Allgemeine Zeitung. Nr. 56. Augsburg, 25. Februar 1840. Paris, 17 Febr. Mit Widerwillen gehen die Deputirten an die Discussion über die Nationalaussteuer des Herzogs von Nemours. Alle Minister waren seit zehn Jahren über ähnliche Anfragen in Verzweiflung, weil sie den Sinn der Wahlcollegien in diesem Betreff kannten, weil sie wußten, daß solche Zumuthungen ein unfehlbares Mittel seyen, um den gemeinen Mann gegen die Dynastie aufzubringen. Nicht nur die Republicaner und Legitimisten, sondern auch die Oppositionen gemäßigterer Art, ja die alten, in der Stille selbst die neuen Minister lassen sich mehr oder minder bitter oder unmuthig darüber aus. Die französische Nation hat längst eine eigene Stellung zum Königthum angenommen: der friedliebende Theil derselben, Bürger und Bauern nimmt die Monarchie an als Garantie der öffentlichen Ruhe, und weil sie durchaus keine republicanischen Gesinnungen noch republicanische Sitten hegen; jedesmal aber wenn man im Namen des Königthums Apanagen, Renten, Aussteuern fordern wird, kann man versichert seyn, daß aus allen Ecken und Enden Frankreichs sich ein gewaltiges Geschrei erhebt; daß die der Monarchie oder auch nur der Dynastie, so wie die den regierenden Ministern feindlichen Coterien und Parteien dieses benutzen werden gegen die Monarchie, die Dynastie, oder das Ministerium, und daß die regierenden Minister keuchen werden unter dieser Bürde. Dazu kommt noch Cormenin, ein persönlicher Feind des Hauses Orleans und der Deputirte Lherbette, welcher nicht weniger bitter ist. Zwar hat er sich nicht der Dynastie feindlich erwiesen, doch legt er stets einen charakteristischen Unwillen bei solchen Anfragen an den Tag. Obwohl die Centren Alles aufbieten werden, um die Discussion, der Skandale wegen, über Hals und Kopf abzufertigen, so sind die Explosionen dieser Skandale doch unvermeidlich. - Neben dieser beängstigenden Frage thut sich noch ein immer schärfer ausgeprägtes Mißverhältniß gegen Rußland kund. Man lebt hier des Glaubens einer hart ausgesprochenen rein persönlichen Abneigung des russischen Cabinets gegen das französische seit der Juliusrevolution; man spricht von den vergeblichen Versuchen französischerseits diese Abneigung zu überwinden, von der immer größeren Spannung zwischen beiden Cabinetten, welche aufs Höchste gestiegen seit der Sendung des Hrn. v. Brunnow. Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl im Lande, daß die Russen über kurz oder lang ihre Plane im Betreff des Ostens unumwunden aussprechen werden, und daß die Collision, welche zu einem Weltkriege sich entzünden könnte, nachgerade fast unvermeidlich wird. Man sieht wohl ein, daß die Absicht Frankreich mit England und mit Deutschland zu entzweien eine andere umfassendere Absicht auf den Orient deckt und verschleiert; daß die europäischen Regierungen, so lange es möglich ist, vertuschen werden und sich an irgend einem baufälligen Status quo klammern; aber man fühlt die vorrückende Hand der Vorsehung, welche sichtbar die Collision wider Menschenwillen herbeiführen will, denn nie war der Druck dieser Hand mächtiger wie heute. Paris, 20 Febr. Die Dotationsfrage hat das ganze Land in Bewegung gebracht. Von allen Seiten laufen Petitionen dagegen ein, und die Blätter sind voll von dieser Sache. Von Cormenins Broschüre sind über 50,000 Exemplare verkauft worden. Gestern erschien als Antwort auf den Bericht des Hrn. Amilhau noch ein Nachtrag dazu, der die ganze Frage noch einmal kurz zusammenfaßt, und eine Masse von neuen Thatsachen und Argumenten liefert. Dieser Nachtrag ward heute im Auszug oder in seiner ganzen Ausdehnung von allen Zeitungen mit Ausnahme des Journal des Debats und der Presse mitgetheilt; denn alle mit Ausnahme der genannten sind gegen den Antrag. Es ist angegeben, daß das Einkommen des Königs zum wenigsten 18 1/2 Millionen und 2 Millionen als Nutznießung aus dem Vermögen des Herzogs von Aumale beträgt. Da nach den gemachten Berechnungen die jährlichen Ausgaben während der verflossenen zehn Jahre 12 Millionen nicht übersteigen würden, so schätzt die Opposition die Ersparnisse, welche im Laufe der verflossenen zehn Jahre gemacht worden sind, auf wenigstens 85 Millionen. Dazu kommen für 100 bis 120 Millionen Privatvermögen an liegendem Eigenthum, und das gegen 50 Millionen betragende Vermögen des Herzogs von Aumale, so wie das außerordentliche Privatvermögen der Madame Adelaide. Von Seite der Minister wollte zwar eine Unzulänglichkeit des Privatvermögens nachgewiesen worden, die Opposition will aber beweisen, daß diese Berechnungen überall der Wahrheit nicht gemäß seyen. Es ist in der That, als ob ein der Regierung und dem Ministerium feindseliger Geist diesen Antrag ersonnen hätte. Ob er in der Kammer durchgehe, ob er durchfalle, jedenfalls wird er in der öffentlichen Meinung unermeßlichen Schaden anrichten. Ja, im Interesse der Regierung selbst möchte man wünschen, daß er verworfen würde. Etwas dergleichen fühlt man im Cabinet, daher große Schwankung in seinem Revier. Die äußerste Linke hat den Tact, bei dem ganzen Streit ruhiger Zuschauer zu bleiben. Paris, 20 Febr. Für die heutige Sitzung der Deputirtenkammer füllten sich die Galerien schon sehr früh. Sie gewährten einen glänzenden, eleganten Anblick. In den vorbehaltenen Galerien sah man besonders viele Damen. Am Mittag waren alle Gänge im Palais Bourbon überfüllt. Der Saal des pas perdus war voll von Sollicitanten um Billets, welche den allmählich eintreffenden Deputirten den Weg versperrten. Die Galerie für den Staatsrath war so voll wie die für die Pairs bestimmte. In der k. Galerie bemerkt man die Professoren und die Adjutanten der jungen Prinzen. Mehrere auswärtige Gesandte hatten sich eingefunden. Man sah Mlle. Rachel in der Galerie der Quästoren. General Sebastiani sprach gleich nach seinem Eintritt in den Saal mit dem Conseilpräsidenten, und setzte sich dann zwei Plätze von Hrn. Guizot entfernt. Um 1 Uhr begann die Sitzung. Die Tagesordnung war die Erörterung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours. Hr. Mangin d'Oins reichte dem Präsidenten seine durch Gesundheitsumstände motivirte Entlassung ein. Alle Minister waren auf ihren Bänken. Hr. Marchal erhielt zuerst das Wort gegen den Entwurf. Er verzichtete aber darauf bei der allgemeinen Erörterung, und behielt es sich für die Erörterung der Artikel vor. Die HH. Martin, de Givre, Corne, Joly, Tascherau, Dugabe, Durand, Coraly, Aug. Portalis, Delespaul, Calmon und einige andere verzichteten gleichfalls auf das Wort. Hr. Couturier besteigt dann die Tribune, und spricht gegen den Entwurf mitten unter dem Geräusch von Privatgesprächen, wodurch ein großer Theil seiner Rede ganz unvernehmlich wurde. Der Tumult steigt immer mehr, der Präsident läßt vergeblich seine Glocke ertönen. Hr. Moreau (de la Meurthe) sprach einige Worte vom Platz aus. Der Präsident ruft mehrere Mitglieder auf, die zum Sprechen eingeschrieben waren; sie begeben sich des Worts. Hr. Laffitte besteigt die Tribune, geht aber nicht in die Erörterung über die Dotation ein, sondern gibt bloß Erläuterungen in Bezug auf den von ihm an den König bewerkstelligten Verkauf des Forsts von Breuteuil, der von Sachverständigen auf mehr als 9 Millionen geschätzt war, und der im Detail verkauft mehr als 14 Millionen eingetragen haben würde. Er reclamirt gegen die Verleumdungen, welche die Journale bei Gelegenheit dieses Verkaufs verbreitet hätten, Paris, 17 Febr. Mit Widerwillen gehen die Deputirten an die Discussion über die Nationalaussteuer des Herzogs von Nemours. Alle Minister waren seit zehn Jahren über ähnliche Anfragen in Verzweiflung, weil sie den Sinn der Wahlcollegien in diesem Betreff kannten, weil sie wußten, daß solche Zumuthungen ein unfehlbares Mittel seyen, um den gemeinen Mann gegen die Dynastie aufzubringen. Nicht nur die Republicaner und Legitimisten, sondern auch die Oppositionen gemäßigterer Art, ja die alten, in der Stille selbst die neuen Minister lassen sich mehr oder minder bitter oder unmuthig darüber aus. Die französische Nation hat längst eine eigene Stellung zum Königthum angenommen: der friedliebende Theil derselben, Bürger und Bauern nimmt die Monarchie an als Garantie der öffentlichen Ruhe, und weil sie durchaus keine republicanischen Gesinnungen noch republicanische Sitten hegen; jedesmal aber wenn man im Namen des Königthums Apanagen, Renten, Aussteuern fordern wird, kann man versichert seyn, daß aus allen Ecken und Enden Frankreichs sich ein gewaltiges Geschrei erhebt; daß die der Monarchie oder auch nur der Dynastie, so wie die den regierenden Ministern feindlichen Coterien und Parteien dieses benutzen werden gegen die Monarchie, die Dynastie, oder das Ministerium, und daß die regierenden Minister keuchen werden unter dieser Bürde. Dazu kommt noch Cormenin, ein persönlicher Feind des Hauses Orleans und der Deputirte Lherbette, welcher nicht weniger bitter ist. Zwar hat er sich nicht der Dynastie feindlich erwiesen, doch legt er stets einen charakteristischen Unwillen bei solchen Anfragen an den Tag. Obwohl die Centren Alles aufbieten werden, um die Discussion, der Skandale wegen, über Hals und Kopf abzufertigen, so sind die Explosionen dieser Skandale doch unvermeidlich. – Neben dieser beängstigenden Frage thut sich noch ein immer schärfer ausgeprägtes Mißverhältniß gegen Rußland kund. Man lebt hier des Glaubens einer hart ausgesprochenen rein persönlichen Abneigung des russischen Cabinets gegen das französische seit der Juliusrevolution; man spricht von den vergeblichen Versuchen französischerseits diese Abneigung zu überwinden, von der immer größeren Spannung zwischen beiden Cabinetten, welche aufs Höchste gestiegen seit der Sendung des Hrn. v. Brunnow. Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl im Lande, daß die Russen über kurz oder lang ihre Plane im Betreff des Ostens unumwunden aussprechen werden, und daß die Collision, welche zu einem Weltkriege sich entzünden könnte, nachgerade fast unvermeidlich wird. Man sieht wohl ein, daß die Absicht Frankreich mit England und mit Deutschland zu entzweien eine andere umfassendere Absicht auf den Orient deckt und verschleiert; daß die europäischen Regierungen, so lange es möglich ist, vertuschen werden und sich an irgend einem baufälligen Status quo klammern; aber man fühlt die vorrückende Hand der Vorsehung, welche sichtbar die Collision wider Menschenwillen herbeiführen will, denn nie war der Druck dieser Hand mächtiger wie heute. Paris, 20 Febr. Die Dotationsfrage hat das ganze Land in Bewegung gebracht. Von allen Seiten laufen Petitionen dagegen ein, und die Blätter sind voll von dieser Sache. Von Cormenins Broschüre sind über 50,000 Exemplare verkauft worden. Gestern erschien als Antwort auf den Bericht des Hrn. Amilhau noch ein Nachtrag dazu, der die ganze Frage noch einmal kurz zusammenfaßt, und eine Masse von neuen Thatsachen und Argumenten liefert. Dieser Nachtrag ward heute im Auszug oder in seiner ganzen Ausdehnung von allen Zeitungen mit Ausnahme des Journal des Debats und der Presse mitgetheilt; denn alle mit Ausnahme der genannten sind gegen den Antrag. Es ist angegeben, daß das Einkommen des Königs zum wenigsten 18 1/2 Millionen und 2 Millionen als Nutznießung aus dem Vermögen des Herzogs von Aumale beträgt. Da nach den gemachten Berechnungen die jährlichen Ausgaben während der verflossenen zehn Jahre 12 Millionen nicht übersteigen würden, so schätzt die Opposition die Ersparnisse, welche im Laufe der verflossenen zehn Jahre gemacht worden sind, auf wenigstens 85 Millionen. Dazu kommen für 100 bis 120 Millionen Privatvermögen an liegendem Eigenthum, und das gegen 50 Millionen betragende Vermögen des Herzogs von Aumale, so wie das außerordentliche Privatvermögen der Madame Adelaide. Von Seite der Minister wollte zwar eine Unzulänglichkeit des Privatvermögens nachgewiesen worden, die Opposition will aber beweisen, daß diese Berechnungen überall der Wahrheit nicht gemäß seyen. Es ist in der That, als ob ein der Regierung und dem Ministerium feindseliger Geist diesen Antrag ersonnen hätte. Ob er in der Kammer durchgehe, ob er durchfalle, jedenfalls wird er in der öffentlichen Meinung unermeßlichen Schaden anrichten. Ja, im Interesse der Regierung selbst möchte man wünschen, daß er verworfen würde. Etwas dergleichen fühlt man im Cabinet, daher große Schwankung in seinem Revier. Die äußerste Linke hat den Tact, bei dem ganzen Streit ruhiger Zuschauer zu bleiben. Paris, 20 Febr. Für die heutige Sitzung der Deputirtenkammer füllten sich die Galerien schon sehr früh. Sie gewährten einen glänzenden, eleganten Anblick. In den vorbehaltenen Galerien sah man besonders viele Damen. Am Mittag waren alle Gänge im Palais Bourbon überfüllt. Der Saal des pas perdus war voll von Sollicitanten um Billets, welche den allmählich eintreffenden Deputirten den Weg versperrten. Die Galerie für den Staatsrath war so voll wie die für die Pairs bestimmte. In der k. Galerie bemerkt man die Professoren und die Adjutanten der jungen Prinzen. Mehrere auswärtige Gesandte hatten sich eingefunden. Man sah Mlle. Rachel in der Galerie der Quästoren. General Sebastiani sprach gleich nach seinem Eintritt in den Saal mit dem Conseilpräsidenten, und setzte sich dann zwei Plätze von Hrn. Guizot entfernt. Um 1 Uhr begann die Sitzung. Die Tagesordnung war die Erörterung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours. Hr. Mangin d'Oins reichte dem Präsidenten seine durch Gesundheitsumstände motivirte Entlassung ein. Alle Minister waren auf ihren Bänken. Hr. Marchal erhielt zuerst das Wort gegen den Entwurf. Er verzichtete aber darauf bei der allgemeinen Erörterung, und behielt es sich für die Erörterung der Artikel vor. Die HH. Martin, de Givré, Corne, Joly, Tascherau, Dugabé, Durand, Coraly, Aug. Portalis, Delespaul, Calmon und einige andere verzichteten gleichfalls auf das Wort. Hr. Couturier besteigt dann die Tribune, und spricht gegen den Entwurf mitten unter dem Geräusch von Privatgesprächen, wodurch ein großer Theil seiner Rede ganz unvernehmlich wurde. Der Tumult steigt immer mehr, der Präsident läßt vergeblich seine Glocke ertönen. Hr. Moreau (de la Meurthe) sprach einige Worte vom Platz aus. Der Präsident ruft mehrere Mitglieder auf, die zum Sprechen eingeschrieben waren; sie begeben sich des Worts. Hr. Laffitte besteigt die Tribune, geht aber nicht in die Erörterung über die Dotation ein, sondern gibt bloß Erläuterungen in Bezug auf den von ihm an den König bewerkstelligten Verkauf des Forsts von Breuteuil, der von Sachverständigen auf mehr als 9 Millionen geschätzt war, und der im Detail verkauft mehr als 14 Millionen eingetragen haben würde. Er reclamirt gegen die Verleumdungen, welche die Journale bei Gelegenheit dieses Verkaufs verbreitet hätten, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0003" n="0443"/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 17 Febr.</dateline> <p> Mit Widerwillen gehen die Deputirten an die Discussion über die Nationalaussteuer des Herzogs von Nemours. 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Die französische Nation hat längst eine eigene Stellung zum Königthum angenommen: der friedliebende Theil derselben, Bürger und Bauern nimmt die Monarchie an als Garantie der öffentlichen Ruhe, und weil sie durchaus keine republicanischen Gesinnungen noch republicanische Sitten hegen; jedesmal aber wenn man im Namen des Königthums Apanagen, Renten, Aussteuern fordern wird, kann man versichert seyn, daß aus allen Ecken und Enden Frankreichs sich ein gewaltiges Geschrei erhebt; daß die der Monarchie oder auch nur der Dynastie, so wie die den regierenden Ministern feindlichen Coterien und Parteien dieses benutzen werden gegen die Monarchie, die Dynastie, oder das Ministerium, und daß die regierenden Minister keuchen werden unter dieser Bürde. Dazu kommt noch Cormenin, ein persönlicher Feind des Hauses Orleans und der Deputirte Lherbette, welcher nicht weniger bitter ist. Zwar hat er sich nicht der Dynastie feindlich erwiesen, doch legt er stets einen charakteristischen Unwillen bei solchen Anfragen an den Tag. Obwohl die Centren Alles aufbieten werden, um die Discussion, der Skandale wegen, über Hals und Kopf abzufertigen, so sind die Explosionen dieser Skandale doch unvermeidlich. – Neben dieser beängstigenden Frage thut sich noch ein immer schärfer ausgeprägtes Mißverhältniß gegen Rußland kund. Man lebt hier des Glaubens einer hart ausgesprochenen rein persönlichen Abneigung des russischen Cabinets gegen das französische seit der Juliusrevolution; man spricht von den vergeblichen Versuchen französischerseits diese Abneigung zu überwinden, von der immer größeren Spannung zwischen beiden Cabinetten, welche aufs Höchste gestiegen seit der Sendung des Hrn. v. Brunnow. Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl im Lande, daß die Russen über kurz oder lang ihre Plane im Betreff des Ostens unumwunden aussprechen werden, und daß die Collision, welche zu einem Weltkriege sich entzünden könnte, nachgerade fast unvermeidlich wird. Man sieht wohl ein, daß die Absicht Frankreich mit England und mit Deutschland zu entzweien eine andere umfassendere Absicht auf den Orient deckt und verschleiert; daß die europäischen Regierungen, so lange es möglich ist, vertuschen werden und sich an irgend einem baufälligen Status quo klammern; aber man fühlt die vorrückende Hand der Vorsehung, welche sichtbar die Collision wider Menschenwillen herbeiführen will, denn nie war der Druck dieser Hand mächtiger wie heute.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 20 Febr.</dateline> <p> Die Dotationsfrage hat das ganze Land in Bewegung gebracht. 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Da nach den gemachten Berechnungen die jährlichen Ausgaben während der verflossenen zehn Jahre 12 Millionen nicht übersteigen würden, so schätzt die Opposition die Ersparnisse, welche im Laufe der verflossenen zehn Jahre gemacht worden sind, auf wenigstens 85 Millionen. Dazu kommen für 100 bis 120 Millionen Privatvermögen an liegendem Eigenthum, und das gegen 50 Millionen betragende Vermögen des Herzogs von Aumale, so wie das außerordentliche Privatvermögen der Madame Adelaide. Von Seite der Minister wollte zwar eine Unzulänglichkeit des Privatvermögens nachgewiesen worden, die Opposition will aber beweisen, daß diese Berechnungen überall der Wahrheit nicht gemäß seyen. Es ist in der That, als ob ein der Regierung und dem Ministerium feindseliger Geist diesen Antrag ersonnen hätte. Ob er in der Kammer durchgehe, ob er durchfalle, jedenfalls wird er in der öffentlichen Meinung unermeßlichen Schaden anrichten. 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Mehrere auswärtige Gesandte hatten sich eingefunden. Man sah Mlle. Rachel in der Galerie der Quästoren. General Sebastiani sprach gleich nach seinem Eintritt in den Saal mit dem Conseilpräsidenten, und setzte sich dann zwei Plätze von Hrn. Guizot entfernt. Um 1 Uhr begann die Sitzung. Die Tagesordnung war die Erörterung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours. Hr. <hi rendition="#g">Mangin</hi> d'<hi rendition="#g">Oins</hi> reichte dem Präsidenten seine durch Gesundheitsumstände motivirte Entlassung ein. Alle Minister waren auf ihren Bänken. Hr. <hi rendition="#g">Marchal</hi> erhielt zuerst das Wort gegen den Entwurf. Er verzichtete aber darauf bei der allgemeinen Erörterung, und behielt es sich für die Erörterung der Artikel vor. Die HH. Martin, de Givré, Corne, Joly, Tascherau, Dugabé, Durand, Coraly, Aug. Portalis, Delespaul, Calmon und einige andere verzichteten gleichfalls auf das Wort. 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_ Paris, 17 Febr. Mit Widerwillen gehen die Deputirten an die Discussion über die Nationalaussteuer des Herzogs von Nemours. Alle Minister waren seit zehn Jahren über ähnliche Anfragen in Verzweiflung, weil sie den Sinn der Wahlcollegien in diesem Betreff kannten, weil sie wußten, daß solche Zumuthungen ein unfehlbares Mittel seyen, um den gemeinen Mann gegen die Dynastie aufzubringen. Nicht nur die Republicaner und Legitimisten, sondern auch die Oppositionen gemäßigterer Art, ja die alten, in der Stille selbst die neuen Minister lassen sich mehr oder minder bitter oder unmuthig darüber aus. Die französische Nation hat längst eine eigene Stellung zum Königthum angenommen: der friedliebende Theil derselben, Bürger und Bauern nimmt die Monarchie an als Garantie der öffentlichen Ruhe, und weil sie durchaus keine republicanischen Gesinnungen noch republicanische Sitten hegen; jedesmal aber wenn man im Namen des Königthums Apanagen, Renten, Aussteuern fordern wird, kann man versichert seyn, daß aus allen Ecken und Enden Frankreichs sich ein gewaltiges Geschrei erhebt; daß die der Monarchie oder auch nur der Dynastie, so wie die den regierenden Ministern feindlichen Coterien und Parteien dieses benutzen werden gegen die Monarchie, die Dynastie, oder das Ministerium, und daß die regierenden Minister keuchen werden unter dieser Bürde. Dazu kommt noch Cormenin, ein persönlicher Feind des Hauses Orleans und der Deputirte Lherbette, welcher nicht weniger bitter ist. Zwar hat er sich nicht der Dynastie feindlich erwiesen, doch legt er stets einen charakteristischen Unwillen bei solchen Anfragen an den Tag. Obwohl die Centren Alles aufbieten werden, um die Discussion, der Skandale wegen, über Hals und Kopf abzufertigen, so sind die Explosionen dieser Skandale doch unvermeidlich. – Neben dieser beängstigenden Frage thut sich noch ein immer schärfer ausgeprägtes Mißverhältniß gegen Rußland kund. Man lebt hier des Glaubens einer hart ausgesprochenen rein persönlichen Abneigung des russischen Cabinets gegen das französische seit der Juliusrevolution; man spricht von den vergeblichen Versuchen französischerseits diese Abneigung zu überwinden, von der immer größeren Spannung zwischen beiden Cabinetten, welche aufs Höchste gestiegen seit der Sendung des Hrn. v. Brunnow. Es herrscht ein allgemeines Vorgefühl im Lande, daß die Russen über kurz oder lang ihre Plane im Betreff des Ostens unumwunden aussprechen werden, und daß die Collision, welche zu einem Weltkriege sich entzünden könnte, nachgerade fast unvermeidlich wird. Man sieht wohl ein, daß die Absicht Frankreich mit England und mit Deutschland zu entzweien eine andere umfassendere Absicht auf den Orient deckt und verschleiert; daß die europäischen Regierungen, so lange es möglich ist, vertuschen werden und sich an irgend einem baufälligen Status quo klammern; aber man fühlt die vorrückende Hand der Vorsehung, welche sichtbar die Collision wider Menschenwillen herbeiführen will, denn nie war der Druck dieser Hand mächtiger wie heute.
_ Paris, 20 Febr. Die Dotationsfrage hat das ganze Land in Bewegung gebracht. Von allen Seiten laufen Petitionen dagegen ein, und die Blätter sind voll von dieser Sache. Von Cormenins Broschüre sind über 50,000 Exemplare verkauft worden. Gestern erschien als Antwort auf den Bericht des Hrn. Amilhau noch ein Nachtrag dazu, der die ganze Frage noch einmal kurz zusammenfaßt, und eine Masse von neuen Thatsachen und Argumenten liefert. Dieser Nachtrag ward heute im Auszug oder in seiner ganzen Ausdehnung von allen Zeitungen mit Ausnahme des Journal des Debats und der Presse mitgetheilt; denn alle mit Ausnahme der genannten sind gegen den Antrag. Es ist angegeben, daß das Einkommen des Königs zum wenigsten 18 1/2 Millionen und 2 Millionen als Nutznießung aus dem Vermögen des Herzogs von Aumale beträgt. Da nach den gemachten Berechnungen die jährlichen Ausgaben während der verflossenen zehn Jahre 12 Millionen nicht übersteigen würden, so schätzt die Opposition die Ersparnisse, welche im Laufe der verflossenen zehn Jahre gemacht worden sind, auf wenigstens 85 Millionen. Dazu kommen für 100 bis 120 Millionen Privatvermögen an liegendem Eigenthum, und das gegen 50 Millionen betragende Vermögen des Herzogs von Aumale, so wie das außerordentliche Privatvermögen der Madame Adelaide. Von Seite der Minister wollte zwar eine Unzulänglichkeit des Privatvermögens nachgewiesen worden, die Opposition will aber beweisen, daß diese Berechnungen überall der Wahrheit nicht gemäß seyen. Es ist in der That, als ob ein der Regierung und dem Ministerium feindseliger Geist diesen Antrag ersonnen hätte. Ob er in der Kammer durchgehe, ob er durchfalle, jedenfalls wird er in der öffentlichen Meinung unermeßlichen Schaden anrichten. Ja, im Interesse der Regierung selbst möchte man wünschen, daß er verworfen würde. Etwas dergleichen fühlt man im Cabinet, daher große Schwankung in seinem Revier. Die äußerste Linke hat den Tact, bei dem ganzen Streit ruhiger Zuschauer zu bleiben.
_ Paris, 20 Febr. Für die heutige Sitzung der Deputirtenkammer füllten sich die Galerien schon sehr früh. Sie gewährten einen glänzenden, eleganten Anblick. In den vorbehaltenen Galerien sah man besonders viele Damen. Am Mittag waren alle Gänge im Palais Bourbon überfüllt. Der Saal des pas perdus war voll von Sollicitanten um Billets, welche den allmählich eintreffenden Deputirten den Weg versperrten. Die Galerie für den Staatsrath war so voll wie die für die Pairs bestimmte. In der k. Galerie bemerkt man die Professoren und die Adjutanten der jungen Prinzen. Mehrere auswärtige Gesandte hatten sich eingefunden. Man sah Mlle. Rachel in der Galerie der Quästoren. General Sebastiani sprach gleich nach seinem Eintritt in den Saal mit dem Conseilpräsidenten, und setzte sich dann zwei Plätze von Hrn. Guizot entfernt. Um 1 Uhr begann die Sitzung. Die Tagesordnung war die Erörterung des Gesetzesentwurfs über die Dotation des Herzogs von Nemours. Hr. Mangin d'Oins reichte dem Präsidenten seine durch Gesundheitsumstände motivirte Entlassung ein. Alle Minister waren auf ihren Bänken. Hr. Marchal erhielt zuerst das Wort gegen den Entwurf. Er verzichtete aber darauf bei der allgemeinen Erörterung, und behielt es sich für die Erörterung der Artikel vor. Die HH. Martin, de Givré, Corne, Joly, Tascherau, Dugabé, Durand, Coraly, Aug. Portalis, Delespaul, Calmon und einige andere verzichteten gleichfalls auf das Wort. Hr. Couturier besteigt dann die Tribune, und spricht gegen den Entwurf mitten unter dem Geräusch von Privatgesprächen, wodurch ein großer Theil seiner Rede ganz unvernehmlich wurde. Der Tumult steigt immer mehr, der Präsident läßt vergeblich seine Glocke ertönen. Hr. Moreau (de la Meurthe) sprach einige Worte vom Platz aus. Der Präsident ruft mehrere Mitglieder auf, die zum Sprechen eingeschrieben waren; sie begeben sich des Worts. Hr. Laffitte besteigt die Tribune, geht aber nicht in die Erörterung über die Dotation ein, sondern gibt bloß Erläuterungen in Bezug auf den von ihm an den König bewerkstelligten Verkauf des Forsts von Breuteuil, der von Sachverständigen auf mehr als 9 Millionen geschätzt war, und der im Detail verkauft mehr als 14 Millionen eingetragen haben würde. Er reclamirt gegen die Verleumdungen, welche die Journale bei Gelegenheit dieses Verkaufs verbreitet hätten,
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