaten verdanke, für Niebuhr selbst, der nicht wußte, wem er Recht geben sollte, ein Erfahrungsbeweis, wie schwer die Geschichte auch bei Augenzeugschaft in strenger Wahrheit darzustellen ist. Wie froh war er, als er in Geldangelegenheiten, die ihn mit Bennigsen, Popoff, Budberg in Correspondenz brachten, nach Königsberg zurückgeschickt wurde.8) Er war doch wieder aus dem wirren Gedränge in einem Element von Thätigkeit! Freilich eine kurze Pause, denn bald wurde bei Friedland gekämpft, und der Sturm dieser Schlacht verschlug ihn mit den Cassen bis nach Riga.

Noch in Memel hatte Niebuhr seine Entlassung nachgesucht und war nur geblieben, weil ihn Hardenberg mit Thränen in den Augen darum bat. Als Hardenberg in Folge des Friedens von Tilsit selber seine Entlassung nehmen mußte, wiederholte auch Niebuhr sein Gesuch; da ihm jedoch von Seite des Königs zu erkennen gegeben wurde, daß man jetzt, wo es die Wiederherstellung der Staatsverwaltung galt, einen Mann von seinen Einsichten und Talenten mit Bedauern vermissen würde, nahm er die Ernennung in eine Commission an, in der er mit Altenstein, Schön, Stägemann, Klewitz bis zur Anstellung eines Finanzministers die Geschäfte besorgen sollte, obgleich er sich wenig Ersprießliches von einem Collegium versprach, dessen sämmtliche Mitglieder coordinirt waren. Um so willkommener war ihm, nach Steins Wiedereintritt ins Cabinet, eine Sendung nach Holland um ein Anlehen zu unterhandeln, denn wenn es zu Stande kam, war es ein bedeutendes Mittel zur Erleichterung des Landes von dem französischen Joch. Bei der Verachtung des preußischen Staatscredits hatte er sich über die Schwierigkeiten des Vorhabens zum voraus keine Illusionen gemacht; an Ort und Stelle war er schnell darüber im Reinen, daß nichts auszurichten sey. Erst hatten die Capitalisten keine Lust, hernach als diesen sein Plan auf den Grund der Anerkennung einer alten Schuld eingeleuchtet hätte, wollte die holländische Regierung nicht unter dem Vorwand, man brauche das Geld im Land. So wurde für ihn der Aufenthalt sehr peinlich, verlängerte sich aber, weil eben die preußischen Finanzen einer solchen Beihülfe kaum entbehren konnten, über ein Jahr (vom März 1808 bis zum April 1809). Die Holländer nach ihrem Volkscharakter waren ihm lieb und werth – praktische Leute, aber in einer vorgezeichneten engen Sphäre wie die Bäume in ihren Alleen, alle von Einer Form und Größe, aber fast alle gesund und nur die verkrüppelten bemerkbar. Ludwig Bonaparte's Regierung gut und national, er weichherzig und menschlich: die Vollziehung eines Urtheils, das er nicht mildern konnte, machte ihn krank. Holland als Staat hatte unersetzliche Verluste erlitten und trug drückende Lasten, dagegen die Verheerungen des Kriegs hatte man schier nur aus der Ferne gesehen. Ein Bürger klagte über die Einquartirung von 1795, die 150 Gulden gekostet habe, und Niebuhr lachte ihm ins Gesicht.9) Im Anfang, ehe er zugleich bei dem Hof beglaubigt wurde, war er in Amsterdam so ziemlich auf kaufmännischen Umgang beschränkt, und je geschiedener die einzelnen Stände von einander waren, desto unbehaglicher fand er sich unter den selbstgenügsamen Repräsentanten des Geldstolzes, desto lebhafter sehnte er sich aus einer Stadt fort, die er nachgerade kannte wie seine Tasche.10) Auch das Studium der holländischen Litteratur und Geschichte hatte er bald so erschöpft, daß der Reiz der Neuheit die Nichtbefriedigung durch eine gar zu nüchterne Geistesrichtung nicht mehr überwog. Zwei höchst interessante gelehrte Bekanntschaften waren Brügmans und noch mehr Valkenaer in Friese, Sohn des berühmten Philologen, gewesener Gesandter in Spanien. Valkenaer war der erste seit Jahren, mit dem Niebuhr auf gleichem Fuß reden konnte, der nicht den verzweifelten Ton der Einweihung hatte wie die eminentern unter den deutschen Philologen, der die Alten durch einen andern Schlüssel verstand als die Grammatik allein, und mehr in ihnen suchte als Antiquitäten oder Worte. Bei ihm wurde er auch mit dem lateinischen Dichter Van Klooten bekannt, dem einzigen Dichter unter vielen Versmachern, und er fand keine Spielerei noch Affectation darin, wenn unter den Holländern ein poetisches Talent, das sich eine Sprache des Alterthums zu freiem Gebrauch angeeignet hat, statt seiner doch allzu plebejischen Muttersprache eine alte Sprache wählt und Formen der Poesie, die allerdings unverletzlich, also wahre Fesseln sind, aber welche der höchste Sinn der Schönheit schuf.11) Niebuhr hatte im Jahr 1814, als ihn ein Subsidiengeschäft mit England abermals nach Holland führte, Gelegenheit sein Urtheil über dieses Volk zu ergänzen. Hatte er sich früher an manchen von dessen stillen Tugenden erbaut, so staunte er mitten unter der Begeisterung des Befreiungskriegs dort auch nicht eine Spur von Aufschwung zu finden, sondern überall den krassesten Egoismus, völlige Gleichgültigkeit gegen andere als Handelsinteressen. Fechten wollte Niemand, den nicht die Noth zwang sein Leben um ein Handgeld zu verkaufen. Wer konnte, suchte sich, selbst in der Landwehr, einen Stellvertreter. Eine Caricatur zeigte die Holländer auf einem Wagen sitzend mit Theetöpfen und Pfeifen und den Preußen, Engländern, Russen zurufend: zoo gaat het wel! Nicht einmal die zu erwartende Verfassung erregte die öffentliche Theilnahme. Nur die von England angebahnte Abschaffung der Negersklaverei erschütterte das holländische Phlegma, so daß man jammern hörte, über die Plantagen die in Verfall gerathen würden, über die schönen Gegenden, wo so viele tausend Oxhöfte Zucker gewonnen werden könnten, die dann verdammt wären wüste zu liegen, über das Geld, das in der Erde bleiben müsse, über diese entsetzliche Unmöglichkeit künftig so wohlfeile und dauerhafte Arbeiter zu bekommen, da man bloß zwei Weiber zu halten brauchte auf fünf Männer.12)

(Fortsetzung folgt.)

Léon Roches, der Renegat.

Im Sommer des Jahres 1837 verschwand aus Algier ein junger Kaufmann Léon Roches, der dort ziemlich locker gelebt hatte und von Gläubigern bedrängt war. Da dieser junge Franzose der arabischen Sprache in einem merkwürdigen Grad Meister geworden und auch für die Sitten der Eingebornen und ihren Umgang stets viele Vorliebe gezeigt hatte, so vermutheten seine Freunde, er habe nach dem Beispiel anderer Abenteurer sein Glück im Innern gesucht und bei irgend einem arabischen Stammhäuptling oder Marabut Aufnahme gefunden. In der That erfuhr man bald, daß Léon Roches in der Umgebung des Emirs Abd-El-Kader selbst lebe, den Islam angenommen habe und sich leidlich wohl befinde. Er hatte aber in Algier einen alten Vater zurückgelassen,

8) A. a. O. S. 370, 372.
9) Briefe von 1808, Bd. 1. S. 390, 391.
10) A. a. O. S. 387, 392.
11) Briefe von 1809, Bd. 1, S. 407, 408.
12) Briefe von 1814, Bd. 1. S. 583, 584, 593.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jSupplement" n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="jArticle" n="2">
              <p><pb facs="#f0009" n="0282"/><lb/>
über den man sich zankte, ob er seine Lorbeeren wirklich verdiene oder bloß dem Zufall und dem Muth seiner Soldaten verdanke, für Niebuhr selbst, der nicht wußte, wem er Recht geben sollte, ein Erfahrungsbeweis, wie schwer die Geschichte auch bei Augenzeugschaft in strenger Wahrheit darzustellen ist. Wie froh war er, als er in Geldangelegenheiten, die ihn mit Bennigsen, <hi rendition="#g">Popoff</hi>, <hi rendition="#g">Budberg</hi> in Correspondenz brachten, nach Königsberg zurückgeschickt wurde.<note place="foot" n="8)"> A. a. O. S. 370, 372.</note> Er war doch wieder aus dem wirren Gedränge in einem Element von Thätigkeit! Freilich eine kurze Pause, denn bald wurde bei <hi rendition="#g">Friedland</hi> gekämpft, und der Sturm dieser Schlacht verschlug ihn mit den Cassen bis nach <hi rendition="#g">Riga</hi>.</p><lb/>
              <p>Noch in <hi rendition="#g">Memel</hi> hatte Niebuhr seine Entlassung nachgesucht und war nur geblieben, weil ihn <hi rendition="#g">Hardenberg</hi> mit Thränen in den Augen darum bat. Als Hardenberg in Folge des Friedens von <hi rendition="#g">Tilsit</hi> selber seine Entlassung nehmen <hi rendition="#g">mußte</hi>, wiederholte auch Niebuhr sein Gesuch; da ihm jedoch von Seite des Königs zu erkennen gegeben wurde, daß man jetzt, wo es die Wiederherstellung der Staatsverwaltung galt, einen Mann von seinen Einsichten und Talenten mit Bedauern vermissen würde, nahm er die Ernennung in eine Commission an, in der er mit <hi rendition="#g">Altenstein</hi>, <hi rendition="#g">Schön</hi>, <hi rendition="#g">Stägemann</hi>, <hi rendition="#g">Klewitz</hi> bis zur Anstellung eines Finanzministers die Geschäfte besorgen sollte, obgleich er sich wenig Ersprießliches von einem Collegium versprach, dessen sämmtliche Mitglieder coordinirt waren. Um so willkommener war ihm, nach <hi rendition="#g">Steins</hi> Wiedereintritt ins Cabinet, eine Sendung nach <hi rendition="#g">Holland</hi> um ein Anlehen zu unterhandeln, denn wenn es zu Stande kam, war es ein bedeutendes Mittel zur Erleichterung des Landes von dem französischen Joch. Bei der Verachtung des preußischen Staatscredits hatte er sich über die Schwierigkeiten des Vorhabens zum voraus keine Illusionen gemacht; an Ort und Stelle war er schnell darüber im Reinen, daß nichts auszurichten sey. Erst hatten die Capitalisten keine Lust, hernach als diesen sein Plan auf den Grund der Anerkennung einer alten Schuld eingeleuchtet hätte, wollte die <hi rendition="#g">holländische</hi> Regierung nicht unter dem Vorwand, man brauche das Geld im Land. So wurde für ihn der Aufenthalt sehr peinlich, verlängerte sich aber, weil eben die preußischen Finanzen einer solchen Beihülfe kaum entbehren konnten, über ein Jahr (vom März 1808 bis zum April 1809). Die <hi rendition="#g">Holländer</hi> nach ihrem Volkscharakter waren ihm lieb und werth &#x2013; praktische Leute, aber in einer vorgezeichneten engen Sphäre wie die Bäume in ihren Alleen, alle von Einer Form und Größe, aber fast alle gesund und nur die verkrüppelten bemerkbar. <hi rendition="#g">Ludwig Bonaparte</hi>'s Regierung gut und national, er weichherzig und menschlich: die Vollziehung eines Urtheils, das er nicht mildern konnte, machte ihn krank. <hi rendition="#g">Holland</hi> als Staat hatte unersetzliche Verluste erlitten und trug drückende Lasten, dagegen die Verheerungen des Kriegs hatte man schier nur aus der Ferne gesehen. Ein Bürger klagte über die Einquartirung von 1795, die 150 Gulden gekostet habe, und Niebuhr lachte ihm ins Gesicht.<note place="foot" n="9)"> Briefe von 1808, Bd. 1. S. 390, 391.</note> Im Anfang, ehe er zugleich bei dem Hof beglaubigt wurde, war er in <hi rendition="#g">Amsterdam</hi> so ziemlich auf kaufmännischen Umgang beschränkt, und je geschiedener die einzelnen Stände von einander waren, desto unbehaglicher fand er sich unter den selbstgenügsamen Repräsentanten des Geldstolzes, desto lebhafter sehnte er sich aus einer Stadt fort, die er nachgerade kannte wie seine Tasche.<note place="foot" n="10)"> A. a. O. S. 387, 392.</note> Auch das Studium der holländischen Litteratur und Geschichte hatte er bald so erschöpft, daß der Reiz der Neuheit die Nichtbefriedigung durch eine gar zu nüchterne Geistesrichtung nicht mehr überwog. Zwei höchst interessante gelehrte Bekanntschaften waren <hi rendition="#g">Brügmans</hi> und noch mehr <hi rendition="#g">Valkenaer</hi> in <hi rendition="#g">Friese</hi>, Sohn des berühmten Philologen, gewesener Gesandter in <hi rendition="#g">Spanien</hi>. <hi rendition="#g">Valkenaer</hi> war der erste seit Jahren, mit dem Niebuhr auf gleichem Fuß reden konnte, der nicht den verzweifelten Ton der Einweihung hatte wie die eminentern unter den <hi rendition="#g">deutschen</hi> Philologen, der die Alten durch einen andern Schlüssel verstand als die Grammatik allein, und mehr in ihnen suchte als Antiquitäten oder Worte. Bei ihm wurde er auch mit dem <hi rendition="#g">lateinischen</hi> Dichter <hi rendition="#g">Van Klooten</hi> bekannt, dem einzigen Dichter unter vielen Versmachern, und er fand keine Spielerei noch Affectation darin, wenn unter den <hi rendition="#g">Holländern</hi> ein poetisches Talent, das sich eine Sprache des Alterthums zu freiem Gebrauch angeeignet hat, statt seiner doch allzu plebejischen Muttersprache eine alte Sprache wählt und Formen der Poesie, die allerdings unverletzlich, also wahre Fesseln sind, aber welche der höchste Sinn der Schönheit schuf.<note place="foot" n="11)"> Briefe von 1809, Bd. 1, S. 407, 408.</note> Niebuhr hatte im Jahr 1814, als ihn ein Subsidiengeschäft mit <hi rendition="#g">England</hi> abermals nach <hi rendition="#g">Holland</hi> führte, Gelegenheit sein Urtheil über dieses Volk zu ergänzen. Hatte er sich früher an manchen von dessen stillen Tugenden erbaut, so staunte er mitten unter der Begeisterung des Befreiungskriegs dort auch nicht eine Spur von Aufschwung zu finden, sondern überall den krassesten Egoismus, völlige Gleichgültigkeit gegen andere als Handelsinteressen. Fechten wollte Niemand, den nicht die Noth zwang sein Leben um ein Handgeld zu verkaufen. Wer konnte, suchte sich, selbst in der Landwehr, einen Stellvertreter. Eine Caricatur zeigte die <hi rendition="#g">Holländer</hi> auf einem Wagen sitzend mit Theetöpfen und Pfeifen und den <hi rendition="#g">Preußen</hi>, <hi rendition="#g">Engländern</hi>, <hi rendition="#g">Russen</hi> zurufend: zoo gaat het wel! Nicht einmal die zu erwartende Verfassung erregte die öffentliche Theilnahme. Nur die von <hi rendition="#g">England</hi> angebahnte Abschaffung der <hi rendition="#g">Negersklaverei</hi> erschütterte das <hi rendition="#g">holländische</hi> Phlegma, so daß man jammern hörte, über die Plantagen die in Verfall gerathen würden, über die schönen Gegenden, wo so viele tausend Oxhöfte Zucker gewonnen werden könnten, die dann verdammt wären wüste zu liegen, über das Geld, das in der Erde bleiben müsse, über diese entsetzliche Unmöglichkeit künftig so wohlfeile und dauerhafte Arbeiter zu bekommen, da man bloß zwei Weiber zu halten brauchte auf fünf Männer.<note place="foot" n="12)"> Briefe von 1814, Bd. 1. S. 583, 584, 593.</note></p><lb/>
              <p>(Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
            </div>
            <div type="jArticle" n="2">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Léon Roches</hi>, <hi rendition="#g">der Renegat</hi>.</hi> </head>
              <byline>**</byline><lb/>
              <p>Im Sommer des Jahres 1837 verschwand aus Algier ein junger Kaufmann Léon Roches, der dort ziemlich locker gelebt hatte und von Gläubigern bedrängt war. Da dieser junge Franzose der arabischen Sprache in einem merkwürdigen Grad Meister geworden und auch für die Sitten der Eingebornen und ihren Umgang stets viele Vorliebe gezeigt hatte, so vermutheten seine Freunde, er habe nach dem Beispiel anderer Abenteurer sein Glück im Innern gesucht und bei irgend einem arabischen Stammhäuptling oder Marabut Aufnahme gefunden. In der That erfuhr man bald, daß Léon Roches in der Umgebung des Emirs Abd-El-Kader selbst lebe, den Islam angenommen habe und sich leidlich wohl befinde. Er hatte aber in Algier einen alten Vater zurückgelassen,<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282/0009] über den man sich zankte, ob er seine Lorbeeren wirklich verdiene oder bloß dem Zufall und dem Muth seiner Soldaten verdanke, für Niebuhr selbst, der nicht wußte, wem er Recht geben sollte, ein Erfahrungsbeweis, wie schwer die Geschichte auch bei Augenzeugschaft in strenger Wahrheit darzustellen ist. Wie froh war er, als er in Geldangelegenheiten, die ihn mit Bennigsen, Popoff, Budberg in Correspondenz brachten, nach Königsberg zurückgeschickt wurde. 8) Er war doch wieder aus dem wirren Gedränge in einem Element von Thätigkeit! Freilich eine kurze Pause, denn bald wurde bei Friedland gekämpft, und der Sturm dieser Schlacht verschlug ihn mit den Cassen bis nach Riga. Noch in Memel hatte Niebuhr seine Entlassung nachgesucht und war nur geblieben, weil ihn Hardenberg mit Thränen in den Augen darum bat. Als Hardenberg in Folge des Friedens von Tilsit selber seine Entlassung nehmen mußte, wiederholte auch Niebuhr sein Gesuch; da ihm jedoch von Seite des Königs zu erkennen gegeben wurde, daß man jetzt, wo es die Wiederherstellung der Staatsverwaltung galt, einen Mann von seinen Einsichten und Talenten mit Bedauern vermissen würde, nahm er die Ernennung in eine Commission an, in der er mit Altenstein, Schön, Stägemann, Klewitz bis zur Anstellung eines Finanzministers die Geschäfte besorgen sollte, obgleich er sich wenig Ersprießliches von einem Collegium versprach, dessen sämmtliche Mitglieder coordinirt waren. Um so willkommener war ihm, nach Steins Wiedereintritt ins Cabinet, eine Sendung nach Holland um ein Anlehen zu unterhandeln, denn wenn es zu Stande kam, war es ein bedeutendes Mittel zur Erleichterung des Landes von dem französischen Joch. Bei der Verachtung des preußischen Staatscredits hatte er sich über die Schwierigkeiten des Vorhabens zum voraus keine Illusionen gemacht; an Ort und Stelle war er schnell darüber im Reinen, daß nichts auszurichten sey. Erst hatten die Capitalisten keine Lust, hernach als diesen sein Plan auf den Grund der Anerkennung einer alten Schuld eingeleuchtet hätte, wollte die holländische Regierung nicht unter dem Vorwand, man brauche das Geld im Land. So wurde für ihn der Aufenthalt sehr peinlich, verlängerte sich aber, weil eben die preußischen Finanzen einer solchen Beihülfe kaum entbehren konnten, über ein Jahr (vom März 1808 bis zum April 1809). Die Holländer nach ihrem Volkscharakter waren ihm lieb und werth – praktische Leute, aber in einer vorgezeichneten engen Sphäre wie die Bäume in ihren Alleen, alle von Einer Form und Größe, aber fast alle gesund und nur die verkrüppelten bemerkbar. Ludwig Bonaparte's Regierung gut und national, er weichherzig und menschlich: die Vollziehung eines Urtheils, das er nicht mildern konnte, machte ihn krank. Holland als Staat hatte unersetzliche Verluste erlitten und trug drückende Lasten, dagegen die Verheerungen des Kriegs hatte man schier nur aus der Ferne gesehen. Ein Bürger klagte über die Einquartirung von 1795, die 150 Gulden gekostet habe, und Niebuhr lachte ihm ins Gesicht. 9) Im Anfang, ehe er zugleich bei dem Hof beglaubigt wurde, war er in Amsterdam so ziemlich auf kaufmännischen Umgang beschränkt, und je geschiedener die einzelnen Stände von einander waren, desto unbehaglicher fand er sich unter den selbstgenügsamen Repräsentanten des Geldstolzes, desto lebhafter sehnte er sich aus einer Stadt fort, die er nachgerade kannte wie seine Tasche. 10) Auch das Studium der holländischen Litteratur und Geschichte hatte er bald so erschöpft, daß der Reiz der Neuheit die Nichtbefriedigung durch eine gar zu nüchterne Geistesrichtung nicht mehr überwog. Zwei höchst interessante gelehrte Bekanntschaften waren Brügmans und noch mehr Valkenaer in Friese, Sohn des berühmten Philologen, gewesener Gesandter in Spanien. Valkenaer war der erste seit Jahren, mit dem Niebuhr auf gleichem Fuß reden konnte, der nicht den verzweifelten Ton der Einweihung hatte wie die eminentern unter den deutschen Philologen, der die Alten durch einen andern Schlüssel verstand als die Grammatik allein, und mehr in ihnen suchte als Antiquitäten oder Worte. Bei ihm wurde er auch mit dem lateinischen Dichter Van Klooten bekannt, dem einzigen Dichter unter vielen Versmachern, und er fand keine Spielerei noch Affectation darin, wenn unter den Holländern ein poetisches Talent, das sich eine Sprache des Alterthums zu freiem Gebrauch angeeignet hat, statt seiner doch allzu plebejischen Muttersprache eine alte Sprache wählt und Formen der Poesie, die allerdings unverletzlich, also wahre Fesseln sind, aber welche der höchste Sinn der Schönheit schuf. 11) Niebuhr hatte im Jahr 1814, als ihn ein Subsidiengeschäft mit England abermals nach Holland führte, Gelegenheit sein Urtheil über dieses Volk zu ergänzen. Hatte er sich früher an manchen von dessen stillen Tugenden erbaut, so staunte er mitten unter der Begeisterung des Befreiungskriegs dort auch nicht eine Spur von Aufschwung zu finden, sondern überall den krassesten Egoismus, völlige Gleichgültigkeit gegen andere als Handelsinteressen. Fechten wollte Niemand, den nicht die Noth zwang sein Leben um ein Handgeld zu verkaufen. Wer konnte, suchte sich, selbst in der Landwehr, einen Stellvertreter. Eine Caricatur zeigte die Holländer auf einem Wagen sitzend mit Theetöpfen und Pfeifen und den Preußen, Engländern, Russen zurufend: zoo gaat het wel! Nicht einmal die zu erwartende Verfassung erregte die öffentliche Theilnahme. Nur die von England angebahnte Abschaffung der Negersklaverei erschütterte das holländische Phlegma, so daß man jammern hörte, über die Plantagen die in Verfall gerathen würden, über die schönen Gegenden, wo so viele tausend Oxhöfte Zucker gewonnen werden könnten, die dann verdammt wären wüste zu liegen, über das Geld, das in der Erde bleiben müsse, über diese entsetzliche Unmöglichkeit künftig so wohlfeile und dauerhafte Arbeiter zu bekommen, da man bloß zwei Weiber zu halten brauchte auf fünf Männer. 12) (Fortsetzung folgt.) Léon Roches, der Renegat.** Im Sommer des Jahres 1837 verschwand aus Algier ein junger Kaufmann Léon Roches, der dort ziemlich locker gelebt hatte und von Gläubigern bedrängt war. Da dieser junge Franzose der arabischen Sprache in einem merkwürdigen Grad Meister geworden und auch für die Sitten der Eingebornen und ihren Umgang stets viele Vorliebe gezeigt hatte, so vermutheten seine Freunde, er habe nach dem Beispiel anderer Abenteurer sein Glück im Innern gesucht und bei irgend einem arabischen Stammhäuptling oder Marabut Aufnahme gefunden. In der That erfuhr man bald, daß Léon Roches in der Umgebung des Emirs Abd-El-Kader selbst lebe, den Islam angenommen habe und sich leidlich wohl befinde. Er hatte aber in Algier einen alten Vater zurückgelassen, 8) A. a. O. S. 370, 372. 9) Briefe von 1808, Bd. 1. S. 390, 391. 10) A. a. O. S. 387, 392. 11) Briefe von 1809, Bd. 1, S. 407, 408. 12) Briefe von 1814, Bd. 1. S. 583, 584, 593.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_036_18400205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_036_18400205/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840, S. 0282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_036_18400205/9>, abgerufen am 21.11.2024.