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Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840.

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sehen. Man hat in neuester Zeit im höchsten Norden Steinkohlenlager entdeckt, welche Reste von Palmen, Baumfarren, riesenhaften Schachtelhalmen und dergl. enthalten. In Deutschland, England, Frankreich finden sich die Grüfte gigantischer Eidechsen in Begleitung von tropischen Gewächsen. In den Kalkhöhlen, den Lehmlagern und alten Torfmooren Europa's, des nördlichsten Asiens und Amerika's liegen jetzt so ziemlich alle Geschlechter großer Landthiere beisammen, welche in der heutigen Natur meist über gewisse Breitengrade nicht hinauf oder hinunter gehen: große Katzen und Hunde, Hyänen, Bären, Ochsen, Pferde, Elephanten, Hirsche, Nashörner, Hippopotamus. Ganz Sibirien bis an die Küsten des Polarmeers ist voll von den Gebeinen des alten Elephanten, unter Umständen, welche keinen Zweifel lassen, daß dieses Thier mit seinen Verwandten einst den Boden bewohnte, auf dem die Natur dasselbe jetzt nimmermehr erhalten könnte. - Die Schichten gehören schon zu den modernsten, deren Thier- und Pflanzenreste auf eine, der gegenwärtigen nahe kommende Vertheilung der Meer- und Landbewohner, und damit auf eine analoge Constitution der Klimate hinweisen.

Dieß sind die allgemeinsten Facta, die der Verstand bei Musterung der bis jetzt aufgeschlossenen Erdrinde festhält, gleichsam der grobe provisorische Canevas, in den die Geologie Zug für Zug ihre Copie der Natur einzutragen, das Gerippe, das sie mit dem Organismus ihrer Inductionen zu bekleiden hat. Sie muß durch unmittelbare Beobachtung und Vergleichung im kleinsten den Gang der Natur bei Bildung der Erdrinde rückwärts verfolgen, sie muß die jeden Augenblick abreißenden Fäden des wunderbar verworrenen Gewebes vorsichtig zusammen knüpfen, und indem sie auf immer mehr und mehr Punkten der Erde die Thatsachen des Gebildeten erhebt, den allgemeinen Begriff, wie Alles in der Zeit so geworden, bald zurücknehmend und einschränkend, bald erweiternd und ausgreifend, mehr und mehr ausbilden: eine Aufgabe für eine ganze Reihe von Jahrhunderten. Wie oben bemerkt, bedurfte es einer gewissen Entwicklung zahlreicher Zweige der Naturwissenschaft, bevor diese Aufgabe in neuerer Zeit klar und scharf gestellt werden konnte. Aber das Räthsel der Erdbildung hat den Menschen seit den ältesten Zeiten beschäftigt; es hat immer unter allen Völkern nicht nur Kosmologen gegeben, welche divinatorisch die Genesis der Erde zugleich mit der des Himmels in den Ring eines Begriffs einschlossen; es hat auch Geologen gegeben, welche sich nach den an der Oberfläche zu Tag liegenden Erscheinungen vom Hergang der Bildung Rechenschaft zu geben suchten.

Die eben zusammengestellten allgemeinen Thatsachen waren früher freilich weder in diesem Umfang, noch in solcher Schärfe bekannt; aber auch die oberflächlichste Kunde mußte von jeher bei den Beobachtern die Vorstellung von gewaltsamen Veränderungen wecken, welche wiederholt mit der Erdrinde vorgegangen. Die ganze Verfassung unseres Geistes trieb damit unmittelbar zum Versuch, die Ursachen aufzufinden, durch welche die Erdoberfläche in verschiedenen Zeiten in so verschiedene Zustände gekommen. Der Gedankengang, den dabei die Natur selbst an die Hand gab, war aber, daß man sich in der gegenwärtigen Natur nach analogen Bewegungen umsah, daß man vom Bekannten aufs Unbekannte zurückschloß und sich so ein Bild von den Ursachen und Wirkungen entwarf, welche in Zeiten, zu welchen nirgends die Erinnerung des Menschengeschlechts hinaufreicht, die Erdoberfläche umgestaltet. Bei Betrachtung der vielfach zerrissenen und verworfenen Erdschichten, beim Anblick der sichtbar aus Trümmern bestehenden Gebirgsmassen, lag die Frage nahe, ob nicht noch gegenwärtig unter gewissen Umständen Erdschichten gehoben, zerrissen und zerstückt und Gebirgsmassen zertrümmert werden. Augenscheinlich waren viele Striche des Festlandes einst Meeresboden gewesen, umgekehrt lagen ehemalige Stücke des Festlandes jetzt unter dem Spiegel des Meeres: man mußte sich nach den Momenten umsehen, wodurch auch noch jetzt Meeresgrund in Festland und dieses in Meeresgrund verwandelt wird. - Bei diesem Ideengang kam man nothwendig immer wieder auf zwei große Naturkräfte zurück, welche man noch jetzt den zu erklärenden analoge Erscheinungen hervorbringen sah. Durch die Wirkung der Vulcane werden vor den Augen des Menschen Stücke des Meeresbodens über den Wasserspiegel emporgehoben; zugleich entstehen durch die mit den Vulcanen ursachlich verknüpften Erschütterungen Auftreibungen auf dem Festlande, neue Hügel und Erdspalten, welche unmittelbar an den unterbrochenen Zusammenhang der Schichten in den Gebirgen erinnern; endlich treiben die Vulcane noch jetzt geschmolzene Massen auf, die erstarrt auffallend Felsarten gleichen, welche sehr häufig in die ältern Gebirgsglieder eingeschoben sind. - Andrerseits hatte der Mensch täglich die Zerstörungen und Bildungen eines andern mächtigen Elements vor Augen, des Wassers. Die großen Trümmermassen in der Erdrinde gleichen in allen natürlichen Verhältnissen vollkommen den Aufschwemmungen, welche sich gegenwärtig an den Mündungen der Flüsse und auf dem Boden ihrer Betten bilden; auch in der heutigen Natur ist das Werk der Zerstörung stehender Gebirgsmassen durch Verwitterung und Schwemmung in vollem Gang, und auf dem Boden von Landseen und Meeren sehen wir fortwährend Schichten von Kalkstein, Thon- und Sandlager entstehen, welche in ihrem ganzen Gefüge mit analogen ältern, höher aufgehobenen oder tiefer einschießenden Gebilden zu viel Aehnlichkeit haben, als daß man vernünftigerweise an ihrem Ursprung durch gleiche Naturwirkungen zweifeln könnte.

Es liegt daher in der Natur der Sache, daß alle geologischen Constructionen seit den ältesten Zeiten sich vorzugsweise auf die Wirksamkeit dieser beiden großen Naturpotenzen, des Wassers und des Feuers, stützten. Es ist eben so natürlich, daß in den Theorien immer bald auf die eine, bald auf die andere das entscheidende Gewicht gelegt wurde, je nachdem der Landstrich, den der Beobachter unmittelbar vor sich hatte, augenfälliger die Wirkungen des Wassers oder die des Feuers verkündete, und so ist das Schisma zwischen neptunistischen und vulcanistischen Ansichten ein ganz ursprüngliches. Die feste Grundlage, welche die Geologie in der neuesten Zeit gewonnen, besteht eben darin, daß dieser Zwiespalt in der Auffassung im Großen versöhnt ist, daß man beide Gewalten bei Constituirung der Erdrinde als gleich wirksam und entscheidend anerkennt. Aber bei einer Masse einzelner, oft sehr bedeutender und ausgebreiteter Erscheinungen dauert der alte Competenzstreit zwischen Neptunismus und Vulcanismus fort.

(Fortsetzung folgt.)

Der Carneval in Paris.

Der Carneval ist sehr lebhaft in diesem Jahr, und trägt überall seinen lärmenden Rausch und seine tolle Freude, seinen schamlosen Muthwillen und seine wilde Liebe hin. Bunte Verkleidung begegnet allwärts dem Auge, bald in lebendigen Gestalten, bald in reinlicher Nachahmung an jenen Bilderläden, welche die Kunstsammlungen des Volks sind. In der großen Oper summt die Intrigue und flüstert

sehen. Man hat in neuester Zeit im höchsten Norden Steinkohlenlager entdeckt, welche Reste von Palmen, Baumfarren, riesenhaften Schachtelhalmen und dergl. enthalten. In Deutschland, England, Frankreich finden sich die Grüfte gigantischer Eidechsen in Begleitung von tropischen Gewächsen. In den Kalkhöhlen, den Lehmlagern und alten Torfmooren Europa's, des nördlichsten Asiens und Amerika's liegen jetzt so ziemlich alle Geschlechter großer Landthiere beisammen, welche in der heutigen Natur meist über gewisse Breitengrade nicht hinauf oder hinunter gehen: große Katzen und Hunde, Hyänen, Bären, Ochsen, Pferde, Elephanten, Hirsche, Nashörner, Hippopotamus. Ganz Sibirien bis an die Küsten des Polarmeers ist voll von den Gebeinen des alten Elephanten, unter Umständen, welche keinen Zweifel lassen, daß dieses Thier mit seinen Verwandten einst den Boden bewohnte, auf dem die Natur dasselbe jetzt nimmermehr erhalten könnte. – Die Schichten gehören schon zu den modernsten, deren Thier- und Pflanzenreste auf eine, der gegenwärtigen nahe kommende Vertheilung der Meer- und Landbewohner, und damit auf eine analoge Constitution der Klimate hinweisen.

Dieß sind die allgemeinsten Facta, die der Verstand bei Musterung der bis jetzt aufgeschlossenen Erdrinde festhält, gleichsam der grobe provisorische Canevas, in den die Geologie Zug für Zug ihre Copie der Natur einzutragen, das Gerippe, das sie mit dem Organismus ihrer Inductionen zu bekleiden hat. Sie muß durch unmittelbare Beobachtung und Vergleichung im kleinsten den Gang der Natur bei Bildung der Erdrinde rückwärts verfolgen, sie muß die jeden Augenblick abreißenden Fäden des wunderbar verworrenen Gewebes vorsichtig zusammen knüpfen, und indem sie auf immer mehr und mehr Punkten der Erde die Thatsachen des Gebildeten erhebt, den allgemeinen Begriff, wie Alles in der Zeit so geworden, bald zurücknehmend und einschränkend, bald erweiternd und ausgreifend, mehr und mehr ausbilden: eine Aufgabe für eine ganze Reihe von Jahrhunderten. Wie oben bemerkt, bedurfte es einer gewissen Entwicklung zahlreicher Zweige der Naturwissenschaft, bevor diese Aufgabe in neuerer Zeit klar und scharf gestellt werden konnte. Aber das Räthsel der Erdbildung hat den Menschen seit den ältesten Zeiten beschäftigt; es hat immer unter allen Völkern nicht nur Kosmologen gegeben, welche divinatorisch die Genesis der Erde zugleich mit der des Himmels in den Ring eines Begriffs einschlossen; es hat auch Geologen gegeben, welche sich nach den an der Oberfläche zu Tag liegenden Erscheinungen vom Hergang der Bildung Rechenschaft zu geben suchten.

Die eben zusammengestellten allgemeinen Thatsachen waren früher freilich weder in diesem Umfang, noch in solcher Schärfe bekannt; aber auch die oberflächlichste Kunde mußte von jeher bei den Beobachtern die Vorstellung von gewaltsamen Veränderungen wecken, welche wiederholt mit der Erdrinde vorgegangen. Die ganze Verfassung unseres Geistes trieb damit unmittelbar zum Versuch, die Ursachen aufzufinden, durch welche die Erdoberfläche in verschiedenen Zeiten in so verschiedene Zustände gekommen. Der Gedankengang, den dabei die Natur selbst an die Hand gab, war aber, daß man sich in der gegenwärtigen Natur nach analogen Bewegungen umsah, daß man vom Bekannten aufs Unbekannte zurückschloß und sich so ein Bild von den Ursachen und Wirkungen entwarf, welche in Zeiten, zu welchen nirgends die Erinnerung des Menschengeschlechts hinaufreicht, die Erdoberfläche umgestaltet. Bei Betrachtung der vielfach zerrissenen und verworfenen Erdschichten, beim Anblick der sichtbar aus Trümmern bestehenden Gebirgsmassen, lag die Frage nahe, ob nicht noch gegenwärtig unter gewissen Umständen Erdschichten gehoben, zerrissen und zerstückt und Gebirgsmassen zertrümmert werden. Augenscheinlich waren viele Striche des Festlandes einst Meeresboden gewesen, umgekehrt lagen ehemalige Stücke des Festlandes jetzt unter dem Spiegel des Meeres: man mußte sich nach den Momenten umsehen, wodurch auch noch jetzt Meeresgrund in Festland und dieses in Meeresgrund verwandelt wird. – Bei diesem Ideengang kam man nothwendig immer wieder auf zwei große Naturkräfte zurück, welche man noch jetzt den zu erklärenden analoge Erscheinungen hervorbringen sah. Durch die Wirkung der Vulcane werden vor den Augen des Menschen Stücke des Meeresbodens über den Wasserspiegel emporgehoben; zugleich entstehen durch die mit den Vulcanen ursachlich verknüpften Erschütterungen Auftreibungen auf dem Festlande, neue Hügel und Erdspalten, welche unmittelbar an den unterbrochenen Zusammenhang der Schichten in den Gebirgen erinnern; endlich treiben die Vulcane noch jetzt geschmolzene Massen auf, die erstarrt auffallend Felsarten gleichen, welche sehr häufig in die ältern Gebirgsglieder eingeschoben sind. – Andrerseits hatte der Mensch täglich die Zerstörungen und Bildungen eines andern mächtigen Elements vor Augen, des Wassers. Die großen Trümmermassen in der Erdrinde gleichen in allen natürlichen Verhältnissen vollkommen den Aufschwemmungen, welche sich gegenwärtig an den Mündungen der Flüsse und auf dem Boden ihrer Betten bilden; auch in der heutigen Natur ist das Werk der Zerstörung stehender Gebirgsmassen durch Verwitterung und Schwemmung in vollem Gang, und auf dem Boden von Landseen und Meeren sehen wir fortwährend Schichten von Kalkstein, Thon- und Sandlager entstehen, welche in ihrem ganzen Gefüge mit analogen ältern, höher aufgehobenen oder tiefer einschießenden Gebilden zu viel Aehnlichkeit haben, als daß man vernünftigerweise an ihrem Ursprung durch gleiche Naturwirkungen zweifeln könnte.

Es liegt daher in der Natur der Sache, daß alle geologischen Constructionen seit den ältesten Zeiten sich vorzugsweise auf die Wirksamkeit dieser beiden großen Naturpotenzen, des Wassers und des Feuers, stützten. Es ist eben so natürlich, daß in den Theorien immer bald auf die eine, bald auf die andere das entscheidende Gewicht gelegt wurde, je nachdem der Landstrich, den der Beobachter unmittelbar vor sich hatte, augenfälliger die Wirkungen des Wassers oder die des Feuers verkündete, und so ist das Schisma zwischen neptunistischen und vulcanistischen Ansichten ein ganz ursprüngliches. Die feste Grundlage, welche die Geologie in der neuesten Zeit gewonnen, besteht eben darin, daß dieser Zwiespalt in der Auffassung im Großen versöhnt ist, daß man beide Gewalten bei Constituirung der Erdrinde als gleich wirksam und entscheidend anerkennt. Aber bei einer Masse einzelner, oft sehr bedeutender und ausgebreiteter Erscheinungen dauert der alte Competenzstreit zwischen Neptunismus und Vulcanismus fort.

(Fortsetzung folgt.)

Der Carneval in Paris.

Der Carneval ist sehr lebhaft in diesem Jahr, und trägt überall seinen lärmenden Rausch und seine tolle Freude, seinen schamlosen Muthwillen und seine wilde Liebe hin. Bunte Verkleidung begegnet allwärts dem Auge, bald in lebendigen Gestalten, bald in reinlicher Nachahmung an jenen Bilderläden, welche die Kunstsammlungen des Volks sind. In der großen Oper summt die Intrigue und flüstert

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[0458/0010] sehen. Man hat in neuester Zeit im höchsten Norden Steinkohlenlager entdeckt, welche Reste von Palmen, Baumfarren, riesenhaften Schachtelhalmen und dergl. enthalten. In Deutschland, England, Frankreich finden sich die Grüfte gigantischer Eidechsen in Begleitung von tropischen Gewächsen. In den Kalkhöhlen, den Lehmlagern und alten Torfmooren Europa's, des nördlichsten Asiens und Amerika's liegen jetzt so ziemlich alle Geschlechter großer Landthiere beisammen, welche in der heutigen Natur meist über gewisse Breitengrade nicht hinauf oder hinunter gehen: große Katzen und Hunde, Hyänen, Bären, Ochsen, Pferde, Elephanten, Hirsche, Nashörner, Hippopotamus. Ganz Sibirien bis an die Küsten des Polarmeers ist voll von den Gebeinen des alten Elephanten, unter Umständen, welche keinen Zweifel lassen, daß dieses Thier mit seinen Verwandten einst den Boden bewohnte, auf dem die Natur dasselbe jetzt nimmermehr erhalten könnte. – Die Schichten gehören schon zu den modernsten, deren Thier- und Pflanzenreste auf eine, der gegenwärtigen nahe kommende Vertheilung der Meer- und Landbewohner, und damit auf eine analoge Constitution der Klimate hinweisen. Dieß sind die allgemeinsten Facta, die der Verstand bei Musterung der bis jetzt aufgeschlossenen Erdrinde festhält, gleichsam der grobe provisorische Canevas, in den die Geologie Zug für Zug ihre Copie der Natur einzutragen, das Gerippe, das sie mit dem Organismus ihrer Inductionen zu bekleiden hat. Sie muß durch unmittelbare Beobachtung und Vergleichung im kleinsten den Gang der Natur bei Bildung der Erdrinde rückwärts verfolgen, sie muß die jeden Augenblick abreißenden Fäden des wunderbar verworrenen Gewebes vorsichtig zusammen knüpfen, und indem sie auf immer mehr und mehr Punkten der Erde die Thatsachen des Gebildeten erhebt, den allgemeinen Begriff, wie Alles in der Zeit so geworden, bald zurücknehmend und einschränkend, bald erweiternd und ausgreifend, mehr und mehr ausbilden: eine Aufgabe für eine ganze Reihe von Jahrhunderten. Wie oben bemerkt, bedurfte es einer gewissen Entwicklung zahlreicher Zweige der Naturwissenschaft, bevor diese Aufgabe in neuerer Zeit klar und scharf gestellt werden konnte. Aber das Räthsel der Erdbildung hat den Menschen seit den ältesten Zeiten beschäftigt; es hat immer unter allen Völkern nicht nur Kosmologen gegeben, welche divinatorisch die Genesis der Erde zugleich mit der des Himmels in den Ring eines Begriffs einschlossen; es hat auch Geologen gegeben, welche sich nach den an der Oberfläche zu Tag liegenden Erscheinungen vom Hergang der Bildung Rechenschaft zu geben suchten. Die eben zusammengestellten allgemeinen Thatsachen waren früher freilich weder in diesem Umfang, noch in solcher Schärfe bekannt; aber auch die oberflächlichste Kunde mußte von jeher bei den Beobachtern die Vorstellung von gewaltsamen Veränderungen wecken, welche wiederholt mit der Erdrinde vorgegangen. Die ganze Verfassung unseres Geistes trieb damit unmittelbar zum Versuch, die Ursachen aufzufinden, durch welche die Erdoberfläche in verschiedenen Zeiten in so verschiedene Zustände gekommen. Der Gedankengang, den dabei die Natur selbst an die Hand gab, war aber, daß man sich in der gegenwärtigen Natur nach analogen Bewegungen umsah, daß man vom Bekannten aufs Unbekannte zurückschloß und sich so ein Bild von den Ursachen und Wirkungen entwarf, welche in Zeiten, zu welchen nirgends die Erinnerung des Menschengeschlechts hinaufreicht, die Erdoberfläche umgestaltet. Bei Betrachtung der vielfach zerrissenen und verworfenen Erdschichten, beim Anblick der sichtbar aus Trümmern bestehenden Gebirgsmassen, lag die Frage nahe, ob nicht noch gegenwärtig unter gewissen Umständen Erdschichten gehoben, zerrissen und zerstückt und Gebirgsmassen zertrümmert werden. Augenscheinlich waren viele Striche des Festlandes einst Meeresboden gewesen, umgekehrt lagen ehemalige Stücke des Festlandes jetzt unter dem Spiegel des Meeres: man mußte sich nach den Momenten umsehen, wodurch auch noch jetzt Meeresgrund in Festland und dieses in Meeresgrund verwandelt wird. – Bei diesem Ideengang kam man nothwendig immer wieder auf zwei große Naturkräfte zurück, welche man noch jetzt den zu erklärenden analoge Erscheinungen hervorbringen sah. Durch die Wirkung der Vulcane werden vor den Augen des Menschen Stücke des Meeresbodens über den Wasserspiegel emporgehoben; zugleich entstehen durch die mit den Vulcanen ursachlich verknüpften Erschütterungen Auftreibungen auf dem Festlande, neue Hügel und Erdspalten, welche unmittelbar an den unterbrochenen Zusammenhang der Schichten in den Gebirgen erinnern; endlich treiben die Vulcane noch jetzt geschmolzene Massen auf, die erstarrt auffallend Felsarten gleichen, welche sehr häufig in die ältern Gebirgsglieder eingeschoben sind. – Andrerseits hatte der Mensch täglich die Zerstörungen und Bildungen eines andern mächtigen Elements vor Augen, des Wassers. Die großen Trümmermassen in der Erdrinde gleichen in allen natürlichen Verhältnissen vollkommen den Aufschwemmungen, welche sich gegenwärtig an den Mündungen der Flüsse und auf dem Boden ihrer Betten bilden; auch in der heutigen Natur ist das Werk der Zerstörung stehender Gebirgsmassen durch Verwitterung und Schwemmung in vollem Gang, und auf dem Boden von Landseen und Meeren sehen wir fortwährend Schichten von Kalkstein, Thon- und Sandlager entstehen, welche in ihrem ganzen Gefüge mit analogen ältern, höher aufgehobenen oder tiefer einschießenden Gebilden zu viel Aehnlichkeit haben, als daß man vernünftigerweise an ihrem Ursprung durch gleiche Naturwirkungen zweifeln könnte. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß alle geologischen Constructionen seit den ältesten Zeiten sich vorzugsweise auf die Wirksamkeit dieser beiden großen Naturpotenzen, des Wassers und des Feuers, stützten. Es ist eben so natürlich, daß in den Theorien immer bald auf die eine, bald auf die andere das entscheidende Gewicht gelegt wurde, je nachdem der Landstrich, den der Beobachter unmittelbar vor sich hatte, augenfälliger die Wirkungen des Wassers oder die des Feuers verkündete, und so ist das Schisma zwischen neptunistischen und vulcanistischen Ansichten ein ganz ursprüngliches. Die feste Grundlage, welche die Geologie in der neuesten Zeit gewonnen, besteht eben darin, daß dieser Zwiespalt in der Auffassung im Großen versöhnt ist, daß man beide Gewalten bei Constituirung der Erdrinde als gleich wirksam und entscheidend anerkennt. Aber bei einer Masse einzelner, oft sehr bedeutender und ausgebreiteter Erscheinungen dauert der alte Competenzstreit zwischen Neptunismus und Vulcanismus fort. (Fortsetzung folgt.) Der Carneval in Paris. _ Paris, 21 Jan. Der Carneval ist sehr lebhaft in diesem Jahr, und trägt überall seinen lärmenden Rausch und seine tolle Freude, seinen schamlosen Muthwillen und seine wilde Liebe hin. Bunte Verkleidung begegnet allwärts dem Auge, bald in lebendigen Gestalten, bald in reinlicher Nachahmung an jenen Bilderläden, welche die Kunstsammlungen des Volks sind. In der großen Oper summt die Intrigue und flüstert

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 58. Augsburg, 27. Februar 1840, S. 0458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_058_18400227/10>, abgerufen am 03.05.2024.