Allgemeine Zeitung. Nr. 47. Augsburg, 16. Februar 1840.sämmtliche Mitglieder eventualiter Johann Kapodistrias heißen, d. h. auf die Eine Person des Präsidenten des Staats reducirt seyn konnten. Im Anfang des Jahres 1833 betrat König Otto, begleitet von der Regentschaft, den griechischen Boden. Das entzweite Griechenland schien versöhnt, das schönste Verhältniß herrschte zwischen Griechen und Deutschen, und die geistige Macht des Enthusiasmus und der frohen Hoffnungen stellte mit einem Zauberschlage Ruhe und Ordnung im Lande her. Welche Stellung hatte die neue Regierung zu den Parteien zu nehmen? Mehr als in irgend einem andern Lande waren die beiden Parteien hier in den erwähnten Rücksichten auf gleiche Weise getheilt. Diejenigen, welche auch in den nicht-anatolischen Christen ihre christlichen Brüder sahen, waren zugleich die Gebildeteren und humane Bildung Fördernden und zugleich politisch für eine graduelle gemäßigte Theilnahme der Regierten an der Regierung gestimmt. Dagegen war die Kapodistrianische Partei, welche sich ausschließlich der Orthodoxie rühmt, und welche diejenigen, die ihr an Bildung überlegen waren, mit Mißtrauen ansahen, zugleich die anticonstitutionelle. Der König sowohl als die Regentschaft gehörten nicht zur anatolischen Kirche, und es fand in Nauplia allgemeinen Beifall, als verlautete, daß der König sich entschieden gegen einen Uebertritt aus bloßen politischen Gründen erklärte. Der König und die Regentschaft kamen aus Deutschland, dem Lande, wo vor allen hellenische Geistesbildung seit drei Jahrhunderten den höchsten Culturzustand bedingte, kamen aus einem der constitutionellen Staaten Deutschlands, und König Otto war der Sohn eines constitutionellen Königs, den griechische Freiheit begeisterte. Wiewohl die neue königliche Regierung keine Partei ergriff, so war es doch durchaus unmöglich, daß nicht eine Partei sich ihr anschloß, während die andere Partei sich von ihr abwandte. Auch stand es, sofern sie nicht ganz aus ihrem Charakter und aus den Verhältnissen heraustreten wollte, gar nicht bei ihr, zu wählen, welcher Partei sie es recht machen wollte. So sehr die Regentschaft den Vorsatz hatte, Griechenland weder russisch noch englisch noch französisch zu regieren, sondern Griechenland so viel als möglich selbstständig zu machen, so wenig stand es in ihrer Macht, jene Parteien, die nach den Polen der Lebensinteressen geschieden waren, zu vereinigen: sie mußte Intelligenz, christliche Freiheit, Unabhängigkeit von einem ausländischen Patriarchen, Theilnahme der Regierten an der Regierung wenigstens in den Communen und untern Sphären der Staatsgesellschaft fördern. So hat sie gethan im Namen des Königs und im Geist des Königs. War das antirussisch, so war es dieß sicher nicht deßhalb, weil es aus englischem oder französischem Interesse geschehen wäre. Allein es mußte die Eifersucht aufregen, daß die Intelligenten derjenigen Partei, die sich der Regentschaft entgegenstellte, zu ihr übergingen. Und dieß eben war der natürliche Weg, die Einheit herbeizuführen, zugleich auch der des Erfolgs sicherste. Denn es war zu erwarten, daß die Intelligenz sich auch unter den Gegnern verbreiten, keineswegs aber, daß die Intelligenten sich würden verdummen lassen. Gestützt indessen auf vermeintlichen Beifall von außen fingen nun die Kapodistrianer oder Napisten an zu conspiriren, und die eben entdeckte Verschwörung ist bereits die dritte oder vierte, welche sie in jenem Wahn unternommen. Es stehen ihnen, wie man leicht sieht, verschiedene Vorwände dazu zu Gebote. Entweder die Orthodoxie oder die Selbstgenugheit der griechischen Bildung oder die Erhaltung des monarchischen Princips, oder die Fortsetzung der Revolution gegen den Sultan in den türkischen Provinzen, oder die Abwehr fremden nicht-russischen Einflusses. Bis zum Ende der Armansperg'schen Staatskanzlerschaft waren ihre Gegner die Bevorzugten in der Regierung, und man begreift wenigstens leicht, daß die, welche sich zurückgesetzt glaubten, in ihrer Unmacht zu unerlaubten Mitteln griffen. Allein seitdem durch Rudhardt Glarakis wieder Minister des Innern und des Cultus geworden war, hatte sich die Napistenpartei auf eine kaum glaubliche Weise in Besitz der Aemter gesetzt, so daß man, mehr als je von einer Partei, sagen konnte, die Regierung des Landes war in ihren Händen. (Beschluß folgt.) Rußland und England. Paris. Der sogenannte Status quo in Betreff des Orients ist eigentlich eine große Faxe. Die beiden Hauptmächte, welche in die Schicksale des Orients eingreifen, und dieselben unter sich entscheiden, spielen eine Schachpartie im Herzen dieses Welttheils. Die Hauptzüge werden in Persien und der Türkei geführt, wo England und Rußland eigentlich ganz allein am Spieltisch sitzen. Beide Mächte werden so lange am Status quo zu halten vorgeben, bis sie ihre Positionen gesichert haben werden, um sich alsdann näher auf den Leib zu rücken, und das "Schach dem König!" und weiterhin das "Schachmatt!" ausdonnern zu können. Alle übrigen Mächte sind mehr oder minder Zuschauer um das Spiel herum, aber jede der beiden Parteien consultirt dem Anschein nach die Umstehenden. So wandte sich Rußland an Oesterreich, England an Frankreich, obwohl Rußland wohl wußte, daß Oesterreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff der europäischen Türkei, wie England wohl wußte, daß Frankreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff Aegyptens. Provisorisch sind England und Rußland einverstanden, weil sie in ihrem Spiele noch nicht weit genug vorgerückt sind, um sich, zu Konstantinopel oder Teheran, Schach zu bieten. Also betreibt England das Vasallenthum Aegyptens und die Beherrschung des Isthmus von Suez: diesem Gedanken setzt es, als dem nächstliegenden und dringendsten, gegenwärtig die französische Allianz nach; Rußland aber umgeht dem Anschein nach seine Wünsche, und steuert nach einer Befestigung seiner kaukasischen und armenischen Positionen gegen den Taurus und Kurdistan zu, um sich allgemach des Quellgebiets aller Ströme des west- und innerasiatischen Handels zu bemächtigen. Mit Konstantinopel scheint es für lange Zeit nichts zu schaffen haben zu wollen, bei Leibe! Es ist, wie bekannt, dieß für Rußland eine Nebensache! Rußland geizt nach den Festungen der Natur: es will das Hauptjoch, die Knochen der Erde; England will die Meere und Strömungen, Handel und Wandel. So scheinen sie sich vorerst nicht zu berühren. - Die Hauptpolitik Rußlands bestand darin, den Zorn und die Hoffart Englands auf das klügste zu exploitiren. England ist tief in Indien hineinverstrickt, dorthin erdehnt sich heute seine ganze Macht; um den Besitz Indiens geht es ein einen Kampf auf Leben und Tod der ganzen heutigen politischen Welt. Indien zu schützen, hat es den indischen Kaukasus halb und halb erobert, und als Drohungspunkt gegen Indien rückt eine russische Expedition gegen Khiwa, drehen sich russische Einflüsse um Teheran und Herat, zurückgedrängt durch englische Protestationen. Aber der nächste Weg und Zugang nach Indien ist durch Aegypten, und hier steht den Engländern der Pascha im Wege mit seinen fiscalen und autokratischen Interessen, gestützt auf französische Civilisation, französische Einflüsse. Schon während der Restauration begann sämmtliche Mitglieder eventualiter Johann Kapodistrias heißen, d. h. auf die Eine Person des Präsidenten des Staats reducirt seyn konnten. Im Anfang des Jahres 1833 betrat König Otto, begleitet von der Regentschaft, den griechischen Boden. Das entzweite Griechenland schien versöhnt, das schönste Verhältniß herrschte zwischen Griechen und Deutschen, und die geistige Macht des Enthusiasmus und der frohen Hoffnungen stellte mit einem Zauberschlage Ruhe und Ordnung im Lande her. Welche Stellung hatte die neue Regierung zu den Parteien zu nehmen? Mehr als in irgend einem andern Lande waren die beiden Parteien hier in den erwähnten Rücksichten auf gleiche Weise getheilt. Diejenigen, welche auch in den nicht-anatolischen Christen ihre christlichen Brüder sahen, waren zugleich die Gebildeteren und humane Bildung Fördernden und zugleich politisch für eine graduelle gemäßigte Theilnahme der Regierten an der Regierung gestimmt. Dagegen war die Kapodistrianische Partei, welche sich ausschließlich der Orthodoxie rühmt, und welche diejenigen, die ihr an Bildung überlegen waren, mit Mißtrauen ansahen, zugleich die anticonstitutionelle. Der König sowohl als die Regentschaft gehörten nicht zur anatolischen Kirche, und es fand in Nauplia allgemeinen Beifall, als verlautete, daß der König sich entschieden gegen einen Uebertritt aus bloßen politischen Gründen erklärte. Der König und die Regentschaft kamen aus Deutschland, dem Lande, wo vor allen hellenische Geistesbildung seit drei Jahrhunderten den höchsten Culturzustand bedingte, kamen aus einem der constitutionellen Staaten Deutschlands, und König Otto war der Sohn eines constitutionellen Königs, den griechische Freiheit begeisterte. Wiewohl die neue königliche Regierung keine Partei ergriff, so war es doch durchaus unmöglich, daß nicht eine Partei sich ihr anschloß, während die andere Partei sich von ihr abwandte. Auch stand es, sofern sie nicht ganz aus ihrem Charakter und aus den Verhältnissen heraustreten wollte, gar nicht bei ihr, zu wählen, welcher Partei sie es recht machen wollte. So sehr die Regentschaft den Vorsatz hatte, Griechenland weder russisch noch englisch noch französisch zu regieren, sondern Griechenland so viel als möglich selbstständig zu machen, so wenig stand es in ihrer Macht, jene Parteien, die nach den Polen der Lebensinteressen geschieden waren, zu vereinigen: sie mußte Intelligenz, christliche Freiheit, Unabhängigkeit von einem ausländischen Patriarchen, Theilnahme der Regierten an der Regierung wenigstens in den Communen und untern Sphären der Staatsgesellschaft fördern. So hat sie gethan im Namen des Königs und im Geist des Königs. War das antirussisch, so war es dieß sicher nicht deßhalb, weil es aus englischem oder französischem Interesse geschehen wäre. Allein es mußte die Eifersucht aufregen, daß die Intelligenten derjenigen Partei, die sich der Regentschaft entgegenstellte, zu ihr übergingen. Und dieß eben war der natürliche Weg, die Einheit herbeizuführen, zugleich auch der des Erfolgs sicherste. Denn es war zu erwarten, daß die Intelligenz sich auch unter den Gegnern verbreiten, keineswegs aber, daß die Intelligenten sich würden verdummen lassen. Gestützt indessen auf vermeintlichen Beifall von außen fingen nun die Kapodistrianer oder Napisten an zu conspiriren, und die eben entdeckte Verschwörung ist bereits die dritte oder vierte, welche sie in jenem Wahn unternommen. Es stehen ihnen, wie man leicht sieht, verschiedene Vorwände dazu zu Gebote. Entweder die Orthodoxie oder die Selbstgenugheit der griechischen Bildung oder die Erhaltung des monarchischen Princips, oder die Fortsetzung der Revolution gegen den Sultan in den türkischen Provinzen, oder die Abwehr fremden nicht-russischen Einflusses. Bis zum Ende der Armansperg'schen Staatskanzlerschaft waren ihre Gegner die Bevorzugten in der Regierung, und man begreift wenigstens leicht, daß die, welche sich zurückgesetzt glaubten, in ihrer Unmacht zu unerlaubten Mitteln griffen. Allein seitdem durch Rudhardt Glarakis wieder Minister des Innern und des Cultus geworden war, hatte sich die Napistenpartei auf eine kaum glaubliche Weise in Besitz der Aemter gesetzt, so daß man, mehr als je von einer Partei, sagen konnte, die Regierung des Landes war in ihren Händen. (Beschluß folgt.) Rußland und England. Paris. Der sogenannte Status quo in Betreff des Orients ist eigentlich eine große Faxe. Die beiden Hauptmächte, welche in die Schicksale des Orients eingreifen, und dieselben unter sich entscheiden, spielen eine Schachpartie im Herzen dieses Welttheils. Die Hauptzüge werden in Persien und der Türkei geführt, wo England und Rußland eigentlich ganz allein am Spieltisch sitzen. Beide Mächte werden so lange am Status quo zu halten vorgeben, bis sie ihre Positionen gesichert haben werden, um sich alsdann näher auf den Leib zu rücken, und das „Schach dem König!“ und weiterhin das „Schachmatt!“ ausdonnern zu können. Alle übrigen Mächte sind mehr oder minder Zuschauer um das Spiel herum, aber jede der beiden Parteien consultirt dem Anschein nach die Umstehenden. So wandte sich Rußland an Oesterreich, England an Frankreich, obwohl Rußland wohl wußte, daß Oesterreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff der europäischen Türkei, wie England wohl wußte, daß Frankreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff Aegyptens. Provisorisch sind England und Rußland einverstanden, weil sie in ihrem Spiele noch nicht weit genug vorgerückt sind, um sich, zu Konstantinopel oder Teheran, Schach zu bieten. Also betreibt England das Vasallenthum Aegyptens und die Beherrschung des Isthmus von Suez: diesem Gedanken setzt es, als dem nächstliegenden und dringendsten, gegenwärtig die französische Allianz nach; Rußland aber umgeht dem Anschein nach seine Wünsche, und steuert nach einer Befestigung seiner kaukasischen und armenischen Positionen gegen den Taurus und Kurdistan zu, um sich allgemach des Quellgebiets aller Ströme des west- und innerasiatischen Handels zu bemächtigen. Mit Konstantinopel scheint es für lange Zeit nichts zu schaffen haben zu wollen, bei Leibe! Es ist, wie bekannt, dieß für Rußland eine Nebensache! Rußland geizt nach den Festungen der Natur: es will das Hauptjoch, die Knochen der Erde; England will die Meere und Strömungen, Handel und Wandel. So scheinen sie sich vorerst nicht zu berühren. – Die Hauptpolitik Rußlands bestand darin, den Zorn und die Hoffart Englands auf das klügste zu exploitiren. England ist tief in Indien hineinverstrickt, dorthin erdehnt sich heute seine ganze Macht; um den Besitz Indiens geht es ein einen Kampf auf Leben und Tod der ganzen heutigen politischen Welt. Indien zu schützen, hat es den indischen Kaukasus halb und halb erobert, und als Drohungspunkt gegen Indien rückt eine russische Expedition gegen Khiwa, drehen sich russische Einflüsse um Teheran und Herat, zurückgedrängt durch englische Protestationen. Aber der nächste Weg und Zugang nach Indien ist durch Aegypten, und hier steht den Engländern der Pascha im Wege mit seinen fiscalen und autokratischen Interessen, gestützt auf französische Civilisation, französische Einflüsse. 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Der König und die Regentschaft kamen aus Deutschland, dem Lande, wo vor allen hellenische Geistesbildung seit drei Jahrhunderten den höchsten Culturzustand bedingte, kamen aus einem der constitutionellen Staaten Deutschlands, und König Otto war der Sohn eines constitutionellen Königs, den griechische Freiheit begeisterte. Wiewohl die neue königliche Regierung keine Partei ergriff, so war es doch durchaus unmöglich, daß nicht eine Partei sich ihr anschloß, während die andere Partei sich von ihr abwandte. Auch stand es, sofern sie nicht ganz aus ihrem Charakter und aus den Verhältnissen heraustreten wollte, gar nicht bei ihr, zu wählen, welcher Partei sie es recht machen wollte. So sehr die Regentschaft den Vorsatz hatte, Griechenland weder russisch noch englisch noch französisch zu regieren, sondern Griechenland so viel als möglich selbstständig zu machen, so wenig stand es in ihrer Macht, jene Parteien, die nach den Polen der Lebensinteressen geschieden waren, zu vereinigen: sie <hi rendition="#g">mußte</hi> Intelligenz, christliche Freiheit, Unabhängigkeit von einem ausländischen Patriarchen, Theilnahme der Regierten an der Regierung wenigstens in den Communen und untern Sphären der Staatsgesellschaft fördern. So hat sie gethan im Namen des Königs und im Geist des Königs. War das antirussisch, so war es dieß sicher nicht deßhalb, weil es aus englischem oder französischem Interesse geschehen wäre. Allein es mußte die Eifersucht aufregen, daß die Intelligenten derjenigen Partei, die sich der Regentschaft entgegenstellte, zu ihr übergingen. Und dieß eben war der natürliche Weg, die Einheit herbeizuführen, zugleich auch der des Erfolgs sicherste. Denn es war zu erwarten, daß die Intelligenz sich auch unter den Gegnern verbreiten, keineswegs aber, daß die Intelligenten sich würden verdummen lassen. Gestützt indessen auf vermeintlichen Beifall von außen fingen nun die Kapodistrianer oder Napisten an zu conspiriren, und die eben entdeckte Verschwörung ist bereits die dritte oder vierte, welche sie in jenem Wahn unternommen. Es stehen ihnen, wie man leicht sieht, verschiedene Vorwände dazu zu Gebote. Entweder die Orthodoxie oder die Selbstgenugheit der griechischen Bildung oder die Erhaltung des monarchischen Princips, oder die Fortsetzung der Revolution gegen den Sultan in den türkischen Provinzen, oder die Abwehr fremden nicht-russischen Einflusses. Bis zum Ende der Armansperg'schen Staatskanzlerschaft waren ihre Gegner die Bevorzugten in der Regierung, und man begreift wenigstens leicht, daß die, welche sich zurückgesetzt glaubten, in ihrer Unmacht zu unerlaubten Mitteln griffen. Allein seitdem durch Rudhardt Glarakis wieder Minister des Innern und des Cultus geworden war, hatte sich die Napistenpartei auf eine kaum glaubliche Weise in Besitz der Aemter gesetzt, so daß man, mehr als je von einer Partei, sagen konnte, die Regierung des Landes war in ihren Händen.</p><lb/> <p>(Beschluß folgt.)</p><lb/> </div> </div> <div type="jArticle" n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Rußland und England</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline> <hi rendition="#b">Paris.</hi> </dateline> <p> Der sogenannte Status quo in Betreff des Orients ist eigentlich eine große Faxe. Die beiden Hauptmächte, welche in die Schicksale des Orients eingreifen, und dieselben unter sich entscheiden, spielen eine Schachpartie im Herzen dieses Welttheils. Die Hauptzüge werden in Persien und der Türkei geführt, wo England und Rußland eigentlich ganz allein am Spieltisch sitzen. Beide Mächte werden so lange am Status quo zu halten vorgeben, bis sie ihre Positionen gesichert haben werden, um sich alsdann näher auf den Leib zu rücken, und das „Schach dem König!“ und weiterhin das „Schachmatt!“ ausdonnern zu können. Alle übrigen Mächte sind mehr oder minder Zuschauer um das Spiel herum, aber jede der beiden Parteien consultirt dem Anschein nach die Umstehenden. So wandte sich Rußland an Oesterreich, England an Frankreich, obwohl Rußland wohl wußte, daß Oesterreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff der europäischen Türkei, wie England wohl wußte, daß Frankreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff Aegyptens. Provisorisch sind England und Rußland einverstanden, weil sie in ihrem Spiele noch nicht weit genug vorgerückt sind, um sich, zu Konstantinopel oder Teheran, Schach zu bieten. Also betreibt England das Vasallenthum Aegyptens und die Beherrschung des Isthmus von Suez: diesem Gedanken setzt es, als dem nächstliegenden und dringendsten, gegenwärtig die französische Allianz nach; Rußland aber umgeht dem Anschein nach seine Wünsche, und steuert nach einer Befestigung seiner kaukasischen und armenischen Positionen gegen den Taurus und Kurdistan zu, um sich allgemach des Quellgebiets aller Ströme des west- und innerasiatischen Handels zu bemächtigen. Mit Konstantinopel scheint es für lange Zeit nichts zu schaffen haben zu wollen, bei Leibe! Es ist, wie bekannt, dieß für Rußland eine Nebensache! Rußland geizt nach den Festungen der Natur: es will das Hauptjoch, die Knochen der Erde; England will die Meere und Strömungen, Handel und Wandel. So scheinen sie sich vorerst nicht zu berühren. – Die Hauptpolitik Rußlands bestand darin, den Zorn und die Hoffart Englands auf das klügste zu exploitiren. England ist tief in Indien hineinverstrickt, dorthin erdehnt sich heute seine ganze Macht; um den Besitz Indiens geht es ein einen Kampf auf Leben und Tod der ganzen heutigen politischen Welt. Indien zu schützen, hat es den indischen Kaukasus halb und halb erobert, und als Drohungspunkt gegen Indien rückt eine russische Expedition gegen Khiwa, drehen sich russische Einflüsse um Teheran und Herat, zurückgedrängt durch englische Protestationen. Aber der nächste Weg und Zugang nach Indien ist durch Aegypten, und hier steht den Engländern der Pascha im Wege mit seinen fiscalen und autokratischen Interessen, gestützt auf französische Civilisation, französische Einflüsse. Schon während der Restauration begann<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370/0010]
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Im Anfang des Jahres 1833 betrat König Otto, begleitet von der Regentschaft, den griechischen Boden. Das entzweite Griechenland schien versöhnt, das schönste Verhältniß herrschte zwischen Griechen und Deutschen, und die geistige Macht des Enthusiasmus und der frohen Hoffnungen stellte mit einem Zauberschlage Ruhe und Ordnung im Lande her. Welche Stellung hatte die neue Regierung zu den Parteien zu nehmen? Mehr als in irgend einem andern Lande waren die beiden Parteien hier in den erwähnten Rücksichten auf gleiche Weise getheilt. Diejenigen, welche auch in den nicht-anatolischen Christen ihre christlichen Brüder sahen, waren zugleich die Gebildeteren und humane Bildung Fördernden und zugleich politisch für eine graduelle gemäßigte Theilnahme der Regierten an der Regierung gestimmt. Dagegen war die Kapodistrianische Partei, welche sich ausschließlich der Orthodoxie rühmt, und welche diejenigen, die ihr an Bildung überlegen waren, mit Mißtrauen ansahen, zugleich die anticonstitutionelle. Der König sowohl als die Regentschaft gehörten nicht zur anatolischen Kirche, und es fand in Nauplia allgemeinen Beifall, als verlautete, daß der König sich entschieden gegen einen Uebertritt aus bloßen politischen Gründen erklärte. Der König und die Regentschaft kamen aus Deutschland, dem Lande, wo vor allen hellenische Geistesbildung seit drei Jahrhunderten den höchsten Culturzustand bedingte, kamen aus einem der constitutionellen Staaten Deutschlands, und König Otto war der Sohn eines constitutionellen Königs, den griechische Freiheit begeisterte. Wiewohl die neue königliche Regierung keine Partei ergriff, so war es doch durchaus unmöglich, daß nicht eine Partei sich ihr anschloß, während die andere Partei sich von ihr abwandte. Auch stand es, sofern sie nicht ganz aus ihrem Charakter und aus den Verhältnissen heraustreten wollte, gar nicht bei ihr, zu wählen, welcher Partei sie es recht machen wollte. So sehr die Regentschaft den Vorsatz hatte, Griechenland weder russisch noch englisch noch französisch zu regieren, sondern Griechenland so viel als möglich selbstständig zu machen, so wenig stand es in ihrer Macht, jene Parteien, die nach den Polen der Lebensinteressen geschieden waren, zu vereinigen: sie mußte Intelligenz, christliche Freiheit, Unabhängigkeit von einem ausländischen Patriarchen, Theilnahme der Regierten an der Regierung wenigstens in den Communen und untern Sphären der Staatsgesellschaft fördern. So hat sie gethan im Namen des Königs und im Geist des Königs. War das antirussisch, so war es dieß sicher nicht deßhalb, weil es aus englischem oder französischem Interesse geschehen wäre. Allein es mußte die Eifersucht aufregen, daß die Intelligenten derjenigen Partei, die sich der Regentschaft entgegenstellte, zu ihr übergingen. Und dieß eben war der natürliche Weg, die Einheit herbeizuführen, zugleich auch der des Erfolgs sicherste. Denn es war zu erwarten, daß die Intelligenz sich auch unter den Gegnern verbreiten, keineswegs aber, daß die Intelligenten sich würden verdummen lassen. Gestützt indessen auf vermeintlichen Beifall von außen fingen nun die Kapodistrianer oder Napisten an zu conspiriren, und die eben entdeckte Verschwörung ist bereits die dritte oder vierte, welche sie in jenem Wahn unternommen. Es stehen ihnen, wie man leicht sieht, verschiedene Vorwände dazu zu Gebote. Entweder die Orthodoxie oder die Selbstgenugheit der griechischen Bildung oder die Erhaltung des monarchischen Princips, oder die Fortsetzung der Revolution gegen den Sultan in den türkischen Provinzen, oder die Abwehr fremden nicht-russischen Einflusses. Bis zum Ende der Armansperg'schen Staatskanzlerschaft waren ihre Gegner die Bevorzugten in der Regierung, und man begreift wenigstens leicht, daß die, welche sich zurückgesetzt glaubten, in ihrer Unmacht zu unerlaubten Mitteln griffen. Allein seitdem durch Rudhardt Glarakis wieder Minister des Innern und des Cultus geworden war, hatte sich die Napistenpartei auf eine kaum glaubliche Weise in Besitz der Aemter gesetzt, so daß man, mehr als je von einer Partei, sagen konnte, die Regierung des Landes war in ihren Händen.
(Beschluß folgt.)
Rußland und England.
_ Paris. Der sogenannte Status quo in Betreff des Orients ist eigentlich eine große Faxe. Die beiden Hauptmächte, welche in die Schicksale des Orients eingreifen, und dieselben unter sich entscheiden, spielen eine Schachpartie im Herzen dieses Welttheils. Die Hauptzüge werden in Persien und der Türkei geführt, wo England und Rußland eigentlich ganz allein am Spieltisch sitzen. Beide Mächte werden so lange am Status quo zu halten vorgeben, bis sie ihre Positionen gesichert haben werden, um sich alsdann näher auf den Leib zu rücken, und das „Schach dem König!“ und weiterhin das „Schachmatt!“ ausdonnern zu können. Alle übrigen Mächte sind mehr oder minder Zuschauer um das Spiel herum, aber jede der beiden Parteien consultirt dem Anschein nach die Umstehenden. So wandte sich Rußland an Oesterreich, England an Frankreich, obwohl Rußland wohl wußte, daß Oesterreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff der europäischen Türkei, wie England wohl wußte, daß Frankreich ihm entgegengesetzte Interessen habe in Betreff Aegyptens. Provisorisch sind England und Rußland einverstanden, weil sie in ihrem Spiele noch nicht weit genug vorgerückt sind, um sich, zu Konstantinopel oder Teheran, Schach zu bieten. Also betreibt England das Vasallenthum Aegyptens und die Beherrschung des Isthmus von Suez: diesem Gedanken setzt es, als dem nächstliegenden und dringendsten, gegenwärtig die französische Allianz nach; Rußland aber umgeht dem Anschein nach seine Wünsche, und steuert nach einer Befestigung seiner kaukasischen und armenischen Positionen gegen den Taurus und Kurdistan zu, um sich allgemach des Quellgebiets aller Ströme des west- und innerasiatischen Handels zu bemächtigen. Mit Konstantinopel scheint es für lange Zeit nichts zu schaffen haben zu wollen, bei Leibe! Es ist, wie bekannt, dieß für Rußland eine Nebensache! Rußland geizt nach den Festungen der Natur: es will das Hauptjoch, die Knochen der Erde; England will die Meere und Strömungen, Handel und Wandel. So scheinen sie sich vorerst nicht zu berühren. – Die Hauptpolitik Rußlands bestand darin, den Zorn und die Hoffart Englands auf das klügste zu exploitiren. England ist tief in Indien hineinverstrickt, dorthin erdehnt sich heute seine ganze Macht; um den Besitz Indiens geht es ein einen Kampf auf Leben und Tod der ganzen heutigen politischen Welt. Indien zu schützen, hat es den indischen Kaukasus halb und halb erobert, und als Drohungspunkt gegen Indien rückt eine russische Expedition gegen Khiwa, drehen sich russische Einflüsse um Teheran und Herat, zurückgedrängt durch englische Protestationen. Aber der nächste Weg und Zugang nach Indien ist durch Aegypten, und hier steht den Engländern der Pascha im Wege mit seinen fiscalen und autokratischen Interessen, gestützt auf französische Civilisation, französische Einflüsse. Schon während der Restauration begann
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