Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 49. Augsburg, 18. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

nur Frankreich meine es gut mit der Pforte; nur er, Pontois, gebe den vernünftigsten Rath, mit Mehemed Ali, dem ausgezeichnetsten der Ottomanen, sich zu verbinden, um den Intriguen der Europäer die Stirne bieten zu können. Dann läßt er sich aus über die Expedition von Khiwa, über den Zustand der drei Fürstenthümer, über die griechischen Bewegungen und weiß mit großer Geschicklichkeit Alles zu benützen, was nur irgend in der politischen Welt sich ereignen mag. Sie können sich leicht vorstellen, in welchem Zustande sich unser Reis Effendi befindet, wie groß die Unruhe seyn muß, in die er durch Hrn. v. Pontois Insinuationen versetzt wird. Reschid läßt sich bereits verlauten, daß die lange Zögerung der Mächte ihn mit Ungewißheit und Bangigkeit erfülle, und äußert Besorgnisse über die nächste Zukunft.

Die Nachrichten aus Alexandria sind sehr beunruhigender Natur. Die großen Kriegsrüstungen des Vicekönigs, die Entschiedenheit seiner Sprache, die Haltung des hiesigen französischen Repräsentanten wird die Pforte natürlich zu neuen Anstrengungen zwingen, die ihre ohnehin geschwächten Kräfte neuerdings in Anspruch nehmen, und die Erschöpfung auf den höchsten Grad treiben müssen. Ein schlechter Trost ist es, wenn man sich sagt, daß Mehemed Ali in demselben Fall sich befinde, denn hier weiß man aus zuverlässiger Quelle, daß ihm Zuflüsse von auswärts zu Theil werden, an welche die Pforte nicht denken darf. Auch hilft es wenig, wenn der Vicekönig selbst mehr Lärm mit den Zurüstungen macht, als sie wirklich verdienen, denn durch den, wenn auch übertriebenen Lärm, welchen man zu erheben für gut findet, werden mancherlei Bewegungen der Gemüther veranlaßt, die besonders in den kleinasiatischen Provinzen einen beunruhigenden Charakter anzunehmen drohen. Wahr ist es, daß Ibrahims Armee im Taurus seit der Schlacht von Nisib auf die Hälfte ihres frühern Bestandes zusammengeschmolzen ist; allein Mehemed Ali's drohender Schrei vom Alexandrinischen Pharos, daß seine Armee binnen kurzem auf 90,000 Mann gebracht seyn werde, hallt über alle islamitischen Länder und findet in Europa tausendfältiges Echo. Wahr ist es, daß diese 90,000 Mann, wenn es dem Vicekönig gelingt, sie zusammenzubringen, zumeist zusammengerafftes Gesindel wären, das mit unmenschlicher Grausamkeit in dem von jeder kräftigen Bevölkerung entblößten Lande gepreßt wird, während ein bedeutender Theil dieser 90,000 Mann aus raubgiergien Beduinen und Kurden bestehen wird; allein es ist Mode geworden, von der Disciplin des ägyptischen Heeres, von der taktischen Vortrefflichkeit der Truppen, so wie überhaupt von der Macht des Pascha's die ungeheuersten Begriffe zu hegen, ja man ist auf den Einfall gekommen, daß das afrikanische Heer einer europäischen Kriegsmacht die Spitze zu bieten fähig wäre. Wenn auch dieß eines jener Vorurtheile ist, die durch eine gründliche Prüfung seiner Elemente gehoben werden könnten, so ist nichtsdestoweniger wahr, daß solche Vorurtheile oft die größte Wirkung selbst unter gebildeten Nationen nicht verfehlen. Wenn jene Mächte, denen das Wohl der Pforte am Herzen liegt, nicht bald zu einem Entschlusse gelangen, wenn sie, während sie vielleicht über Principien sich streiten, Frankreich freies Spiel im Orient lassen, welches mit Emsigkeit es auszubeuten versteht, so ist allerdings eine Katastrophe zu gewärtigen, die, einmal eingetreten, unmöglich sich aufhalten lassen wird.

Mustapha Pascha, Commandant der an Bord der türkischen Flotte zu Alexandria befindlichen Marinetruppen, ist zum Stellvertreter Said Pascha's in seiner Eigenschaft als Kapudan Pascha ernannt worden. Es fragt sich, ob Mustapha Pascha in dem Fall seyn wird, die Stelle eines Großadmirals subsidiarisch anzutreten, und ob Mehemed Ali zur Kundmachung und Befolgung des von seinem Herrn ziemlich kategorisch gegebenen Befehls sich herbeilassen werde. Hier glaubt kein Mensch daran. Was für einen Zweck konnte wohl die Pforte mit dieser neuen Anordnung verbinden? Man will wissen, daß Mustapha einen großen Anhang auf der Flotte habe, und daß leicht durch seine Ernennung die Uneinigkeit, die unter den Türken im Hafen von Alexandria herrscht, in helle Flammen ausbrechen, und dem Vicekönig eine Verlegenheit bereitet werden könnte. - Die neue Art der Steuerperception durch eigens aufgestellte besoldete Beamte tritt Mitte März in Wirksamkeit.

Aegypten.

Durch ein Handelsschiff, welches in zwölf Tagen von Marseille hier eingetroffen ist, haben wir Exemplare des Semaphore erhalten, worin wir die Thronrede des Königs Ludwig Philipp lasen. Darin wird gesagt, "daß Frankreich mit England hinsichtlich einer raschen Lösung der orientalischen Angelegenheiten einverstanden sey. Aus dieser Phrase geht aber noch keineswegs die Nothwendigkeit hervor, daß Frankreich mit England bei Anwendung von Zwangsmitteln gegen Mehemed Ali sich verbünde, sondern die Worte deuten nur eine stillschweigende Einwilligung zu dem an, was letztere Macht unternehmen wird. Da man nun seit einiger Zeit weiß, daß England selbst ohne die Mitwirkung der übrigen Mächte unter dem Vorwand seiner Allianz mit der Pforte einschreiten und Mehemed Ali hinsichtlich Arabiens Bedingungen auflegen will, deren Folge wäre, daß diese große Halbinsel fast ganz unter englisches Protectorat käme, so würde Europa, welches in Arabien nicht mit bewaffneter Hand sich einmischen kann, genöthigt seyn, das, was England dort unternimmt, geschehen zu lassen, welch' schlimme Folgen auch ein solcher Vorgang haben möchte. Diese Nachrichten haben unter den europäischen Ansiedlern, deren persönliche Sicherheit und Vermögen, selbst das ihrer auswärtigen Freunde, jeden Augenblick gefährdet seyn kann, Bestürzung verbreitet. - Mehemed Ali aber hat seine Stellung begriffen. Er hat gesehen, daß all' die Mäßigung, von welcher er so auffallende Beweise gegeben, ihm das einmüthige Wohlwollen der europäischen Regierungen nicht gewinnen konnte, ungeachtet er selbst dem Siegeseifer seiner Truppen aus türkischem Patriotismus - denn er will die ottomanische Macht nur befestigen, nicht zerstören - Einhalt gethan hatte. - Frankreich und Rußland waren vor der Schlacht bei Nisib sehr geneigt, Mehemed Ali's Unabhängigkeit anzuerkennen, im Falle er im Kampfe Sieger bleiben würde. Diese Mächte verlangten nichts, als daß der Vicekönig keine Bewegung gegen Konstantinopel machen solle, weil deren unvermeidliche Folge eine Einmischung und daher ein allgemeiner europäischer Krieg seyn würde. Mehemed Ali fügte sich diesem Rathe. Aber von dem Tage an, wo er in Folge des Todes des Sultans Mahmud erklärte, nicht nach Unabhängigkeit trachte er, sondern er wolle zum Wohl des ottomanischen Reichs beitragen, er wolle es unabhängig und furchtbar machen, damit es jeden fremden Schutzes entbehren könne, von diesem Tage an hatte er die Meinung jener Mächte gegen sich, welche sich zu Vormündern dieses Reichs aufwerfen wollten. Von den beiden Concurrenten wird der eine als naher Nachbar jederzeit den Vorrang behaupten; der andere Concurrent will ihm denselben streitig machen, und ihn sich im Interesse seines Handels aneignen. Zu diesem Zweck muß England der Pforte Versprechungen und Anerbietungen aller Art machen, die es denn auch keineswegs spart; ja es will die Annahme

nur Frankreich meine es gut mit der Pforte; nur er, Pontois, gebe den vernünftigsten Rath, mit Mehemed Ali, dem ausgezeichnetsten der Ottomanen, sich zu verbinden, um den Intriguen der Europäer die Stirne bieten zu können. Dann läßt er sich aus über die Expedition von Khiwa, über den Zustand der drei Fürstenthümer, über die griechischen Bewegungen und weiß mit großer Geschicklichkeit Alles zu benützen, was nur irgend in der politischen Welt sich ereignen mag. Sie können sich leicht vorstellen, in welchem Zustande sich unser Reis Effendi befindet, wie groß die Unruhe seyn muß, in die er durch Hrn. v. Pontois Insinuationen versetzt wird. Reschid läßt sich bereits verlauten, daß die lange Zögerung der Mächte ihn mit Ungewißheit und Bangigkeit erfülle, und äußert Besorgnisse über die nächste Zukunft.

Die Nachrichten aus Alexandria sind sehr beunruhigender Natur. Die großen Kriegsrüstungen des Vicekönigs, die Entschiedenheit seiner Sprache, die Haltung des hiesigen französischen Repräsentanten wird die Pforte natürlich zu neuen Anstrengungen zwingen, die ihre ohnehin geschwächten Kräfte neuerdings in Anspruch nehmen, und die Erschöpfung auf den höchsten Grad treiben müssen. Ein schlechter Trost ist es, wenn man sich sagt, daß Mehemed Ali in demselben Fall sich befinde, denn hier weiß man aus zuverlässiger Quelle, daß ihm Zuflüsse von auswärts zu Theil werden, an welche die Pforte nicht denken darf. Auch hilft es wenig, wenn der Vicekönig selbst mehr Lärm mit den Zurüstungen macht, als sie wirklich verdienen, denn durch den, wenn auch übertriebenen Lärm, welchen man zu erheben für gut findet, werden mancherlei Bewegungen der Gemüther veranlaßt, die besonders in den kleinasiatischen Provinzen einen beunruhigenden Charakter anzunehmen drohen. Wahr ist es, daß Ibrahims Armee im Taurus seit der Schlacht von Nisib auf die Hälfte ihres frühern Bestandes zusammengeschmolzen ist; allein Mehemed Ali's drohender Schrei vom Alexandrinischen Pharos, daß seine Armee binnen kurzem auf 90,000 Mann gebracht seyn werde, hallt über alle islamitischen Länder und findet in Europa tausendfältiges Echo. Wahr ist es, daß diese 90,000 Mann, wenn es dem Vicekönig gelingt, sie zusammenzubringen, zumeist zusammengerafftes Gesindel wären, das mit unmenschlicher Grausamkeit in dem von jeder kräftigen Bevölkerung entblößten Lande gepreßt wird, während ein bedeutender Theil dieser 90,000 Mann aus raubgiergien Beduinen und Kurden bestehen wird; allein es ist Mode geworden, von der Disciplin des ägyptischen Heeres, von der taktischen Vortrefflichkeit der Truppen, so wie überhaupt von der Macht des Pascha's die ungeheuersten Begriffe zu hegen, ja man ist auf den Einfall gekommen, daß das afrikanische Heer einer europäischen Kriegsmacht die Spitze zu bieten fähig wäre. Wenn auch dieß eines jener Vorurtheile ist, die durch eine gründliche Prüfung seiner Elemente gehoben werden könnten, so ist nichtsdestoweniger wahr, daß solche Vorurtheile oft die größte Wirkung selbst unter gebildeten Nationen nicht verfehlen. Wenn jene Mächte, denen das Wohl der Pforte am Herzen liegt, nicht bald zu einem Entschlusse gelangen, wenn sie, während sie vielleicht über Principien sich streiten, Frankreich freies Spiel im Orient lassen, welches mit Emsigkeit es auszubeuten versteht, so ist allerdings eine Katastrophe zu gewärtigen, die, einmal eingetreten, unmöglich sich aufhalten lassen wird.

Mustapha Pascha, Commandant der an Bord der türkischen Flotte zu Alexandria befindlichen Marinetruppen, ist zum Stellvertreter Said Pascha's in seiner Eigenschaft als Kapudan Pascha ernannt worden. Es fragt sich, ob Mustapha Pascha in dem Fall seyn wird, die Stelle eines Großadmirals subsidiarisch anzutreten, und ob Mehemed Ali zur Kundmachung und Befolgung des von seinem Herrn ziemlich kategorisch gegebenen Befehls sich herbeilassen werde. Hier glaubt kein Mensch daran. Was für einen Zweck konnte wohl die Pforte mit dieser neuen Anordnung verbinden? Man will wissen, daß Mustapha einen großen Anhang auf der Flotte habe, und daß leicht durch seine Ernennung die Uneinigkeit, die unter den Türken im Hafen von Alexandria herrscht, in helle Flammen ausbrechen, und dem Vicekönig eine Verlegenheit bereitet werden könnte. – Die neue Art der Steuerperception durch eigens aufgestellte besoldete Beamte tritt Mitte März in Wirksamkeit.

Aegypten.

Durch ein Handelsschiff, welches in zwölf Tagen von Marseille hier eingetroffen ist, haben wir Exemplare des Sémaphore erhalten, worin wir die Thronrede des Königs Ludwig Philipp lasen. Darin wird gesagt, „daß Frankreich mit England hinsichtlich einer raschen Lösung der orientalischen Angelegenheiten einverstanden sey. Aus dieser Phrase geht aber noch keineswegs die Nothwendigkeit hervor, daß Frankreich mit England bei Anwendung von Zwangsmitteln gegen Mehemed Ali sich verbünde, sondern die Worte deuten nur eine stillschweigende Einwilligung zu dem an, was letztere Macht unternehmen wird. Da man nun seit einiger Zeit weiß, daß England selbst ohne die Mitwirkung der übrigen Mächte unter dem Vorwand seiner Allianz mit der Pforte einschreiten und Mehemed Ali hinsichtlich Arabiens Bedingungen auflegen will, deren Folge wäre, daß diese große Halbinsel fast ganz unter englisches Protectorat käme, so würde Europa, welches in Arabien nicht mit bewaffneter Hand sich einmischen kann, genöthigt seyn, das, was England dort unternimmt, geschehen zu lassen, welch' schlimme Folgen auch ein solcher Vorgang haben möchte. Diese Nachrichten haben unter den europäischen Ansiedlern, deren persönliche Sicherheit und Vermögen, selbst das ihrer auswärtigen Freunde, jeden Augenblick gefährdet seyn kann, Bestürzung verbreitet. – Mehemed Ali aber hat seine Stellung begriffen. Er hat gesehen, daß all' die Mäßigung, von welcher er so auffallende Beweise gegeben, ihm das einmüthige Wohlwollen der europäischen Regierungen nicht gewinnen konnte, ungeachtet er selbst dem Siegeseifer seiner Truppen aus türkischem Patriotismus – denn er will die ottomanische Macht nur befestigen, nicht zerstören – Einhalt gethan hatte. – Frankreich und Rußland waren vor der Schlacht bei Nisib sehr geneigt, Mehemed Ali's Unabhängigkeit anzuerkennen, im Falle er im Kampfe Sieger bleiben würde. Diese Mächte verlangten nichts, als daß der Vicekönig keine Bewegung gegen Konstantinopel machen solle, weil deren unvermeidliche Folge eine Einmischung und daher ein allgemeiner europäischer Krieg seyn würde. Mehemed Ali fügte sich diesem Rathe. Aber von dem Tage an, wo er in Folge des Todes des Sultans Mahmud erklärte, nicht nach Unabhängigkeit trachte er, sondern er wolle zum Wohl des ottomanischen Reichs beitragen, er wolle es unabhängig und furchtbar machen, damit es jeden fremden Schutzes entbehren könne, von diesem Tage an hatte er die Meinung jener Mächte gegen sich, welche sich zu Vormündern dieses Reichs aufwerfen wollten. Von den beiden Concurrenten wird der eine als naher Nachbar jederzeit den Vorrang behaupten; der andere Concurrent will ihm denselben streitig machen, und ihn sich im Interesse seines Handels aneignen. Zu diesem Zweck muß England der Pforte Versprechungen und Anerbietungen aller Art machen, die es denn auch keineswegs spart; ja es will die Annahme

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0007" n="0391"/>
nur Frankreich meine es gut mit der Pforte; nur er, Pontois, gebe den vernünftigsten Rath, mit Mehemed Ali, dem ausgezeichnetsten der Ottomanen, sich zu verbinden, um den Intriguen der Europäer die Stirne bieten zu können. Dann läßt er sich aus über die Expedition von Khiwa, über den Zustand der drei Fürstenthümer, über die griechischen Bewegungen und weiß mit großer Geschicklichkeit Alles zu benützen, was nur irgend in der politischen Welt sich ereignen mag. Sie können sich leicht vorstellen, in welchem Zustande sich unser Reis Effendi befindet, wie groß die Unruhe seyn muß, in die er durch Hrn. v. Pontois Insinuationen versetzt wird. Reschid läßt sich bereits verlauten, daß die lange Zögerung der Mächte ihn mit Ungewißheit und Bangigkeit erfülle, und äußert Besorgnisse über die nächste Zukunft.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 29 Jan.</dateline>
          <p> Die Nachrichten aus Alexandria sind sehr beunruhigender Natur. Die großen Kriegsrüstungen des Vicekönigs, die Entschiedenheit seiner Sprache, die Haltung des hiesigen französischen Repräsentanten wird die Pforte natürlich zu neuen Anstrengungen zwingen, die ihre ohnehin geschwächten Kräfte neuerdings in Anspruch nehmen, und die Erschöpfung auf den höchsten Grad treiben müssen. Ein schlechter Trost ist es, wenn man sich sagt, daß Mehemed Ali in demselben Fall sich befinde, denn hier weiß man aus zuverlässiger Quelle, daß ihm Zuflüsse von auswärts zu Theil werden, an welche die Pforte nicht denken darf. Auch hilft es wenig, wenn der Vicekönig selbst mehr Lärm mit den Zurüstungen macht, als sie wirklich verdienen, denn durch den, wenn auch übertriebenen Lärm, welchen man zu erheben für gut findet, werden mancherlei Bewegungen der Gemüther veranlaßt, die besonders in den kleinasiatischen Provinzen einen beunruhigenden Charakter anzunehmen drohen. Wahr ist es, daß Ibrahims Armee im Taurus seit der Schlacht von Nisib auf die Hälfte ihres frühern Bestandes zusammengeschmolzen ist; allein Mehemed Ali's drohender Schrei vom Alexandrinischen Pharos, daß seine Armee binnen kurzem auf 90,000 Mann gebracht seyn werde, hallt über alle islamitischen Länder und findet in Europa tausendfältiges Echo. Wahr ist es, daß diese 90,000 Mann, wenn es dem Vicekönig gelingt, sie zusammenzubringen, zumeist zusammengerafftes Gesindel wären, das mit unmenschlicher Grausamkeit in dem von jeder kräftigen Bevölkerung entblößten Lande gepreßt wird, während ein bedeutender Theil dieser 90,000 Mann aus raubgiergien Beduinen und Kurden bestehen wird; allein es ist Mode geworden, von der Disciplin des ägyptischen Heeres, von der taktischen Vortrefflichkeit der Truppen, so wie überhaupt von der Macht des Pascha's die ungeheuersten Begriffe zu hegen, ja man ist auf den Einfall gekommen, daß das afrikanische Heer einer europäischen Kriegsmacht die Spitze zu bieten fähig wäre. Wenn auch dieß eines jener Vorurtheile ist, die durch eine gründliche Prüfung seiner Elemente gehoben werden könnten, so ist nichtsdestoweniger wahr, daß solche Vorurtheile oft die größte Wirkung selbst unter gebildeten Nationen nicht verfehlen. Wenn jene Mächte, denen das Wohl der Pforte am Herzen liegt, nicht bald zu einem Entschlusse gelangen, wenn sie, während sie vielleicht über Principien sich streiten, Frankreich freies Spiel im Orient lassen, welches mit Emsigkeit es auszubeuten versteht, so ist allerdings eine Katastrophe zu gewärtigen, die, einmal eingetreten, unmöglich sich aufhalten lassen wird.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <gap reason="insignificant" unit="chars" quantity="1"/>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 29 Jan.</dateline>
          <p> Mustapha Pascha, Commandant der an Bord der türkischen Flotte zu Alexandria befindlichen Marinetruppen, ist zum Stellvertreter Said Pascha's in seiner Eigenschaft als Kapudan Pascha ernannt worden. Es fragt sich, ob Mustapha Pascha in dem Fall seyn wird, die Stelle eines Großadmirals subsidiarisch anzutreten, und ob Mehemed Ali zur Kundmachung und Befolgung des von seinem Herrn ziemlich kategorisch gegebenen Befehls sich herbeilassen werde. Hier glaubt kein Mensch daran. Was für einen Zweck konnte wohl die Pforte mit dieser neuen Anordnung verbinden? Man will wissen, daß Mustapha einen großen Anhang auf der Flotte habe, und daß leicht durch seine Ernennung die Uneinigkeit, die unter den Türken im Hafen von Alexandria herrscht, in helle Flammen ausbrechen, und dem Vicekönig eine Verlegenheit bereitet werden könnte. &#x2013; Die neue Art der Steuerperception durch eigens aufgestellte besoldete Beamte tritt Mitte März in Wirksamkeit.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Aegypten.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Alexandria,</hi> 20 Jan.</dateline>
          <p> Durch ein Handelsschiff, welches in zwölf Tagen von Marseille hier eingetroffen ist, haben wir Exemplare des <hi rendition="#g">Sémaphore</hi> erhalten, worin wir die Thronrede des Königs Ludwig Philipp lasen. Darin wird gesagt, &#x201E;<hi rendition="#g">daß Frankreich mit England hinsichtlich einer raschen Lösung der orientalischen Angelegenheiten einverstanden sey</hi>. Aus dieser Phrase geht aber noch keineswegs die Nothwendigkeit hervor, daß Frankreich mit England bei Anwendung von Zwangsmitteln gegen Mehemed Ali sich verbünde, sondern die Worte deuten nur eine stillschweigende Einwilligung zu dem an, was letztere Macht unternehmen wird. Da man nun seit einiger Zeit weiß, daß England selbst ohne die Mitwirkung der übrigen Mächte unter dem Vorwand seiner Allianz mit der Pforte einschreiten und Mehemed Ali hinsichtlich Arabiens Bedingungen auflegen will, deren Folge wäre, daß diese große Halbinsel fast ganz unter englisches Protectorat käme, so würde Europa, welches in Arabien nicht mit bewaffneter Hand sich einmischen kann, genöthigt seyn, das, was England dort unternimmt, geschehen zu lassen, welch' schlimme Folgen auch ein solcher Vorgang haben möchte. Diese Nachrichten haben unter den europäischen Ansiedlern, deren persönliche Sicherheit und Vermögen, selbst das ihrer auswärtigen Freunde, jeden Augenblick gefährdet seyn kann, Bestürzung verbreitet. &#x2013; Mehemed Ali aber hat seine Stellung begriffen. Er hat gesehen, daß all' die Mäßigung, von welcher er so auffallende Beweise gegeben, ihm das einmüthige Wohlwollen der europäischen Regierungen nicht gewinnen konnte, ungeachtet er selbst dem Siegeseifer seiner Truppen aus türkischem Patriotismus &#x2013; denn er will die ottomanische Macht nur befestigen, nicht zerstören &#x2013; Einhalt gethan hatte. &#x2013; Frankreich und Rußland waren vor der Schlacht bei Nisib sehr geneigt, Mehemed Ali's Unabhängigkeit anzuerkennen, im Falle er im Kampfe Sieger bleiben würde. Diese Mächte verlangten nichts, als daß der Vicekönig keine Bewegung gegen Konstantinopel machen solle, weil deren unvermeidliche Folge eine Einmischung und daher ein allgemeiner europäischer Krieg seyn würde. Mehemed Ali fügte sich diesem Rathe. Aber von dem Tage an, wo er in Folge des Todes des Sultans Mahmud erklärte, nicht nach Unabhängigkeit trachte er, sondern er wolle zum Wohl des ottomanischen Reichs beitragen, er wolle es unabhängig und furchtbar machen, damit es jeden fremden Schutzes entbehren könne, von diesem Tage an hatte er die Meinung jener Mächte gegen sich, welche sich zu Vormündern dieses Reichs aufwerfen wollten. Von den beiden Concurrenten wird der eine als naher Nachbar jederzeit den Vorrang behaupten; der andere Concurrent will ihm denselben streitig machen, und ihn sich im Interesse seines Handels aneignen. Zu diesem Zweck muß England der Pforte Versprechungen und Anerbietungen aller Art machen, die es denn auch keineswegs spart; ja es will die Annahme<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0391/0007] nur Frankreich meine es gut mit der Pforte; nur er, Pontois, gebe den vernünftigsten Rath, mit Mehemed Ali, dem ausgezeichnetsten der Ottomanen, sich zu verbinden, um den Intriguen der Europäer die Stirne bieten zu können. Dann läßt er sich aus über die Expedition von Khiwa, über den Zustand der drei Fürstenthümer, über die griechischen Bewegungen und weiß mit großer Geschicklichkeit Alles zu benützen, was nur irgend in der politischen Welt sich ereignen mag. Sie können sich leicht vorstellen, in welchem Zustande sich unser Reis Effendi befindet, wie groß die Unruhe seyn muß, in die er durch Hrn. v. Pontois Insinuationen versetzt wird. Reschid läßt sich bereits verlauten, daß die lange Zögerung der Mächte ihn mit Ungewißheit und Bangigkeit erfülle, und äußert Besorgnisse über die nächste Zukunft. _ Konstantinopel, 29 Jan. Die Nachrichten aus Alexandria sind sehr beunruhigender Natur. Die großen Kriegsrüstungen des Vicekönigs, die Entschiedenheit seiner Sprache, die Haltung des hiesigen französischen Repräsentanten wird die Pforte natürlich zu neuen Anstrengungen zwingen, die ihre ohnehin geschwächten Kräfte neuerdings in Anspruch nehmen, und die Erschöpfung auf den höchsten Grad treiben müssen. Ein schlechter Trost ist es, wenn man sich sagt, daß Mehemed Ali in demselben Fall sich befinde, denn hier weiß man aus zuverlässiger Quelle, daß ihm Zuflüsse von auswärts zu Theil werden, an welche die Pforte nicht denken darf. Auch hilft es wenig, wenn der Vicekönig selbst mehr Lärm mit den Zurüstungen macht, als sie wirklich verdienen, denn durch den, wenn auch übertriebenen Lärm, welchen man zu erheben für gut findet, werden mancherlei Bewegungen der Gemüther veranlaßt, die besonders in den kleinasiatischen Provinzen einen beunruhigenden Charakter anzunehmen drohen. Wahr ist es, daß Ibrahims Armee im Taurus seit der Schlacht von Nisib auf die Hälfte ihres frühern Bestandes zusammengeschmolzen ist; allein Mehemed Ali's drohender Schrei vom Alexandrinischen Pharos, daß seine Armee binnen kurzem auf 90,000 Mann gebracht seyn werde, hallt über alle islamitischen Länder und findet in Europa tausendfältiges Echo. Wahr ist es, daß diese 90,000 Mann, wenn es dem Vicekönig gelingt, sie zusammenzubringen, zumeist zusammengerafftes Gesindel wären, das mit unmenschlicher Grausamkeit in dem von jeder kräftigen Bevölkerung entblößten Lande gepreßt wird, während ein bedeutender Theil dieser 90,000 Mann aus raubgiergien Beduinen und Kurden bestehen wird; allein es ist Mode geworden, von der Disciplin des ägyptischen Heeres, von der taktischen Vortrefflichkeit der Truppen, so wie überhaupt von der Macht des Pascha's die ungeheuersten Begriffe zu hegen, ja man ist auf den Einfall gekommen, daß das afrikanische Heer einer europäischen Kriegsmacht die Spitze zu bieten fähig wäre. Wenn auch dieß eines jener Vorurtheile ist, die durch eine gründliche Prüfung seiner Elemente gehoben werden könnten, so ist nichtsdestoweniger wahr, daß solche Vorurtheile oft die größte Wirkung selbst unter gebildeten Nationen nicht verfehlen. Wenn jene Mächte, denen das Wohl der Pforte am Herzen liegt, nicht bald zu einem Entschlusse gelangen, wenn sie, während sie vielleicht über Principien sich streiten, Frankreich freies Spiel im Orient lassen, welches mit Emsigkeit es auszubeuten versteht, so ist allerdings eine Katastrophe zu gewärtigen, die, einmal eingetreten, unmöglich sich aufhalten lassen wird. _ Konstantinopel, 29 Jan. Mustapha Pascha, Commandant der an Bord der türkischen Flotte zu Alexandria befindlichen Marinetruppen, ist zum Stellvertreter Said Pascha's in seiner Eigenschaft als Kapudan Pascha ernannt worden. Es fragt sich, ob Mustapha Pascha in dem Fall seyn wird, die Stelle eines Großadmirals subsidiarisch anzutreten, und ob Mehemed Ali zur Kundmachung und Befolgung des von seinem Herrn ziemlich kategorisch gegebenen Befehls sich herbeilassen werde. Hier glaubt kein Mensch daran. Was für einen Zweck konnte wohl die Pforte mit dieser neuen Anordnung verbinden? Man will wissen, daß Mustapha einen großen Anhang auf der Flotte habe, und daß leicht durch seine Ernennung die Uneinigkeit, die unter den Türken im Hafen von Alexandria herrscht, in helle Flammen ausbrechen, und dem Vicekönig eine Verlegenheit bereitet werden könnte. – Die neue Art der Steuerperception durch eigens aufgestellte besoldete Beamte tritt Mitte März in Wirksamkeit. Aegypten. _ Alexandria, 20 Jan. Durch ein Handelsschiff, welches in zwölf Tagen von Marseille hier eingetroffen ist, haben wir Exemplare des Sémaphore erhalten, worin wir die Thronrede des Königs Ludwig Philipp lasen. Darin wird gesagt, „daß Frankreich mit England hinsichtlich einer raschen Lösung der orientalischen Angelegenheiten einverstanden sey. Aus dieser Phrase geht aber noch keineswegs die Nothwendigkeit hervor, daß Frankreich mit England bei Anwendung von Zwangsmitteln gegen Mehemed Ali sich verbünde, sondern die Worte deuten nur eine stillschweigende Einwilligung zu dem an, was letztere Macht unternehmen wird. Da man nun seit einiger Zeit weiß, daß England selbst ohne die Mitwirkung der übrigen Mächte unter dem Vorwand seiner Allianz mit der Pforte einschreiten und Mehemed Ali hinsichtlich Arabiens Bedingungen auflegen will, deren Folge wäre, daß diese große Halbinsel fast ganz unter englisches Protectorat käme, so würde Europa, welches in Arabien nicht mit bewaffneter Hand sich einmischen kann, genöthigt seyn, das, was England dort unternimmt, geschehen zu lassen, welch' schlimme Folgen auch ein solcher Vorgang haben möchte. Diese Nachrichten haben unter den europäischen Ansiedlern, deren persönliche Sicherheit und Vermögen, selbst das ihrer auswärtigen Freunde, jeden Augenblick gefährdet seyn kann, Bestürzung verbreitet. – Mehemed Ali aber hat seine Stellung begriffen. Er hat gesehen, daß all' die Mäßigung, von welcher er so auffallende Beweise gegeben, ihm das einmüthige Wohlwollen der europäischen Regierungen nicht gewinnen konnte, ungeachtet er selbst dem Siegeseifer seiner Truppen aus türkischem Patriotismus – denn er will die ottomanische Macht nur befestigen, nicht zerstören – Einhalt gethan hatte. – Frankreich und Rußland waren vor der Schlacht bei Nisib sehr geneigt, Mehemed Ali's Unabhängigkeit anzuerkennen, im Falle er im Kampfe Sieger bleiben würde. Diese Mächte verlangten nichts, als daß der Vicekönig keine Bewegung gegen Konstantinopel machen solle, weil deren unvermeidliche Folge eine Einmischung und daher ein allgemeiner europäischer Krieg seyn würde. Mehemed Ali fügte sich diesem Rathe. Aber von dem Tage an, wo er in Folge des Todes des Sultans Mahmud erklärte, nicht nach Unabhängigkeit trachte er, sondern er wolle zum Wohl des ottomanischen Reichs beitragen, er wolle es unabhängig und furchtbar machen, damit es jeden fremden Schutzes entbehren könne, von diesem Tage an hatte er die Meinung jener Mächte gegen sich, welche sich zu Vormündern dieses Reichs aufwerfen wollten. Von den beiden Concurrenten wird der eine als naher Nachbar jederzeit den Vorrang behaupten; der andere Concurrent will ihm denselben streitig machen, und ihn sich im Interesse seines Handels aneignen. Zu diesem Zweck muß England der Pforte Versprechungen und Anerbietungen aller Art machen, die es denn auch keineswegs spart; ja es will die Annahme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_049_18400218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_049_18400218/7
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 49. Augsburg, 18. Februar 1840, S. 0391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_049_18400218/7>, abgerufen am 23.11.2024.